Künstlerische Intelligenz

Was erzählen uns fiktionale Szenarien über künstliche Intelligenz (KI)?

Uwe Breitenborn

Dr. Uwe Breitenborn ist hauptamtlicher Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), Dozent, Autor und Bildungsreferent bei der Medienwerkstatt Potsdam.

Nahezu alle KI-Szenarien sind in Film und Literatur bereits durchgespielt. Sie reichen von dystopischen Schauergeschichten bis zur Beglückung durch Assistenzsysteme. Verfolgt man den KI-Hype, seitdem ChatGPT einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich ist, scheint sich wieder einmal die Annahme des Zukunftsforschers Roy Charles Amara zu bestätigen, dass die Menschen dazu neigen, die Auswirkungen neuer Technologien auf kurze Sicht zu überschätzen und auf längere zu unterschätzen. Dies geschieht im Moment nicht nur mit Blick auf den Bildungsbereich. Zeit, sich durch künstlerische Intelligenz inspirieren zu lassen und genauer hinzuschauen, was da gerade passiert.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 3/2023 (Ausgabe 105), S. 44-47

Vollständiger Beitrag als:

George Bernard Shaw sagte einmal, der Nachteil von Intelligenz bestehe darin, dass man ununterbrochen gezwungen sei, dazuzulernen. Lebenslanges Lernen fällt Computern offensichtlich leichter. Manche meinen sogar, der Begriff „künstliche Intelligenz“ wäre irreführend, stattdessen sei Machine Learning präziser. Welches KI-System auch immer gemeint ist, wir erleben erstaunliche maschinelle Lern- und Entwicklungsprozesse, die viele so schnell nicht für möglich gehalten hätten.
 

KI-Körper

Unsere tradierten Vorstellungen von KI sind oft körperbezogen. Der Begriff „Cyborg“ wurde erstmals 1960 von Manfred E. Clynes und Nathan S. Kline geprägt. Er bezeichnet einen autarken, kybernetischen Organismus, der aus künstlich hergestellten Materialien besteht. Wir denken sie oft in menschenähnlicher Gestalt und mit emotionalen Eigenschaften. So wird auch über die Frage diskutiert, ob beispielsweise ChatGPT Gefühle entwickeln kann. Der Kognitionsforscher Eric Schulz vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen machte kürzlich seine Beobachtung öffentlich, dass der Chatbot bei angstähnlichen Zuständen aggressiv werde. Schulz ist der Meinung, dass zumindest alle kognitiven Aspekte von Emotionen simuliert werden können und damit auch neuronale Vorgänge mit Nullen und Einsen beschreibbar seien. Allerdings fehle ein „physiologisches Korrelat“, denn ein Chatbot zeige „keinen erhöhten Herzschlag und keine beschleunigte Atemfrequenz“ (Schulz, zitiert nach Grolle/Beuth 2023).

Deutlicher formuliert es der Philosoph Thomas Metzinger, der unsere Körper für unverzichtbar für bewusstseinsbildende Prozesse hält. Wir sind seit Millionen von Jahren darauf optimiert, unsere eigene Existenz zu erhalten. Eine KI spüre jedoch nicht unsere „kreatürliche Angst vor dem Tod“. Zugespitzt formuliert: Künstliche Intelligenzen „haben keinen eigenen Stoffwechsel. Sie atmen nicht. Sie essen nicht. Sie kennen alle solche Sachen wie Hunger, Durst, Krankheiten nicht, das heißt, es könnte eine Form von Intelligenz sein, die nicht so leiblich verankert ist wie wir“ (Metzinger, zitiert nach Weber 2019). Die damit verbundene Bewusstheit wird für uns schwer verständlich sein, es wäre die „erste nicht-biologische Form von Geist auf der Erde“, so Metzinger. Der Daten- und Neurowissenschaftler Danko Nikolić plädiert daher auch dafür, stärker die Biologie in den Fokus zu nehmen: „Aktuelle KI-Systeme können lernen, was bei Menschen Gänsehaut auslöst, und nach entsprechenden Gesetzmäßigkeiten suchen. Dieses Wissen können sie dann auf neue Situationen interpolieren. […] Je mehr ein KI-System dem Menschen ähneln soll, desto exakter müssen wir die Biologie kopieren“ (Nikolić, zitiert nach Hopffgarten 2022).
 

Trailer Her (Warner Bros. DE, 21.01.2014)



Emotionale Assistenzen

Als ich neulich Spike Jonzes Film Her (USA 2013) noch einmal sah, war ich wieder überrascht, wie klug der Film das Thema „künstliche Intelligenz“ verhandelt. Her knüpft an eine alte Frage an: Können Maschinen Gefühle haben? Oder ist dies nur uns organischen Lebewesen vorbehalten? Die Filmperle, für die Jonze den Drehbuch-Oscar erhielt, erzählt die Geschichte des introvertierten und eher schüchternen Mannes Theodore, der in einer Trennungskrise auf ein virtuelles Assistenzsystem zurückgreift, um seine Situation zu bewältigen. Das sogenannte Operating System (OS) ist seinen Bedürfnissen angepasst, hat eine weibliche Identität und nennt sich Samantha. Zwischen beiden entwickelt sich eine liebesähnliche Beziehung, von der Theodore profitiert. Sein Lebensmut kehrt zurück und er ist in der Lage, plausible und richtige Entscheidungen für sich zu treffen. Eine Sache bleibt jedoch für ihn verstörend. Als „Betriebssystem“ steht Samantha gleichzeitig mit 8.316 Menschen in Kontakt, wovon sie 641 sogar liebt. Natürlich ist Theodore davon überfordert. Wie auch immer die Geschichte ausgeht, sie zeigt eine emotionale Diskrepanz zwischen Mensch und Maschine und offenbart die funktionale Überlegenheit des Assistenzsystems qua Rechnerleistung.

In eine ähnliche Richtung geht Maria Schraders Film Ich bin dein Mensch (D 2021), in dem es um die Beziehung der Wissenschaftlerin Alma zu dem humanoiden Roboter Tom geht. Er ist so extrem auf ihre Bedürfnisse angepasst, dass sie dieser Beglückung überdrüssig wird. Und schließlich nicht zu vergessen Alex Garlands oscarprämiertes Regiedebüt Ex Machina (GB 2014), in dem eine Turing-Test-Situation durchgespielt wird, bei der die Androidin Ava gegenüber dem Programmierer Caleb letztlich die Oberhand gewinnt.
 

Trailer Ich bin dein Mensch (Majestic Film, 11.05.2021)



In all diesen Filmen sind die künstlichen Intelligenzen emotionale Assistenzen des Menschen, im Kern geht es um das Verhältnis von Bewusstsein und Emotionalität auf der Basis einer vorauszusetzenden Intelligenz. Egal, ob künstlich oder natürlich. Wo Gefühle im Spiel sind, werden scheinbar berechenbare Prozesse unberechenbar – das Drama beginnt. Allerdings sollten die Begriffe „Intelligenz“ und „Bewusstsein“ auseinandergehalten werden, denn sie beschreiben zwei verschiedene Ansätze. Bewusstsein ist die Fähigkeit, die eigene Existenz wahrzunehmen, wohingegen Intelligenz erst einmal „nur“ die kognitiven Fähigkeiten zur Lösung von Problemen beschreibt. Insofern ist der Begriff „künstliche Intelligenz“ durchaus angebracht, um die Lösungskompetenzen von KI-Programmen zu beschreiben.
 

Parasoziale Beziehungen

Viele kennen das Gefühl, dass bei einem KI-Chat eine emotionale Wahrnehmung des KI-Chatbots aufkommen kann. Man fühlt sich angesprochen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass KI-Beratungsangebote wie die psychotherapeutische Assistenz Cass.ai gut angenommen werden. Das sind neue Formen parasozialer Beziehungen. Mit den bereits sicht- und nutzbaren KI-Anwendungen wandeln sich einige Science-Fiction-Szenarien zu Gegenwartsbeschreibungen, denn es handelt sich mittlerweile um praktikable und erlebbare Assistenzen. Es werde immer mehr Leute geben, für die es keinen Unterschied mehr mache, ob der Agent künstlich sei oder nicht. Sie könnten sich sinnvoll mit ihm unterhalten, und das sei alles, was für viele Leute zähle, so Schulz (zitiert nach Grolle/Beuth 2023). Das ist für den Bildungsbereich direkt anschlussfähig und attraktiv, da KI-Anwendungen beispielsweise große Potenziale für das selbstregulierte Lernen haben. So sind Lern-Assistenzen und individueller Support sehr realistische KI-Szenarien. Gerade im Bildungsbereich, wozu auch außerschulische Angebote gehören, sollten KI-Anwendungen daher schnell integriert werden. Und damit ist nicht nur ChatGPT gemeint. Die Diskussion über das Für und Wider ist in vollem Gange. Hier sei nur auf die systematischen Einordnungen im Onlinedossier ChatGPT & Co. und Schule von Beat Döbeli Honegger von der Pädagogischen Hochschule Schwyz hingewiesen, das „langfristige, konzeptionelle Aspekte“ (Honegger 2023) zu KI-Sprachprogrammen im Schulkontext fokussiert. In der allgemeinen Diskussion werden jedoch auch viele Bedenken vorgetragen, die einer gewissen Ignoranz gegenüber den langfristigen Auswirkungen und vor allem dem Narrativ des Kontrollverlusts folgen.
 

Hallo, Apokalypse

Die Angst vor dem Kontrollverlust mag nicht ganz unbegründet sein, filmisch ist sie oft durchexerziert, aber mittlerweile auch irgendwie ermüdend. Ob Matrix (USA/AUS 1999) oder Terminator (GB/USA 1984) – der dystopische Duktus dominiert. So geht es beispielsweise in I, Robot (USA/D 2004) um einen Zentralcomputer (V.I.K.I. „Virtual Interactive Kinetic Intelligence“), der zu dem Schluss kommt, die Menschen zu entmündigen und die Macht zu übernehmen. Denn nur so sind nach Logik dieser hoch entwickelten Intelligenz die drei Gesetze der Robotik und das Überleben der Menschheit zu realisieren, da sie kriegerisch und rücksichtslos gegen sich und die Umwelt agiert. Dieser maschinelle Aufstand, den Will Smith als Del Spooner dann doch ganz lässig abwehren kann, spielt kurioserweise in recht naher Zukunft, nämlich im Chicago des Jahres 2035. Ob allerdings wirklich Cyborgs so einfach die Kontrolle übernehmen können, ist fraglich. Das Auftauchen von Cyborgs, zumal in körperlicher Pracht, sei nicht vorstellbar ohne eine gott- oder elternähnliche Rolle von uns Menschen, so der britische Naturwissenschaftler Lovelock. Es gebe nämlich auf der Erde keine natürliche Quelle ihrer speziellen Bauteile wie die ultrafeinen Drähte aus hochreinem ungebrochenem Metall oder dünne Schichten von Halbleitermaterialien (Lovelock 2020, S. 106 f.).
 

Trailer I, Robot (Rotten Tomatoes Classic Trailers, 10.10.2019)



Wie auch immer, die ethischen Fragen von KI bleiben virulent. Schon 1942 formulierte der Science-Fiction-Autor Isaac Asimov in der Kurzgeschichte Runaround die sogenannten Robotergesetze:

  • Ein Roboter darf keinem Menschen schaden oder durch Untätigkeit einen Schaden an Menschen zulassen.
  • Ein Roboter muss jeden von einem Menschen gegebenen Befehl ausführen, aber nur, wenn dabei das erste Gesetz nicht gebrochen wird.
  • Ein Roboter muss seine eigene Existenz bewahren, es sei denn, dies spricht gegen das erste oder zweite Gesetz.

Und auch die ChatGPT-Entwickler von OpenAI haben ethische Grundsätze formuliert, die in diese Richtung gehen. Das Ziel von OpenAI bleibe, als erstes Unternehmen eine sogenannte Artificial General Intelligence (AGI) zu schaffen. Die Mission von OpenAI sei es, sicherzustellen, dass künstliche Intelligenz (AGI) der gesamten Menschheit zugutekommt (siehe OpenAI-Charta 2018). Das kann man anzweifeln oder nicht, aber es zeugt zumindest von einer klaren Kenntnis der Bedeutung dieser Entwicklung.

James Lovelock nennt die neue gesellschaftliche Daseinsform Novozän. Sie sei von einer gegenseitigen Abhängigkeit von Mensch und Maschine geprägt, die aber nicht kriegerisch sein werde, da wir einander bedürften. Sein gleichnamiges Buch gilt als eine Art Vermächtnis zu seinen Forschungen und Aktivitäten. Das Novozän beginne in dem Moment, in dem Computer sich selbst erschafften. Das entstehende Novozän müsse jedoch nicht automatisch so grausam, todbringend und aggressiv sein, wie wir es sind, so Lovelock. „Aber wir Menschen werden die Erde zum ersten Mal mit anderen Wesen teilen, die intelligenter sind als wir“ (Lovelock 2020, S. 141). Es darf die Frage gestellt werden, wie eine KI oder Superintelligenz mit uns, der menschlichen Spezies, umgehen würde. So, wie wir Menschen mit Tieren? Wir hassen sie nicht, aber wir betrachten viele nur als Nutztiere, niedliche Partner oder niedere Lebewesen. Das war’s dann wohl mit der Krone der Schöpfung.
 

Freier Wille?

Zum Schluss noch ein spannendes KI-Szenario, das die Sci-Fi-Tech-Thriller-Serie Devs (GB/USA 2020) bietet, wieder von Alex Garland. Sie setzt sich mit Potenzialen von KI und Quantencomputern auseinander und wirft die Frage auf, inwieweit wir aus freiem Willen handeln oder ob nicht jeder Lauf der Dinge vorbestimmt ist (vgl. Breitenborn 2020). Ist es möglich, Algorithmen zu kreieren, mit denen jeder Moment der Existenz darstellbar ist – Vergangenheit wie Zukunft – und sich damit auch das Handeln der Menschen vorausberechnen lässt? Eine elektrisierende Frage, denn alles basiert auf endlosen Ursachenketten. Oliver Burkeman bringt in einem Essay über Determinismus den Universalgelehrten Laplace ins Spiel, der schon 1814 das Problem so formulierte: Wie kann es freien Willen in einem Universum geben, in dem die Ereignisse wie ein Uhrwerk vorwärtslaufen? An diesen „Laplace’schen Dämon“ knüpft die Serie Devs an: „Könnte ein hypothetisches ultraintelligentes Wesen – oder ein Dämon – die Position jedes Atoms im Universum zu einem bestimmten Zeitpunkt kennen, zusammen mit allen Gesetzen, die ihre Interaktionen regeln, könnte es die gesamte Zukunft vorhersagen“ (Burkeman 2021, S. 6). Lassen wir das als Gedankenexperiment für den nächsten Ethikunterricht stehen. Für manche ist schon ChatGPT so ein Dämon, für andere aber eine neue Liebe.
 

Trailer Devs (Sky Show CH, 01.09.2020)



Literatur:

Breitenborn, U.: Devs. Garlands Determinismus. In: FSF-Blog, 19.08.2020. Abrufbar unter: https://blog.fsf.de

Burkeman, O.: Die Flugbahnen des Lebens. In: Der Freitag, 23/2021, S. 6 – 7

Grolle, J./Beuth, P.: Psychologische Tests mit künstlicher Intelligenz. „Wenn die KI Angst bekommt, wird sie rassistisch.“ Interview mit Eric Schulz. In: Der Spiegel, 18/2023, 29.04.2023. Abrufbar unter: https://www.spiegel.de

Honegger, B. D.: ChatGPT & Co. und Schule. Einschätzungen der Professur „Digitalisierung und Bildung“ der Pädagogischen Hochschule Schwyz. Pädagogische Hochschule Schwyz 2023. Abrufbar unter: https://mia.phsz.ch

Hopffgarten, A. von: Maschinen das Träumen lehren. Interview mit Danko Nikolić. In: M. Bischoff (Hrsg.): Künstliche Intelligenz. Vom Schachspieler zur Superintelligenz? Berlin 2022, S. 29–35. Leseprobe in: Spektrum.de, 07.05.2022. Abrufbar unter: https://www.spektrum.de

Lovelock, J.: Novozän. Das kommende Zeitalter der Hyperintelligenz. München 2020

OpenAI: OpenAI Charter. San Francisco 2018. Abrufbar unter: https://openai.com

Weber, B.: Das Geheimnis hinter der Intelligenz. Der Philosoph und Autor Thomas Metzinger im Gespräch mit Barbara Weber. In: Deutschlandfunk, 18.04.2019. Abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de