„Das Smartphone bremst die Selbstreflexion aus!“

Christina Heinen im Gespräch mit Sarah Diefenbach

Soziale Beziehungen sind entscheidend für unser Empfinden von Glück und für die Selbsteinschätzung, ob wir unser Leben als gelungen bewerten, so das zentrale Ergebnis der Harvard-Langzeitstudie zu Glück. Aber gilt das auch für soziale Kontakte in der digitalen Welt? Wie wirken sich die Psychologie und die Eigendynamik sozialer Medien auf die Suche nach dem Glück aus? Darüber sprach mediendiskurs mit Dr. Sarah Diefenbach, Professorin für Wirtschaftspsychologie mit Schwerpunkt „Digitalisierung und Mensch-Technik-Interaktion“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 4/2023 (Ausgabe 106), S. 38-40

Vollständiger Beitrag als:

Welchen Stellenwert nimmt die Suche nach Glück in den sozialen Medien ein?

Grundsätzlich keinen anderen Stellenwert als sonst im Leben auch. Das Streben nach Glück und danach, ein gutes Leben führen zu wollen, treibt Menschen immer an. Die sozialen Medien bieten ein Forum für den Austausch über vielfältige eventuell glücklich machende Lebensführungen – oft ist allerdings auch ein Appell dabei, welche Lebensweise richtiger als eine andere ist. Durch den ständigen Vergleich bei der Suche nach dem gelingenden Leben können Druck und Stress entstehen.

Der soziale Vergleich spielt eine große Rolle, wobei Reichweite und Vergleichsgruppe viel größer sind als offline und kommerzielle Interessen bei vielen Profilen mit hineinspielen ...

Anders als im realen Leben ist jedes Bild, jedes Video inszeniert. Man entscheidet sehr bewusst, was man zeigt und was nicht – welche Bildausschnitte, welche Botschaften. Aus psychologischer Sicht muss man das kritisch betrachten. Eine Untersuchung zu diesem Thema ist überschrieben mit: „They Are Happier and Having Better Lives than I Am.“ Der Ausschnitt, den man in den sozialen Medien sieht, ist nicht repräsentativ für ein ganzes Leben. Natürlich zeigt man eher beispielsweise Urlaubsmomente, glückliche Situationen und nicht den Alltag, Streit oder Ärger. Das alles ist dann oft zusätzlich noch mit kommerziellen Motiven verwoben, was nicht leicht erkennbar ist.
 


Anders als im realen Leben ist jedes Bild, jedes Video inszeniert.


 

Haben sich in und durch die neuen Medien Vorstellungen, wie man glücklich werden kann, verschoben?

Verglichen mit antiken Glücksvorstellungen, denen zufolge man zum Glück nichts beitragen konnte – das fiel einem zu oder auch nicht –, ist Glück heute etwas, das man sich erarbeiten kann, es ist zählbar. Freunde, Follower, Likes, das sind Glückswährungen. „Mache dies morgens und jenes abends …“ Es wird das Bild vermittelt: „Du musst nur diesem Plan folgen; und wenn du das nicht tust, bist du selbst schuld.“ Listen wie „10 Wege zu …“ geben ein klares Ziel vor, welches Glück verspricht. Individuell müsste natürlich gefragt werden, ob ich dahin will. Ist das mein Glück? Diese vielen Wege und Vorstellungen können sehr überfordernd sein.

Zeit scheint ein wichtiger Faktor zu sein. Leerlauf und unverplante Zeit sind innerhalb der sozialen Medien nicht vorgesehen – im Gegenteil: Nutzer haben das Gefühl, immer weniger Zeit zu haben.

Das ist die große Herausforderung, sich da selbst bewusst abzugrenzen. Es ist ja nicht so, dass die Technik an sich fordert – wir müssen uns dieser ja nicht ständig zuwenden. Aber es ist sehr verführerisch, sich immer wieder Informationen zu holen bzw. selbst Inhalte hochzuladen, um darüber dann auch wieder Rückmeldung und Bestätigung von anderen zu erhalten. Das ist natürlich auch ein Zeitfresser.

Die Eigendynamik der Technik ist schon stark: Allein das „Gelesen“-Häkchen oder „zuletzt online“ setzt gerade Kinder oft unter Druck, permanent in der Interaktion zu bleiben, um nicht den sozialen Ausschluss zu riskieren.

Da sehe ich auch die Gestalter der Technik in der Pflicht. Welches Erlebnis soll unterstützt werden? Wenn in den sozialen Netzwerken wirklich Verbundenheit zwischen den Menschen gestärkt werden soll, führt das Zählbarmachen von Popularität und Freundschaften in das genaue Gegenteil und stützt statt Verbundenheit Wettbewerb und Neid. Aber auch als Nutzer habe ich Handlungsoptionen und kann mir den Stress etwas nehmen, indem ich beispielsweise das „Gelesen“-Häkchen ausschalte.

Warum sind Langeweile und Leerlauf so wichtig für das Glücksempfinden und für die unmittelbare Wahrnehmung, also eine Situation direkt zu spüren und zu erleben?

Langeweile oder ungefüllte Zeit kann auf vielen Ebenen bereichernd sein. Einerseits ist es entlastend – ich kann einmal durchatmen. Die Aufmerksamkeit verlagert sich, beispielsweise auf den Käfer, der über mein Bein krabbelt. Das kann eine Form von Glücksgefühl hervorrufen. Nicht umsonst gibt es eine ganze Achtsamkeitsbewegung.

Weiterhin kann der Moment des Gedanken-schweifen-Lassens dazu führen, dass man in die Reflexion kommt – über sich selbst, die Welt etc. Diesen Prozess zu durchlaufen, führt manchmal dazu, seinen eigenen (Glücks‑)Weg zu überdenken und für sich ganz persönlich zu entscheiden, was nächste Schritte sein können.
 


Langeweile oder ungefüllte Zeit kann auf vielen Ebenen bereichernd sein.



Eine von uns durchgeführte Studie hat sich mit der Smartphone-Nutzung in Zeiten des Alleinseins beschäftigt. Dabei ist herausgekommen, dass viele das Smartphone als ein Attachment Object, als ein Beruhigungsobjekt nutzen (ähnlich wie bei kleinen Kindern der Schnuller oder das Kuscheltier). Je stärker es diese Funktion der Regulierung von Emotionen hat, umso weniger ist die Selbsteinsicht ausgeprägt in Zeiten des Alleinseins. Im Umkehrschluss heißt das: Das Smartphone bremst die Selbstreflexion aus, was eher auf die Seite des Unglücksempfindens einzahlt. Es macht auf der Reflexionsebene einen Unterschied, ob ich den Moment mit meinem Smartphone festhalte, indem ich ein Bild mache, oder ob ich ihn ganz für mich einfach wahrnehme. Wir kennen die Situation alle im Urlaub: Aussichtspunkt erreicht, Foto machen, weiter. Selten lassen wir den Moment auf uns wirken.

Das verändert auch unsere Erinnerung. Oft existiert diese nur noch über das geschossene Bild. Das, was darauf zu sehen ist, prägt die Erinnerung an den Moment. Gibt es hingegen keine Bilder, behält man oft noch andere Erinnerungen im Kopf. Fällt es uns so schwer, die Technik einfach als Werkzeug zu sehen, weil wir sie so stark zur Regulierung unserer Emotionen nutzen?

Ja, das Smartphone ist etwas immer Verfügbares, mit dem man sich schnell Ablenkung verschaffen kann. Früher musste man sich viel mehr anstrengen, um sich derartige positive Gefühle zu verschaffen. Aber man stumpft eben auch schneller ab. Man hat sich an die Belohnung gewöhnt; sie hilft irgendwann nicht mehr dabei, sich gut zu fühlen.

Wie funktioniert die intermittierende Belohnung in den sozialen Netzwerken?

Das ist ein Konzept aus der Lerntheorie. Um jemandem ein Verhalten anzutrainieren, ist es am effektivsten, wenn man dieses Verhalten belohnt – und zwar nur unregelmäßig, aber immer wieder. Das heißt: Ich lerne, wenn ich erwünschtes Verhalten zeige, werde ich eventuell belohnt. Übertragen auf die sozialen Netzwerke bedeutet das: Selbst wenn ich mich in neun von zehn Fällen aufrege, ärgere oder herunterziehen lasse, die Male, wo mich Informationen oder Reaktionen von anderen glücklich gemacht haben, wirken so stark, dass es verführerisch ist, sich immer wieder in den Netzwerken aufzuhalten.

Die Wirkung ist sogar stärker, als wenn ich mich darauf verlassen könnte, dass ich jedes Mal eine Verbesserung meiner Stimmung erlebe?

Zumindest was die Persistenz angeht. Wenn ich jedes Mal eine Verstärkung bekomme und das gelernt habe, würde ich das Verhalten nicht mehr zeigen, wenn die Belohnung nur einmal ausbleibt. Die Resistenz gegen Löschung ist bedeutend stärker, wenn ich von vornherein gelernt habe, dass ich die Belohnung nur ab und zu bekomme.

Steckt darin ein gewisses Suchtpotenzial?

Beim Suchtbegriff ist immer die Frage, wie man ihn definiert. Eine Definition besagt, eine Sucht ist es dann, wenn man es nicht sein lassen kann, auch wenn man es gern möchte, und wenn andere Lebensbereiche zugunsten der Sucht vernachlässigt werden. Das ist bei der Social-Media-Nutzung schwer zu fassen. Wann könnte man da eindeutig sagen, dass andere Lebensbereiche vernachlässigt werden? Ein Abhängigkeitspotenzial ist da. Das merkt man z. B., wenn Personen nervös werden, sobald die Verfügbarkeit von sozialen Medien eingeschränkt ist, es z. B. kein WLAN gibt.

Eine medienpädagogische Frage zum Schluss: Was können Eltern tun, um ihre Kinder zu unterstützen, auch im Kontext sozialer Medien glücklich heranzuwachsen?

Es hängt sehr vom Alter ab, was man an Selbstregulationskompetenz erwarten kann. Bei jüngeren Kindern sollte man die Nutzung z. B. von YouTube zeitlich begrenzen. Bei älteren Kindern könnte ein Ansatzpunkt sein, bewusster zu machen, wie viel Zeit „verloren“ geht, wenn man sich permanent in den sozialen Medien aufhält. Man sollte Kindern dabei helfen, einen selbstbestimmten Umgang zu finden, Wahlmöglichkeiten offenlegen und eventuell konkret trainieren, dass nichts Schlimmes passiert, wenn ich beispielsweise eine Nachricht nicht direkt beantworte. Ich glaube, das sind Ansatzpunkte, aber letztlich müssen Kinder und Jugendliche selbst ihre Erfahrungen sammeln.
 

Weiterführende Literatur:

Chou, H./Edge, N.: „They Are Happier and Having Better Lives than I Am“: The Impact of Using Facebook on Perceptions of Others’ Lives. In: Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking, 2/2012/15, S. 117–121. Abrufbar unter: DOI: 10.1089/cyber.2011.0324

Diefenbach, S./Borrmann, K.: The Smartphone as a Pacifier and its Consequences: Young adults’ smartphone usage in moments of solitude and correlations to self­reflection. In: Proceedings of the 2019 CHI Conference on Human Factors in Computing Systems (CHI ’19). Association for Computing Machinery, New York, Mai 2019. Paper No. 306, S. 1–14. Abrufbar unter: DOI: 10.1145/3290605.3300536

Traxler, T.: Größte Langzeituntersuchung: Jahrzehntelange Studie enthüllt, was uns wirklich glücklich macht. In: Der Standard, 29.01.2023. Abrufbar unter: www.derstandard.de

 

Dr. Sarah Diefenbach ist Professorin für Wirtschaftspsychologie mit Schwerpunkt „Digitalisierung und Mensch-Technik-Interaktion“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Christina Heinen ist Hauptamtliche Prüferin in den Prüfausschüssen der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).