Rote Linien!

Was Alterskennzeichen, Inhalte- Deskriptoren und Warnhinweise leisten

Claudia Mikat

Claudia Mikat ist Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).

Wer sich auf einen Kinobesuch vorbereitet oder das Fernsehprogramm, Mediatheken oder Streamingplattformen nach sehenswerten Inhalten durchsucht, findet eine Vielzahl von Informationen. Häufig verraten bereits Titel und Genre, mit welcher Art Inhalt man es zu tun hat. Hinzu kommen – je nach Quelle – Bildmaterial und Trailer, Angaben zur Handlung, zur Produktion oder zu Auszeichnungen, algorithmenbasierte Empfehlungen zu ähnlichen Inhalten und vieles mehr. Was leisten diese Zusatzinformationen – und was nicht?

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 1/2023 (Ausgabe 103), S. 44-49

Vollständiger Beitrag als:

Informierte Entscheidungen: Altersfreigaben und Inhalte-Deskriptoren

Die von Trägermedien bekannten Altersfreigaben, die seit Inkrafttreten des novellierten Jugendschutzgesetzes (JuSchG) im Mai 2021 auf großen Film- und Spielplattformen verpflichtend sind, bieten Informationen über die Jugendschutzrelevanz. Sie helfen Eltern, altersgemäße Inhalte für ihre Kinder auszuwählen, und zeigen Heranwachsenden rote Linien auf, die die Erwachsenenwelt für sie setzt. Denn obwohl es zum Erwachsenwerden dazugehört, die gesetzten Grenzen zunehmend zu überschreiten, nutzen Kinder und Jugendliche selbst die Alterseinstufungen als Orientierung. Befragt man 14- und 15‑Jährige zu ihrem Umgang mit den Kennzeichen, geben viele an, durchaus auch Inhalte mit einer Freigabe ab 16 anzuschauen, vor einer roten 18 aber zurückzuschrecken (FSF 2021).

Den Nutzerinnen und Nutzern grundlegende Jugendschutzinformationen bereitzustellen, damit sie entsprechend informierte Entscheidungen treffen können, ist europarechtlich verpflichtend und bereits in der 2018 novellierten europäischen AVMD-Richtlinie angelegt (vgl. Art. 6a Abs. 3 AVMD‑RL). Welches System hierfür verwendet wird, lässt die Richtlinie offen. Infrage kommen Inhalte-Deskriptoren, akustische Warnhinweise, optische Kennzeichnungen oder andere Mittel, die die Art des Inhalts beschreiben (vgl. Erwägungsgrund 19 AVMD‑RL). Entsprechend unterschiedlich wird die Vorgabe in den Mitgliedsstaaten umgesetzt.

Im Rundfunk ist nach dem deutschen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) die akustische bzw. die optische Kennzeichnung mit der Altersbewertung ausreichend, um die Vorgaben des Art. 6a Abs. 3 AVMD‑RL zu erfüllen. Anbieter von Telemedien müssen bei Filmen und Spielen auf vorhandene Altersfreigaben gemäß JuSchG deutlich hinweisen (vgl. § 12 JMStV). Erweitert wird diese Regel im novellierten Jugendschutzgesetz, indem Anbieter von Film- und Spieleplattformen ihre Inhalte generell deutlich wahrnehmbar mit einem Alterskennzeichen versehen müssen. Im Rundfunkbereich gilt die Kennzeichnungspflicht für Inhalte mit Freigaben ab 16 und ab 18 Jahren, die „durch akustische Zeichen angekündigt oder […] durch optische Mittel als ungeeignet für die entsprechende Altersstufe kenntlich gemacht werden“ müssen (§ 5c Abs. 2 JMStV).

Seit der Gesetzesnovelle im Mai 2021 müssen in Prüfverfahren gemäß JuSchG darüber hinaus weitere Informationen über die Inhalte gegeben werden. Filme und Spielprogramme sollen „mit Symbolen und weiteren Mitteln“ gekennzeichnet werden, die „die wesentlichen Gründe für die Altersfreigabe des Mediums und dessen potenzielle Beeinträchtigung der persönlichen Integrität“ erkennen lassen (§ 14 Abs. 2a JuSchG).

Näheres über die Ausgestaltung und Platzierung der Symbole und weiteren Mittel regeln die Obersten Landesjugendbehörden (OLJB) in Abstimmung mit den Selbstkontrollen. Dabei können sie neben der eigenen Spruchpraxis international auf verschiedene Beispiele und Erfahrungen zurückgreifen, wie die Zusatzinformationen ausgestaltet sein können.
 

Altersfreigabe und Inhaltsbeschreibung zu dem Film Bones and All in Großbritannien
(Quelle: www.bbfc.co.uk)


 

Das British Board of Film Classification (BBFC) stellt zu jedem klassifizierten Produkt prägnante Stichworte zu den jugendschutzrelevanten Inhalten neben das Alterskennzeichen. Der in der Google-Suchfunktion als „Romanze/Drama“ bezeichnete Spielfilm Bones and All (I/USA 2022) beispielsweise wird mit 18 gekennzeichnet und mit den Stichworten „strong violence“ und „gore“ versehen. In den Niederlanden nutzt man bereits seit 2001 das Kennzeichnungssystem Kijkwijzer und platziert neben die Altersfreigaben Piktogramme für „Gewalt“, „Angst“, „Sex“, „Diskriminierung“, „Drogen“ und „Sprache“. Bones and All erhält danach eine Freigabe ab 16 mit den Piktogrammen für „Gewalt“, „Angst“ und „Sprache“. Kijkwijzer ist auch Grundlage für das 2003 in den meisten europäischen Ländern eingeführte PEGI-System für Computerspiele, das neben den an Kijkwijzer angelehnten Symbolen für relevante Inhalte auch Deskriptoren für Interaktionsrisiken wie Onlinezugang, Mikrotransaktionen oder Glücksspiel vorsieht. Deskriptoren gibt es auch bereits im IARC-System zur weltweiten Altersbewertung von Onlinespielen und Apps, für das in Deutschland die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) zuständig ist.
 

Niederländisches Kennzeichnungssystem Kijkwijzer mit Piktogrammen für „Gewalt“, „Angst“, „Sex“, „Diskriminierung“, „Drogen“ und „Sprache“ (Quelle: www.kijkwijzer.nl)



Für den Film- bzw. Spielebereich in Deutschland haben die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) bzw. die USK die Vorgaben des JuSchG umgesetzt und jeweils ein System von Deskriptoren mit den Obersten Landesjugendbehörden (OLJB) abgestimmt (siehe fsk.de und usk.de). Geeinigt hat man sich auf Wortmarken zu den relevanten Inhaltebereichen wie „Gewalt“, „Diskriminierung“ oder „Drogen“, die z. T. aber differenzierter sind als die bekannten Piktogramme und beispielsweise „Gewalt“, „sexualisierte Gewalt“ oder „Comic-Gewalt“ unterscheiden. Die FSK-Freigabe ab 16 für Bones and All wird in Zukunft also ebenfalls mit Begriffen wie „Gewalt“, „Angst/Bedrohung“ und „Sprache“ einhergehen. Die Deskriptoren sind aufeinander abgestimmt, lassen aber auch medienspezifische Besonderheiten zu.

Im nicht linearen Spielebereich sind vor allem auch Interaktionsrisiken wie Kaufoptionen oder Chats relevant und werden mit entsprechenden Stichworten angezeigt. Die neuen Vorgaben basieren auf Vereinbarungen der 16 Länderministerien und werden ab Januar 2023 umgesetzt. Nach Ablauf einer Übergangsfrist werden Antragstellende bei einer JuSchG-Prüfung verpflichtet, die Zusatzinformationen auf der Hülle von Bildträgern sowie online auf Film- und Spieleplattformen anzubringen. Weiter gehende Kennzeichnungspflichten im Onlinebereich sind unklar bzw. stoßen europarechtlich an Grenzen.

 

Beispiel einer USK-Freigabe mit Deskriptoren und Interaktionsrisiko (Quelle: usk.de)


 

Da die Festsetzung von Deskriptoren keine hoheitliche Maßnahme in Form von Verwaltungsakten darstellt, können zertifizierte Jugendschutzbeauftragte und JMStV-Selbstkontrollen grundsätzlich auch andere Systeme verwenden. Viele Anbieter haben eigene Content-Hinweise entwickelt und implementiert, denen trotz eines z. T. eigenwilligen Mixes aus werbenden Adjektiven und Genrekreationen eine grundlegende Orientierungsfunktion nicht abzusprechen ist (z. B. für Verblendung (USA/SWE/GB/D 2011): „aalglatt“, „spannend“, „Cyberpunk“ bei Netflix). Darüber hinaus bieten auch Klassifizierungstools wie Shield oder YouKit Lösungen für die Kennzeichnung und Information an.
 

Achtung, Spoiler!

Piktogramme oder Wortmarken können die Gründe für eine Freigabe nicht in der Tiefe darstellen, sondern müssen verkürzen. Sie weisen knapp auf Wirkungsvermutungen (z. B. „Angst“) oder auf Inhalte (z. B. „Gewalt“) hin und sind in Verbindung mit dem Alterskennzeichen erste Orientierung und Auswahlhilfe vor allem im Umgang mit jüngeren Kindern. Je gröber die Kategorie, umso geringer sind Aussagekraft und Treffgenauigkeit.

Komplexere Gründe für die Freigabe sind auf kleinem Raum oder in kurzer Zeit nicht darstellbar. Sie finden sich auf den Websites der Jugendschutzorganisationen oder des Anbieters, in einschlägigen Datenbanken oder auf Elternplattformen.
 

Trailer Bones and All (Warner Bros. DE, 13.10.2022)



Über Bones and All ist auf der FSK-Seite etwa zu erfahren, dass es sich um eine „Mischung aus Coming-of-Age-Drama und Horrorfilm über eine 18‑Jährige mit einem starken kannibalistischen Drang“ handelt. Dieser werde in dem Film „nicht romantisiert, sondern immer wieder in Frage gestellt“, die Gewalt sei „drastisch bebildert“, werde aber nicht verherrlicht. „Eine verrohende oder sozialethisch desorientierende Wirkung ist daher nicht zu befürchten (FSK 2022). Auch in der Kijkwijzer-Begründung wird die vermutete Wirkung erläutert:

Bones and All enthält sehr explizite Gewaltdarstellungen: harte Gewalt, die zu spritzendem Blut oder blutigen Verletzungen führt. Solche expliziten Bilder können zu Angst oder Abstumpfung gegenüber Gewalt führen“ (Kijkwijzer 2022).

Dagegen folgt man in Großbritannien und den USA dem Ansatz, möglichst alle potenziell relevanten Inhalte detailliert zu beschreiben und die Bewertung und Einordnung dieser Informationen den Nutzerinnen und Nutzern zu überlassen.

Auf der BBFC-Seite heißt es: „Der Mörder eines Mannes entnimmt ihm bei lebendigem Leibe die Organe. Mit seinen Zähnen reißt ein Mann Fleischstreifen von einer Leiche“ (zu Verletzungen) oder: „Zwei Männer teilen sich einen Cannabis-Joint“ (zu Drogen; BBFC 2022). Der Parents Guide der US-amerikanischen Filmdatenbank IMDb perfektioniert die Liebe zum Detail und bedient damit auch in Bezug auf die Vorstellungen von Jugendschutzrelevanz ein internationales Publikum. Hinweise zu Gewalt und Grausamkeit („Ein Mann schneidet einem anderen die Kehle durch, nachdem er ihm einen Handjob gegeben hat. Man sieht die durchgeschnittene Kehle des Mannes, der sich schüttelt, aber noch lebt. Die Figuren beißen dann in sein Fleisch, das kurz gezeigt wird“) stehen neben solchen für Sexualität und Nacktheit („Eine Frau ist ohne Hemd und ihre Brüste sind von der Seite zu sehen“) oder Obszönität („38 Verwendungen von ‚Fuck‘“). Es zeigt sich: Je kleinteiliger die Beschreibung, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, auch Unwesentliches aufzuzählen – oder Handlungs- und Überraschungsmomente preiszugeben.
 

Warnhinweise
 

In diesem Film geht es um psychische, körperliche und sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Diese Darstellungen können negative Gefühle und Flashbacks auslösen. Bitte sei achtsam mit dir und überlege dir, ob du dich jetzt mit diesen Inhalten konfrontieren möchtest“ (H24 – 24 Frauen, 24 Geschichten, ARTE 2021).

Belastende Inhalte und Überraschungsmomente zu vermeiden oder Hilfestellung zu bieten, ist das Ziel von Warnhinweisen, die vielfach allgemein als „Triggerwarnung“ bezeichnet werden. Im engeren Sinne beschreibt der Begriff „Trigger“ einen Auslösereiz für Erinnerungen an traumatische Erlebnisse, der Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung in die Situation des Ereignisses zurückkatapultiert und sie das Trauma quasi ein zweites Mal durchleben lässt. Vor Darstellungen von extremer Gewalt oder sexuellem Missbrauch, von Katastrophen, Krieg oder Flucht finden sich häufig Warnhinweise – vor allem im angloamerikanischen Sprachraum, zunehmend aber auch in Deutschland.

Darüber hinaus werden Warnhinweise eingesetzt, um vulnerable Gruppen vor Darstellungen zu schützen, die starke physiologische Reaktionen oder selbstschädigende Verhaltensmuster bei ihnen auslösen können. In Großbritannien ist die Warnung vor Stroboskop­effekten üblich, um lichtempfindliche Menschen vor epilepsieartigen Anfällen zu schützen (z. B. in Squid Game, Netflix 2021). Verbreitet sind Warnungen bei Darstellungen von Suizid, die gemäß den Erkenntnissen über den sogenannten Werther-Effekt oft auf Hilfsangebote hinweisen (NaSPro 2022). Immer häufiger wird diese Praxis auf Darstellungen von Drogenmissbrauch oder von Bulimie übertragen: „Die folgende Episode enthält Szenen einer Essstörung, die von einigen Zuschauern als beunruhigend empfunden werden könnten. Wir raten den Zuschauer:innen zur Vorsicht. Informationen […] für Menschen, die mit Essstörungen zu kämpfen haben, sind verfügbar unter […]“ (Warnhinweis vor The Crown, Staffel 4, Netflix 2020).

Das britische BBFC verbindet Warnhinweise vor kulturellen Stereotypen und rassistischen Klischees mit Jugendschutzinformationen. In einer Umfrage gab die Mehrheit der von Diskriminierung betroffenen Mütter und Väter an, Warnhinweise vor Darstellungen von Rassismus und Diskriminierung als hilfreich zu empfinden – je nach Erziehungsstil, um mit ihren Kindern die problematischen Inhalte zu besprechen oder um sie zu vermeiden (vgl. Ávila González 2022).

Das entspricht der Praxis vieler Anbieter, sich mit vorgeschalteten Hinweistafeln von vorurteilsbeladenen Inhalten zu distanzieren und diese aus heutiger Sicht einzuordnen. Vor allem bei älteren Produktionen übernehmen Vorabhinweise diese Funktion des zeitgemäßen Framings. „Vom Winde verweht [USA 1939, Anm. d. Red.] ist ein Produkt seiner Zeit und stellt ethnische und rassistische Vorurteile dar, die in der amerikanischen Geschichte leider alltäglich sind“, heißt es etwa bei HBO Max.

Diese rassistischen Darstellungen waren damals falsch und sind heute falsch. Um eine gerechtere, gleichberechtigtere und allumfassendere Zukunft zu schaffen, müssen wir zuerst unsere Geschichte anerkennen und verstehen.“


Auch Disney+ bietet zu vielen seiner Zeichentrickklassiker distanzierende Inhaltshinweise an, die auch rechtfertigen sollen, diese Inhalte trotzdem zu zeigen: „Dieses Programm enthält negative Darstellungen und/oder eine nicht korrekte Behandlung von Menschen und Kulturen […]. Anstatt diese Inhalte zu entfernen, ist es uns wichtig, ihre schädlichen Auswirkungen aufzuzeigen, aus ihnen zu lernen und Unterhaltungen anzuregen, die es ermöglichen, eine integrativere gemeinsame Zukunft ohne Diskriminierung zu schaffen“ (Inhaltswarnung vor Peter Pan [USA 1953], Disney+).


Fazit

Über den Mehrwert von Zusatzinformationen kann man geteilter Meinung sein. Für viele Eltern sind bereits Inhalte-Deskriptoren wie „Angst“ oder „Sex“ hilfreich, um die Wirkung auf ihre Kinder einzuschätzen, andere bewerten die Kategorien als zu grob und wünschen weiter gehende Informationen. In vielen Fällen ist die Altersfreigabe in Verbindung mit dem Titel bereits eine Art Triggerwarnung (Slasher [CAN 2018], ab 18), in anderen Fällen genügen Genrezuordnung und einschlägige Adjektive (düsterer Horrorfilm).

Viele Opfer von Gewalt und Missbrauch haben gelernt, retraumatisierende Reize zu erkennen und entsprechende Inhalte zu meiden. Sind diese aber nicht offensichtlich oder sogar als Überraschungsmomente inszeniert, kann ein gesonderter Warnhinweis sinnvoll sein. Die Auslösereize für traumatische Flashbacks sind allerdings individuell sehr unterschiedlich, zudem schwächt die häufige Verwendung von Warnungen deren Funktion. Das spricht dafür, Warnhinweise eher allgemein zu halten und wohldosiert und bezogen auf extreme Darstellungen einzusetzen.

Ein Zuviel an allgemeinen Inhalte-Hinweisen banalisiert echte Traumata und Trigger. Ein Hinweis wie „Enthält überholte Einstellungen“ erscheint bei einem Film von 1961 unter dem Gesichtspunkt der Orientierungsleistung verzichtbar (Frühstück bei Tiffany [USA], Paramount).

Vorabhinweise können auch in die Irre führen, wenn etwa allein wegen der Thematisierung von Phänomenen wie Diskriminierung gewarnt wird, vor allem bei zeitgeschichtlichem Material. „Die sexistischen Ausschnitte aus dem historischen Filmmaterial können retraumatisierend sein“, heißt es etwa vor einem sorgfältig aufbereiteten Dokumentarfilm über Diskriminierungserfahrungen von Frauen in der Politik zu Zeiten der Bonner Republik (Die Unbeugsamen [D 2021], Amazon Prime Video). Bewahrt der Hinweis Opfer von sexueller Diskriminierung vor einer retraumatisierenden Erfahrung – oder schließt er sie vom emanzipatorischen Narrativ der titelgebenden „unbeugsamen“ und letztlich reüssierenden Frauen aus? Würde die Altersfreigabe (FSK ohne Altersbeschränkung) letztlich mehr Orientierung bieten? Thomas Weber, Diplom-Psychologe und Leiter des Zentrums für Trauma- und Konfliktmanagement (ZTK) in Köln, rät bei extremen Darstellungen zu einfachen, allgemeinen Hinweisen, die nicht bevormunden, z. B.:

Der folgende Inhalt kann sehr nahegehen“ (Weber, in: Dichmann 2021).

Aus Jugendschutzsicht haben Kennzeichen, Deskriptoren und Warnhinweise eine grundlegende Orientierungsfunktion. Eine Schutzwirkung wird im Rundfunk und in den Telemedien allerdings weniger über die optische, sondern über die technische Kennzeichnung erzielt, die in Verbindung mit Sendezeitregelungen, Sperr- und Filtersystemen den Zugang zu Inhalten altersgemäß beschränkt. Warnhinweise schaffen keine Welt ohne Diskriminierung. Sie können aber – vernünftig eingesetzt – ein Bewusstsein dafür wecken, dass manche Menschen aufgrund von Vorerfahrungen sensibel auf bestimmte Inhalte reagieren. Sie können Inhalte in einen zeitlichen, ethischen oder politischen Kontext rücken und vielleicht auch Denkprozesse in Gang setzen. Nicht mehr und nicht weniger.  
 

Literatur:

Ávila González, E.: Inhaltswarnungen können den entsprechenden Rahmen liefern!“ Ein Gespräch mit David Austin. In: mediendiskurs, 2/2022 (Ausgabe 100), S. 78–81

BBFC (British Board of Film Classification): Bones and All. In: BBFC-Freigaben, 2022. Abrufbar unter: https://www.bbfc.co.uk

Dichmann, M.: Kennzeichnung belastender Inhalte. Triggerwarnungen: Nicht inflationär einsetzen. Ein Gespräch mit Thomas Weber. In: Deutschlandfunk Nova, 24.06.2021. Abrufbar unter: https://www.deutschlandfunknova.de

FSF (Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen): Medienbarometer 2021. Jugendliche sprechen über ihren Umgang mit Medien. In: medienradar.de., 2021. Abrufbar unter: https://www.medienradar.de

FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft): Bones and All. In: FSK-Freigaben, Freigabebegründung, 2022. Abrufbar unter: https://www.fsk.de

IMDb: Bones and All. In: IMDB Parents Guide, 2022. Abrufbar unter: https://www.imdb.com

Kijkwijzer: Bones and All. In: Kijkwijzer-Freigaben, 2022. Abrufbar unter: https://www.kijkwijzer.nl

NaSPro (Nationales Suizidpräventionsprogramm): Medieneffekte im Rahmen der Suizidberichterstattung. In: NaSPro, Universität Kassel, FB Humanwissenschaften, 2022. Abrufbar unter: https://www.suizidpraevention.de