Wir sind die anderen

Ostdeutsche Medienmenschen und das Erbe der DDR

Bianca Kellner-Zotz, Michael Meyen

Köln 2023: Herbert von Halem
Rezensent/-in: Uwe Breitenborn

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 4/2023 (Ausgabe 106), S. 76-77

Vollständiger Beitrag als:

Wir sind die anderen

2023 sorgten u. a. die Bücher von Dirk Oschmann (Der Osten: eine westdeutsche Erfindung) und Katja Hoyer (Diesseits der Mauer) für Diskussionen, da sie andere Perspektiven auf den Osten und den Prozess der Wiedervereinigung einnahmen. Das vorliegende Buch tut dies auch. Es entstand im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsverbundes „Das mediale Erbe der DDR“ (LMU München, FU Berlin, ZZF Potsdam, siehe www. medienerbe-ddr.de). Die Autoren verstehen Medien als wirklichkeitsformende Kraft öffentlicher Diskurse und hinterfragen hier etablierte Narrative im „offiziellen“ DDR-Diskurs. Publiziert sind in dem Band 20 Interviews mit „Medienmenschen“, die zwischen 1950 und 1980 in der DDR geboren wurden und im weiteren Sinne im Bereich von Journalismus, Kunst oder Kultur agieren. Die Autoren gehen davon aus, dass die ostdeutsche Herkunft verschiedene Habitus-Komponenten und Voraussetzungen bedingte, die nach der Wiedervereinigung einen Nachteil bedeuteten. „Biografische Kontinuitäten oder Brüche, Anerkennung oder Abwertung, Erfolg oder Misserfolg hängen wesentlich von der sozialen Position ab, die ihrerseits durch den Diskurs zugewiesen wird“ (S. 516). Daraus resultiert auch ein anderer Blick auf aktuelle Probleme. Der Personenkreis der Interviewten ist sehr heterogen. Beispielhaft seien hier nur Vera Lengsfeld, die Buchhändlerin Susanne Dagen, „Rubikon“-Macher Jens Wernicke, die Künstler André Herzberg und Steffen Mensching oder MDR-Ikone Peter Escher genannt. Vorangestellt sind den Interviews Kontextualisierungen, die eine notwendige Basis zum Verständnis der teils kontroversen Positionen liefern.

Die Bilanzen fallen verschieden aus, aber nahezu alle Gesprächspartner eint der distanzierte Blick auf die (mediale) Gegenwart in der Bundesrepublik. Ihre Diktatur- und Transformationserfahrungen können einen wichtigen Beitrag leisten, um Ursachen für schwindendes Medien- und Demokratievertrauen zu verstehen, so die Autoren. Der Band begreift sich als eine Art offenes Archiv und ist ein Diskussionsangebot, das wahrgenommen werden sollte.

Dr. Uwe Breitenborn