Kommunizieren und Herrschen

Zur Genealogie des Regierens in der digitalen Gesellschaft

Janosik Herder

Bielefeld 2023: transcript
Rezensent/-in: Hans-Dieter Kübler

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 3/2023 (Ausgabe 105), S. 85-86

Vollständiger Beitrag als:

Gegen die sogenannte „Kommunikationshypothese“, wonach Kommunikation „das Wesen des Menschen“ sei (S. 10), mit all den entwickelten Mitteln und Medien die Humanentwicklung vorangetrieben habe und nicht zuletzt ein unabdingbares Konstituens für Aufklärung und Demokratie verkörpere, macht der Autor in seiner Dissertation eine gegenteilige Argumentation auf: nämlich „Kommunikation als Macht“ (S. 12) und das sogenannte „Kommunikationsdispositiv“ als „politische Rationalität“ der Regierung von Subjekten (S. 27). Solche Setzung wirkt befremdlich, wird auch bis zum Ende nicht gänzlich plausibel, zumal der Begriff der Kommunikation offen, wenn nicht beliebig bleibt, eröffnet gleichwohl einige markante Einblicke in die europäische Kulturgeschichte. Denn für sie liefert Janosik Herder im Sinne Foucaults eine Genealogie, eine „Gegenerzählung“, die er mit der Veränderung der Kriegsführung im 18. Jahrhundert beginnen lässt und bis in unsere digitale Gegenwart, zum sogenannten „kommunikativen Kapitalismus“ (S. 224 ff.), fortführt. Mit der optischen, später elektrischen Telegrafie konnte die Machttechnik von der rigorosen Disziplin zur geistig-kommunikativen Führung der Soldaten wechseln. Im 19. Jahrhundert wurden mit „Entdeckung der Information, [der] Entdeckung der körperlosen Nachricht, die zwischen Sender und Empfänger zirkuliert“ (S. 144), durch Kybernetik und Informationstheorie der Zugriff auf und die Verfügung über das Subjekt als Ganzes erweitert, sodass es sich gegen die digitale Vernetzung und permanente mediale Vereinnahmung im 21. Jahrhundert nur noch mit der Entkoppelung des Selbst widersetzen kann. All diese Argumente seien „politische Theorie“, heißt es ganz am Ende (S. 262); in der nur kurz gestreiften „politischen Praxis“ bleiben nur Distanz, womöglich Abstinenz, Kritik, Widerstand und die unermüdliche Suche nach „echter“ Kommunikation.

Prof. i. R. Dr. Hans-Dieter Kübler