Juristische Urteile 97

Redaktion Recht

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Drei Jahre Medienöffentlichkeit bei Gerichtsverfahren

Vor drei Jahren trat das Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren (EMöGG) in Kraft. Ansinnen war: den Bürgerinnen und Bürgern den Rechtsstaat näherzubringen. Mit Inkrafttreten ist es erlaubt, Filmaufnahmen der Urteilsverkündigungen an den fünf obersten Bundesgerichten (Bundesgerichtshof [BGH], Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Bundesfinanzhof [BFH], Bundesarbeitsgericht [BAG] und Bundessozialgericht [BSG]) anzufertigen. Somit kann „jedermann“ die Verkündung zeitgleich via Livestream von zu Hause mitverfolgen.

Die Richterschaft zeigte sich vor Erlass des Gesetzes skeptisch – sie befürchtete negative Auswirkungen sowohl auf ihre Arbeit als auch auf die Außenwirkung der Gerichte. Insbesondere sorgte sie sich darum, dass Aufzeichnungen geschnitten und damit möglicherweise die Aussagen verzerrt würden. Dass das Gesetz Einfluss auf die Arbeit nimmt, bestätigt BGH-Pressesprecherin und -Richterin Dietlind Weinland. Es gebe zunächst organisatorischen Mehraufwand bei der Durchführung der Prozesstermine, so sei beispielsweise ein Akkreditierungsverfahren notwendig, da die Säle des BGH lediglich Platz für zwei Kamerateams böten.

Doch das Mitschneiden der Verkündung habe auch Einfluss auf die Verkündung selbst, so Weinland, so werde an dem mündlich vorgetragenen Text „mehr gefeilt“. Dies vermutlich aus Sorge, dass eine nicht hinreichend präzise getroffene juristische Formulierung auf Dauer fixiert sei. Dadurch verliere der Vortrag jedoch an Lebendigkeit und auch an besserer Verständlichkeit für sachfremde Zuschauerinnen und Zuschauer, befindet Weinland.

Frank Bräutigam, Leiter der ARD-Rechtsredaktion, sieht das Gesetz als große Bereicherung für die Öffentlichkeit und die Berichterstattung. Er zieht den Vergleich mit den Bundestagsdebatten, die bereits seit mehreren Jahren frei im Netz und im Fernsehen zugänglich sind. Seine Redaktion zeige ganz bewusst die vollständige Verkündung, um „das ganze Bild“ wiederzugeben; abrufbar seien zahlreiche Verkündungen im Kanal von Phoenix bei YouTube (siehe Beispiele abrufbarer Urteile), so Bräutigam.

Das Resümee der Richterschaft fällt positiv aus – Carsten Tegethoff, Pressesprecher des BVerwG, konstatiert beispielsweise, dass „die Filmaufnahmen der Verkündigungen zu einem besseren Verständnis von Gerichtsentscheidungen führen“.

Beispiele abrufbarer Urteile:

BGH-Urteil: „Keine Promi-Bilder für Clickbait“ (geklagt hatten Moderator Günther Jauch und der Schauspieler Sascha Hehn). Abrufbar unter: https://www.youtube.com (letzter Zugriff: 18.06.2021)

BGH-Urteil: Zum „Recht auf Vergessenwerden“. Abrufbar unter: https://www.youtube.com (letzter Zugriff: 18.06.2021)
 

Quelle:

Conraths, T.: Medienöffentlichkeit bei Gericht. Achtung, Aufnahme!. In: Legal Tribune Online, 19.04.2021. Abrufbar unter: https://www.lto.de (letzter Zugriff: 18.06.2021)
 



Aufsichtsrechtliche Untersagungsverfügung gegen eine Pornowebsite – wer ist Anbieter?

Streitgegenstand vor dem Verwaltungsgericht Cottbus ist eine medienaufsichtsrechtliche Untersagungsverfügung gegen eine Pornowebsite. Insbesondere geht es um die Fragestellung, wer als sogenannter Anbieter im Sinne des § 3 Nr. 2 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) in Anspruch zu nehmen ist. Zum Sachverhalt: Die Landesmedienanstalt S. erhielt im Oktober einen anonymen Hinweis, dass auf dem Internetangebot www.lexyroxx.com gegen Jugendschutzbestimmungen verstoßen werde; eine gewisse J. stehe hinter dem Pseudonym L. jugendschutz.net, entsprechend angefragt von der Landesmedienanstalt S., prüfte den benannten Internetauftritt und entschied, dass gegen Jugendschutzbestimmungen verstoßen werde, da auf dem Portal „einfach pornografische Inhalte entgegen § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 i.V.m. S. 2 JMStV abrufbar seien, bei denen nicht sichergestellt sei, dass sie nur Erwachsenen zugänglich seien. Außerdem liege ein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 S. 2 JMStV vor, wonach ein Jugendschutzbeauftragter zu bestellen sei“ (siehe Tatbestand/VG Cottbus, Urteil vom 15.10.2020 – 8 K 2831/17). Die Klägerin wurde deswegen von jugendschutz.net aufgefordert, ihr Angebot entsprechend den gesetzlichen Vorgaben anzupassen; sie reagierte indes nicht. Die Landesmedienanstalt S. erließ daraufhin eine Untersagungsverfügung, dahin gehend, dass die Klägerin auf ihrem Internetangebot die unzulässigen Inhalte nicht mehr ohne die Sicherstellung einer geschlossenen Benutzergruppe zugänglich machen darf. Gegen diese Aufsichtsmaßnahme hat die Klägerin Klage eingereicht.

Das Verwaltungsgericht Cottbus wies die Klage zurück, es entschied, dass die Untersagungsverfügung der Landesmedienanstalt S. rechtmäßig ergangen ist. Das Gericht teilte zunächst die Auffassung der KJM/Landesmedienanstalt, dass es sich bei den Bild-Text-Kombinationen um sogenannte einfache Pornografie handelt, die zum maßgeblichen Zeitpunkt auch nicht mittels eines wirksamen Altersverifikationssystems nur für eine geschlossene Benutzergruppe zugänglich gewesen sei. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei sie auch als „Anbieterin von Telemedien“ im Sinne des JMStV zu qualifizieren. Das Gericht erörterte diesbezüglich, dass der Anbieterbegriff des § 3 Nr. 2 JMStV aus Gründen eines umfassenden und effektiven Jugendschutzes weit zu verstehen sei. So führte es entsprechend aus: „Entscheidend für die Annahme der Anbietereigenschaft ist nach der Rspr., ob der Betroffene Einfluss auf Einzelheiten der inhaltlichen Gestaltung der Internetseite hat, wobei die Möglichkeit zur Einflussnahme auf den Inhalt des Angebots ausreichend ist. Nicht erforderlich ist dagegen, dass sämtliche Teile des Angebots vom Anbieter auch selbst gestaltet und verwaltet werden.“ Dass unter diesen weiten Begriff auch der Domaininhaber und die im Impressum genannten Personen fallen, sei ein zutreffender Hinweis des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, befand das Gericht, dies schließe jedoch nicht aus, auch andere Personen als Anbieter anzusehen, soweit diese nach hinreichender Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung nehmen. Es sei „gerade Sinn und Zweck der jugendschützenden Vorschriften, die ‚intellektuellen Verbreiter‘ jugendgefährdender Inhalte zur Verantwortung zu ziehen.“ Unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisse kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Klägerin zwar nicht technische Verbreiterin der unzulässigen Inhalte sei, sie jedoch hinreichende Einflussnahme auf die inhaltliche Gestaltung dieser Angebote habe. Schließlich griff auch der Einwand der Klägerin, die im Impressum genannten Personen seien vorrangig in Anspruch zu nehmen, nicht durch. Das Gericht entschied diesbezüglich: „[…] ein solches Vorgehen [würde] die Effektivität des aufsichtsrechtlichen Einschreitens der Bekl. angesichts dessen erheblich schmälern, dass es gerade in der Erotikbranche üblich ist, dass Anbieter ihre Inhalte auf Webseiten anbieten, die ausschließlich im Ausland betreut werden.“

VG Cottbus, Urteil vom 15.10.2020 – 8 K 2831/17