Mit Daten sprechen

Praktiken, Expertisen und Visualisierungsmodi im Datenjournalismus

Rahel Estermann

Bielefeld 2023: transcript
Rezensent/-in: Lothar Mikos

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 3/2023 (Ausgabe 105), S. 84-84

Vollständiger Beitrag als:

Datenvisualisierung im Journalismus

Rahel Estermann befasst sich in ihrer Dissertation mit den Strukturen und Funktionen von Visualisierungen im sogenannten Datenjournalismus. Sie geht dabei nicht von einer generellen Definition von Datenjournalismus aus, sondern sieht ihn als eine journalistische Praxis, an der verschiedene Akteur*innen beteiligt sind – Programmierung, Visualisierung und Journalismus. So kann sie Datenjournalismus als Ergebnis einer „soziotechnischen Aushandlung“ betrachten (S. 21). Die Arbeit ist empirisch angelegt und folgt einem ethnografischen Ansatz. Die Autorin beobachtet zunächst das Feld des Datenjournalismus, taucht dann am Beispiel von NZZ Storytelling („Neue Zürcher Zeitung“) und BR Data (Bayerischer Rundfunk) in die Praxis von Redaktionen ein, um die Teamarbeit analysieren und verstehen zu können (vgl. S. 31 ff.). Die ganze Untersuchung ist gerahmt durch die Beobachtung des Feldes, eine offene Erkundung seiner Personen, Institutionen und ihrer Verbindungsplattformen (Ausbildungen, Newsletter, Handbücher, Twitter)“ (S. 54).

Da verschiedene Personen in den Redaktionen an den Visualisierungen von Daten beteiligt sind, gibt es Vermittler*innen, die von Estermann „Traders“ genannt werden. Sie haben die Aufgabe, „unterschiedliche Expertisen an bestimmten Punkten beidseitig anschlussfähig“ zu machen (S. 181). So können die Koordinierungsmuster zwischen technischer, grafischer und journalistischer Expertise genau herausgearbeitet werden. Dabei geht es u. a. um die Bewertung von Daten ebenso wie um deren Interpretation. Diese Koordinierungen folgen einer Sprache, in der sich die drei verschiedenen Expertisen vereinen (vgl. S. 264). Die Visualisierungen des Datenjournalismus bedeuten dann, dass nicht nur mit, sondern auch mittels Daten gesprochen wird (vgl. S. 265 ff.). Die „Traders“ sind dabei die Schlüsselfiguren, denn „sie verfügen über eine datafizierte Vorstellung der Welt, die sie in Geschichten übersetzen können; sie greifen auf ein breites visuelles Vokabular zurück, das ihnen differenzierte visuelle Aussagen ermöglicht; und sie vermögen die datenbasierten, visuellen Geschichten nach den Erfordernissen der journalistischen Professionskultur und ihren Relevanzkriterien auszurichten“ (S. 266).

Das Buch bietet tiefe Einblicke in die Strukturen und Funktionen von Visualisierungen im Spannungsfeld von Technik, Visualisierung und Journalismus. Die Lektüre ist unerlässlich, um sich kompetent an Diskussionen über Datenjournalismus zu beteiligen.

Prof. i. R. Dr. Lothar Mikos