Barbenheimer

Gerd Hallenberger

Dr. habil. Gerd Hallenberger ist freiberuflicher Medienwissenschaftler.

Die Blockbuster Barbie und Oppenheimer teilten sich den Starttermin und die Aufmerksamkeit des Kinopublikums. Zwei Filme, die auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben, entfalteten dabei eine bemerkenswerte Synergie.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 4/2023 (Ausgabe 106), S. 56-57

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Erreicht heute ein Medienthema eine große Öffentlichkeit, geht es in der Regel um das Internet oder Social Media, manchmal auch noch um das Fernsehen. Im Sommer 2023 betraf das meistbesprochene Thema jedoch den Film – konkret zwei Filme, die auf den ersten Blick kaum etwas gemein haben, abgesehen vom gleichen Starttermin, in Deutschland dem 20. Juli 2023. Auf der einen Seite haben wir Barbie (Regie: Greta Gerwig), einen Film über die erfolgreichste Plastikpuppe der Spielzeuggeschichte. Das Image der Puppe ist sehr ambivalent – einerseits drängt sie damit spielende Mädchen anders als frühere (Baby‑)Puppen nicht in die Einbahnstraße einer Mutterrolle, andererseits propagiert sie Konsumismus, gefährliche Körperbilder und andere bedenkliche Rollenbilder. Aus diesem Spannungsverhältnis hat Gerwig einen grellbunten, opulenten Film gemacht, der zwar feministische Ambitionen erkennen lässt, aber nicht so radikal ist, dass die coproduzierende Barbie-Herstellerfirma Mattel aus dem Projekt ausgestiegen wäre: Wenn sich ein Plädoyer für Gleichberechtigung und Diversität mit Produktdiversifikation beantworten lässt, können alle Seiten zufrieden sein. Auf der anderen Seite ist Oppenheimer (Regie: Christopher Nolan), eine dreistündige Filmbiografie über den „Vater der Atombombe“, der – zu Unrecht – in den Verdacht geriet, Informationen an die Sowjetunion verraten zu haben.
 

Trailer: Barbie (Warner Bros. Pictures, 25.05.2023)



Am selben Starttag konkurrierte also scheinbar klassisches Erzählkino mit einem Kino der Schauwerte, tatsächlich handelte es sich aber um Counterprogramming, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Wenn ein großer Sender ein wichtiges Fußballspiel zeigt, tut ein ähnlich großer Sender gut daran, ein ganz anderes Publikumssegment anzuvisieren, etwa mit einer romantischen Komödie. Das Kalkül hat funktioniert und sorgte sogar für einen neuen Begriff, das Kofferwort „Barbenheimer“.

Die damit behauptete Beziehung zwischen beiden Filmen beschränkt sich nicht darauf, dass beide unerwartet erfolgreich sind – Barbie hat sogar nach wenigen Wochen weltweit mehr als eine 1 Mrd. Dollar eingespielt. Bei näherem Hinsehen werden weitere Gemeinsamkeiten der beiden Filme erkennbar.

Am offensichtlichsten ist, dass beide bewährte Strategien des Hollywoodkinos im Konkurrenzkampf mit dem Fernsehen einsetzen. Also etwa: geballte Starpower. Barbie bietet in den Hauptrollen Margot Robbie und Ryan Gosling auf, in Nebenrollen agieren u. a. Will Ferrell, Wrestling-Star John Cena und die Musikerin Dua Lipa. Im Falle von Oppenheimer war vorher bereits Regisseur und Drehbuchautor Christopher Nolan ein Star, vor allem dank dreier Batman-Filme sowie Inception und Tenet, bei denen er ebenfalls in doppelter Funktion tätig war. Bekannt, aber noch nicht ganz ein Weltstar, ist Hauptdarsteller Cillian Murphy, dafür bietet Nolan in Nebenrollen zahlreiche große Namen auf – etwa Kenneth Branagh, Matt Damon und Robert Downey Jr.
 

Trailer: Oppenheimer (Universal Pictures, 19.12.2022)



Eine weitere Strategie ist ein auffälliger Soundtrack, wobei Hollywood zwei Basiskonzepte kennt. Oppenheimer operiert mit instrumentaler Filmmusik, komponiert von Ludwig Göransson, bereits Grammy- und Oscargewinner. Barbie dagegen verwendet eine Kompilation neu produzierter Popnummern bekannter Stars (u. a. Billie Eilish), wobei auf eine enge Verbindung zum Film Wert gelegt wird – so darf Co-Hauptdarsteller Ryan Gosling auch zwei Gesangsbeiträge beisteuern und Dua Lipa ist ebenfalls in doppelter Funktion am Film beteiligt. Der Aufwand hat sich gelohnt: Barbie: The Album erreichte immerhin Platz zwei der Billboard-Charts in den USA.

Filmkritiker:innen sind zusätzlich auch inhaltliche Beziehungen aufgefallen: So beschäftigen sich beide Filme im Kern mit dem gleichen Thema, existenziellen Ängsten – Barbie mit der Angst vor dem Ende vertrauter Geschlechterrollen, Oppenheimer mit der Angst vor dem Ende der Welt (Nicholas Barber, BBC). Und beide fallen im diesjährigen Filmangebot dadurch auf, dass sie tatsächlich neu sind und nicht bloß Teil einer vertrauten Reihe wie etwa Indiana Jones und das Rad des Schicksals oder Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil Eins (vgl. Catherine Shoard, „The Guardian“).

Ausgerechnet dieser eine Woche vorher angelaufene Film erlitt nach einem ohnehin schwachen Startwochenende einen deutlichen Publikumsrückgang durch Barbie und Oppenheimer. Dabei bewies der Hauptdarsteller von Mission: Impossible, Tom Cruise, ein bemerkenswertes Gespür für die Chancen, die dieses merkwürdige Filmpaar für die Filmbranche insgesamt bot, indem er schon Wochen vorher ankündigte, sich sowohl Barbie als auch Oppenheimer ansehen zu wollen, ebenso wie den neuen Indiana Jones-Film. Barbie-Regisseurin Gerwig und Hauptdarstellerin Robbie bedankten sich für diese Geste durch ein Bild, auf dem beide Eintrittskarten für Mission: Impossible hochhielten. Kinos griffen die Idee durch Doppelvorstellungen von Barbie und Oppenheimer auf, was entscheidend zum „Barbenheimer“-Phänomen beitrug.

Counterprogramming im Kino bedeutet üblicherweise, dass zwei Filme mit unterschiedlichen Zielgruppen zeitgleich starten, sodass sie sich gegenseitig kein Publikum wegnehmen. Im Fall von „Barbenheimer“ wurde jedoch aus Counterprogramming Synergie und eine eigentümliche Partnerschaft: Gerade weil beide Filme so auffällig und gleichzeitig auffällig unterschiedlich waren, wurde ihr Start zum Event, beide profitierten voneinander und halfen dem Kino in einer schwierigen Situation – 2023 waren einige aufwendige Filme deutlich weniger erfolgreich als gedacht, der Streik von Autor:innen und Schauspieler:innen in den USA verzögerte viele Neustarts.

„Barbenheimer“ lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Kinofilm und darauf, wie unterschiedlich und doch immer überwältigend Hollywood sein kann – nicht zuletzt dank vieler Memes, die vertraute Motive rekontextualisierten: beispielsweise „Barbie“ und „Oppenheimer“ anstelle der ursprünglichen Charaktere auf ikonischen Schallplattencovern wie Abbey Road von den „Beatles“ oder Wish You Were Here von „Pink Floyd“. Oder „Barbie“ vor einem Atompilz, was in Japan aber nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki im Zweiten Weltkrieg nicht gut ankam.