„Man stirbt als Held – oder lebt so lange, bis man selbst der Böse wird.“

Antagonisten im Actionkino 1972 bis 2019

Maximilian Pakusa, Judith Sophie Richter, Marie Radau, Lisa Zirk, Patrick Rössler

Als Medienerlebnis bleibt der Kinobesuch nach wie vor einzigartig: Der Unterhaltungswert der großen Leinwand ist ungebrochen und Filme regen außerdem einen intensiven Gesprächsaustausch an. Dabei orientieren sich die Themen und Botschaften immer auch am Zeitgeist – Filmemacher sind bestrebt, gesellschaftliche, politische oder soziale Probleme in ihren Stoffen zu behandeln. Dazu schaffen sie Figuren, die die Zuschauer emotional abholen und sie eine besondere Sympathie oder Antipathie entwickeln lassen. Dafür spielen die Protagonisten und Antagonisten1 der Handlung eine essenzielle Rolle, nicht zuletzt, wenn es um den wirtschaftlichen Erfolg des Films geht.

Speziell zu den Gegenspielern der Filmhelden existieren bislang allerdings wenig bis keine wissenschaftlichen Befunde, weshalb sich eine Studie nun erstmals mit der Untersuchung der filmischen Darstellung des Antagonisten bzw. der Antagonistin in Actionspielfilmen der letzten 50 Jahre beschäftigt. Entgegen anfänglichen Erwartungen zeigen die Ergebnisse, dass sich deren Charakterdesign über diese lange Zeit hinweg lediglich geringfügig wandelte: Nach wie vor ist das Rollenfach männlich dominiert, außerdem war eine signifikante Veränderung der filmischen Darstellung von Antagonisten im Zeitverlauf nicht festzustellen.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 4/2023 (Ausgabe 106), S. 49-55

Vollständiger Beitrag als:

Wieso Antagonisten?

Als Kinder bewunderten wir die starken, beliebten Superhelden wie Superman (1978), Peter Parker als Spider-Man (2002) oder die nordische Gottheit Thor (2011). Diesen Protagonisten der Geschichte dabei zuzusehen, wie sie gemeinsam mit ihren Verbündeten die Schurken besiegen und die Welt retten, konnte nahezu rauschhafte Gefühle auslösen. Ihre Gegner waren stets Bösewichte mit ihren eigennützigen, hinterhältigen und oft brutalen Plänen, um sich Macht anzueignen: Schurken wie Voldemort in der Harry Potter-Filmreihe (2001 bis 2011), der Harry um jeden Preis töten will, oder Sauron aus Peter Jacksons Herr der Ringe-Trilogie (2001 bis 2003), der massenhaft Leben opfert, um den einen Ring zu finden. Doch sind Erhalt und Ausbau ihrer Macht das Einzige, was diese Antagonisten ausmacht? Ist ihr Charakter zwangsläufig immer böse und schlecht – oder wurden sie nicht erst durch ihre Umgebung und bestimmte Umstände zu ihren Handlungen verleitet?

In der Filmbranche versteht man unter dem Begriff des Protagonisten die hauptsächlich handelnde oder zentrale Figur, die bestimmte Hindernisse überwinden muss, um sich innerhalb der Handlung weiterzuentwickeln und diese damit voranzutreiben (Eder 2014, S. 470). Im Gegensatz dazu wird der Antagonist als der zentrale Gegenspieler des Protagonisten verstanden – als Personifikation eines Konflikts oder Hindernisses, welches von der Hauptfigur überwunden werden muss. Ohne den bösen, fast immer männlichen Antagonisten, der Chaos in den gewöhnlichen Alltag des (ebenfalls meist männlichen) Protagonisten bringt, würde keine interessante Handlung zustande kommen. Erst durch das Auftreten und Eingreifen der Antagonisten wird die Geschichte ausgelöst und vorangebracht (Behmel/Brauch 2020, S. 28).

In der Filmindustrie entwickelte sich die Tendenz, die Hauptfiguren durch eine tiefere Beleuchtung der Vorgeschichte in einem ganz neuen Licht erscheinen (ebd., S. 29) und Antagonisten immer häufiger zu Protagonisten der eigenen Filme werden zu lassen. So verkörperte der bekannte Film- und DC-Comicschurke „Joker“ in The Dark Knight (2008) einen anarchistischen und mysteriösen Psychopathen, dessen Ziel es ist, Batman (alias Bruce Wayne) zu terrorisieren und eine Welt nach seinen Vorstellungen zu erschaffen. Dieser wahnsinnige Antagonist erhielt später seinen eigenen Film Joker (2019), in dem die Geschichte seines Lebens erzählt und er selbst zum Protagonisten wird.
 

Trailer: The Dark Knight (Warner Bros.DE, 10.12.2015)



Denn laut Pieper (1997) erobert die Faszination des Bösen die Menschen, da das Gute durch seine Selbstverständlichkeit mit dem Anschein von Langweiligkeit einhergeht (S. 7). Die Sensationslust des Zuschauers ist für das Filmerlebnis aber essenziell, da – in Form des Stellvertreterleids – aus den Fehlern und dem Leid anderer gelernt werden kann und es demnach nicht selbst erlebt werden muss. Darüber hinaus suchen sich die Menschen unter den Figuren stets Vergleichspersonen, deren Verhalten und Gestik sie in der realen Welt nachahmen können, ob positiv oder negativ (Behmel/Brauch 2020, S. 37 f.).

Die vorliegende Studie widmet sich mithilfe der Figurenanalyse nach Eder erstmals der filmischen Darstellung von Antagonisten in Actionspielfilmen, hier speziell durch einen Zeitvergleich von 1972 bis 2019. Der Startpunkt wurde ausgewählt, da zu Beginn der 1970er-Jahre verstärkt das actiongeladene Hollywoodkino nach Deutschland schwappte; das Ende des Zeitraumes wurde auf 2019 festgelegt, weil ab 2020 die Coronapandemie nicht nur Kinobesuche unmöglich machte, sondern auch die Produktionsbedingungen für Kinofilme maßgeblich veränderte. Durch eine quantitative und qualitative Inhaltsanalyse wurde die Figur des Antagonisten erfasst und anhand verschiedener Merkmalsausprägungen beschrieben. Der Zeitvergleich sollte aufzeigen, ob sich das Charakterdesign der Antagonisten im Filmgenre „Action“ auch aufgrund des gesellschaftlichen Wandels in dieser Epoche – Ende des Kalten Krieges, erstarkende weibliche Emanzipationsbewegungen, politische Radikalisierung, zunehmende Individualisierung, Globalisierung und Digitalisierung, um nur einige Stichworte zu erwähnen – verändert hat.
 

Theoretische Grundlage: die „Uhr der Figur“

Die Untersuchung beruht auf dem anwendungsnahen Modell der „Uhr der Figur“ von Jens Eder (2014), welches eine umfassende Figurenanalyse ermöglicht. Dieses lässt sich ganz grundsätzlich in die Bereiche „fiktives Wesen“, „Artefakt“, „Symbol“ und „Symptom“ untergliedern. Da das Modell „nicht als starres Schema […], sondern als flexible Heuristik“ zu verstehen ist, „deren Anwendung jeweils den Erkenntnisinteressen der Analyse angepasst werden kann“ (ebd., S. 143), wurden lediglich die Dimensionen „fiktives Wesen“, „Artefakt“ und „Symbol“ berücksichtigt.2 Der Bereich des „fiktiven Wesens“ setzt sich mit der Körperlichkeit, der Psyche, der Sozialität und dem Verhalten einer Figur auseinander; der Bereich „Artefakt“ beschäftigt sich darüber hinaus mit einer Analyse dessen, „wie die Figuren dargestellt werden und welche ästhetischen Strukturen sie aufweisen“ (ebd., S. 138). Im Vordergrund steht dabei eine Untersuchung der filmischen Darstellungsmittel, der Informationsvergabe, der Artefakt-Eigenschaften und der Konzeption. Zudem können Figuren als „Symbol“ betrachtet werden, wenn sie „als Zeichen, Sinnbild oder Ausdruck für etwas Anderes“ (ebd., S. 529) stehen und demnach indirekte Bedeutungen, zumeist in Form von Thementrägern, Metaphern, Personifikationen oder Exemplifikationen vermitteln (ebd., S. 522).
 

Zur Methodik

Im Mittelpunkt des an der Universität Erfurt durchgeführten Forschungsprojekts3 standen eine standardisierte und anschließend eine qualitative Inhaltsanalyse. Um zunächst eine breite Masse von Antagonisten und Protagonisten zu analysieren4, wurde eine Grundgesamtheit von Filmen aus dem Actiongenre definiert, welche im Zeitraum von 1972 bis 2019 in deutschen Kinos starteten. Der Actionfilm zeichnet sich durch Elemente wie Kampf- und Stuntszenen oder Explosionen aus (Bawden/Tichy 1978, S. 19) und nutzt dabei Strukturen und Stoffe anderer Genres (Irsigler/Lembke/Strank 2014, S. 9). Daher wurden zunächst die Genres festgelegt, die per Definition als nahe Verwandte des Actiongenres gelten.5 Im Anschluss diente das Onlineportal von Filmdienst (www.filmdienst.de) als Quelle zur Identifikation einschlägiger Produktionen und erbrachte eine Grundgesamtheit von 1.022 Filmen. Danach wurde per Zufallsgenerator eine geschichtete Stichprobenziehung von fünf Filmen pro Jahr durchgeführt und deren Antagonisten bzw. Protagonisten durch ein mehrstufiges Rechercheverfahren bestimmt.6 Falls eine von beiden Figuren nicht zweifelsfrei ermittelt werden konnte, fand der Film keine Berücksichtigung und ein zufällig ausgewählter Ersatzfilm aus demselben Jahr wurde herangezogen. Insgesamt analysierte die Forschergruppe schlussendlich 238 Filme7 und somit 238 Konstellationen zwischen Antagonist und Protagonist.

Ein Codebuch definierte – neben einigen formalen Kriterien zum Film8 – insgesamt 29 relevante Aspekte einer Figur, die sich u. a. auf körperliche Merkmale (z. B. Geschlecht, Hautfarbe9, Größe), Persönlichkeitseigenschaften (z. B. Offenheit, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit), soziale Beziehungen (z. B. Partner, Freunde, Familie) oder die Charakterisierung als „gute“ oder „böse“ Figur10 beziehen. Alle Merkmale wurden sowohl anhand der ersten als auch der letzten drei Minuten des Auftretens von Antagonist und Protagonist (Anfangs- und Endszene) codiert, um gegebenenfalls Wandlungsprozesse innerhalb der Handlung festzuhalten.

Die Auswertung der Veränderungen im Zeitverlauf beruht auf acht Zeiträumen von jeweils sechs Jahren. Aus jedem dieser Zeiträume wurde in einer ergänzenden und vertiefenden qualitativen Inhaltsanalyse ein Film vollständig rezipiert und der Antagonist näher untersucht. Dabei fiel die Wahl auf Extremfälle, die bei der standardisierten Untersuchung durch Besonderheiten oder Abweichungen von der Norm auffielen. Ein Leitfaden, wieder angelehnt an die „Uhr der Figur“ nach Eder (s. o.), definierte 26 Leitfragen, die auch Forschungsfragen zur Relevanz der Vorgeschichte für das Handeln, zu potenziellen Veränderungen der Ziele und Motive im Filmverlauf und zum Einfluss der sozialen Position auf die Handlungen des Antagonisten adressierten.
 

Actionantagonisten 1972 bis 2019: ausgewählte Befunde

Zunächst liefert der Blick auf die Veränderung der Geschlechterverhältnisse in Actionfilmen einen ernüchternden Befund: Sowohl die Anteile weiblicher Antagonistinnen sowie Protagonistinnen sind mit 5,5 % bzw. 11,3 % ausgesprochen niedrig (siehe Abb. 1). Auch eine Betrachtung im Zeitverlauf gibt keine Hinweise auf eine prozentuale Zunahme seit 1972; vielmehr war das Auftreten weiblicher Figuren gleichmäßig gering verteilt. Zudem konnte im gesamten Verlauf kein diverser Charakter erfasst werden. Zumindest im Actiongenre scheinen aktuelle Frauen- und Diversitätsbewegungen, die sich für die Stärkung der weiblichen Rolle und für Geschlechtergerechtigkeit in der Gesellschaft einsetzen, noch keinen Einzug gehalten zu haben.
 

 

Eine andere Annahme lautete, dass sich die Gut-gegen-Böse-Konstellation zwischen Antagonist und Protagonist heute weniger trennscharf darstellt. Befunde aus der Forschung zu modernen Serienformaten ließen vermuten, die klassische Aufteilung zwischen einem Helden, der immer nur das Gute will, und einem Schurken, der immer nur Böses im Schilde führt, würde an Bedeutung verlieren; stattdessen sollten vermehrt auch andere Konstellationen (wie Gut gegen Gut oder Böse gegen Böse) anzutreffen sein. Aber die Daten zeigen auch hier keine entsprechende Entwicklung: Zwar tritt die Konstellation Gut gegen Böse mit 81‑mal am häufigsten auf (34 %) – aber sie dominiert keineswegs. Schon seit jeher existierten andere Konstellationen zwischen Protagonist und Antagonist, die klassische Verteilung, wie man sie etwa aus den James Bond-Streifen kennt, herrschte nie so strikt und ausschließlich vor wie landläufig angenommen (siehe Abb. 2). In unserer Untersuchung waren insgesamt 42 (!) verschiedene Konstellationen zwischen Protagonisten und Antagonisten anzutreffen; so fanden wir u. a. auch gute Protagonisten, die sich gegen einen zunächst guten Antagonisten behaupten mussten, der sich erst im Filmverlauf zu einem bösen Charakter entwickelt (13,9 %), oder Konstellationen, in denen sich Gut gegen Gut (2,9 %) oder Böse gegen Böse (1,2 %) gegenüberstanden.
 

 

Schließlich belegt die Erhebung auch, dass sich die FSK-Freigabe bei Actionfilmen signifikant verändert hat. Waren im ersten Zeitabschnitt (1972 bis 1977) noch jeweils rund ein Drittel der Filme eine „FSK 18“, „16“ und „12“, war im letzten Auswertungszeitraum (2014 bis 2019) die „FSK 18“ gänzlich verschwunden. Dafür hat sich der Anteil der „FSK 12“ fast verdoppelt und stieg auf 66,7 % an. Der Anteil „FSK 16“ verharrte bei rund 30 %, ein Film war sogar als „FSK 6“ freigegeben (siehe Abb. 3). Diese Veränderungen deuten darauf hin, dass Actionfilme heutzutage einem breiteren jugendlichen Publikum zugänglich gemacht werden – an dieser Stelle muss allerdings offenbleiben, ob tatsächlich die Filme weniger explizite Gewaltdarstellungen etc. beinhalten oder ob man schlicht glaubt, der jüngeren Zielgruppe heute mehr zumuten zu können und sich die jugendschutzrelevante Spruchpraxis dahin gehend verändert hat.
 

 

Moralische Komplexität: zwei Fallstudien

Dass nicht alle Geschichten auf der klassischen Unterscheidung zwischen einem heldenhaften Protagonisten, der für das Gute kämpft, und einem antagonistischen Bösewicht, der sich ihm in den Weg stellt, beruhen müssen, zeigt etwa Snow White and the Huntsman (2012). Wegen seiner Umsetzung (und trotz der Wurzeln in einer Märchenhandlung) durchaus als Actionkino einzustufen, thematisiert der Film einen zweischneidigen Konflikt zwischen zwei weiblichen Charakteren, der nicht bloß auf die Leitmotive der Schönheit und Eifersucht aus dem Schneewittchen-Narrativ abhebt. Trotz der klassischen Gut-Böse-Gegenüberstellung zeigt sich hier: Böse ist nicht gleich stupide. Durch die Charakterzeichnung der Antagonistin Ravenna wird deutlich, dass die scheinbar böse Figur vielschichtiger ist, als es auf den ersten Blick scheint. Ihre Hintergrundgeschichte enthüllt eine bewegte Vergangenheit, geprägt von Leid und Armut, was ihre tiefe Verbitterung erklärt und ihr Streben nach Macht erst hervorruft. Böse Antagonisten können z. T. tiefe menschliche Konflikte widerspiegeln – damit steckt hinter ihrem Tun oft mehr als nur die banale Absicht, Schaden zuzufügen. Auch negative Figuren besitzen eigenständige Motivationen oder blicken auf Traumata zurück, die ihre Handlungen erklären. Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass das Böse gerechtfertigt wird; aber es trägt dazu bei, die Charaktere und ihre Geschichte komplexer zu gestalten.
 

Trailer: Snow White & the Huntsman (Universal Pictures Germany, 09.12.2011)



Auch hinsichtlich der moralischen Komplexität hat sich die Sicht auf Antagonisten im Laufe der Zeit verändert. Ein Beispiel hierfür ist die Figur des Generals Hummel im Film The Rock: Fels der Entscheidung (1996). Um Gerechtigkeit für seine gefallenen Kameraden und deren Familien zu erlangen, will er die verantwortliche Regierung zum Handeln zwingen, indem er Giftgasraketen stiehlt und sich mit Geiseln auf Alcatraz verschanzt. Hummel ist kein klassisch mutwillig böser Antagonist, sondern eher eine fehlgeleitete Figur, die sich in ihrer Lage nicht mehr anders zu helfen weiß: „Während meiner gesamten Laufbahn bin ich an diesen Lügen fast erstickt“ (19:15). Seine komplexe Vorgeschichte klärt über seinen Handlungsantrieb und das moralische Dilemma auf, dem er sich gegenübersieht. Er durchlebt einen andauernden inneren Konflikt zwischen dem Ziel, Gerechtigkeit für seine mutwillig dem Tod überlassenen Soldaten zu erzwingen, und seinen eigenen Wertvorstellungen, niemandem zu schaden. Ihre Dissonanz verleiht der Figur eine gesteigerte Vielschichtigkeit, die sie von klassischen Schurken unterscheidet.

Dieses Bild eines zunehmend differenzierten Antagonisten und Handlungen, die nicht mehr nur als rein böswillig, sondern als Produkte komplexer moralischer Überlegungen dargestellt werden, finden sich noch in weiteren Filmen des qualitativen Untersuchungsteils wieder. Daher kann das Böse nicht mehr als einfache und stereotype Eigenschaft betrachtet werden, sondern erscheint vielmehr als das Resultat innerer Konflikte und äußerer Umstände, das keiner eindeutigen moralischen Zuordnung unterliegt. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen, was die einstigen „Schurken“ zu Recht weiter in den Fokus der Handlung rückt.
 

Trailer: The Rock (Rotten Tomatoes Classic Trailers, 14.08.2020)



Ausblick

Für das Filmpublikum ist die Figur der Dreh- und Angelpunkt bei der Rezeption, „die kulturelle Bedeutung solcher fiktiven Gestalten kann kaum überschätzt werden“ (Eder 2014, S. 12). Ein gut geschriebener Charakter bindet Zuschauer emotional an die Handlung und sichert damit auch den Erfolg des Films. Deswegen sollte man erwarten, dass Drehbuchautoren und Filmproduzenten danach streben, ihre Figuren an die realen Verhältnisse und die Entwicklungen in der Gesellschaft anzupassen. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass sozialer Wandel, wie etwa auf den Gebieten „Geschlechterverhältnisse“ oder „kulturelle Diversität“, bislang noch kaum Einzug in das Actiongenre gehalten hat – weder aufseiten der Protagonisten noch aufseiten der Antagonisten. Dabei könnten solche Entwicklungen doch gerade auch in diesem Genre aufgegriffen werden, um das jüngere Publikum noch besser an die Handlung zu binden und die Figuren mit einem höheren Identifikationspotenzial auszustatten (zumal aufgrund der sinkenden Altersfreigabe ohnehin schon ein jüngeres Publikum erreicht wird). Zwar sollten Antagonisten aufgrund ihres eigentlichen Schurkendaseins dem Zuschauer nur wenig Platz zur Identifikation bieten – aber wie unsere Daten ebenfalls belegen, will dieser nicht immer nur bösen Zielen und Intentionen folgen.

Im Gegensatz zu Kindern können Erwachsene die Handlungen von Antagonisten persönlich besser nachvollziehen und diese in einen entsprechenden Kontext einordnen. Man erleidet des Öfteren Niederlagen und Rückschläge, die das Leben einem so bietet, und kann den Schmerz oder auch die Verluste der Antagonisten häufig nachempfinden. Man versteht, weshalb beispielsweise Harvey Dent aus The Dark Knight (2008) Rache an Batman schwört, sich dem Bösen zuwendet und zu Two-Face wird. Voller Überzeugung bekennt er: „You either die a hero, or you live long enough to see yourself become the villain“ (21:09). Durch einen missglückten Rettungseinsatz, verschuldet durch Batman, stirbt seine große Liebe; selbst schwer verletzt, verschreibt er sich nach diesem Vorfall dem Bösen. Obwohl man weiß, dass seine Folgehandlungen moralisch verwerflich sind, kann man sich als Betrachter doch in den Schmerz hineinversetzen, eine geliebte Person zu verlieren.

Insgesamt verdeutlichen unsere Ergebnisse, dass sich in der filmischen Darstellung von Antagonisten im Zeitraum von 1972 bis 2019 überraschenderweise nur wenig geändert hat. Zwar könnte diese geringe Wandlungsbereitschaft in der Figurendarstellung auch in einem eher konservativen Actiongenre begründet liegen, das seinen (durchaus erfolgreichen) Handlungskonventionen nicht ohne Not abschwört. Dabei scheint ein gewisser Handlungsbedarf offenkundig: Figuren, besonders auch die Antagonisten, könnten sich deutlicher am Zeitgeist orientieren, um noch nahbarer für die Zuschauer zu werden und diese noch stärker an das Geschehen zu binden. Und auch für zukünftige figurenanalytische Forschungsarbeiten erscheint es aussichtsreich, sich vermehrt mit Antagonisten auseinanderzusetzen, um so die Faszination des Bösen weiter zu ergründen.
 


Anmerkungen:

1) Aufgrund der Tatsache, dass die meisten Figuren in unserer Untersuchung tatsächlich männlich sind (Protagonisten: 88,7 %; Antagonisten: 94,5 %), wird in diesem Artikel das generische Maskulinum der deutschen Sprache verwendet, um die Lesbarkeit zu verbessern. Dennoch sollen damit alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen werden.

2) Der Bereich „Symptom“ findet in der Untersuchung keine Anwendung, da der Einfluss auf den Filmemacher, der kulturelle Kontext und die Wirkung auf den Zuschauer nicht erfasst wurden.

3) Das Projekt wurde von Dominik Freiherr von Elverfeldt, Clara-Sophie Lorenz, Maximilian Pakusa, Marie Radau, Judith Sophie Richter, Erik Rohde und Lisa Zirk unter der Betreuung von Prof. Dr. Dr. Patrick Rössler durchgeführt.

4) Da Protagonist und Antagonist innerhalb der Handlung nicht unabhängig voneinander agieren und für die Geschichte des Films die Konstellation beider zentral ist, wurde auch der Protagonist in die Untersuchung einbezogen.

5) Dazu zählten Thriller, Science-Fiction, Horror, Komödie, Krimi, Fantasy und Abenteuer.

6) Verwendet wurden Filmzusammenfassungen und -kritiken auf den Webseiten von Filmdienst.de, Filmstarts.de, IMDb.com und Wikipedia.

7) Angestrebt waren pro Jahr fünf Filme (= 240); da aber im Jahr 1999 überhaupt nur drei Filme den Auswahlkriterien entsprachen, reduziert sich das Sample auf 238 Fälle.

8) Genre, Produktionsland und Produktionsjahr, Filmlänge und FSK-Einstufung. Die Erfassung erfolgte einheitlich für alle Filme aufgrund der Daten des Filmportals Filmdienst.de.

9) Hauttypen nach Fitzpatrick (1975), zusammengefasst in „heller“, „mittlerer“ und „dunkler“ Typ.

10) Wie alle anderen wurde auch diese Variable nur dann codiert, wenn sie in der Darstellung im Film eindeutig zu erkennen war, also z. B. unzweifelhaft aufgrund von Aussagen oder von Verhaltensweisen einer Figur auf gute oder böse Eigenschaften geschlossen werden konnte.

 

Literatur:

Bawden, L./Tichy, W. (Hrsg.): Rororo Filmlexikon. Filme A–J. Filmbeispiele, Genres, Länder, Institutionen, Technik, Theorie. Reinbek bei Hamburg 1978

Behmel, A./Brauch, E.: Lexikon der Filmschurken. Killer, Monster und Gegenspieler aus hundert Jahren Film-und Fernsehgeschichte. Stuttgart 2020

Eder, J.: Die Figur im Film. Grundlagen der Figurenanalyse. Marburg 2014

Fitzpatrick, T. B.: Soleil et peau. In: Journal de Médecine Esthétique, 2/1975, S. 33–34

Irsigler, I./Lembke, G./Strank, W. (Hrsg.): Actionkino. Moderne Klassiker des populären Films. Berlin 2014

Pieper, A.: Gut und Böse. München 1997

 

Autorinnen und Autoren

Maximilian Pakusa absolvierte seinen Bachelor in Kommunikationswissenschaft und Lehr-, Lern- und Trainingspsychologie an der Universität Erfurt. Aktuell studiert er den Master Kinder- und Jugendmedien an der Universität Erfurt.

Marie Radau ist Studentin der Kommunikationswissenschaft und Lehr-, Lern- sowie Trainingspsychologie an der Universität Erfurt und absolviert derzeit ein Praktikum bei Mashup Communications in Berlin.

Judith Sophie Richter studiert Kommunikationswissenschaft und Erziehungswissenschaft an der Universität Erfurt. Gegenwärtig absolviert sie in Erfurt ein Praktikum bei der Digital Content Agency NEU PRODUCTION.

Lisa Zirk studierte Kommunikationswissenschaft und Lehr-, Lern- und Trainingspsychologie an der Universität Erfurt. Derzeit lebt sie in Stuttgart und absolviert ihren Master im Bereich Unternehmenskommunikation an der Hochschule der Medien.

Dr. phil. Dr. rer. soc. Patrick Rössler ist Professor für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt „Empirische Kommunikationsforschung/Methoden“ an der Universität Erfurt. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf den Gebieten der politischen Kommunikation, der Medienwirkungsforschung und der visuellen Kommunikation.