Zwischen Self-Care-Routine und Produktivitätsdogma: Wer ist „that girl“?

Eva Maria Lütticke

Eva Lütticke studierte Medienwissenschaften (M.A.) an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Zurzeit arbeitet sie als Redakteurin bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).

Wie sieht ein gelungenes, vielleicht sogar perfektes Leben aus? Schaut man auf TikTok, Instagram & Co., scheinen sich viele Menschen einig zu sein: Ein solches Leben ist produktiv, der Selbstoptimierung gewidmet und besteht aus nicht endenden To-do-Listen. Unter dem Hashtag #thatgirl finden sich allein auf Instagram über 1,2 Mio. Beiträge, auf TikTok wurden Inhalte mit dem Hashtag über 16 Mrd. Mal aufgerufen.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 4/2023 (Ausgabe 106), S. 34-37

Vollständiger Beitrag als:

Monday Motivation

Der „that girl“-Trend existiert schon seit einiger Zeit in den sozialen Medien. Er bezeichnet die Darstellung perfekt abgestimmter Tagesabläufe, die einen schließlich zur „best version of yourself“ machen sollen. Am Wochenende um 6.00 Uhr aufstehen, um eine Runde Yoga zu machen? Kein Problem. Im Anschluss meditieren und die eigenen Gedanken niederschreiben? Nichts lieber als das. Die Wohnung aufräumen, einkaufen und das wie ein Kunstwerk anmutende Porridge verzehren – du tust es nur für dich! Mantras wie diese sind Grundvoraussetzung „to be that girl“.
 

 

How to become „that girl“

Ein TikTok-Beitrag vom Account @thatgiiiiirll, der mehr als 20.000 Aufrufe verzeichnet, erläutert, wie man in wenigen Schritten „that girl“ werden kann:

  1. Wake up before 8 a. m.
  2. Workout 3–5 times per week.
  3. Read 10 pages every day.
  4. Study and revise regularly.

Wirft man einen genaueren Blick darauf, wer denn eigentlich dieses Mädchen ist, wird schnell klar, wer diese Narrative vornehmlich verbreitet: Es sind vor allem junge, normschöne, privilegierte Frauen, die sich unter dem Hashtag präsentieren. Es ist naheliegend, eine Parallele zu Influencer*innen zu ziehen, insbesondere, da in den Fotos und Videos oft Markenartikel platziert werden. Dabei verschwimmt die Grenze zwischen Ratschlägen und dem Anpreisen von Produkten. Den Zuschauer*innen wird vermittelt, dass das Glück nicht nur durch eigene Anstrengung zu erreichen, sondern auch käuflich ist. So wundert es kaum, dass es auch Videos zu „amazon must haves for #thatgirl“ gibt. Unter den dort angepriesenen Artikeln finden sich beispielsweise eine große Wasserflasche, ein beiges Tagebuch mit dem Titel The Five Minute Journal, eine LED-Light-Therapy-Maske und ein Facial Ice Roller zur Verbesserung der Gesichtshaut.
 

Glücklich ist, wer die beste Version seines Selbst ist

Die Vorstellung von Glück, die „that girl“ transportiert, ist auffällig eintönig. Schönheit, Wohlstand, Jugendlichkeit und ein enormer Drang zur Selbstoptimierung scheinen die Zutaten für ein gelingendes Leben zu sein. Armut, Misserfolg oder auch Trägheit scheinen keinen Platz darin zu haben. In vielen der Videos wird insbesondere der Reichtum inszeniert. Natürlich rät niemand unverblümt: „Besitze viel Geld und eine Eigentumswohnung, um ‚that girl‘ zu sein.“ Doch der Wert des Wohlstandes wird in Form materieller Güter stets mitvermittelt, etwa durch die Präsentation teurer Produkte oder luxuriöser Wohnungen. Dabei gibt es nicht nur inhaltlich, sondern auch bezüglich der Darstellung viele Gemeinsamkeiten zwischen Beiträgen unterschiedlicher Accounts. Die Posts sind häufig in hellen Farben gehalten, das Bild ist minimalistisch, es wirkt sehr aufgeräumt und „clean“. Videos werden in Jump Cuts geschnitten, es scheint, als ob ständig Bewegung herrschte. Dieser Look hat auch ein Hashtag: Unter #thatgirlaesthetics finden sich auf TikTok Videos, die insgesamt mehr als 3,3 Mrd. Mal aufgerufen wurden. Aufgrund der sehr aufgeräumten Ästhetik und dadurch, dass die Personen vor allem im privaten Raum stattfinden, schwingt bei den Beiträgen auch immer das Stereotyp einer sauberen und sehr geordneten Frau mit, die in eine patriarchal vorgeprägte Vorstellung einer „guten Frau“ passt.
 

The Ultimate Guide to Being "THAT Girl" (Vanessa Tiiu, 11.06.2021)



Warum eifern so viele diesem Trend nach?

Soziale Medien sind dafür bekannt, den Kapitalismus bis in die privatesten Räume zu tragen. Der Trend #thatgirl ist damit nur eine weitere Form der Kapitalisierung von Lebensraum, die suggeriert, Glück sei an Äußerlichkeiten zu erkennen. Darüber hinaus trägt die „that-girl“-Ästhetik durch die Reproduktion eines unrealistischen weiblichen Schönheitsideals zu einem gesellschaftlichen Druck auf Mädchen und Frauen bei. Ist der Trend also nur eine weitere medienspezifische Variante der gleichen patriarchal geprägten Vorstellungen von Glück und gelingendem Leben, die uns in Fernsehen und Radio im Allgemeinen und in der Werbung im Besonderen verkauft werden? Natürlich steht bei diesem Trend die Selbstoptimierung innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaft im Vordergrund. Doch es geht auch um Routinen. Sie bieten Sicherheit, indem sie einem das Gefühl vermitteln, dass man die Dinge im Griff hat. Sie ermöglichen es, selbstwirksam zu handeln und das Leben zu kontrollieren oder es zumindest als kontrolliert wahrzunehmen. Gerade die junge Generation sieht sich mit zahlreichen Unsicherheiten konfrontiert: Umwelt- und Immobilienkrisen, prekäre Arbeitsverhältnisse und die daraus resultierende schwierige Alterssicherung. Wenn die Zukunft prekär oder gar dystopisch anmutet, dann gewinnt der unmittelbare Alltag an Bedeutung. Und Routinen können ein Versuch sein, diesen Alltag besser zu bewältigen.

Doch das Internet wäre nicht das Internet, wenn es unter dem Hashtag #thatgirl bzw. #notthatgirl nicht auch zahlreiche Videos gäbe, die sich über diesen Trend lustig machen. Videos, in denen Frauen erklären, warum sie eben nicht dieses Mädchen sind. Die Gründe sind vielfältig, z. B. weil sie gerne länger schlafen, weil ihre Haut nach dem Sonnenbaden nicht strahlend aussieht, sondern eher die ungesunde Farbe eines Krebses annimmt, weil die Füße geschwollen sind und in Sommersandalen nicht „niedlich“ aussehen, weil sie keinen Iced Americano trinken und weil sie mehrere Tage dasselbe Oversized Shirt tragen. Eigentlich ganz normal.