Kolumne: Ausweiskontrolle beim Bäcker

Maximilian Reich

Maximilian Reich ist Autor und Journalist.

Unser Autor musste erkennen, dass er mittlerweile zu alt ist, um noch ein Fußballprofi zu werden. Die Jugend beneidet er trotzdem nicht. Warum, das erklärt er hier …

Printausgabe tv diskurs: 22. Jg., 3/2018 (Ausgabe 85), S. 74-75

Vollständiger Beitrag als:

Neulich habe ich auf dem Weg ins Büro einen Zwischenstopp beim Bäcker gemacht und wollte mir zum Frühstück ein Plunderteilchen kaufen. „Keine große Sache“, dachte ich. Ein Plunderteilchen ist schließlich keine Atombombe. Dachte ich jedenfalls. Aber die Verkäuferin musterte mich durch ihre Brillengläser und fragte: „Kann ich deinen Ausweis sehen?“

Nun war ich es, der sie musterte. Die Frau hatte wohl zu viel vom rohen Hefeteig genascht.

„Hä? Wieso wollen Sie meinen Ausweis sehen?“

„In der Vanillefüllung ist Rum. Daher muss ich mich vergewissern, dass du volljährig bist.“

Aus der Schlange hinter mir hörte ich ein Kichern.

„Ich bin 34 Jahre alt“, protestierte ich. „Ich bin auf jeden Fall alt genug, um ein süßes Gebäck zu essen.“

Immerhin: Die Dame glaubte mir daraufhin und verzichtete auf einen amtlichen Beweis.

Leider passiert mir so etwas öfter. Immer wieder werde ich deutlich jünger geschätzt, als ich tatsächlich bin. Vielleicht, weil ich den Bartwuchs eines Nacktmulls habe und als passionierter Stubenhocker selten Sonne an meine Haut lasse. Außerdem habe ich Pickel vom vielen Fast Food. Trotzdem ärgert es mich. Ein Milchbubi ist schließlich nicht männlich. Darum hat man ja auch Daniel Craig als James Bond besetzt und nicht Justin Bieber.

Dabei habe ich vor Kurzem sogar schon zwei Altersflecken entdeckt. Einen auf dem Handrücken und einen auf dem Wangenknochen. Ein Model werde ich also wohl nicht mehr. Vielleicht ist dies das einzig Schlimme am Älterwerden: Es bleiben immer weniger Abzweigungen übrig, auf denen man seinen Lebensweg beschreiten kann. Einem Baby stehen alle Türen offen. Es kann später Bundeskanzlerin werden, Gehirnchirurg, Wimbledonsieger oder der nächste deutsche Hollywoodstar. Mit 15 Jahren kann man den Traum vom Fußballprofi allmählich begraben, wenn man bis dahin nicht in einer Jugendmannschaft von einem der größeren Clubs unter Vertrag steht. Die nächste Tür geht mit 19 zu, wenn nicht mindestens ein 2er-NC auf dem Abizeugnis steht. Aus der Traum vom Medizinstudium. Ich bin jetzt Mitte 30 – praktisch ein Mann mittleren Alters – und ein Jobwechsel wird immer schwieriger. Wahrscheinlich werde ich bis ans Ende meines Lebens Texte wie diesen schreiben müssen. Das ist ein bisschen frustrierend, wenn man erkennt, dass man aus seinem Kosmos nicht mehr ausbrechen kann und die nächsten 50 Jahre voraussieht. Trotzdem bin ich froh, kein Jugendlicher mehr zu sein. Dieser Stress, den man in der Zeit hat. Man muss seinen Eltern beweisen, dass man auf eigenen Beinen stehen kann. Der Druck, den man sich völlig unnötig selbst aufbürdet, doch endlich das erste Mal Sex zu haben. Von den Freunden ist schließlich keiner mehr Jungfrau. Oder wenn ich an meinen ersten Tag bei meinem ersten Praktikum in der Redaktion einer bekannten Lifestylezeitschrift denke: Ich saß an meinem Schreibtisch und sollte mir eine Überschrift für eine Modestrecke über Jeans ausdenken. Der Angstschweiß lief mir in Bächen über den Rücken. Ich dachte: „Oh Gott. Was, wenn ich das nicht hinbekomme und mein Chef es bereut, mir die Stelle gegeben zu haben?“ Ich saß den ganzen Tag daran – hab den Ausdruck nach Feierabend mit nach Hause genommen – und dort auch die halbe Nacht noch an der Headline gebastelt. Heute brauche ich dafür fünf Minuten. Weil ich die notwendige Erfahrung habe und die Selbstsicherheit. Ich weiß, wer ich bin und was ich kann. Ich muss niemandem mehr etwas beweisen. Das verleiht mir die Ruhe, um das Leben zu genießen. Deswegen möchte ich der Jugend mit dieser Kolumne folgenden Rat mit auf den Weg geben: Entspannt euch!