Das Fernseharchiv. Der Fall: „Sielmann 2000“

Christian Richter

Dr. Christian Richter ist Medienwissenschaftler und Referent für Medienbildung am Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg. Sein Forschungsschwerpunkt ist u.a. die Programmgeschichte des Fernsehens.

Eigentlich wollte der beliebte Tierfilmer Heinz Sielmann mit seinem neuen Projekt ein eindringliches Plädoyer für mehr Naturschutz liefern, doch stattdessen gab es Ärger mit seinem Haussender und einen kommerziellen Misserfolg. Das Fernseharchiv blickt diesmal auf eine beeindruckende Dokureihe zurück, die das Ende von Heinz Sielmanns TV-Karriere einläuten und dennoch Gutes bewirken sollte.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 2/2023 (Ausgabe 104), S. 14-15

Vollständiger Beitrag als:

Wie ist es nur möglich, daß ein Sender in unserer demokratischen Medienlandschaft eine derartige Diktatur aufbaut?“1

Der sonst besonnen auftretende Tierfilmer Heinz Sielmann zeigte sich gekränkt und entsetzt, nachdem die ARD entschieden hatte, künftig nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten zu wollen. Dabei war er kurz zuvor als „Eckpfeiler in der ARD“ gelobt und seine Sendung als derart zentral beschrieben worden, dass diese „aus dem Programm gar nicht mehr wegzudenken“ sei (Westphal 1991). Was war geschehen?

Bis zum Herbst 1991 galt Heinz Sielmann als ein beliebtes Gesicht des NDR. Er genoss nicht nur ein international hohes Ansehen, sondern auch einen großen Publikumszuspruch. Insbesondere in seiner Reihe Expeditionen ins Tierreich, die ab 1965 sechsmal im Jahr zur besten Sendezeit im Ersten lief, zeigte er so nah und detailliert wie nie zuvor das Leben, das Verhalten und die Interaktionen von Wildtieren in ihren natürlichen Umgebungen. Seine blumigen, vermenschlichenden Sprachbilder und seine angenehm ruhige Erzählweise verhalfen den Filmen zwar zu einer „permanenten Possierlichkeit“ (Niedenthal 2006), verschleierten jedoch, mit welchem Einsatz diese entstanden. Bezugnahmen auf aktuelle Verhaltensforschungen, Dreharbeiten an den abgelegensten Orten der Welt, innovative Film- und Beobachtungsmethoden sowie enorme Ausdauer waren die Voraussetzungen für seine außergewöhnlichen Werke. Unbestritten war Heinz Sielmann am Ende der 1980er-Jahre eine deutsche Ikone, die fest zum kollektiven deutschen Fernsehgedächtnis gehörte.
 


Allein im Rahmen von Expeditionen ins Tierreich hatte er bereits rund 150 Beiträge produziert, als er im Jahr 1987 mit seinem Kollegen Lutz Bergmann das Konzept für ein neues Format entwickelte und dieses zwei Jahre später seinem Haussender NDR vorlegte. Darin plante er, an die Drehorte seiner früheren Dokumentationen zurückzukehren, um auf diese Weise die Zerstörung der Natur durch den Menschen zu veranschaulichen. Nach Angaben von Sielmann war das Projekt auf ein anfängliches Interesse gestoßen, allerdings ließ die Umsetzung auf sich warten: „Alle waren begeistert, passiert ist nichts“ (Tennigkeit 1991). Dieses Zögern sorgte bei Sielmann für großen Unmut.

Als dann Lutz Bergmann im Jahr 1990 zum Unterhaltungschef des aufstrebenden Privatsenders RTLplus ernannt wurde, ergab sich die Möglichkeit, Sielmanns Herzensprojekt dort zu platzieren. Und so produzierte er seine Filme erstmals für das kommerzielle Fernsehen. Über dieses neue Engagement war sein bisheriger Arbeitgeber wenig begeistert. Schließlich galt damals in der ARD die sogenannte Konkurrenzausschlussklausel, nach der es „programmprägenden Persönlichkeiten“ untersagt war, gleichzeitig im eigenen Programm und bei privaten Anbietern in Erscheinung zu treten. Mit diesem Grundsatz versuchte man, eine Abwanderung der Sendergesichter an die erstarkende Konkurrenz zu verhindern. Der damalige Programmdirektor des NDR, Jürgen Kellermeier, der auch innerhalb der ARD für Expeditionen ins Tierreich zuständig war, setzte sich noch für Sielmann ein und kritisierte die Regelung öffentlich: „Diese Grundsatzentscheidung ist nicht elastisch genug. Man muß unter der Würdigung des Einzelfalls Ausnahmen machen können“ (Kellermeier in: dpa 1991). Doch es half nichts. Eine Abstimmung unter den Programmdirektoren ergab, dass Heinz Sielmann fortan nicht mehr im Programm der ARD auftreten durfte. Damit wurde er das erste prominente Opfer der umstrittenen Klausel, die nur wenig später nicht mehr eine solch strenge Anwendung finden sollte.

Diese Entscheidung provozierte Sielmanns eingangs zitierten Vorwurf gegen die Anstalt. In seinen Augen galt „es längst nicht mehr als anstößig beim Fernsehen, auch einmal ‚fremdzugehen‘“ (ebd.). Sein Schimpfen blieb unbeachtet. Aus einer schon angesetzten Ausgabe von Expeditionen ins Tierreich über Grönland wurde Sielmann kurzerhand herausgeschnitten und durch einen anderen Kommentator ersetzt. Die Zuschauenden erhielten dazu lediglich den kurzen Hinweis, dass Sielmann die Sendung wegen „anderweitiger Verpflichtungen“ nicht moderieren könne. So unrühmlich endete eine über 30-jährige Zusammenarbeit.
 


Es galt längst nicht mehr als anstößig beim Fernsehen, auch einmal ‚fremdzugehen‘“



Unter großer medialer Aufmerksamkeit und dem progressiven Titel Sielmann 2000 – Rückkehr in die Zukunft feierte die neue Reihe am 3. Oktober 1991 im Abendprogramm von RTLplus ihre Premiere. Am Montagabend um 21.15 Uhr reiste der mittlerweile 74-jährige Heinz Sielmann fortan im monatlichen Abstand erneut in die Nebelwälder von Afrika, auf die Galapagosinseln, an die Quelle des Amazonas, in die Wälder Kanadas oder in die Gebirge von Mitteleuropa. Hierbei kombinierte er aktuelle und frühere Filmaufnahmen derart miteinander, dass ein erschreckender Beweis entstand, wie sich die paradiesischen Naturräume in den vergangenen Jahren durch den Einfluss des Menschen verändert hatten. Untermalt waren die Dokumentationen mit Sielmanns sonorer Stimme und mit sphärischen Klängen, die der Sänger Michael Holm zusammen mit dem Komponisten Kristian Schultze, den Münchner Symphonikern und dem Gitarrenspieler Johan Daansen extra dafür produzierte. Ergänzend zur Sendung waren ein begleitender Bildband sowie die jeweilige Episode kurz nach ihrer TV-Ausstrahlung als Video käuflich erhältlich.

Sielmann 2000 lieferte beeindruckendes Fernsehen mit einem ernst gemeinten Anliegen. Dennoch reichte all das offenbar nicht aus, denn der Zuspruch blieb verhalten. Zu fremdartig wirkte das Projekt wohl zwischen all den alten Krimis und schrill-schrägen Shows, die das Bild von RTLplus damals sonst prägten. Weil zudem die Produktionskosten sehr hoch waren, wurden von ursprünglich 13 geplanten nur zehn Folgen realisiert und ausgestrahlt.

Nach diesem Rückschlag drehte Sielmann ab 1993 noch eine kurze Serie für SAT.1, in der er unter dem Titel Der Heinz Sielmann Report die Bedrohung von einheimischen Tierarten und Lebensräumen durch Tourismus und Verkehr in den Blick nahm. Diese Filme konnten aber auch nicht mehr die Sehbeteiligungen erreichen, die Sielmann einst erzielt hatte. Danach beendete er seine Arbeit für das Fernsehen, wodurch Sielmann 2000 letztlich den Zirkelschluss, den Höhepunkt und das Ende der langen Karriere von Heinz Sielmann darstellte.

Obwohl die Reihe nicht den Einfluss entfalten konnte, den sich Sielmann erhofft hatte, bildete sie einen wichtigen Ausgangspunkt für die Gründung seiner nach ihm benannten Stiftung im Jahr 1994. Diese schafft bis heute durch den Kauf von großen Landflächen Biotope und Schutzreservate für bedrohte Arten und erhält sie – auch, um mit ihnen Kinder und Jugendliche für den Naturschutz zu begeistern.
 

Anmerkung:

1 Heinz Sielmann in: dpa. A. a. O., 24.09.1991
 

Literatur:

dpa: Tierfilmer zu RTLplus. In: taz, 24.09.1991, S. 18

Niedenthal, C.: Nachruf. Poet von Wald, Wiese und Wüste. In: taz, 09.10.2006, S. 21

Tennigkeit, U.: Buhmann oder Opfer? In: Hörzu, 36/1991, 30.08.1991, S. 16

Westphal, R.: An die Zuschauer denkt keiner. In: Hörzu, 36/1991, 30.08.1991, S. 16