KI und Religion

Hat der Mensch seine eigene Schöpfung noch unter Kontrolle?

Weihnachten steht vor der Tür und wir feiern den Geburtstag des Christkindes, namentlich Jesus Christus, nach christlicher Lehre der Sohn Gottes auf Erden. Ganz davon abgesehen, dass der 24. Dezember wahrscheinlich nicht der Geburtstag des Gottessohnes war, sondern aus verschiedenen Gründen einfach so festgelegt wurde, ist auch die Erzählung des Alten und Neuen Testaments, dass Gott die Welt geschaffen hat, durch seinen Sohn die Sünden der Menschen vergeben werden und sie nach dem Tode auferstehen, in unserer Bevölkerung nicht mehr sehr verbreitet. Aber: Irgendwoher muss diese Welt ja kommen! Gibt es also einen wie auch immer gearteten Gott? Vielleicht kann ja die künstliche Intelligenz darauf eine Antwort geben – oder wird sie selbst zum Gott?

Online seit 21.12.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/ki-und-religion-beitrag-1122/

 

 

Isaac Asimov, ein 1920 geborener russisch-amerikanischer Biochemiker und Sachbuchautor, stellt in seiner Science-Fiction-Geschichte The Last Question einem Computer die Frage: Gibt es einen Gott? Die Maschine antwortet, die Frage erst beantworten zu können, wenn sie mehr Speicherkapazität und mehr Informationen erhalten würde. Der Computer erhält mehr Informationen und mehr Speicherkapazität und wird nach einiger Zeit wieder gefragt: Gibt es einen Gott? Die Antwort ist wieder: Sie brauche noch mehr Speicherkapazität und noch mehr Informationen. Nach einer weiteren Zeit wird sie wieder gefragt und die Maschine antwortet auf die Frage, ob es einen Gott gibt: „Jetzt schon.“ (Asimov 1956)
 

Die Bedeutung der Religionen für die Menschheit

Ist Gott – ob als Schöpfer oder als Sinngebung – real oder ist er nur eine Konstruktion des Menschen, weil dieser mit der Ungewissheit, wie die Existenz des Kosmos zu erklären ist und welchen Sinn er seiner Existenz darin zuschreibt, nicht leben kann? Religionssoziologen beschäftigen sich generell mit den Religionen und zeigen, dass sie bei aller Unterschiedlichkeit eine immense gesellschaftliche Bedeutung besitzen, denn sie geben Antworten auf die existenziellen Fragen: Woher kommen wir, was ist der Sinn unserer Existenz, nach welchen Regeln sollen wir leben und was wird aus uns, wenn wir sterben?

Voltaire schrieb 1770: „Wenn es Gott nicht gäbe, so müsste man ihn erfinden“. Allerdings verliert die Relevanz der Kirchen für das Leben der Menschen immer mehr an Bedeutung:
 

 

Religion und Wissenschaft: ein Widerspruch?

Der Astrophysiker und Naturphilosoph Harald Lesch erklärt in seinen Sendungen mit beeindruckender Präzision das Universum – was der Zuschauer mangels wissenschaftlicher Kenntnis nicht immer vollständig nachvollziehen kann. Aber Lesch ist trotz seiner wissenschaftlichen Ausrichtung ein gläubiger evangelischer Christ: Naturwissenschaft und Theologie schließen sich also nicht aus. (Lesch 2022)

Immer mehr Menschen scheint der Glaube an Gott aber zu abstrakt zu sein, stattdessen glauben sie an Hilfen für den Menschen aus dem Transzendenten oder Metaphysischen. Religiosität verändert sich, verschwindet aber nicht: „Mit der Zeit hat sich auch verändert, woran die Menschen glauben. Der Glaube an ‚einen Gott‘ ist heute weniger verbreitet. In Westdeutschland glaubten in den Sechzigerjahren noch mehr als 80 Prozent an Gott. Heute liegt der Wert bei rund 60 Prozent, im Osten bei 30 Prozent. Dafür sind andere Glaubensformen wichtiger geworden: 66 Prozent geben an, dass sie an Wunder glauben. Und 40 Prozent glauben daran, dass es Engel gibt. In Ostdeutschland glauben sogar mehr Menschen an Engel (36 Prozent) als an Gott (26 Prozent).“ (Bauer/Thielmann 2021)

Das Bedürfnis, an etwas Höheres zu glauben, ist also ungebrochen, und der jeweilige Glaube wird immer daran angepasst, wie man die Welt sieht, was man von ihr weiß und was man benötigt."


Die Vermenschlichung der Maschine

Bei vielen herrscht die Angst, die künstliche Intelligenz könnte eines Tages intelligenter sein als der Mensch selbst, einen Willen entwickeln, die Menschheit beherrschen und selbst schöpferische Fähigkeiten entwickeln. Dieser Gott wäre aber vom Menschen gemacht, während die Gottesvorstellungen der Religionen Gott als Schöpfer der Menschheit sehen – woher Gott kommt, bleibt ein Geheimnis.

Studien zeigen, dass KI-Assistenten zumindest sehr stark vermenschlicht werden. Wir machen sie zu scheinbar lebenden und fühlenden Wesen, so wie wir uns selbst auch sehen. Wenn wir mit Maschinen sprechen, entstehen ihnen gegenüber Gefühle wie Dankbarkeit, wenn sie uns durch einen Algorithmus geholfen haben, einen Weg oder einen billigen Flug zu finden oder bei Streamingdiensten die besten Filme angeboten zu bekommen. Das führt dazu, dass wir der Maschine ein Wesen zubilligen und sie vermenschlichen.

Eva Wiese forscht an der Technischen Universität Berlin über die Interaktion von Mensch und Computern. Sie  zeigt, wie wichtig in dieser Interaktion die Angleichung des Computers an menschliche Eigenschaften ist: „Normale Sprache und manche Textbuchsprache können Roboter schon relativ gut generieren. Den adaptiven Aspekt hingegen – wenn wir mit Freunden sprechen, übernehmen wir nach einer Weile häufig deren Sprachstil oder verwenden bestimmte Wörter, die die andere Person häufig gebraucht – können Roboter eben nicht. Aber so etwas empfinden wir als ein Zeichen von Zuneigung. Maschinen können Sprache noch nicht einsetzen, um dem anderen das Gefühl zu vermitteln, dass er gemocht wird. Und sie können Sprache auch nicht verwenden, um eine Beziehung zu anderen Personen aufzubauen.“ (Gottberg 2022)

Wiese weist auch darauf hin, dass der Computer eine perfekte Grammatik beherrscht und die richtigen Wörter verwendet – das schafft aber Distanz: Wir akzeptieren ihn eher, wenn er typische Fehler macht, die Menschen in ihrer Kommunikation häufig auch machen, dazu gehören beispielsweise umgangssprachliche Füllwörter: Die sollte der Computer auch übernehmen, um als gleichberechtigt und menschlich akzeptiert zu werden.
 

Wettbewerb zwischen KI und Kirche

Auch wenn wir künstliche Intelligenz und Maschinen gegenwärtig vor allem als Assistenz benutzen, so haben sie gegenüber den Religionen, die auf Glauben beruhen, den Vorteil der Exaktheit: Wenn man beim Programmieren einen Fehler macht, funktioniert die Maschine nicht. So sieht es auch Inken Prohl: „Es gibt eine Wettbewerbssituation zwischen den etablierten Religionen und den Angeboten und algorithmisch generierten Angeboten zur Weltsicht, Weltorientierung, aber auch Lebenshilfe.“ (Dreier 2023) Die Kirchen haben darauf noch keine Antwort gefunden, aber immerhin wurde auf dem Evangelischen Kirchentag eine von ChatGPT geschriebene Predigt gehalten, und die Kirche war gut gefüllt.
 

Hängt die Kirche der Entwicklung hinterher …

Die katholische Theologin und Philosophin Anna Puzio an der Universität Twente in den Niederlanden forscht schon länger über Transhumanismus und KI. Sie hat dieses Jahr das Netzwerk für Theologie & Künstliche Intelligenz gegründet und kritisiert:

„Die Kirchen und die Theologien hängen immer noch stark hinterher, was Praxis, aber auch Wissenschaft angeht. Es stellen sich eben sehr viele Fragen bezüglich des Menschenbildes und der Ethik: Wie können wir die Technologien verantwortungsvoll umsetzen? Und können wir solche Technologien zum Beispiel auch in Kirchen verwenden?“

Sie schlägt vor: „Eine besondere Aufgabe oder ein Anliegen der Theologien und der Kirchen könnte sein, Gesprächsräume für die Menschen zu bieten, die sich von den technologischen Entwicklungen besonders überrollt fühlen oder nicht mit ihnen mitkommen. Das sind zum Beispiel ältere Menschen: Wir sollten ihnen solidarisch helfen, gerecht ihnen gegenüber sein und sie nicht überfordern. Es geht um die, die in den Technologiediskursen nicht vertreten sind. Ihre Stimmen sollten wir stärken.“ (Dreier 2023) Möglich wäre auch, dass die Kirchen Chatbots entwickeln, die Menschen in schwierigen Situationen unterstützen und ihnen Hilfen anbieten oder vermitteln.
 

… oder sollte sie vor menschlicher Hybris warnen?

Die Kirche könnte aber auch vor einer gewissen Hybris des Menschen warnen, selbst mehr erreichen zu wollen, als für uns gut ist. Dazu passt das Beispiel aus dem Alten Testament, die Geschichte vom Turmbau zu Babel: „In Gen 11,1-9 wird von einer Menschheit erzählt, die ein einziges Volk ist, eine gemeinsame Sprache spricht und große Pläne realisieren will: Mit Energie und Phantasie wollen sie einen gewaltigen Turm bauen, der bis zum Himmel geht – ein Bild für ihr Bemühen, es Gott gleich zu tun. Doch Gott verwirrt ihre Sprache und verhindert so das Projekt.“ (Grün 2014) Die Sache ist also ziemlich schiefgegangen.

Quellen:

Asimov, I.: The Last Question (1956). In: George Amvrosiadis, o.J. Abrufbar unter: users.ece.cmu.edu

Bauer, J./Thielmann, W.: Glaube: Schwache Kirchen, starker Glaube. In: Zeit.online, 31.03.2021. Abrufbar unter: www.zeit.de

Dreier, J.: Himmel, Hölle, Valley: KI in der Religion. In: Deutschlandfunk Kultur, Breiband, 16.12.2023. Abrufbar unter: www.deutschlandfunkkultur.de

Gottberg, J. v. im Gespräch mit E. Wiese: Fremde oder Freunde? Die Optimierung des Verhältnisses zwischen Mensch und Roboter. In: mediendiskurs.online, 03.05.2022. Abrufbar unter: mediendiskurs.online

Grün, A.: Bibel tiefer verstehen. Der Turmbau zu Babel. In: Einfach leben, Juni 2014. Abrufbar unter: www.herder.de

Lesch, H.: Harald Lesch über Glauben, Wissenschaft und sein Christ-Sein. In: Promis glauben, 19.08.2022. Abrufbar unter: www.youtube.com

Zandt, F.: Wie wichtig ist Religion in Deutschland?. In: Statista, 20.12.2023. Abrufbar unter: https://de.statista.com