Vertrauen in die Medien!?

Claudia Mikat

Claudia Mikat ist Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).

Claudia Mikat, Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), über die Rolle der Medien zwischen Verschwörungsideologien und rationaler Debattenkultur.

Printausgabe tv diskurs: 25. Jg., 1/2021 (Ausgabe 95), S. 1-1

Vollständiger Beitrag als:

Seit vermeintliche Patrioten auf Demonstrationen gegen die vermeintliche Islamisierung des Abendlandes erste „Lügenpresse“-Plakate in Kameras reckten, ist offenkundig, dass ein nicht geringer Teil der Gesellschaft das Vertrauen in die Mainstreammedien verloren hat. Im Coronajahr, in dem sich die gesellschaftlichen Konflikte scheinbar verstärkt haben, hat sich auch eine Glaubwürdigkeitskrise der Medien weiter zugespitzt. Zwar ist die Lage noch nicht so dramatisch wie in den USA, wo die Mehrheit der Anhänger der Republikaner nur Fox News gelten lässt und die anderen Nachrichtenmedien für volksfeindlich hält. Aber auch hierzulande finden sich immerhin 20 bis 30 % der Bevölkerung in den traditionellen Medien nicht mehr wieder und lehnen das System entsprechend ab. Parallel dazu entfalten Angst und Verunsicherung angesichts eines bedrohlichen Virus, eine sich täglich verändernde Informationslage und gezielte Falschmeldungen im digitalen Resonanzraum eine ungute Eigendynamik, gegen die seriöse Berichterstattung manchmal nur wenig auszurichten vermag.

Die Debatte darüber, inwieweit die Medien selbst verantwortlich sind für den Vertrauensverlust, erscheint notwendiger denn je, nicht erst seit Rezos Zerstörung der Presse. Selbstkritik und Selbstreflexion sind durchaus angebracht im Mediensystem des 21. Jahrhunderts mit seinen schnelllebigen Hypes und Empörungsspiralen. Es dient weder der Aufklärung noch der Glaubwürdigkeit der Medien, wissenschaftlichen Disput zum „Expertenstreit“ hochzujazzen, Scheindebatten und Shitstorms hinterherzuschreiben oder Kampagnen gegen „die“ Wissenschaft zu fahren. Auch uniforme Talkrunden mit immer gleichen Gästen oder Brennpunkte ohne echten Informationsgewinn sind kaum geeignet, das Vertrauen in die Medien zu stärken.

Deutlich geworden ist aber auch: Es gibt Menschen, die glauben, was sie wollen – völlig losgelöst von gut recherchierten Fakten aus seriösen Quellen –, und sie finden in den Echokammern des Netzes jeden Unsinn bestätigt. Manche glauben an allmächtige Strippenzieher oder Reptiloide, andere daran, dass Chemtrails die Menschheit vergiften oder die Erde eine Scheibe ist. Viele sind überzeugt, dass Bill Gates hinter der Pandemie steckt, dass die US-Demokraten Wahlbetrug begangen haben oder eine neue Weltordnung bevorsteht. Nicht wenige meinen, dass sie selbst denken, wenn sie „querdenken“, und sehen sich im Kampf gegen eine Diktatur mit anderen „Querdenkern“ vereint. Und immer noch gibt es Menschen, die abstreiten, dass das Virus überhaupt existiert. Zwar hatte man während der Trump-Präsidentschaft bereits erfahren, dass bloße Behauptungen zu Fakten und Fakten zu Meinungen umdeklariert werden, dass auch Unwahres wirkt und Botschaften selbst aus solchen Quellen hängen bleiben, die eindeutig als unglaubwürdig identifiziert sind. Trotzdem: Die große Bereitschaft vieler sehr verschiedener Menschen, die Welt der Vernunft zu verlassen, sich der Realität zu verweigern und stattdessen kruden Weltbildern anzuhängen, war vor der Pandemie nicht zu erahnen.

Das alles ist alarmierend, aber kein Grund zum Verzweifeln. Fakt ist: In Deutschland und Europa geht die große Mehrheit abstrusen Verschwörungsideologien nicht auf den Leim und hat durchaus Vertrauen in traditionelle Kanäle. Es gibt Medien, die über Medien berichten, Agenturen für Faktenchecks, Initiativen für Transparenz und die Kontrolle von Algorithmen. Es gibt zahlreiche Ansätze zur Vermittlung von Medien- und „Bullshiterkennungskompetenz“, von politischer Bildung und Streitkultur. Es wird darüber aufgeklärt, was die „Erregungswirtschaft“ antreibt und wer von Desinformation profitiert. Digitale Hasskriminalität wird bekämpft, Geschäftsmodelle, die auf Klickzahlen beruhen, ohne zwischen wahr und falsch zu unterscheiden, werden zunehmend hinterfragt. Europa hat regulatorisch einen eigenen Weg eingeschlagen und ist gewillt, die Internetriesen stärker in die Verantwortung zu nehmen.

Sicherlich ist die Frage verfrüht, was von Covid‑19 bleiben wird. Aber schon jetzt steht fest: Wir wissen heute mehr über Desinformationsdynamiken und über die Anfälligkeit von Menschen für Irrationales als noch vor einem Jahr. Auch wenn es wehtut: Es ist gut zu wissen, wie virulent Elitenhass und antisemitische Ressentiments in der Gesellschaft sind und mit welchen Narrativen Populisten daran andocken. Nur so kann es gelingen, gegenzusteuern. Dabei können wir auf viele Kräfte in unserer Gesellschaft vertrauen – auch in den Medien.

Ihre Claudia Mikat