Primetime – aber ab 16!

In Österreich kennzeichnen Altersfreigaben und Inhaltedeskriptoren die Ausnahmen von der Regel

Claudia Mikat im Gespräch mit Alice Krieger-Schromm, Corinna Drumm

Der neu gegründete Verein zur Selbstkontrolle audiovisueller Medienangebote zum Schutz von Minderjährigen (JMS) ist in Österreich für die Bereitstellung einheitlicher Verhaltensrichtlinien zuständig. mediendiskurs sprach mit Dr. Alice Krieger‑Schromm, Leiterin der JMS-Geschäftsstelle, und Corinna Drumm, Geschäftsführerin des Verbands Österreichischer Privatsender (VÖP) und Vorstandsmitglied des Vereins, über die Gründung des JMS, dessen Akzeptanz auf Seiten der Anbieter sowie über das bereits eingeführte Kennzeichnungs‑ und Informations­system.

Online seit 31.01.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/primetime-aber-ab-16-beitrag-772/

 

 

Seit 2021 – im Zuge der Umsetzung der EU‑Richtlinie für Audiovisuelle Mediendienste (AVMD‑RL) – gibt es in Österreich neue Vorgaben für österreichische TV‑Veranstalter und audiovisuelle Abrufdienste. Das bisher für Fernsehveranstalter geltende Schutzsystem wurde auf Anbieter von Abrufdiensten ausgeweitet und um die Anforderung aus Art. 6a Abs. 3 AVMD‑RL ergänzt, um Nutzerinnen und Nutzern ausreichende Informationen zur Beurteilung der potenziellen Schädlichkeit von Inhalten für Heranwachsende zur Verfügung zu stellen. Änderungen im Audiovisuellen Mediendienste-Gesetz (AMD‑G), im ORF‑Gesetz und im Gesetz der Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria‑Gesetz, KOG) tragen den EU‑Vorgaben Rechnung.

Die Umsetzung und die Überprüfung der Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen wurde einer Einrichtung der Selbstkontrolle überantwortet, deren Wirksamkeit der Kontrolle der KommAustria unterliegt. Zu diesem Zweck wurde der Verein zur Selbstkontrolle audiovisueller Medienangebote zum Schutz von Minderjährigen gegründet, kurz: Verein Jugendmedienschutz, JMS. Gründungsmitglieder sind der Fachverband der Telekommunikations‑ und Rundfunkunternehmen in der Wirtschaftskammer Österreich, der öffentlich-rechtliche Rundfunkanbieter ORF und der Verband Österreichischer Privatsender (VÖP). Wesentliche Aufgabe des Vereins ist es, einheitliche Verhaltensrichtlinien bereitzustellen, ihre Einhaltung zu überprüfen und über die Wirksamkeit der Regelungen und Beschwerdefälle zu informieren.
 

Frau Drumm, Sie waren in der Gründungsphase des Vereins an dem Prozess beteiligt: Wie schwierig war es, die verschiedenen Partner:innen, insbesondere die privaten und öffentlich‑rechtlichen Fernsehunternehmen, gemeinsam für die Idee zu gewinnen?

Drumm: Das war überhaupt nicht schwierig, denn hier war allen klar, dass unsere Interessenlage identisch ist. Wegen der Integration der Abrufdienste war auch die Zusammenarbeit mit dem Fachverband der Telekommunikations‑ und Rundfunkunternehmen in der WKO naheliegend. Die gemeinsame Aufgabe bestand darin, die AVMD‑Richtlinie umzusetzen. Die Richtlinie empfiehlt den Mitgliedsstaaten ein System der Selbstregulierung, und wir haben mit dem Werberat und dem Presserat bereits gute Erfahrungen mit Selbstkontrolleinrichtungen. Also haben wir 2021 den Verein JMS gegründet, Verhaltensrichtlinien entwickelt und diese in einem Konsultationsverfahren mit Interessenverbänden des Jugendschutzes abgestimmt.

Und wo steht der Verein heute?

Krieger‑Schromm: Inzwischen haben 75 Fernsehveranstalter und 63 Abrufdienste unsere Verhaltensrichtlinien anerkannt, sodass eine breite Repräsentanz der betroffenen Anbieter gewährleistet ist. Nach dieser Aufbauarbeit wird es in diesem Jahr darum gehen, den Verein auf die normale Betriebsebene zu heben, das heißt: Die Akzeptanz des JMS weiter zu steigern und den Verein als Anlaufstelle für Fragen des Jugendmedienschutzes in der Öffentlichkeit bekannter zu machen.

Der Verein ist zentraler Ansprechpartner für Beschwerden – mit welchem Andrang rechnen Sie? Ist Jugendmedienschutz in Österreich ein Thema, das öffentlich breit diskutiert wird?

Drumm: Eher nicht, zumindest nicht bezogen auf Fernsehinhalte. Der Jugendschutz ist schon immer ein integraler Bestandteil der Arbeit in den Redaktionen, und ich traue mich schon zu sagen: Unsere Sender haben im Wesentlichen keine großen Schutzdefizitpotenziale. Die Jugendgefährdung, da sind wir uns alle einig, findet vielmehr in Sozialen Medien und auf Plattformen statt, die nicht unserem Selbstregulierungsregime unterliegen. Solange Social‑Media‑ und Videosharing‑Dienste nicht vergleichbare Schutzniveaus bieten, verbleibt im Jugendschutz eine große Lücke. Trotzdem arbeiten wir für unseren Bereich an unserem Bekanntheitsgrad, damit die Menschen wissen, an wen sie eventuelle Beschwerden richten können.

Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Aufsicht und Selbstkontrolle beschreiben? Stimmt der Eindruck, dass der Selbstkontrolle in Österreich ein großer Gestaltungsspielraum überlassen wird?

Drumm: Grundsätzlich ist der Eindruck richtig. Das Zusammenspiel zwischen Aufsicht und Selbstkontrolle hat bislang gut funktioniert. Natürlich hat die KommAustria die Befugnis zu kontrollieren, ob die Selbstkontrolle wirksam ist und ihre Ziele erreicht, sie wird aber kaum einzelne Entscheidungen überprüfen oder aufheben – es sei denn, diese wären bahnbrechend falsch. Im Zuge der Vereinsgründung haben wir eng mit der KommAustria zusammengearbeitet und die wesentlichen Punkte der Verhaltensrichtlinien und der Verfahrensordnung abgestimmt, und dabei wurden der Selbstkontrolle sinnvolle Gestaltungsspielräume eingeräumt. Der Aufbau eines Systems von Gefährdungshinweisen etwa, das Eltern und Heranwachsende über die potenzielle Schädlichkeit von Inhalten informiert, wurde der neuen Selbstregulierung überantwortet. Aber selbstverständlich haben wir auch dieses Informationssystem im Dialog mit der KommAustria und vielen anderen Stakeholdern im Jugendschutz entwickelt.

Kommen wir zu diesem Kennzeichnungs‑ und Informationssystem: Aus deutscher Sicht ist interessant, dass in Österreich nicht alle Inhalte gekennzeichnet werden.

Krieger‑Schromm: Das ist weitgehend richtig. Wir haben ein System von Sendezeitschienen und zugeordneten Altersstufen, das den deutschen Regelungen ähnelt. Inhalte, die ab 12 Jahren freigeben sind, dürfen ab 20.00 Uhr verbreitet werden, Freigaben ab 16 Jahren ab 22 Uhr und solche ab 18 Jahren ab 23.00 Uhr. Die Verhaltensrichtlinien sehen vor, dass Fernsehveranstalter Inhalte, die in Ausnahmefällen außerhalb der empfohlenen Sendezeiten ausgestrahlt werden, kennzeichnen müssen. Anbieter, die also von diesen Vorgaben abweichen und beispielsweise einen 12er‑Inhalt im Tagesprogramm oder einen 16er‑Inhalt im Hauptabendprogramm ausstrahlen, müssen dabei drei Elemente berücksichtigen: Erstens muss die Ausstrahlung akustisch angekündigt oder durch optische Zeichen während der gesamten Sendung gekennzeichnet werden. Für den ORF gilt hier eine strengere Regelung, die beide Kennzeichnungsarten vorschreibt. Zweitens ist zu Sendungsbeginn der Altershinweis einzublenden. Und drittens müssen zusätzliche Informationen zur Art der Gefährdung angezeigt werden, also ein Gefährdungsdeskriptor, der auf eine der vier Gefährdungskategorien – Gewalt, Angst, Desorientierung und Sex – hinweist. 16‑er- und 18er‑Inhalte müssen grundsätzlich akustisch und/oder optisch gekennzeichnet werden, auch in der für sie vorgesehenen Sendeschiene. Festzuhalten ist aber, dass dies Sendungen grundsätzlich nur während der jeweils empfohlenen Sendezeitgrenzen gezeigt werden dürfen, nur in Ausnahmefällen und dann eben mit Kennzeichnung auch außerhalb dieser Zeiten.

Inwieweit sind Ausnahmen denn möglich? Können auch 16er‑Programme tagsüber oder 18er‑Inhalte im Hauptabendprogramm gezeigt werden?

Krieger‑Schromm: Nein, auf keinen Fall. Im Tagesprogramm sind nur 12er‑ und im Hauptabend nur 16er‑Inhalte möglich, aber auch das nur in Ausnahmefällen, wenn nämlich der Inhalt zur darunterliegenden Freigabe tendiert und die Ausstrahlung dem Wohl der Minderjährigen nicht entgegensteht. Und auch dann ist der Anbieter natürlich gehalten, die Sendezeit und das Programmumfeld mit Bedacht zu wählen, und wir gehen davon aus, dass das auch verantwortungsvoll geschieht. Für Inhalte ab 18 Jahren gibt es keine Ausnahmen, da gilt die Sendezeitregelung ab 23.00 Uhr.

Können Sie noch einmal konkret darstellen, wie genau der Hinweis bei einer kennzeichnungspflichtigen Sendung auszusehen hat?

Krieger‑Schromm: Zu Beginn einer Sendung, die ab 16 oder ab 18 Jahren eingestuft wurde oder die außerhalb der vorgesehenen Zeitschienen läuft, ist ein Tonsignal zu hören. Dann erfolgt für die Dauer von drei Sekunden die Einblendung des Alters‑ und des Gefährdungshinweises am oberen Rand des Bildschirms. Beim ORF erfolgt die Einblendung des Altershinweises für die Dauer der gesamten Sendung. Für private Anbieter ist dies freiwillig bzw. nur dann notwendig, wenn sie auf das akustische Signal verzichten. Unverbindlich empfehlen die Richtlinien darüber hinaus, dass die Veranstalter die Hinweise in ihren programmbegleitenden Kanälen wie zum Beispiel EPG, Teletext oder in ihrem Onlineangebot veröffentlichen, damit sich Nutzer:innen auch nach Sendungsbeginn über potenzielle Gefahren informieren können. Hier können natürlich auch andere jugendschutzrelevante Angaben gemacht werden, zum Beispiel Genrehinweise, ausführlichere Erläuterungen der Altersfreigabe oder Positivkennzeichnungen.
 


Wie ist die Regelung bei Filmplattformen?

Drumm: Anbieter von Abrufdiensten sind wie Fernsehveranstalter verpflichtet, zusätzliche Informationen bereitzustellen, sofern sie Zeitgrenzen für den Abruf ihrer Inhalte vorsehen. Werden technische Formen der Zugangskontrolle verwendet, wie zum Beispiel ein Zugangscode, gilt dies als ausreichend im Sinne des Jugendschutzes, sodass zusätzliche Hinweise nicht notwendig sind. Auch ein Tonsignal muss nicht eingeblendet werden, ebenso wenig wie eine optische Kennzeichnung während der gesamten Sendung. Im Übrigen gilt aber auch für Abrufdienste: Bei Inhalten mit der Freigabe ab 12, die tagsüber zum Abruf angeboten werden, sowie bei Inhalten mit Freigaben ab 16 und ab 18 Jahren müssen zu Beginn des Abrufs ein Alters‑ und ein Gefährdungshinweis angezeigt werden.

Die Anzahl der Gefährdungshinweise ist mit den vier Begriffen Gewalt, Angst, Desorientierung und Sex relativ gering. Haben Sie eine größere Differenzierung erwogen, und was spricht aus Ihrer Sicht dagegen?

Drumm: Wir haben uns natürlich andere Systeme angeschaut und über weitere und andere Begriffe nachgedacht. Es steht den Anbietern auch frei, die Hinweise um zusätzliche, noch detailliertere Beschreibungen zu ergänzen und zum Beispiel Begriffe wie „Gewalt – Gewalt in der Familie“ oder „Desorientierung – Drogenmissbrauch“ zu verwenden. Die Zuseherinnen und Zuseher kennen ja auch eine Vielzahl von Hinweisen aus den Streamingdiensten, wo zum Teil sehr viel eingeblendet wird. Uns war wichtig, dass die Begriffe einfach und einprägsam sind und dass diese leichte Verständlichkeit nicht durch ein Zuviel an Zusatzinformation verloren geht. Auch Piktogramme fanden wir am Ende nicht so gut verständlich wie kurze Wortmarken.

Gibt es im Fernsehen auch Programmarten, die ganz aus der Kennzeichnungspflicht herausfallen?

Krieger‑Schromm: Ja. Sendungen der politischen Information und Nachrichtensendungen sind ausgenommen, außerdem Sportsendungen – sie müssen grundsätzlich nicht nach Altersgruppen klassifiziert und gekennzeichnet werden. Auch Werbung wird nicht berücksichtigt, weil Werbesendungen anderen Schutzbestimmungen für Minderjährige unterliegen, für deren Überwachung der Österreichische Werberat zuständig ist. Bei Live‑Sendungen sind die Anbieter angehalten, eine Vorabbewertung auf der Grundlage des Sendungskonzepts vorzunehmen. Sie müssen auch dafür sorgen, dass bei ungeplanten Abläufen geeignete Maßnahmen getroffen werden können, die potenzielle Gefährdungen dann möglichst vermeiden helfen.

Anbieter in Österreich können Freigaben von anderen, anerkannten Einrichtungen des Jugendmedienschutzes übernehmen, aber auch von diesen abweichen. Welche Einrichtungen gelten hier als anerkannt und wie ist die Übernahme bzw. Abweichung von vorhandenen Einstufungen geregelt?

Drumm: Als anerkannte Expert:innengremien des Jugendschutzes gelten vor allem die österreichische Jugendmedienkommission (JMK), die deutsche Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) und die deutsche Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF). Die Regelung ist als Erleichterung für die Anbieter gedacht: Sofern es eine FSF‑, eine FSK‑ oder JMK‑Kennzeichnung gibt, muss der Inhalt nicht mehr geprüft werden. Bei einem modernen Actionfilm mit einer FSK‑Freigabe ab 16 Jahren wird vermutlich kein Anbieter eine andere Einschätzung treffen. Eine Abweichung von einer vorhandenen Freigabe kommt eher bei Inhalten in Betracht, deren Bewertung einige Zeit zurückliegt und nach heutigen Maßstäben veraltet ist, oder wenn die Sendung zum Beispiel durch Schnitte verändert wurde. Bei der JMK gibt es zudem die Besonderheit der Freigabe ab 14 Jahren. In diesem Fall kann der Anbieter die Sendezeit der nächsthöheren Stufe (ab 16 Jahren) oder der niedrigeren Altersstufe (ab 12 Jahren) und damit das Hauptabendprogramm wählen, ohne dass eine Kennzeichnungspflicht besteht.

Die Richtlinien empfehlen zusätzliche Informationen – neben Informationen zum Jugendschutz kommen auch Positivkennzeichnungen in Betracht, die besonders für Kinder geeignete Sendungen hervorheben. Wie weit steht es mit der Umsetzung?

Drumm: Eine solchepositive Kennzeichnung wäre wünschenswert, aber hier stehen wir noch ganz am Anfang. Perspektivisch ist ein Positivprädikat analog zum Pro‑Ethik‑Siegel des Werberates angedacht, für das sich Unternehmen bewerben können. Ein solches Gütesiegel auf der Website eines Anbieters soll signalisieren, dass das Unternehmen den Jugendschutz besonders ernst nimmt und Inhalte fördert, die Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung weiterbringen. Das haben wir auf unserer Agenda, aber erst zu einem Zeitpunkt, wenn alles andere sehr gut läuft. 

Was sehen Sie als größte Herausforderung für den Jugendmedienschutz?

Drumm: Die Gefährdung der Minderjährigen passiert vor allem auf Videosharing-Plattformen und in den Sozialen Medien. Wenn es auf europäischer Ebene nicht gelingt, hier ein einheitlich hohes Schutzniveau umzusetzen, wird der Jugendschutz hierzulande leider große Lücken behalten.

Krieger‑Schromm: Ich kann mich nur anschließen. Vor allem die Fernsehsender sind in Österreich strengstens reguliert. Klar, man kann es immer noch besser machen – aber die echten Probleme liegen woanders.
 

Dr. Alice Krieger-Schromm ist Leiterin der Geschäftsstelle des Vereins zur Selbstkontrolle audiovisueller Medienangebote zum Schutz von Minderjährigen (JMS).

Dipl. Kffr. Corinna Drumm ist Vorstandsmitglied des Vereins zur Selbstkontrolle audiovisueller Medienangebote zum Schutz von Minderjährigen (JMS).

Claudia Mikat ist Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).