Die Talkshow

Gerd Hallenberger

Dr. habil. Gerd Hallenberger ist freiberuflicher Medienwissenschaftler.

Die Entwicklung und Formen der Talkshow im Überblick.

Printausgabe tv diskurs: 22. Jg., 4/2018 (Ausgabe 86), S. 88-89

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Auf den ersten Blick mag es überraschen, dass ausgerechnet eine visuell so wenig reizvolle Programmsparte wie die Talkshow in der Fernsehgeschichte eine wichtige Rolle gespielt hat. Tatsächlich gibt es dafür aber gute Gründe. Für das Fernsehpublikum ist das Genre allein schon deshalb attraktiv, weil Menschen prinzipiell gerne miteinander reden: Eine Talkshow bietet dadurch Unterhaltung, dass sich Menschen vor der Kamera unterhalten. Fernsehsender mögen Talkshows nicht zuletzt wegen der geringen Produktionskosten: Man muss nur einmal in eine ansprechende Dekoration investieren und eine geeignete Moderation finden. Bei einem stimmigen Konzept lassen sich dann leicht immer wieder Gäste finden, die selbst ohne Stargage gerne kommen, weil sie hier eine gute Plattform für ihre Anliegen finden. Diese Argumente begründen erst einmal die Attraktivität von Talkshows für das Radio – aber warum sind Gespräche auch im Fernsehen erfolgreich? Obwohl sprachliche Kommunikation primär über akustische Signale funktioniert, spielen optische Signale ebenfalls eine wichtige Rolle: Wie sieht mein Gegenüber aus, was verraten seine Mimik, seine Gesten, seine Körpersprache? All das kann wichtige Informationen darüber vermitteln, was ich vom Gesagten zu halten habe.

Der Zugang zur Geschichte der Talkshow in Deutschland wird durch ein terminologisches Problem verstellt. Während der Begriff „Show“ in Deutschland für opulente Unterhaltungsangebote steht, wäre eine korrekte Übersetzung aus dem Englischen schlicht „Sendung“. Demnach ist etwa eine „news show“ einfach eine Nachrichtensendung und eine „talk show“ bloß eine Sendung, in der hauptsächlich geredet wird. Als Konsequenz kennt die deutsche Talkshowgeschichte zwei Anfänge. Unter Verwendung dieses Begriffs und als dezidiertes Unterhaltungsangebot mit Prominenten fand die Premiere 1973 statt, als Dietmar Schönherr erstmals die Programminnovation Je später der Abend im WDR moderierte. Nach amerikanischem und englischem Verständnis gab es zu diesem Zeitpunkt aber schon seit 20 Jahren „talk shows“ in der BRD, nämlich seit der Übernahme der ursprünglich nur im Radio ausgestrahlten politischen Diskussionsrunde Der Internationale Frühschoppen durch das Fernsehen im August 1953. Und selbst unterhaltungsorientierte Gesprächssendungen gab es lange vor 1973, etwa ab 1955 Zu Gast bei Margot Hielscher – nur wäre noch niemand auf die Idee gekommen, das als „Talkshow“ zu bezeichnen.

Im Spektrum der Gesprächssendungen zeichnen sich Talkshows dadurch aus, dass anders als in Interviewsendungen in der Regel mehrere Gäste auftreten und anders als in Diskussionen nicht Themen im Vordergrund stehen. Gespräche in Talkshows sind immer zumindest auch personenorientiert und dienen immer auch Unterhaltungszwecken. Die (west-) deutsche Talkshow-Geschichte seit 1973 lässt sich für einen ersten Überblick in drei wesentliche Phasen einteilen. In jeder Phase war eine bestimmte Variante dominant, es gab jedoch daneben immer auch andere Varianten.

In den 1970er- und 1980er-Jahren hatte die deutsche Talkshow noch eine relativ große Nähe zur „Show“ nach deutschem Verständnis – sie wurde am Abend und bestenfalls wöchentlich ausgestrahlt, konnte mehrere Stunden dauern, und Gäste waren vorwiegend Prominente jeglicher Provenienz, von Showgeschäft bis Politik. Die Grundidee war, einen offenen Gesprächsraum für interessante Menschen zu schaffen, in dem im Prinzip über alles geredet werden konnte und tatsächlich wurde. Ab 1992 trat eine andere Variante in den Vordergrund, der Daily Talk. Nachdem sich in den USA täglich am Nachmittag ausgestrahlte Talkshows mit Laiengästen als gute Lösung des Problems erwiesen hatten, wie Fernsehsender auch in zuschauerschwachen Tageszeiten durch kostengünstige Angebotsformen Gewinne erzielen können, war es naheliegend, dass deutsche Privatsender diese Strategie übernahmen. Prominent war hier nur die moderierende Person, die logischerweise namensgebend war. Ob in Hans Meiser (RTL), Kerner (SAT.1) oder Arabella (ProSieben), verhandelt wurden vermeintliche „Alltagsthemen“, wie sie auch die Boulevardpresse aufgreift. Dem generellen Dilemma dieses Ansatzes, dem latenten Zwang zur permanenten Reizsteigerung konnte der Daily Talk aber nicht entgehen – wenn an einem Tag das Thema „Schwanger mit 13 – was nun?“ lautet, ist eine weitere Sendung zu diesem Themenbereich allenfalls mit dem Titel „Schwanger mit 12“ möglich. Die dritte Phase begann 1998 mit der Ausstrahlung der ersten Folge von Sabine Christiansen (ARD): Danach entwickelte sich der wöchentliche Polittalk zur wichtigsten Variante des Genres, aktuell etwa mit Anne Will (ARD) oder Maybrit Illner (ZDF) im Programm vertreten.

Neben diesem Talkshow-Mainstream gab es jedoch immer auch weitere, kreative Interpretationen des Genres – beispielsweise themenspezifische Talkshows wie Das Literarische Quartett (ZDF) oder die Sport-Talkshow Doppelpass (SPORT1), Talkshows mit Spielen (Zimmer frei!, WDR), Talk als Comedy (Dall-As, RTL) oder als Psychotherapie (Lämmle live, SWR) und nicht zuletzt Talkshows mit gespielten Figuren als Moderatoren wie etwa dem von Frank-Markus Barwasser dargestellten Erwin Pelzig (BR, ZDF).

Trotz aller Unterschiede zwischen den drei Phasen, in denen erst Promi-Talk, dann Daily Talk und aktuell Polittalk dominierten, gibt es auch auffällige Gemeinsamkeiten. Reizvoll für das Fernsehpublikum war immer schon die Chance, dass hier Unerwartetes passieren kann: Fällt ein Promi aus der Rolle oder lüftet ein Geheimnis (Phase eins)? Pöbelt ein Gast herum oder verprügelt gar einen anderen (Phase zwei)? Wer gewinnt das Talkduell (Phase drei)? Man mag bedauern, dass heutiger Polittalk oft weniger als Diskussion denn als verbal ausgetragener Boxkampf erscheint, aber dieser Umstand ist kein Zufall. Wenn „alternativlos“ zu einem Kernbegriff politischer Rhetorik wird, verliert die offene Auseinandersetzung über Ziele und Strategien an Bedeutung – es geht nur noch darum, wer das Unvermeidliche am besten vertritt