Medienpreise

Gerd Hallenberger

Dr. habil. Gerd Hallenberger ist freiberuflicher Medienwissenschaftler.

Vom Oscar in den USA bis zum Bambi in Deutschland – es gibt sehr viele Medienpreise. Dr. Gerd Hallenberger benennt sie und fragt nach Zweck und Inszenierungsweisen.

Printausgabe tv diskurs: 22. Jg., 2/2018 (Ausgabe 84), S. 74-75

Vollständiger Beitrag als:

„And the winner is …“ – es gibt wahrscheinlich kaum jemanden, der diese Formel nicht instinktiv richtig zuordnen kann. Es ist die traditionelle, heute nicht mehr gebräuchliche Formel bei der Bekanntgabe der Gewinner des bekanntesten Medienpreises der Welt: des Oscars, der seit 1929 von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences vergeben wird, wenn auch in den ersten Jahren noch nicht unter diesem Namen.

„And the winner is …“ ist allerdings eine trügerische Formel, wenn man sie so interpretiert, dass nur der Gewinner des Preises der Gewinner des Preises ist. Tatsächlich haben alle Medienpreise neben den tatsächlichen Siegern viele Gewinner, was schon die Oscar-Geschichte selbst veranschaulicht. Ende der 1920er-Jahre war die Filmbranche im Umbruch. Die Ablösung des Stummfilms durch den Tonfilm hatte gerade begonnen, bis zur Durchsetzung des Farbfilms sollten auch nicht mehr allzu viele Jahre vergehen, und das Radio wurde zu einer bequemen Medienkonkurrenz im Wohnzimmer. Schon die Benennung der Academy deutet ihre Zielrichtung an: Als Lobby der Filmbranche streitet sie sowohl für den künstlerischen Rang ihres Mediums („Arts“), als auch für dessen technologische Modernität („Sciences“). Mit dem Oscar zeichnet die Filmbranche also erstens Filme und Künstlerinnen und Künstler aus, zweitens aber auch sich selbst, als Garant für qualitativ hochwertige Unterhaltungsangebote auf der Höhe ihrer Zeit. Die Mediengeschichte beweist, dass dieses Konzept aufgegangen ist.

Was für den Oscar gilt, gilt für alle Medienpreise: In ihrem Bereich fungieren sie als Regulativ: Sie lenken Aufmerksamkeit auf einzelne Medienprodukte und ihre Branche insgesamt, sie dokumentieren Erfolg und sollen weiteren Erfolg fördern; und nicht zuletzt dienen sie der Popularitätssteigerung des Preises selbst, als PR in eigener Sache. Gerade in der heutigen Medienlandschaft, in der zahllose Angebote um die begrenzten Ressourcen Zeit, Aufmerksamkeit und Geld des Publikums konkurrieren, kommt Medienpreisen daher große Bedeutung zu – und als Konsequenz gibt es auch eine unüberschaubare Menge an Preisen. Die bekanntesten stammen natürlich aus den USA: Was dem Film der Oscar, ist dem Fernsehen der Emmy, der Musikbranche der Grammy und dem Theater der Tony. Neben Preisen in einzelnen Medien gibt es auch medienübergreifende Preise für einzelne Genres, im Krimibereich beispielsweise den Edgar (benannt nach Edgar Allan Poe) und im Genre Science-Fiction den Hugo (ebenfalls nach einem Pionier benannt, nämlich Hugo Gernsback). Nicht zu vergessen sind Antipreise, die die Grundidee umkehren und das Schlimmste eines Jahres auszeichnen, wobei die Goldene Himbeere, der Antioscar, auch zu den prominentesten Medienpreisen gehört.

Die deutsche Medienpreislandschaft weist mit eigenen Auszeichnungen eine ähnliche Grundstruktur auf. Für den Kinofilm gibt es die Lola (die Bezeichnung geht auf gleich drei deutsche Filmerfolge zurück), in der Musikbranche den Echo, für das Fernsehen den Deutschen Fernsehpreis und den Grimme-Preis. Als deutsche Eigenheit mag man sehen, dass auch der Deutsche Radiopreis und der Grimme Online Award zu den bekannten Medienpreisen zählen, ebenso von einzelnen Medienunternehmen ausgelobte Auszeichnungen (der Bambi der Hubert Burda Media oder die Goldene Kamera der Funke Mediengruppe) oder Preise mit regionalem Fokus (Bayerischer Fernsehpreis).

Medienpreise lassen sich vor allem nach zwei Kriterien differenzieren: Was soll beurteilt werden? Wer urteilt? Im Prinzip geht es bei den meisten Medienpreisen natürlich vorrangig um „Qualität“, aber kommerzieller Erfolg und Bekanntheit spielen auch eine Rolle, manchmal sogar eine zentrale (wie beim Echo). Wo Qualität wichtig ist, entscheidet die Art des Personenkreises, der urteilt, über die Bedeutung des Preises. Werden Gewinner durch eine Publikumsabstimmung ermittelt, geht es primär um Popularität; stimmen Branchenvertreter ab, kommen zur Expertise möglicherweise noch eigene Interessen. Der Normalfall sind Juryurteile, wobei die Juryzusammensetzung entscheidend ist – wie unabhängig ist die Jury tatsächlich? Welche Beziehungen bestehen zwischen denen, die Preise vergeben, und denen, die Preise bekommen?

Wenn Preise Aufmerksamkeit erregen, Publikumsinteresse lenken und allgemein die betreffende Branche fördern sollen, dann spielt die Inszenierung der Preisvergabe eine wichtige Rolle. Auch in diesem Punkt ist die Oscar-Geschichte ein Paradebeispiel: Es begann 1929 mit einer schlichten 15-minütigen Zeremonie bei einem Bankett, die Gewinner waren vorher bekannt, und es gab keine Radioübertragung. Heute handelt es sich um eine komplexe vielstündige Veranstaltung, deren Liveübertragung jedes Jahr zu den meistgesehenen Sendungen des US-Fernsehens zählt. Die Übertragung beginnt schon lange vor der eigentlichen Preisverleihung mit dem Eintreffen der Prominenz am roten Teppich und beinhaltet auch noch die Party danach. Für Spannung sorgt, dass vorher zwar die Nominierten, nicht aber die Gewinner bekannt sind. Deren Namen werden erst auf der Bühne einem Briefumschlag entnommen und vorgelesen, was wunderbare Bilder ermöglicht, da alle Nominierten bei der Veranstaltung anwesend sind.

Von solchen opulenten und medial erfolgreichen Inszenierungen sind deutsche Medienpreise weit entfernt, obwohl entsprechende Ambitionen durchaus vorhanden sind. Dass etwa die Sehnsucht nach berühmten Hollywoodstars, deren Anwesenheit jeden Preis aufwertet, groß ist, zeigte 2017 ein Coup der Fernsehsendung Circus HalliGalli (ProSieben). Ihr gelang es nicht nur, bei der renommierten Goldenen Kamera einen falschen Ryan Gosling einzuschmuggeln, sondern die Verantwortlichen sogar dazu zu bewegen, für dessen Auftritt alle eigenen Verfahrensregeln über Bord zu werfen. Ein weiteres Indiz ist der skurrile Umstand, dass es zwar einen Deutschen Fernsehpreis gibt, der im Rahmen einer aufwendigen Gala verliehen wird, aber kein Fernsehsender diese Veranstaltung überträgt.