Trauma und Trigger

Ein filmisches Erzählprinzip wird besichtigt

Werner C. Barg

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Prof. Dr. Werner C. Barg ist Autor, Produzent und Dramaturg für Film und Fernsehen sowie Honorarprofessor im Bereich Medienwissenschaft der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. An der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg leitet er in der Abteilung Medien- und Kommunikationswissenschaft den Ergänzungsstudiengang „Medienbildung“ des Zentrums für Lehrer*innenbildung (ZLB)

Der Beitrag geht der Frage nach, wie und warum der Mechanismus zwischen Trauma und Trigger ein beliebtes Mittel zur Psychologisierung von Figuren in populären Kinofilmen und Serien ist.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 1/2023 (Ausgabe 103), S. 28-33

Vollständiger Beitrag als:

Film als „traumatische Zeitform“

Zumeist durch schockartige Erlebnisse ausgelöst, reißen Traumata tiefe Wunden in die Sphäre menschlicher Psyche. Bleiben sie unaufgearbeitet, vernarben sie, werden verdrängt oder „produzieren Störfelder und Phantomschmerzen“ (Köhne 2012, S. 7), weil sie in vergleichbaren Situationen zwar getriggert werden und so erinnernd wieder aufbrechen, oft allerdings maskiert und ohne die Ursituation des Traumas preiszugeben.

Interkulturelle und interdisziplinäre Ansätze von Trauma- und Filmforschung gehen davon aus, dass die „traumatisch bedingte Nicht-Repräsentierbarkeit und Unzugänglichkeit“ (ebd., S. 9) durch spezifische narrative Strukturen des Mediums aufgebrochen und darstellbar gemacht werden können. „Im Gegensatz zu anderen Kunstformen kann Film traumatische Erinnerung parallel auf der narrativen, visuellen und akustischen Ebene inszenieren“ (ebd.). Weil der Film sich im Laufe seiner Geschichte aufgrund technischer Innovationen und der damit verbundenen Entfaltung und (Neu‑)Erfindung von Gestaltungsmitteln zu einem „Zeit‑Bild“ (Deleuze 1991, S. 37) entwickeln konnte, vermochten es Filmemacher seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in ihren Werken „das Bruchhafte, Diskontinuierliche in Form von Sprüngen, kurzen Einblendungen, ‚Schweigen‘, a‑logischen Schnitten nach[zu]ahmen“ und auf diese Weise „Elemente des Traumas in eine Narration [zu] überführen und […] einer spezifischen phantastischen oder kritischen Lesart zu[zu]führen“ (Köhne 2012, S. 9).
 

Hiroshima, mon amour

Alain Resnais’ Meisterwerk Hiroshima, mon amour (F/J 1959) ist ein Paradebeispiel für die Darstellungsmöglichkeiten des Filmmediums als „traumatische Zeitform“ (ebd.), weil es in eben jener bruchstückhaften Erzählweise das Trauma seiner Hauptfigur, einer französischen Schauspielerin, aufrollt, die einen Film in Hiroshima dreht und dort – mehr als zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges – an ihre von Unheil überschattete Liebesbeziehung mit einem deutschen Soldaten im besetzten Frankreich erinnert wird.
 

Trailer Hiroshima Mon Amour (Film at Lincoln Center, 23.09.2014)



Die poetische Sprache von Drehbuchautorin und Schriftstellerin Marguerite Duras illustriert und kommentiert Resnais’ Montagesequenzen, in denen in assoziativen Rückblenden Gegenwart und Vergangenheit verwischen, denn erneut ist die Schauspielerin in Hiroshima, dem Zielort des ersten atomaren Kriegsangriffs der Weltgeschichte, mit den Folgen des Krieges und einer zum Scheitern verurteilten Liebesgeschichte konfrontiert. „Trauma ist die Bezeichnung für eine unmögliche Geschichte oder die Bezeichnung für die Unmöglichkeit von Geschichte als Erzählung, als geordnete Abfolge von Ereignissen, von Handlungsträgern als Subjekten, als Chronologie, Ursache und Wirkung, als Rationalität oder Zweckgebundenheit von Aktionen“ (Caruth 1996, S. 7). Caruths Definition ist nicht nur eine zutreffende Beschreibung des traumatischen Geschichtsbildes, das Resnais’ Film zeigt, sondern lässt etwa auch Alexander Kluges disparate Montagefilme, vornehmlich seinen Film Die Patriotin (BRD 1979), als Traumaabbildungen einer ganzen (Nachkriegs‑)Generation in einem neuen Licht erscheinen (Elsaesser 2007, S. 113 ff.).
 

Trauma/Trigger als Erzählprinzip

Interessanter noch als die bloße Analyse filmischer Traumadarstellungen ist aber die Betrachtung der Mechanik zwischen Trauma und Trigger als dramaturgischer Triebmotor der Filmerzählung. In Hiroshima, mon amour ist es eine neue Liebe, die Affäre mit einem japanischen Architekten, die bei beiden Liebenden die Kriegstraumata aufbrechen lässt.

In der Netflix-Erfolgsserie Manifest (vier Staffeln, seit 2018 [USA]) ist es die traumatische Angst vor dem Verlust des (eigenen) Kindes, die bei einer der Hauptfiguren, dem Universitätsprofessor Ben Stone (Josh Dallas), immer aufs Neue getriggert wird, nachdem der Schock um den möglichen Krebstod seines Sohnes Cal (Jack Messina) sowie extrem mysteriöse und verstörende Ereignisse um ihn und seine Familie herum bei ihm ein Lebenstrauma ausgelöst haben. In Staffel 3, Folge 10 der Mysteryserie wird Bens Trauma bei dem Versuch, ein entführtes Kind zu retten, so massiv getriggert, dass er fast einen Totschlag begeht. Nicht die Angst um den eigenen Sohn, sondern der drohende Tod eines fremden Kindes lässt Bens Trauma aufbrechen und zwingt ihn zu einer geradezu zwanghaften Ersatzhandlung. So treibt der psychologische Mechanismus zwischen Trauma und Trigger die Handlung voran, schafft in getriggerten Ersatzhandlungen der Figuren neue Wendungen und ist daher als Erzählprinzip für die dramaturgische Konstruktion populärer Film- bzw. Serienerzählungen besonders interessant.
 

Trailer Manifest: Staffel 4 (Netflix, 24.09.2022)



Taxi Driver

Dies zeigt exemplarisch die Erzählstruktur von Martin Scorseses Taxi Driver (USA 1976). Travis Bickle (Robert De Niro) ist ein Vietnam-Veteran. Er leidet unter Schlafstörungen und einer inneren Unruhe. Die Symptome dürfen als Ausdruck einer posttraumatischen Belastungsstörung durch schockierende Kriegserlebnisse gesehen werden. Travis wird Taxifahrer, fährt nur nachts, steckt voller Wut und sieht die „night people“, denen er begegnet, in erster Linie als „Abschaum“. Als er sich in die Wahlkampf-Managerin Betsy (Cybill Shepherd) verguckt, von ihr aber zurückgewiesen wird, verwandelt sich Travis zurück in jenen US-Marine, der die ganze Zeit schon in ihm geschlummert hat. Mit Irokesenschnitt, in Camouflage und schwer bewaffnet will er Rache für die Schmähung nehmen und auf den Präsidentschaftskandidaten losgehen, für den Betsy arbeitet. Doch sein Attentatsversuch wird von Sicherheitsleuten bemerkt. Travis flieht und begeht stattdessen einen blutigen Amoklauf in einem Bordell, in dem die minderjährige Prostituierte Iris (Jodie Foster) arbeitet, von der er glaubt, sie retten zu müssen.
 

Trailer Taxi Driver (Sony Pictures Home Entertainment, 10.03.2014)



In Scorseses Film ist Liebe, hier die verschmähte Liebesbeziehung, gleichfalls Auslöser für die traumatische Erinnerung, die sich schließlich in einer gewaltsamen Ersatzhandlung entlädt, aber von der Gesellschaft schließlich positiv bewertet wird. Die Zeitungen beklatschen das mutige „Aufräumen“ des Ex-Soldaten.
 

Spiegel einer Gewaltgesellschaft

Nicht nur in Taxi Driver, auch in seinen Mafiafilmen hält Scorsese der US-Gewalt­gesellschaft den Spiegel vor. In seinem aktuell letzten Werk The Irishman (USA 2019) verbindet er diese Kritik wiederum mit der Thematik des Kriegstraumas. Er zeigt, dass seine Hauptfigur, der Auftragsmörder Frank Sheeran (Robert De Niro), durch das Erschießen von deutschen Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg für seine „Arbeit“ als „Mafiasoldat“ konditioniert wurde. Jeder neue Mordauftrag triggert sein Erschießungstrauma, zumal sein Handeln von der ihn umgebenden Gangstergesellschaft positiv gratifiziert wird.
 

Kriegsgewalt als Trigger

Gewalt übernimmt auch in anderen Filmen, die sich mit den Kriegstraumata ihrer Figuren beschäftigen, eine zentrale Funktion als Trigger. In Die durch die Hölle gehen (The Deer Hunter, [USA/GB 1978]) geraten die drei befreundeten Stahlarbeiter Michael (Robert De Niro), Nick (Christopher Walken) und Steven (John Savage) als US-Soldaten während des Vietnamkrieges in die Gefangenschaft des Vietcongs. Sie werden unter Todesdrohungen gezwungen, „russisches Roulette“ zu spielen. Steven hält dem psychischen Druck dieser traumatischen Situation nicht stand und bricht zusammen. Michael gelingt es mit einem Trick, seine Freunde und sich aus dem Foltergefängnis zu befreien. Doch während der Flucht stürzt Steven unglücklich. Beide Beine werden ihm amputiert. Als kriegsversehrter Rollstuhlfahrer kehrt er zurück, was bei seiner mit ihm erst jüngst vermählten Ehefrau Angela (Rutanya Alda) einen traumatischen Schock auslöst, der sie in einen komatösen Zustand fallen lässt. Nach seiner Rückkehr weicht Michael seinen Freunden im Heimatort und auch seiner Freundin Linda (Meryl Streep), die seine Nähe sucht, aus. Er findet sich nicht mehr zurecht und kehrt nach Saigon zurück, um den dort noch verschollenen Nick zu finden. Obwohl dieser das tödliche Spiel im Foltergefängnis unter Tränen und trotz der Todesdrohungen der Vietcongsoldaten zunächst abgelehnt hatte, wird er durch die Wiederbegegnung mit dem Spiel in Hinterzimmern Saigons, wo Männer auf den vermeintlichen Sieger wetten, von der Todesfaszination so sehr mit seinem Trauma konfrontiert, dass er fortan zum Champion des „russischen Roulettes“ wird. Erst als Michael ihn findet, kann Nick kurz aus seinem Trauma herausfinden und den Freund wiedererkennen, bevor er sich im Spiel selbst tötet.
 

Trailer Die durch die Hölle gehen (ARTHAUS, 01.04.2016)



The Hurt Locker

William James (Jeremy Renner), die Hauptfigur in Kathryn Bigelows Kriegsfilm Tödliches Kommando – The Hurt Locker (USA 2008), erlebt 2004 als Bombenentschärfer der US-Armee im Irakkrieg das Spiel mit dem eigenen Leben ebenfalls als einen so starken Sog, sich immer aufs Neue durch die Todesfaszination im Krieg triggern zu lassen, dass das „normale“ Familienleben in der Heimat dem Soldaten keine Herausforderung mehr zu bieten scheint. Bigelow zeigt, wie James immer stärker in seinem Kriegstrauma gefangen bleibt. Aus einem Gefühl der Schuld heraus, als Familienvater versagt zu haben, macht er nach dem Tod eines irakischen Jungen, mit dem er sich auf der Militärbasis angefreundet hatte, den Krieg zu seiner privaten Vendetta gegen die Aufständischen im US-besetzten Irak.


Traumatische Heimkehr

Nicht nur die Kriegserlebnisse schaffen Traumata, auch die fehlende Akzeptanz und Wiedereingliederungsmöglichkeit in die Gesellschaft wirken auf viele Kriegsheimkehrer zusätzlich traumatisierend. Von diesem Drama der Veteranen erzählen latent oder direkt fast alle US-Produktionen, die Kriegstraumata thematisieren, so z. B. Oliver Stones Geboren am 4. Juli (USA 1989). Der Film gründet auf der Lebensbeichte des Vietnam-Veteranen Ron Kovic, der Ende der 1960er‑Jahre begeistert in den Krieg zieht, gelähmt und an den Rollstuhl gefesselt zurückkehrt, an der Ignoranz seiner Umwelt und seinen traumatischen Schüben fast zerbricht, bis er beginnt, als politischer Aktivist gegen den Vietnamkrieg zu kämpfen. Stone zeigt am Schicksal von Kovic (Tom Cruise), wie der fatale Mechanismus zwischen Kriegstrauma und Gewalttrigger durch politisches Handeln durchbrochen werden kann.

25 Jahre später blickt Regisseur Clint Eastwood dagegen aus einer deutlich konservativeren Perspektive auf die Heimkehr eines Kriegshelden und ‑veteranen. In American Sniper (USA 2014) findet Chris Kyle (Bradley Cooper), einer der „erfolgreichsten“ Scharfschützen der US-Armee, nach einer kurzen Phase traumatischer Abwesenheit, so Eastwoods romantische Sicht, schnell und ohne weitere Probleme wieder Ruhe und Harmonie im Schoß der Familie mit Frau Taya (Sienna Miller) und dem gemeinsamen Kind. Die bittere Ironie der wahren Geschichte: Scharfschütze Kyle wird am Ende selbst Opfer von Gewalt. Ein offensichtlich posttraumatisch gestörter Veteran erschießt ihn bei einem privaten Treffen. Am Ende seines kontrovers diskutierten Films huldigt Eastwood in dokumentarischen Aufnahmen ungebrochen und unkommentiert der nationalistischen Heldenverehrung, die Kyle nach seinem Tod in seiner Heimat Texas entgegengebracht wurde.
 

Trailer American Sniper (Warner Bros. Pictures, 04.10.2014)



Mit durchaus gesellschaftskritischer Perspektive inszenierte dagegen Regisseur Ted Kotcheff den ersten Film der später heftig diskutierten Rambo-Reihe: First Blood (USA 1982). Weil ihm ein fremdenfeindlicher Sheriff (Brian Dennehy) nicht nur den Aufenthalt in „seinem“ Städtchen verweigert, sondern ihn sogar aus fadenscheinigen Gründen verhaftet und von der Polizeitruppe mit sadistischem Spaß foltern lässt, wird John Rambo (Sylvester Stallone) während der brutalen Behandlung durch die Polizei so stark an seine Folter durch den Vietcong erinnert, dass der Elitesoldat sich wieder ganz ins Kriegstrauma fallen lässt, auf sein Kriegerhandwerk konzentriert und schließlich das halbe Städtchen in Schutt und Asche legt, bevor ihn sein Militärausbilder (Richard Crenna) stoppt.

Rambos Trigger wird in kurzen Flashbacks eindrucksvoll geschildert. Die Darstellung übt durch die Parallelität zwischen Vietcong und Provinzpolizei deutliche Kritik am Verhalten rassistischer US-Sicherheitskräfte, und auch Rambos Schlussmonolog, in dem Stallone mit intensivem Spiel die ganze Wut seiner Figur herausschreit, setzt ein klares Antikriegsfanal. Das doppelte Trauma des „Helden“ wird sichtbar: Es bezieht sich sowohl auf seine schockhaften Kriegserlebnisse als auch auf die tragische Erfahrung, als „Kriegsheld“ in der Zivilgesellschaft keine Chance auf Reintegration mehr zu bekommen.

 

Trailer Rambo (Kino Check Heimkino, 16.11.2018)



Trigger und Trauma der Hauptfigur bleiben in First Blood gleichwohl in erster Linie dramaturgische Attitüden, um eine Actionstory psychologisch zu unterfüttern. Deren Darstellung steht aber in deutlichem Gegensatz zur Charakterisierung der Hauptfigur in den späteren Filmen der Kinoreihe, in der die Rambo-Figur zum ideologischen Vorzeigehelden einer verwundeten Nation wird, weil der einzelkämpferische Kriegsheld im Kampf gegen seine Feinde stets siegreich bleibt und so das US-Trauma der verlorenen Kriege von Vietnam bis Afghanistan zumindest fiktional zu lindern weiß.
 

Trigger als Thrill

Im Genrekino waren es besonders die Thriller und Kriminalfilme von Alfred Hitchcock, die Maßstäbe der Darstellung des Mechanismus zwischen Trauma und Trigger gesetzt haben. In Filmen wie Ich kämpfe um dich (Spellbound [USA 1945]), Vertigo: Aus dem Reich der Toten (USA 1958) oder Marnie (USA 1964) bildet das psychologische Geschehen, das Spiel zwischen „Backstorywound“ (Krützen 2011, S. 30 ff.) und der vordergründigen Geschichte der Hauptfiguren, den wesentlichen Thrill der spannungsreichen Filmerzählungen. Dabei nutzt Hitchcock Trauma/Trigger nicht nur als dramaturgisches Scharnier für filmische Suspense, sondern findet auch starke visuelle Lösungen, um Trauma- und Triggerwahrnehmungen filmästhetisch sichtbar zu machen.

Um das traumatische Drama des Psychiaters Dr. Edwardes (Gregory Peck) in der Handlung von Spellbound entschlüsselbar zu machen, entwickelt er eine Traumsequenz, die durch Salvador Dalís Szenenbild, aber auch durch die optischen Tricks Filmgeschichte schrieb. Und in Vertigo findet Hitchcock zusammen mit Kameramann Robert Burks durch die Verknüpfung von gegenläufigen Kamerabewegungen in Einstellungen, in denen die Kamera gleichzeitig fährt und in die entgegengesetzte Richtung zoomt, eine Methode, um den Trigger für das Trauma der Hauptfigur zu visualisieren: Aufgrund seiner Höhenangst kann Ex-Polizist John Ferguson (James Stewart) gleich in zwei Schlüsselsituationen des Films Personen nicht vor dem Tode retten und fällt dadurch in ein doppeltes Trauma, das er für sich erst auflösen kann, als er bemerkt, dass er Opfer einer bösartigen Intrige wurde.
 

Trailer Vertigo (Rotten Tomatoes Classic Trailers, 15.11.2013)



Film als Trigger

Vertigo gilt als eines der beklemmendsten Werke Hitchcocks. Dies ist zunächst der Kameraarbeit Robert Burks’ geschuldet, der mit Farb- und Lichtfiltern in den Filmbildern selbst im lichtdurchfluteten Schauplatz San Francisco eine düstere Stimmung schafft. Unterstützt wird diese unheilvolle Atmosphäre durch den Einsatz von Rückprojektionstechniken, aber auch durch die dunklen Leitmotive der Filmmusik von Bernard Herrmann.

All diese Stilmittel nutzte viele Jahre später Regisseur Brian De Palma in seinem Psychothriller Dressed to Kill (USA 1980), um eine ebenso düstere vertigohafte Stimmung zu erzeugen und damit seinem großen Vorbild Alfred Hitchcock nachzueifern. Doch für sensible Menschen können Filme wie Vertigo oder Dressed to Kill ein Trigger für unangenehme, auch erschreckende Erlebnisse sein.

Zu dieser Sorte von Filmen, die bei ihren TV-Ausstrahlungen zu Zeiten, als es im Fernsehen noch Ansagerinnen und Ansager gab, mit einem Warnhinweis versehen wurden, gehört gleichfalls der von Nicolas Roeg inszenierte Horrorfilm Wenn die Gondeln Trauer tragen (Don’t Look Now, GB/I 1973). Auch Roegs Film entfaltet von Beginn an eine unheimliche Atmosphäre der Unsicherheit und Bedrohung. Der Film hat ein hohes Triggerpotenzial, weil sein Thrill sich aus der Urangst eines jeden Paares vor dem Tod ihres geliebten Kindes speist. Der Restaurator John Baxter (Donald Sutherland) kann den Tod seiner Tochter Christine (Sharon Williams) nicht verhindern. Um das Trauma des Kindstodes zu verarbeiten, reisen seine Frau Laura (Julie Christie) und er ins winterlich graue Venedig, wo John eine Kirche restauriert. Sie begegnen merkwürdigen und unheimlichen Personen wie einem älteren Schwesternpaar, das behauptet, Kontakt mit Christine im Totenreich aufgenommen zu haben. Bald wird John von Todesahnungen verfolgt, während ein zwergenhafter Serienmörder sein Unwesen in der Stadt treibt. Er trägt – wie Christine bei ihrem Tod – einen roten Mantel. Übernatürliches bleibt unerklärt, Mysteriöses mysteriös.
 

Trailer Wenn die Gondeln Trauer tragen (ARTHAUS, 11.05.2015)



„Viewer discretion is advised“

Nicht nur solche unaufgelösten Horrorelemente und Todesmotive sind es, die reale Traumata bei sensiblen Zuschauenden triggern können. Eine unmittelbare, intensive filmische Darstellung von Krankheit, Suizid, psychischen Problemen oder sozialem Fehlverhalten wie Mobbing kann bei Zuschauenden, die ähnliche reale Erfahrungen gemacht haben, böse biografische Erinnerungen wachrufen.

Daher finden sich auch heute vor Filmen und Serien Warnhinweise – wie z. B. am Beginn einiger Episoden von Staffel 4 der Netflix-Serie The Crown (GB 2020). In diesen Folgen wird sehr direkt von den Essstörungen der Figur Diana Spencer (Emma Corrin) erzählt, sodass ihnen folgende Triggerwarnung vorangestellt wurde:

Die Folge enthält Essstörungsszenen, die Zuschauer beunruhigen könnten. Die Nichtbetrachtung wird empfohlen.“

 
Literatur:

Caruth, C.: Unclaimed Experience. Trauma, Narrative, and History. Baltimore 1996

Deleuze, G.: Das Zeit-Bild. Kino 2. Frankfurt am Main 1991

Elsaesser, T.: Terror und Trauma. Zur Gewalt des Vergangenen in der BRD. Berlin 2007

Köhne, J. B. (Hrsg.): Trauma und Film. Inszenierungen eines Nicht-Repräsentierbaren. Berlin 2012

Krützen, M.: Dramaturgie des Films. Wie Hollywood erzählt. Frankfurt am Main 2011