Medienträume

Ein Bürgerbuch zur Zukunft des Journalismus

Alexis von Mirbach

Köln 2023: Herbert von Halem
Rezensent/-in: Hans-Dieter Kübler

Buchbesprechung

Doppelrezension mit Matthias Daniel und Stephan Weichert (Hrsg.): Resilienter Journalismus. Wie wir den öffentlichen Diskurs widerstandsfähiger machen.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 3/2023 (Ausgabe 105), S. 84-85

Vollständiger Beitrag als:

Vorschläge zur Journalismusreform

Über die Krise oder gar das Elend des Journalismus ist in den letzten Jahren viel diskutiert, publiziert und gestritten worden. Jetzt scheinen optimistischere Strategien angesagt: etwa „Träume“ über einen bürgernahen oder gar von Bürger*innen getragenen Journalismus auf der einen, mindestens einen „widerstandsfähigen Journalismus“, der den öffentlichen Diskurs und den demokratischen Prozess wieder bestreitet, auf der anderen Seite. Dabei befremdet ein wenig, dass ausschließlich von „dem“ Journalismus gesprochen wird – so, als wäre er ein monolithisches Faktum – und dass die in Deutschland nach wie vor vorhandene publizistische Vielfalt, auch Dissonanz von „Journalismen“ ignoriert wird.

Gänzlich unterschiedlich sind die Herangehensweisen der beiden Bände: der eine ein inhaltlich breit streuender Reader mit individuellen Beiträgen von Autor*innen ganz unterschiedlicher Provenienz („40 luzide Positionen“), der andere eine Dokumentation und Auswertung eines mutmaßlich zukunftsweisenden Beteiligungsprojekts. Vorausgegangen ist wiederum beiden eine einschlägige Publikation, zum einen ein erster Reader Wie wir den Journalismus besser machen (2020) und zum anderen ein „Zwischenfazit“ des Projekts: Das Elend der Medien. Schlechte Nachrichten für den Journalismus (2021). Was „resilienter Journalismus“ oder Resilienz im Journalismus bedeutet, umreißen die beiden Herausgeber, Chefredakteur des „journalist“ der eine und ehemals Professor für digitalen Journalismus und inzwischen Gründer des unabhängigen Instituts für Digitale Resilienz der andere, eingangs recht vage: Den permanenten Empörungswellen, Selbstdarstellungsorgien und unflätigen Hass- und Hetze-Stürmen in den sozialen Medien, besonders bei Twitter, müsse der professionelle Journalismus Distanz, Transparenz, professionelle Sorgfalt, Sozialverantwortung und „digitalen Minimalismus“ (S. 26) entgegensetzen.

Mit einer Ende 2021 beauftragten repräsentativen Befragung der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren, durchgeführt von Forsa, die L. Kramp, A. von Streit und S. Weichert am Ende des Bandes vorstellen, lässt sich „digitale Resilienz“ präziser und konkreter fassen, allerdings nur aufseiten des Publikums. Danach sind Resilienzfaktoren u. a. „eine erhöhte, von Empathie begleitete Dialogbereitschaft“, eine „stärkere Lösungsorientierung“, eine intensivierte „digitale Nachrichtenkompetenz“, „Adressierung jüngerer Zielgruppen“, „Kollaborationen trotz Wettbewerb“, „Förderung von Diversität“, Veränderungen des journalistischen Diskurses und „Transformations- und Zukunftsfähigkeiten“ (S. 323). Zusammengefasst bedeutet das, „Journalismus [ständig] völlig neu zu denken […] und alternative Wege zu beschreiten“ (S. 324). Ob solche Maximen alle unter „Resilienz“ plausibel zu fassen sind und ob sie wirklich helfen, wenn zuvor zu Recht konstatiert wird, „Qualität im Journalismus [ist] bis dato in der Fläche nicht finanzierbar“ und die wenigen „gemeinwohlorientierten Ansätze“ wie Spenden, Genossenschaftsanteile, Stiftungsgelder, Querfinanzierung funktionierten allenfalls in Nischen, sei dahingestellt (S. 309).

Die zahlreichen Beiträge dazwischen detailliert vorzustellen, ist aus Platzgründen unmöglich. Nur beispielsweise so viel: Eine Neurowissenschaftlerin plädiert für konstruktive Perspektiven im Journalismus, ein Medienredakteur sorgt sich um das Selbstverständnis von Journalisten, eine ehemalige „Spiegel“-Redakteurin verlangt, dass das Vertrauen der Rezipienten (wieder?) gewonnen wird, eine Wissenschaftsjournalistin sieht in Nischenprodukten wie dem Wissenschaftsjournalismus eine Chance, eine andere ähnlich im Umweltjournalismus, einige verlangen verstärktes Engagement im Online- und Digitaljournalismus, andere sehen Optionen in einem direkteren Lokaljournalismus, wieder andere vermissen eine diversere Adressierung, viele plädieren für eine größere Dialogbereitschaft und für Innovationen in Strukturen und Formen, aber auch für eine gewisse mediale Nachhaltigkeit. Viele Ideen, Ratschläge, Erfahrungen und auch Ernüchterungen sind hier versammelt, die letztlich allein von den Adressierten beherzigt, gewertet und umgesetzt werden können.

Anders geht der zweite Band vor: In einem umfangreichen, vielschichtigen Forschungsprojekt von 2018 bis 2022, das großen Wert auf Partizipation von Beteiligten legte, untersuchte das Münchner Media Future Lab Bedingungen und Chancen für einen zukünftigen, auch resilienten Journalismus. Dieser zweite Band ist die Veröffentlichung eines Bürgergutachtens in Form dieses „Bürgerbuches“ zum Abschluss, das das Vorgehen und die Ergebnisse von sechs Arbeitsgruppen der Bürgerkonferenz Medien, an denen 33 Teilnehmer*innen in Zwickau, München, Leipzig und Tegernsee teilnahmen, ausführlich vorstellt. Vornehmlich verstanden sie sich als Kritiker*innen des Mainstreams der etablierten (Massen‑)Medien und haben ihre Positionen und Ideen jeweils selbst aufgeschrieben. Der Autor war dabei der Moderator/Koordinator und vergleicht diese Befunde mit denen des zur gleichen Zeit stattfindenden ARD-Zukunftsdialogs. Wie sehen nun die „utopischen Träume über einen idealen Journalismus“ (S. 271) aus? Abschaffen will das „Kronjuwel des deutschen Journalismus“ (S. 270) niemand aus der Bürgerkonferenz, nur demokratischer, transparenter und bürgernäher sollen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten werden, womöglich sogar ein wenig basisdemokratisch durch Abbau der Hierarchien und Mehrfachstrukturen sowie durch stärkere Mitbestimmung der Beitragszahler*innen in gemeinsamen Gremien von Expert*innen und Bürger*innen bis hin zu einem „Rat für Nachhaltiges Informieren“ (S. 268). Aber auch Abhängigkeitsstrukturen von Wirtschaft und Politik sollen offengelegt werden, die gemeinwirtschaftliche Finanzierung soll erhalten bleiben. Aber wenn Bürger*innen zu Laienproduktionen motiviert werden, sollen sie auch angemessen bezahlt werden. Insgesamt sollen die Programme dialogischer, hintergründiger und diverser werden, sodass möglichst alle Bevölkerungsgruppen zu Wort und Bild kommen und größere Sinnzusammenhänge dargelegt werden können, die nicht in Kurzform abgefrühstückt werden (S. 263). All diese Forderungen und Visionen müssten natürlich in konkrete Projekte und Programme umgesetzt werden – es bleibt abzuwarten, ob dies passiert und wie sie dann aussehen.

Prof. i. R. Dr. Hans-Dieter Kübler