Amazon

Ein Big Player auch im Kinder- und Jugendzimmer

Simon Barth, Daniel Hajok, Lena Kuhn

Während Alphabet und Meta allein mit ihren Diensten Google, YouTube und Google Play bzw. Facebook, Instagram und WhatsApp bereits seit einigen Jahren einen immensen Einfluss auf den Alltag von Kindern und Jugendlichen ausüben, steht Amazon bis heute eher nicht im Fokus einer kritischen Betrachtung. Vor nunmehr 30 Jahren als Onlinebuchhandlung gestartet, ist die Amazon.com, Inc. längst ein global agierender Player, der mit seinen diversen Diensten, Plattformen, Soft-/Hardware­lösungen und infrastrukturellen Services den Alltag Heranwachsender mehr prägt, als man auf den ersten Blick vermutet.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 3/2023 (Ausgabe 105), S. 52-55

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Die gegenwärtige Ökonomie ist davon geprägt, dass große Teile der Produktivität und Monetarisierung von der Verarbeitung von Informationen abhängen. Die Firmen sind dabei global in Netzwerken organisiert, was die gemeinsame und aufeinander Bezug nehmende Nutzung von Daten ermöglicht. Schon früh waren die sogenannten GAFAM-Unternehmen (Google, Amazon, Facebook, Apple, Microsoft) die zentralen Akteure: Sie geben den Ton an, machen politische Strategien zur Regulierung des Internets im Sinne ihrer wirtschaftlichen Interessen aus und prägen längst die digitale Welt (Schmidt 2021). Mit Messengerdiensten, Social-Media-Plattformen und vernetzten Spielewelten bauen sie eine besondere Bindung zu jungen Menschen auf.

Die bei der Nutzung der Dienste gesammelten Daten werden nach Trends, Mustern und Korrelation analysiert, um Marktforschung und Produktentwicklung zu fördern. Darüber hinaus werden sie monetarisiert, indem sie zur Platzierung gezielter Werbung innerhalb des Netzwerkes genutzt werden und zur Erzeugung digitaler Abbilder bzw. assemblierter „data double“ der Nutzer*innen dienen, welche teilweise auch staatlichen Zwecken zur Verfügung gestellt werden (ebd.). Nicht zuletzt Amazon hat sich früh auf den Weg gemacht, um den Kampf um das kommerzielle Internet für sich zu entscheiden (Leisegang 2013). Mittlerweile besetzt die Amazon.com, Inc. mit ihren diversen Subunternehmen und Diensten viele Graphen und generiert eine nicht zu unterschätzende Plattformmacht (Seemann 2021), die sich auch im Kinder- und Jugendalltag ihren Weg bahnt (siehe Tabelle 1).

Für Kinder sind die Geräte in Verbindung mit dem Kids+-Abo von besonderer Relevanz. Neben der entsprechenden Verarbeitung und dem Design erscheinen sowohl die altersgerechte inhaltliche Ausrichtung als auch die Möglichkeit der Eltern, den Zugriff zu steuern, attraktiv. Letzteres fällt im Hinblick auf die Tablet-Nutzung besonders ins Gewicht: Die meisten Kinder ab 6 Jahren (56 %) nutzen sie alleine – da bietet das Fire-Kids-Tablet als vermeintlich kindgerechte Variante eine verlockende Option (mpfs 2023). So sammelt Amazon nicht nur marktrelevante Daten im Kinderzimmer, sondern gestaltet mit der Kuration des eigenen Angebots z. B. über Audible oder Kindle auch die digitalen Lebenswelten der Kinder mit. Ergänzend gibt es Projekte wie Create with Alexa, womit Kinder anhand einer generativen KI mit wenigen Befehlen („prompts“) vermeintlich eigene Geschichten schaffen können, wodurch aktiv kindliche Gestaltungsprozesse und die Bildung eigener Imagination beeinflusst werden. Bei Jugendlichen fokussiert Amazon nicht zuletzt auf den Gaming-Sektor. Während man mit der eigenen Entwicklungsfirma Amazon Game Studios bisher nicht groß aufgefallen ist, ist es insbesondere die Live-Streamingplattform Twitch – seit 2014 zu Amazon.com, Inc. Gehörend –, die fester Bestandteil der Netzkultur ist. Durch das interaktive Streamen von Let’s Plays und E‑Sport-Events profitiert Amazon so auch unabhängig von eigenen Produktionen im stetig wachsenden Gaming-Sektor.

Neben den diversen eigenen Angeboten gibt es unter dem Dach von Amazon technische Dienste und Infrastrukturen, auf denen andere Schwergewichte der digitalen Welt, die ihrerseits Kinder und Jugendliche ins Visier nehmen, aufbauen – bestes Beispiel ist Amazon Web Services (aws). Früh erkannte Amazon den Geschäftszweig, anderen Firmen flexible Speicherkapazitäten, die passende Cloud-Infrastruktur sowie umfangreiche Datenanalysen zu ermöglichen. Das bereits 2006 gegründete Tochterunternehmen aws operiert im Bereich des Cloud Computings seit Jahren marktführend und rangiert aktuell weit vor dem Konkurrenten Microsoft Azure.

Die gegenseitige Nutzung der im Netzwerk verfügbaren Ressourcen und Daten ist mit aws möglich. Mit jeder Firma wird die Interaktionsstruktur attraktiver für weitere Unternehmen, insbesondere für Amazon selbst. In einem Baukastensystem können Kund*innen verschiedene Dienste von aws mieten und nutzen. Unter dem Oberbegriff „S3“ wird Speicherplatz zur Verfügung gestellt; „EC2“ steht für das Angebot von Rechenkapazität. Für den Gaming-Bereich etwa sind fünf spezielle Dienste im Portfolio. Amazon GameLift ist z. B. eine Serververwaltung für Multiplayer, die u. a. von Ubisoft (z. B. Assassin’s Creed) genutzt wird.

Betrachtet man die Kund*innen von aws, sind neben weiteren Gaming-Größen wie Epic Games und dem dazugehörigen Unreal Engine auch TV-Sender, Streamingdienste, Plattformen sowie große Unternehmen ganz anderer Branchen (z. B. mHealth-App Flo) und auch Behörden (z. B. Europol) vertreten. Tabelle 2 listet nur einige wenige für Kinder und Jugendliche relevante Onlinedienste auf, die aktuell auf aws-Services bauen.

Die Einspeisung von Nutzer*innen-Daten aller Art erfolgt somit häufig nicht über eigene Dienste, sondern über die in aws gehosteten Server der Anwendungen selbst. Das wird gerade dann ersichtlich, wenn es nicht funktioniert. Leaks bei Facebook-Diensten etwa waren in der Vergangenheit eigentlich Leaks bei aws. Instagram und WhatsApp, seit Jahren überaus beliebte Apps Heranwachsender, waren eigenständige treue aws-Kunden, wurden letztes Jahr aber in eine eigene Struktur von Meta übertragen. Ein wichtiger Kunde war in der Vergangenheit auch Spotify. Die Nummer eins der Musikstreaming- und Podcast-Nutzung in Deutschland (Oehsen 2022) wechselte allerdings bereits 2016 von aws zu Google Cloud.

Großer Bestandskunde ist Snap Inc., die Firma hinter Snapchat, ebenfalls ein für die meisten Heranwachsenden unverzichtbarer Dienst. Jüngst hat Snapchat viele Neuerungen eingeführt, die wie die gesamte Infrastruktur des Unternehmens auf aws laufen. Mit MyAI ist nun in jedem Profil ein persönlicher Chatbot integriert, der technisch auf ChatGPT basiert und das Chatten mit einer KI ermöglicht. Brisant dabei ist, dass Nachrichten zu Zwecken der Datenakquise ausgewertet werden und die vermittelten Inhalte nur mittels händischen Löschens der einzelnen Nachrichten entfernt werden können. Nach einer auf aws.amazon.com abgelegten Case Study zu Snap lagerten im Jahr 2022 über 1,5 Bio. Fotos und Videos von Snapchat-Nutzer*innen (vermeintlich sicher) auf aws-Servern. Mittlerweile gibt es obendrein eine Partnerschaft mit Meta, um gezielt Inhalte auszuwerten.

Mit ihren diversen Diensten, Plattformen, Soft‑/Hardwarelösungen und infrastrukturellen Services ist auch die Amazon.com, Inc. fest im Alltag junger Menschen verankert. Auch wenn der Konzern oft nicht selbst als Inhalte- oder Diensteanbieter auftritt, sondern technische Lösungen für andere zur Verfügung stellt, verdient er fast an jedem Kinofilm, neu erschienenen Game, Internettrend mit, verarbeitet unzählige Daten von jungen Nutzer*innen und speist sie in die Netzwerke ein. Nicht nur aufgrund der besonderen Auslegung des Datenschutzrechts (Khan 2017) sollte ein kritischer Blick nicht an dem „stillen Vertreter“ Amazon vorbeigehen.
 

Literatur:

Feierabend, S./Scolari, J.: Was Kinder sehen. Eine Analyse der Fernsehnutzung Drei- bis 13‑Jähriger 2021. In: Media Perspektiven, 4/2022, S. 177 – 191

Khan, L. M.: Amazon’s Antitrust Paradox. In: The Yale Law Journal, 126/2017, S. 710 – 805. Abrufbar unter: https://www.yalelawjournal.org

KiMMo: Kinder Medien Monitor (KiMMo) 2022. Berichtsband 2022. Bremen u. a. 2022. Abrufbar unter: https://kinder-medien-monitor.de

Leisegang, D.: Amazon und die Strategie der tödlichen Umarmung. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 4/2013, S. 101 – 109

mpfs (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest) (Hrsg.): JIM-Studie 2022. Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19‑Jähriger. Stuttgart 2022

mpfs (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest) (Hrsg.): KIM-Studie 2022. Kindheit, Internet, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13‑Jähriger. Stuttgart 2023

Oehsen, D. von: Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2022. Lineare und non-lineare Audionutzung im Internet nehmen weiter zu. In: Media Perspektiven, 10/2022, S. 479 – 486

Prime Gaming: Prime Gaming. Amazon 2023. Abrufbar unter: https://gaming.amazon.com

Schmidt, F.: Netzpolitik. Eine feministische Einführung. Opladen/Berlin/Toronto 2021

Seemann, M.: Die Macht der Plattformen. Politik in Zeiten der Internetgiganten. Berlin 2021

 

Simon Barth ist Student im Master Kinder- und Jugendmedien. Dabei setzt er sich insbesondere mit Medienaneignungsprozessen auseinander.

Dr. Daniel Hajok ist Honorarprofessor am Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Erfurt und Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Kindheit, Jugend und neue Medien (AKJM) in Berlin.

Lena Kuhn ist Studentin im Master Kinder- und Jugendmedien. Ihr Schwerpunkt sind Schnittstellen politischer Kommunikation und sozialer Medien, insbesondere TikTok.