Neuere Forschung zu parasozialen Interaktionen und Beziehungen

Steckbriefe von über 250 Studien aus den Jahren 2016 bis 2020

Holger Schramm, Nicole Liebers, Laurenz Biniak, Franca Dettmar

Baden-Baden 2022: Nomos Verlagsgesellschaft
Rezensent/-in: Claudia Töpper-Ko

 

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 3/2023 (Ausgabe 105), S. 83-83

Vollständiger Beitrag als:

Parasoziale Interaktionen und Beziehungen

Auch beinahe sieben Jahrzehnte nach der Veröffentlichung des Essays über parasoziale Interaktion und parasoziale Beziehungen von Donald Horton und R. Richard Wohl im Jahr 1956 gilt das Konzept in der medien- und kommunikationswissenschaftlichen Rezeptionsforschung als eines der prominentesten und am besten erforschten. Mittlerweile ist es nicht nur als „Klassiker“ in Lehr- und Handbüchern der Rezeptions- und Wirkungsforschung vertreten, sondern wird zunehmend auch in medien- und kommunikationswissenschaftlichen Subdisziplinen diskutiert sowie insbesondere in Bezug auf (para‑)soziale Phänomene der Nutzung und Wirkung sozialer Medien (S. 10). Dies nehmen Schramm u. a. zum Anlass einer Bestandsaufnahme der aktuellen Forschung zu parasozialen Phänomenen.

Der von ihnen vorgelegte über 400 Seiten starke Band besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil wird das methodische Vorgehen der Recherche, Auswahl und Aufbereitung der Studien dargestellt. Daran anschließend wird die Befundlage aus Studien zu parasozialen Interaktionen und Beziehungen der Jahre 2016 bis 2020 systematisch auf- und Forschungslücken herausgearbeitet. Im zweiten Teil des Bandes werden die 281 in den Überblick aufgenommenen Studien mit jeweils einem einseitigen Steckbrief zusammengefasst dargestellt. Jeder Steckbrief enthält Informationen über die Form der Studie, den Untersuchungsgegenstand, Hintergrundinformationen zur Datenerhebung und zentrale Ergebnisse der Studie. Geordnet sind die Studien entlang der Medien aus dem Printbereich, Radio und Musik, Film und Fernsehen, soziale und neue Medien sowie nach medienübergreifenden Studien. Zusätzlich enthält der Band ein Literaturverzeichnis.

Die methodische Auswahl der vorgestellten Studien basiert auf Liebers und Schramm (2017), die bereits zuvor einen systematischen Überblick der Erforschung parasozialer Phänomene von der Einführung des Konzepts im Jahr 1956 bis einschließlich 2015 erarbeitet haben. Entsprechend wurden deutsch- und englischsprachige Quellen in den Datenbanken PsycINFO, ScienceDirect und Google Scholar nach den Begriffen „parasocial“, „para-social“, „parasozial“, „para-sozial“, „para-love“, „para-friendship“ und „para-romantic“ durchsucht. Daran anschließend wurden die Studien nach festgelegten Eignungskriterien ausgewählt. Auf formaler Ebene handelte es sich dabei um Studien im klassischen Sinn, also um Zeitschriftenartikel oder Beiträge in Sammelwerken, Monografien und um veröffentlichte Dissertationen. Unveröffentlichte Bachelor- und Masterarbeiten sowie Dissertationen wurden ausgeschlossen, ebenso wie Tagungsvorträge und Beiträge in Proceeding-Bänden. Die Publikationen mussten zudem in den Jahren 2016 bis 2020 erstmalig publiziert worden sein. Inhaltlich mussten sie eine eigene empirische Untersuchung beinhalten, deren zentraler Bestandteil ein parasoziales Phänomen im Kontext von Rezipierenden und Mediencharakteren im Sinne sozialer Entitäten umfasste. Publikationen, die die parasoziale Bindung Mediennutzender an eine Marke untersuchten, wurden ausgeschlossen, „weil sie parasoziale Interaktion nicht als eine Interaktion mit einem Mediencharakter verstehen“ (S. 17). Reine Theoriebeiträge oder Metaanalysen wurden ebenfalls nicht einbezogen. Die Systematisierung der Studien anhand allgemeiner Informationen, dem Untersuchungsgegenstand, der Art der Datenerhebung und der zentralen Ergebnisse nutzen die Verfasser*innen, um „Rückschlüsse über die Forschungsaktivität und damit Popularität des Themas über die Jahre hinweg [zu ziehen], die Art und Weise, wie publiziert wird und in welchen Personenzusammenstellungen Publikationen entstehen“ (S. 18). Zusammengefasst werden die Studien anhand der Fragen, wie viel und was geforscht wurde, wie geforscht wurde, welche übergreifenden Muster, Trends und Erkenntnisse sich in den letzten Jahren entdecken lassen und welche Forschungsdesiderata bestehen.

Forschenden, die sich mit dem Themenfeld parasozialer Interaktionen und Beziehungen auseinandersetzen, bietet der Band damit einen äußerst übersichtlichen, klar strukturierten und systematisch nachvollziehbaren Metablick auf aktuelle Forschungsschwerpunkte und Forschungslücken. Selbstverständlich handelt es sich dabei um eine vorab definierte Auswahl und Entscheidung, welche Studien innerhalb dieses Metablicks als zentral betrachtet werden.

Die Arbeit und Mühe, die sich die Autor*innen hiermit gemacht haben, ist jedoch Gold wert für alle interessierten Forschenden, die auf dieser Grundlage einen sehr leichten Einstieg und Zugang zu Erkenntnissen über mehrere Studien hinweg und auch deren widersprüchliche Ergebnisse erhalten. Das Buch ist daher eine absolute Empfehlung als Hilfe und Werkzeug für alle, die sich mit dem Themenfeld beschäftigen. Es vereinfacht, Studien zu finden und einschätzen zu können. Dabei wird die Publikation den Ansprüchen der Autor*innen, einen „Beitrag zum besseren Verständnis parasozialer Phänomene, ihrer Ursachen und Auswirkungen“ (S. 10) zu leisten und die Recherche für interessierte Forscher*innen zu vereinfachen, mehr als gerecht.

Dr. Claudia Töpper-Ko