Zukunftsmusik

Film und Musik für die Welt von morgen

Georg Maas, Susanne Vollberg (Hrsg.)

Marburg 2023: Schüren
Rezensent/-in: Marcus Stiglegger

Buchbesprechung

 

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 3/2023 (Ausgabe 105), S. 87-88

Vollständiger Beitrag als:

Zukunftsmusik – wer diesen Begriff im Rahmen von Filmmusik- und Soundforschung hört, wird unmittelbar an die Soundtracks des Science-Fiction-Films denken, jene ikonischen Melodien, die längst ihren Weg in die Popkultur gefunden haben: das hymnische Star Wars-Thema von John Williams, die Melodie der originalen Star Trek-Serie, die Unheimlichkeit von Alien, die kalten Synthesizerflächen aus Blade Runner … Selbst im deutschen Fernsehen hatte es mit Raumpatrouille Orion ein legendäres Science-Fiction-Titelthema gegeben. Doch bereits diese Beispiele zeigen, wie divers der Klang der Zukunft ausfällt. Ein Buch zu diesem Thema schien eine reizvolle Ergänzung zur Genreforschung, und es erfreut, die Lücke mit dem vorliegenden Band gefüllt zu sehen.

Doch diese Freude wird nicht völlig ungetrübt bleiben, denn es handelt sich bei dem vorliegenden Band aus dem bewährten Schüren-Filmliteraturverlag nicht um eine systematische Aufarbeitung des titelgebenden Phänomens, sondern um einen diskursiven Sammelband, der sehr unterschiedliche Perspektiven an sein Thema anlegt. Nicht, dass das an sich problematisch wäre, aber es führt zu erwartbar unterschiedlichen Resultaten.

Am ehesten den geschilderten Erwartungen entspricht der filmmusikhistorisch angelegte Beitrag von Simon Spiegel, dessen Forschungsgebiet der Science-Fiction-Film ist. Hier schlüsselt er unterschiedliche Strategien von Genrefilmen auf, der Zukunft einen Klang zu verleihen: Naturalisierung, Irritation und schließlich Fremdheit in Repräsentation und Rezeption. In seinem Text kommen die einschlägigen Filmbeispiele zur Sprache. Auf dieser nützlichen Grundierung baut der aktueller orientierte Artikel von Werner Barg auf, der sich speziell der Klangwelt dystopischer Filme widmet. Es wird schnell deutlich, dass die häufig zitierte elektronische Tongestaltung nur hin und wieder eine Rolle spielt. Stattdessen bedient sich der Film gleichermaßen aus klassischer Komposition, Popmusik und elektronischen Experimenten, um die Fremdheit der spekulativen Zukunft mit der Vertrautheit des Gegenwärtigen zu verbinden. Nur selten bleibt der Sound völlig hermetisch, wie etwa in Under the Skin von Jonathan Glazer, der die Perspektive des Aliens mit experimentellen Mitteln auf das Publikum überträgt.

Etwas ungewohnt ist die Themenwahl von Mitherausgeber Georg Maas, der die Rolle von Rock’n’Roll-Songs im Film der 1950er-Jahre thematisiert – unter dem Aspekt von erwachsenen Zukunftsängsten und ästhetischem Ausdruck von Generationenkonflikten. Blackboard Jungle (1955) ist hier paradigmatisch – Aufbruchs- und Angstfantasie zugleich. Im Folgenden wendet er sich dem ost- und westdeutschen Kino zu, das jeweils Rock’n’Roll als „Zukunftsmusik“ entdeckte, wenn auch mit unterschiedlicher Entwicklung. Über ein zeitgenössisches „Mixtape“ machen sich Christiane Imort-Viertel und Peter Imort Gedanken. Sie erkunden die Songs aus der SF-Komödie Guardians of the Galaxy (2014), die sich als Retro-Science-Fiction entpuppt – mit Walkman und Mixtape als nostalgischen kulturellen Artefakten, die Veteranen der 1980er-Jahre noch vertraut sein dürften und in diesem Film dramaturgisch für Charakter- und Worldbuilding eingesetzt werden. Richard Nebe erkundet anhand des Videospiels The Legend of Zelda die Funktion von Musik in diesem Medium, wo sie Immersion ermöglicht und den Gameflow begünstigt. Dieser Beitrag arbeitet mit definitorischen Grundüberlegungen und illustriert die Argumentation mit Partiturauszügen.

Ein Werkstattgespräch mit Peter Kutin über den österreichischen Film The Trouble With Being Born gibt einen aufschlussreichen Einblick in den kreativen Prozess, wie futuristische Elemente subtil in ein auf den ersten Blick alltägliches Ambiente integriert werden können.

Die finalen kurzen Impulsessays bieten Einblicke in die Produktion und Distribution von (Film‑)Musik, in neue dekonstruktivistische Kompositionsweisen und modernisierte Stummfilmscores.

Der Sammelband ist farbig illustriert und bietet unter dem Oberthema „Zukunftsmusik“ eine betont diskursiv-diverse Herangehensweise an Film, Musik und Sound, wobei man Videospiele großzügig mitdenkt. Die Summe der Texte mag nicht dem entsprechen, was der Titel zunächst erwarten lässt, der Band bietet jedoch interessante und inspirierende Ansätze – sowohl im Blick auf Filmpraxis, Filmgeschichte und musikwissenschaftliche Analyse. Es wird deutlich, wie vielschichtig ein musikalischer Blick in die (relative) Zukunft sein kann – zumal dieser Blick hier nicht nur generisch gedacht ist.

Prof. Dr. Marcus Stiglegger