Mäßiges Engagement der Polizei bei strafbaren Posts

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS.

Hassbotschaften, Morddrohungen oder Beleidigungen sind nach dem Strafrecht verboten. Das gilt auch für Medien und soziale Netzwerke. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verpflichtet die Anbieter, strafrechtlich relevante Posts zu entfernen und die Urheber beim Bundeskriminalamt zu melden. Das Internet, so betonen Politiker immer wieder, sei kein rechtsfreier Raum. So viel zur Theorie.

Online seit 02.06.2022: https://mediendiskurs.online/beitrag/maessiges-engagement-der-polizei-bei-strafbaren-posts-beitrag-772-1/

 

 

Der Satiriker Jan Böhmermann hat mit seiner Crew des ZDF Magazin Royale gegen eine Reihe offensichtlich strafrechtlich relevanter Posts bei der Polizei Strafanzeige erstattet. Ergebnis: Einige Polizeistationen rieten, sich direkt an die sozialen Netzwerke zu wenden, einige wussten gar nicht, was sie mit einer solchen Strafanzeige anstellen sollten, nur wenige gingen der Sache nach.

Böhmermann präsentierte in seiner Sendung das Ergebnis auf seine satirische Art. Zunächst skandalisierte er etwas, indem er suggerierte, Hetzkampagnen im Internet würden regelmäßig zu einer realen Gewalttat führen, wie beispielsweise bei der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke. Das kann in Extremfällen passieren, ist aber eher selten. Richtig ist: Entsprechende Posts sind verboten, und die Polizei müsste nach entsprechenden Anzeigen tätig werden.
 

Wo die deutsche Polizei bei der Verfolgung von Straftaten im Internet versagt | ZDF Magazin Royale, 27.05.2022



Das bestätigte auch die Leipziger Professorin für Strafrecht Dr. Elisabeth Hoven in der Sendung. Das Internet, so Hoven, sei zwar kein rechtsfreier, aber ein rechtsdurchsetzungsfreier Raum: Begangene Straftaten im Internet würden faktisch relativ selten verfolgt. Böhmermann konnte das mit den Erfahrungen während ihrer Aktion bestätigen: Nur in sechs Bundesländern ist es überhaupt möglich, bei einer Onlineanzeige Beweise, also entsprechende Posts, hochzuladen. Hoven erklärte, dass die Strafverfolgung für Internetkriminalität Ländersache sei und dass es keine bundesweit zuständige Stelle dafür gebe.

Die Posts, um die es bei den Anzeigen ging, enthielten in der Tat eindeutig rechtswidrige Inhalte: ein Hakenkreuz, eine Aneinanderreihung von „Sieg Heil“, ein anderer meinte, „Türken gehören auf die Streckbank, damit man sieht, wie …“, ein weiterer forderte, Professor Christian Drosten solle man „an die Wand stellen“, einer warnte vor der Corona-Impfung, durch die „die Juden die Menschheit dezimieren wollen“.

Am 3. August 2021 wurde in 16 Ländern Anzeige erstattet. In Darmstadt (Hessen) nimmt ein engagierter Polizist die Anzeige entgegen, bedankt sich und leitet sie an den Staatsschutz weiter. Anders läuft es in Sachsen-Anhalt: Die Polizisten empfehlen, sich an den Verbraucherschutz zu wenden, Hasskommentare im Internet würden doch hundertfach auftauchen. Wenn das jeder anzeigen würde, könne man „bis da hinten irgendwo Schlange stehen“. Notfalls solle man sich an den Anbieter wenden.

Nach neun Monaten fragte Böhmermann offiziell als ZDF Magazin Royal nach, was nach den Anzeigen passiert ist:

  • In Schleswig-Holstein hat man das Verfahren wegen des Hakenkreuzes eingestellt, weil der Urheber nicht zu ermitteln sei. Das Gleiche hörte man aus Nordrhein-Westfalen und dem Saarland. In Baden-Württemberg dagegen wurde der Täter ermittelt und vom Amtsgericht in Aalen zu einer Geldstrafe verurteilt. In den anderen Ländern hatte die Polizei die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen.
  • Noch schlimmer lief es mit den Hassposts: In keinem einzigen Bundesland konnte der Täter ausfindig gemacht werden. Böhmermann äußerte allerdings Zweifel am Engagement der Polizei, da er selbst herausgefunden hatte, dass einer der Täter auch andere Posts über sich mit seinem Klarnamen ins Netz gestellt hatte.
  • In Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt hat man die Anzeigen erst gar nicht entgegengenommen.
  • In Bremen fand der diensthabende Polizist die Posts auch sehr problematisch, konnte aber an dem Tag keine Anzeigen annehmen, weil das Computersystem ausgefallen war. Erst auf Nachfrage einer Mitarbeiterin von Böhmermann im Oktober 2021 haben sich die Bremer entschlossen, die Ermittlungen aufzunehmen – bisher ohne Erfolg. Allerdings: Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Polizei in Bremen wegen des Verdachts der Strafvereitelung.
  • Das Gleiche geschieht in Sachsen. Die Polizei in Leipzig behauptet, es habe nie eine Anzeige gegeben.
  • In Mecklenburg-Vorpommern wies man vorsorglich darauf hin, dass es gut sein könne, dass die Anzeige im Papierkorb lande.
  • In Rheinlandpfalz gab man die Anzeigen erst an die Staatsanwaltschaft weiter, nachdem ein Mitarbeiter von Böhmermann entsprechend nachgefragt hatte.
Quellen:

Böhmermann, J.: ZDF Magazin Royal, 27.05.2022. Abrufbar unter: https://www.youtube.com

Unterhaltungsfernsehen Ehrenfeld: 404: ALL COPS ARE BUSY. Wo die deutsche Polizei bei der Verfolgung von Hass im Netz versagt, o.J. Abrufbar unter: https://xn--tattata-p2a.fail/