On Making Fiction

Frankenstein and the Life of Stories

Friederike Danebrock

Bielefeld 2023: transcript
Rezensent/-in: Lothar Mikos

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 4/2023 (Ausgabe 106), S. 75-76

Vollständiger Beitrag als:

Frankenstein-Erzählungen

Die Düsseldorfer Anglistin Friederike Danebrock hat sich in ihrer englischsprachigen Dissertation mit dem Wandel und der Transformation von Geschichten am Beispiel der Frankenstein-Erzählungen auseinandergesetzt. Sie geht von einem Frankenstein-Komplex aus und möchte die Entstehung, das „making“ der Fiktion untersuchen (S. 26). Nach einer Einführung, in der die theoretischen Grundlagen erörtert werden, stellt sie die wesentlichen Erkenntnisse in drei Teilen vor: 1) Figuren („figures“), 2) Wiederholung („repetition“), 3) Gesellschaft („company“).

Der Autorin geht es in erster Linie um den Stellenwert von Fiktion. Dabei greift sie auf die Anthropologie der Moderne des französischen Philosophen Bruno Latour zurück. Damit einher geht eine Abgrenzung gegen Konzepte der Adaption, der Intermedialität, der Intertextualität, der Rezeptionsästhetik und klassischer Fiktionstheorien, die den Aspekt der Repräsentation in den Mittelpunkt stellen. Danebrock geht es in Anlehnung an die filmwissenschaftliche und linguistische Enunziation darum, dass Erzählungen wie Frankenstein aus sich heraus entstehen, aus der Geschichte der Interaktion von Produktion und Rezeption. Die Erzählung erzählt sich quasi selbst, in immer wieder anderen Variationen, Wiederholungen und inter- bzw. intramedialen Adaptionen. Fiktionale Geschichten sind daher in einer permanenten Transformation begriffen und „keine passiven Objekte“ (S. 33).

In den drei Hauptteilen untersucht Danebrock „die Besonderheiten des Frankenstein-Komplexes als fiktionale Praxis“ (S. 36). Im ersten Teil (Figuren) bezieht sie sich auf Mary Shelleys Frankenstein-Roman von 1818 und Bernard Roses Frankenstein-Film aus dem Jahr 2015. Im Mittelpunkt steht der Körper des Monsters als Problem, sowohl konzeptionell, emotional und technisch (vgl. S. 87). Damit sind verschiedene Perspektiven verbunden, die sich im Film auch in der Voice-over-Narration zeigen (vgl. S. 115).

Im zweiten Teil stehen der Film Frankensteins Braut von James Whale aus dem Jahr 1935 und die Serie Penny Dreadful im Zentrum. Im Film wird die Geschichte des Monsters als Vergangenheit in der Gegenwart erzählt. Dabei kommt es zu Variationen und Wiederholungen; es wird deutlich, dass der Körper des Monsters – ebenso wie die Erzählung – an Räumlichkeit und Zeitlichkeit gebunden ist. Die Serie stützt sich auf viele bekannte fiktionale Figuren – von Dorian Gray über Dracula bis hin zu Frankenstein. Die Zeitlichkeit der Figuren wird deutlich durch Wiederholung und Variation in einem anderen Kontext. „Hier erweckt Victor nicht nur ein, sondern insgesamt drei Wesen“ (S. 141). Auf diese Weise wird Frankenstein als serielle Figur erschaffen. Zugleich legt die Autorin Wert auf die Darstellung „der ambivalenten oder oszillierenden Beziehungen zwischen den Charakteren und ihren Temporalitäten“ (S. 185).

Der dritte Teil kreist um ein Frankenstein-Drama am National Theatre in London, den Roman Die Memoiren der Elizabeth Frankenstein aus dem Jahr 1995 sowie erneut um den Film Frankensteins Braut und Bernard Roses Frankenstein. Es geht vor allem um die „Verwerfungslinien und Verbindungen zwischen einzelnen Wesen und ihrer Umgebung, nicht nur in der Handlung, sondern auch in Bezug auf die fiktionale Produktion und Existenz“ (S. 189). Die Besonderheit des Theaterstücks war, dass die zwei Hauptdarsteller abwechselnd einmal Frankenstein und einmal die Kreatur spielten. Durch diese Maßnahme wird der Produktionsprozess deutlich. So entstehen auch Differenzen in der Wahrnehmung der Figuren, deren Bedeutung durch die „kollaborative Handlungsmacht („collaborative agency“)“ von Produktion, Geschichte und Wahrnehmung entsteht (vgl. S. 217 ff.). Der Frankenstein-Komplex kann so als „eine Dynamik des Materiellen und des Symbolischen (eine Praxis der Figuration)“ gesehen werden, die Geschichte führt zu „einer Rekonfiguration von Singularität und Alterität“ (S. 260). Fiktion erscheint als die Produktion eines anderen Weges des Seins (vgl. S. 262). Das Was und das Wie der Erzählung sind untrennbar verwoben. Letztlich bedeutet Fiktion den gleichzeitigen Verlust des Selbst und das Gewinnen von Welt (vgl. S. 266), damit eine Neugewinnung des Selbst (vgl. S. 267). In diesem Moment liegt das Vergnügen von fiktionalen Geschichten, nicht nur bei Frankenstein – oder wie es die Autorin ausdrückt: Wir sollten „unsere Monster lieben“ (S. 277).

Das Buch ist eine Tour de Force durch geisteswissenschaftliche Erkenntnisse zu Narration und Fiktion, in der anthropologische, strukturalistische, literaturwissenschaftliche, psychoanalytische und philosophische Ansätze verschmolzen werden. Der Frankenstein-Komplex dient vor allem dazu, die Theorie der Fiktion zu belegen. In diesem Sinne ist das Buch eher für philosophisch interessierte Leser als für Fans von Frankenstein interessant.

Prof. i. R. Dr. Lothar Mikos