Kriegsvideos der Hamas in sozialen Netzwerken

Die Inszenierung eigener Grausamkeiten und die Wirkung auf die Nutzer

Die sozialen Medien machen es möglich, auch die brutalsten kriegerischen Auseinandersetzungen oder Terrorakte in Form von Videos und Bildern einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Doch was bezweckt zum Beispiel die Hamas im aktuellen Nahostkonflikt damit, ihre Truppen als Kindermörder oder Vergewaltiger darzustellen, und was können solche Videos letztlich anrichten?

Online seit 20.10.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/kriegsvideos-der-hamas-in-sozialen-netzwerken-beitrag-1122/

 

 

Kriegerische Auseinandersetzungen finden, neben den Ereignissen auf dem Schlachtfeld, häufig auch in Form von Angriffen auf die Zivilbevölkerung und immer auch in den Medien statt. Oft werden die eigenen militärischen Erfolge dabei propagandistisch übertrieben, um die gegnerische Seite zu demoralisieren. Jede Partei verabsolutiert ihre Kriegsgründe, um die Notwendigkeit der Vernichtung des Gegners zu rechtfertigen.

Häufig wird auch das brutale Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung offen gezeigt. Der brutale Angriff der Hamas richtete sich schließlich vor allem gegen die normale Bevölkerung, zum Beispiel gegen die Besucher eines Musikfestivals, die lediglich friedlich feiern wollten. Die Vergewaltigung von Frauen, das brutale Töten von Kindern und die Zurschaustellung toter Körper soll demonstrieren, dass der Gegner nicht mehr in der Lage ist, seine eigenen Leute zu schützen, nicht einmal die Schwächsten. Propaganda, die einschüchtern und demoralisieren soll – mit der tatsächlichen militärischen Faktenlage hat sie meist wenig zu tun.


Soziale Medien und das Potenzial von Propaganda

Soziale Medien haben diese altbekannte Kriegspropaganda auf ein neues Level gehoben. Jeder kann die grauenvollsten Videos über Facebook, TikTok oder X (ehemals Twitter) verbreiten und damit die Welt in Angst und Schrecken versetzen. Der Überfall der Hamas am 7. Oktober auf die israelische Zivilbevölkerung, bei dem circa 1 400 Zivilisten getötet und etwa 200 zivile Geiseln genommen wurden (vgl. Deutschlandfunk 2023), wird sowohl von der Hamas als auch von der israelischen Seite intensiv im Netz begleitet.

Auch der Angriff der Israelis auf den Gazastreifen und die Bombardierung der Zivilisten in scheinbar normalen Wohnhäusern wird aufs Blutigste gezeigt. All diese Darstellungen in Bild und Ton wirken authentisch, doch der Wahrheitsgehalt lässt sich meist kaum nachweisen. Gerade bei den besonders häufig genutzten Netzwerken wie X oder Telegram fehlt es an Contentmoderation, die einordnen oder zumindest vor möglicher Falschinformation warnen könnte. Dabei gehören Bilder von Hass und Gewalt gegen Zivilisten spätestens seit dem sogenannten IS zur Propagandastrategie von Terroristen.
 

Die Demonstration von Stärke

Was wird damit bezweckt, die eigenen Brutalitäten medial gezielt zu verbreiten? Kerstin Eppert vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld erklärt: „Terrorismus hat generell verschiedene Kommunikationswege und gerade die Dokumentation, die heutzutage möglich ist, die richtet sich an ganz verschiedene Adressaten. Das ist prinzipiell ein Element von Terrorismus, dass eben der Terror, die Gewalt, die ausgeübt wird, sich einmal an den inneren Kreis der Organisation richtet, also an die Gleichgesinnten, um eine Stärke und eine Machtposition zu präsentieren. Sie richtet sich aber auch ganz klar natürlich an den politischen Gegner und da kann man auch noch mal zwei Ebenen differenzieren. Das eine sind politische Gegner, das System, also eine Regierung, ein Land oder ein Länderverbund, internationale Organisationen […]. Und das andere sind die Menschen, die in diesen Ländern leben […]. Das ist also so eine Drei-Wege-Kommunikation: Einmal nach innen demonstriere ich Stärke, nach außen natürlich auch. Und ich demonstriere natürlich Durchsetzungskraft und Schlagkraft mit solchen Bildern und sähe in der Zivilbevölkerung, die das sieht, Terror, Angst.“ (Eppert et. al 2023)
 

Ambivalente Motive

Ganz so einfach ist das allerdings nicht. Denn allein die eigenen Grausamkeiten darzustellen, erzeugt nicht unbedingt Sympathie. Zur Propaganda gehört auch, die Gräueltaten des Gegners darzustellen, um die eigenen Taten und deren Brutalität zu rechtfertigen. So grausam es ist: Die Hamas hindert die Bevölkerung Gazas daran, den israelischen Aufforderungen zu folgen, in den Süden zu flüchten. Zum einen bietet die Zivilbevölkerung einen gewissen Schutz, denn die Quartiere der Hamas befinden sich in der Regel in normalen Wohnhäusern. Die Terroristen versprechen sich davon eine größere Zurückhaltung der Israelis, diese zu bombardieren. Zum anderen lassen sich getötete Zivilisten auch für Propagandazwecke missbrauchen, weil dadurch der Hass auf die Angreifer geschürt werden kann. (Vgl. ZDFheute live 2023) Im Fall der Hamas scheint klar zu sein, dass sie den strategischen Nutzen von Menschenleben und keineswegs deren Schutz im Sinn haben.
 

Leid der Zivilbevölkerung als Propagandamittel

Auch der Raketenangriff auf ein Krankenhaus in Gaza am 17. Oktober 2023, bei dem nach ersten Schätzungen weit über 300 Menschen ums Leben gekommen sind, wird sowohl von der Hamas als auch von Israel propagandistisch genutzt: Der Angriff ziviler Ziele bedeutet immer einen Bruch des Völkerrechts. Die Hamas behauptet, das Krankenhaus sei von israelischen Raketen zerstört worden, und schlachtet dies in ihrer Propaganda aus. Die Israelis erklären dagegen, dass es eine Rakete des Islamischen Dschihad war, die Israel treffen sollte und ihr Ziel verfehlt hat. Diese Sichtweise wird auch vom US-Präsidenten Joe Biden geteilt (vgl. Partimo 2023). In jedem Fall sind Bemühungen, den Konflikt diplomatisch zu lösen, durch diesen Angriff dramatisch zurückgeworfen worden. (vgl. tagesschau.de 2023)

Gewaltforscherin Eppert ordnet den Umgang der Hamas mit solchen Taten wie folgt ein: „[D]as ist Teil der Legitimierungsstrategie, die die Hamas ja schon sehr lange benutzt, um zu sagen, […] dass sie im Prinzip Rache üben für das, was den Palästinenser*innen angetan wird. Und dass es im Prinzip ein Auge-für-Auge-Prinzip ist, nachdem das, was uns angetan wird, auch dem Feind dann angetan wird und im Prinzip so eine Kausalkette aufgemacht wird.“ (Eppert et. al 2023) Die Bilder und die dazugehörigen Erzählungen dienen also als Verstärkung des Grundes, diesen Krieg zu führen.
 

Kalkulierte Grausamkeiten

Die mediale Zurschaustellung bestimmter Gräueltaten, insbesondere Vergewaltigungen, stößt den Betrachter in der Regel ab. Es stellt sich also die Frage, warum es trotzdem gezeigt wird. „Gewalt gegen Frauen als Waffe ist etwas, was uralt ist als Kriegsstrategie. Im Prinzip ist das eine Demütigung“, sagt Eppert (ebd.). Sie betont, dass die zugrundeliegende Ideologie nicht nur den Islamisten eigen sei; Vergleichbares geschehe in verschiedensten kriegerischen Auseinandersetzungen, ob in der Ukraine, in Bosnien oder in Ruanda. (Vgl. ebd.) „[I]n schlimmen Gewaltkontexten finden wir das immer wieder, dass einfach über die Gewalt gegen Frauen und Kinder das Männlichkeitsbild des Gegners angegriffen wird und noch mal eine ganz andere Kommunikation aufgemacht wird, nämlich: Ihr seid nicht männlich genug, ihr seid nicht stark genug, ihr seid keine Herren eures Schicksals, wenn ihr noch nicht mal eure Frauen und Kinder verteidigen könnt.“ (Ebd.)
 

Könnten solche Bilder die Abscheu gegen Terrorismus befördern?

Die Frage ist nun, ob man solche Bilder im Netz lassen oder sie löschen sollte. Denn einerseits schaffen sie Empathie mit den Opfern und offenbaren die erbarmungslose Brutalität der Terroristen. Ein Problem daran ist laut Eppert, dass derartige Grausamkeiten ohne Verifikation und ohne Überprüfung der Angemessenheit für sensible Zielgruppen im Internet gelassen würden. Das mache es schwer, Konsumenten effektiv zu schützen, insbesondere Kinder und Jugendliche. Es bestehe eine klare Diskrepanz zwischen der Notwendigkeit, die Öffentlichkeit über Grausamkeiten aufzuklären und dafür auch Material online zu lassen, und den begrenzten Mitteln, eine solch angemessene Regulierung umzusetzen. (Vgl. ebd.)

Eppert verweist auf die einfache Verfügbarkeit solchen Materials: „Die Plattformen sind ja verpflichtet, diese Inhalte zu löschen. Das Problem ist, dass das nicht schnell genug und nicht umfassend genug passiert und […] auch die Weiterverbreitungsmechanismen so schwer zu kontrollieren sind, dass man das gar nicht komplett ausschließen kann. Also das ist einfach in der […] Natur der Onlineplattformen und der sozialen Netzwerke, dass da ein starker Filterprozess und auch ein Zensurprozess stattfinden muss, um diese Dinge zu sperren und so früh zu sperren, dass es eben nicht umgeht.“ (Ebd.)
 

Gefahr der Gewöhnung

Es steht zu befürchten, so Eppert, dass durch die ständige Präsenz solcher Bilder ein Gewöhnungseffekt eintrete, eine Art Desensibilisierung der Empathie, die man bei solchen Bildern dann nicht mehr so stark entwickele. (Vgl. ebd.) Ob diese Desensibilisierung sich allerdings auch gegenüber der realen Brutalität vor Ort einstellt, ist eine andere Frage.

Quellen:

Deutschlandfunk: Israel. Die geostrategischen Hintergründe des Hamas-Angriffs. In: deutschlandfunk.de, 17.10.2023. Abrufbar unter: www.deutschlandfunk.de (letzter Zugriff: 18.10.23)

Eppert, K./Bigalke, K./Böttcher, M.: Überfall auf Israel. Wie die Hamas das Internet für Propaganda nutzt. In: Breitband, 14.10.2023. Abrufbar unter: www.deutschlandfunkkultur.de (letzter Zugriff: 18.10.23)

Partimo, L.: Biden gibt militanten Palästinensern Schuld. „Es sieht so aus, als ob es das andere Team war“. In: DER SPIEGEL (online), 18.10.2023. Abrufbar unter: www.spiegel.de (letzter Zugriff: 19.10.23)

tagesschau.de: Gazastreifen. Gegenseitige Schuldzuweisungen nach Beschuss von Klinik. In: tagesschau.de, 18.10.2023. Abrufbar unter: www.tagesschau.de (letzter Zugriff: 18.10.23)

ZDFheute live: Israels Aufruf zur Flucht: Was kommt danach? In: ZDFheute live, 13.10.2023. Abrufbar unter: www.zdf.de (letzter Zugriff: 18.10.23)