Glück 2.0

Eine soziologische Perspektive auf den Medienkonsum und das Wohlbefinden junger Menschen

Leonie C. Steckermeier, Stephanie Heß

Der Beitrag beleuchtet die Bedeutung von Medienkonsum für das Wohlbefinden junger Menschen. Dabei wird ersichtlich, dass Medienkonsum – egal, ob klassisch oder modern – nicht nur als negativ betrachtet werden sollte. Wie bei vielem anderen kommt es auch beim Medienkonsum auf das richtige Maß an.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 4/2023 (Ausgabe 106), S. 22-25

Vollständiger Beitrag als:

Junge Menschen nutzen Medien anders

Die Mediennutzung junger Menschen ist nicht einfach zu beschreiben. Zwar nutzen sie alle Arten von Medien – ganz gleich, ob Audio, Video oder Text – anteilig mehr als der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung, sie verbringen aber insgesamt weniger Zeit mit Medienkonsum.

Mit 380 Minuten am Tag liegt die Konsumdauer junger Erwachsener (14 bis 29 Jahre) etwa 40 Minuten unter dem Bevölkerungstagesdurchschnitt (Hess/Müller 2022, S. 417 ff.). Darüber hinaus nutzt diese Altersgruppe mehr unterschiedliche Konsumwege als jede ältere Konsumgruppe:

Lineares Fernsehen macht in der Gesamtbevölkerung zwei Drittel der Videozeit aus, bei den Jüngeren nur knapp ein Fünftel.

Diese nutzen mehrheitlich lieber Streamingdienste, YouTube und Social Media. Auch im Audiobereich weichen die Jüngeren deutlich vom Rest der Bevölkerung ab: Nur ein Drittel der Hörzeit entfällt in dieser Altersgruppe auf klassisches Radio im Vergleich zu drei Viertel der Gesamtbevölkerung; sie hören Musik eher über Streamingdienste und YouTube. Zudem verwenden die Jüngeren doppelt so viel Zeit auf Podcasts wie die restliche Bevölkerung. Fast vier von zehn jungen Menschen hören mindestens einmal pro Woche Podcasts, diese machen fast 10 % ihrer Hörzeit aus (MK Trends 2023, S. 19, S. 29).

Sowohl beim Sehen als auch beim Hören legen die Jüngeren einen großen Wert auf Zeitsouveränität: Sie konsumieren Videos und Audio hauptsächlich zeitversetzt; die Gesamtbevölkerung hingegen konsumiert hauptsächlich lineares Fernsehen und lineares Radio (Hess/Müller 2022, S. 421).

Altersunterschiede beim Textkonsum finden sich insbesondere zwischen Print- und Onlinemedien: Nur noch knapp 30 % der Jüngeren lesen gedruckte Zeitungen und Zeitschriften – so wenig wie keine andere Altersgruppe –, dafür lesen aber 90 % von ihnen Onlineartikel – so viele wie in keiner anderen Altersgruppe. Ein ähnliches, wenn auch weniger drastisches Bild zeigt sich bei Büchern: 34 % der jungen Erwachsenen lesen gedruckte Bücher, 16 % E-Books. In der Gesamtbevölkerung sind es zum Vergleich 41 % und 15 % (MK Trends 2023, S. 34 f.).

Doch wie wirkt sich der Konsum unterschiedlicher Medien auf das Glück von jungen Menschen aus? Was gemeinhin als „Glück“ bezeichnet wird, ist in der Soziologie – je nach theoretischem Ansatz – Synonym für oder Element des sogenannten subjektiven Wohlbefindens.

Mit subjektivem Wohlbefinden werden einerseits emotionale Reaktionen von Menschen auf ihre Lebensumstände erfasst, andererseits aber auch die Zufriedenheit mit ihrem Leben generell und einzelnen Lebensbereichen beschrieben (Diener u. a. 1999, S. 277).

Man geht davon aus, dass das subjektive Wohlbefinden zwei Komponenten umfasst: eine affektive, also eine gefühlsgeleitete, und eine kognitive, also eine rational evaluierende, weniger gefühlsgeleitete. Das Glück wird dementsprechend eher der affektiven Komponente zugeordnet, wohingegen die Beurteilung der allgemeinen Lebenszufriedenheit mit bestimmten Bereichen – z. B. Arbeit, Familie und Freizeit – eher als Indikator der kognitiven Aspekte des Wohlbefindens verstanden wird. In der Forschung werden diese Komponenten oft zu einem Gesamtindex des subjektiven Wohlbefindens zusammengefasst, da affektive und kognitive Komponente stark positiv zusammenhängen: Wer emotional glücklich ist, beurteilt sein Leben meist auch besser. In unserem Beitrag nehmen wir das subjektive Wohlbefinden der jüngeren Altersgruppen in den Blick und illustrieren die Konsequenzen des Medienkonsums exemplarisch für das bei den Jüngeren zunehmend unbeliebt werdende Fernsehen als auch für ihr „Kernmedium“, die sozialen Medien.
 

Der Effekt von 100 Stunden Fernsehen auf das Wohlbefinden

Studien haben gezeigt, dass Fernsehen generell eher schlecht für das Wohlbefinden ist (Wilczek 2018), weisen aber auch auf den Umstand hin, dass es darauf ankommt, wie viel ferngesehen wird. Eine vergleichende Studie von Jugendlichen in 37 Ländern zeigt beispielsweise, dass der TV-Konsum seine das Wohlbefinden schädigende Wirkung bei Mädchen ab mehr als zwei Stunden pro Tag, bei Jungen sogar erst ab vier Stunden pro Tag entfaltet (Khan u. a. 2022). Zudem sind die berichteten Effekte oftmals nicht allzu groß.

Eine Analyse auf Basis des deutschen Beziehungs- und Familienpanels zeigt, dass Fernsehen sich negativ auf die Lebenszufriedenheit von Jugendlichen auswirkt. Um jedoch die Lebenszufriedenheit auf einer Skala von 1 „sehr unzufrieden“ bis 11 „sehr zufrieden“ um einen Skalenpunkt zu verringern, müssten die Jugendlichen es schaffen, 100 Stunden pro Woche mehr fernzusehen. Auf den Tag heruntergerechnet würde das bedeuten, täglich 14 Stunden und mehr fernzusehen – das ließe dann keine Zeit mehr für andere Aktivitäten. So hohe Fernsehzeiten erreichen nur 0,01 % der Jugendlichen (Schemer u. a. 2021).

Generell ist durchaus auch eine entgegengesetzte Kausalrichtung denkbar:

Fernsehen macht nicht unglücklicher, Unglückliche sehen womöglich einfach mehr fern.

Unglückliche Menschen könnten Fernsehen als Zuflucht nutzen, da passive Unterhaltung insgesamt voraussetzungsloser ist als das Eingehen und Aufrechterhalten aktiver sozialer Beziehungen. Womöglich hat Fernsehen aber auch gar keinen direkten negativen Einfluss auf das Wohlbefinden, sondern zieht nur Zeit von anderen Aktivitäten ab, die Menschen glücklich machen, wie z. B. sportliche Betätigung oder Zeit mit der Familie zu verbringen (Robinson/Martin 2008).
 

Der soziale Vergleich im Internet und das Wohlbefinden junger Menschen

Die Frage, ob auch Internetnutzung schädlich für das Wohlbefinden ist, kann nur mit viel Vorsicht beantwortet werden. Studienergebnisse zu diesem Thema gehen weit auseinander: Einige Analysen für die Gesamtbevölkerung deuten auf einen positiven Zusammenhang zwischen der im Internet verbrachten Zeit und dem Wohlbefinden (Wilczek 2018), andere auf einen negativen (wenn auch insignifikanten) Zusammenhang (Arampatzi u. a. 2018; Robinson/Martin 2008) und wieder andere finden keinen Zusammenhang (Cuñado/Gracia 2012).

Für Jugendliche in Deutschland hat die Zeit, die sie im Internet verbringen, einen sehr geringen negativen Einfluss auf ihr Wohlbefinden (Schemer u. a. 2021); in Norwegen ist dieser Zusammenhang insignifikant – und wird positiv, sobald berücksichtigt wird, welchen Aktivitäten Jugendliche im Netz nachgehen und ob sie dabei negative Erfahrungen gemacht haben (Milosevic u. a. 2022).

Dieser uneindeutige Forschungsstand ist u. a. darauf zurückzuführen, dass Internetnutzung zunehmend schwierig gemessen werden kann: Konkret bezifferbar war die Zeit, die man täglich im Internet verbrachte, zuletzt wahrscheinlich zu Zeiten von Modems und Internetcafés. Mittlerweile sind neben digitaler Mediennutzung (z. B. in Media- und Audiotheken, bei Streamingdiensten oder Onlinezeitungen) auch zahlreiche alltägliche Handlungen vom E-Mail-Lesen, Navigation, dem Kauf eines Kino- oder Bahntickets bis hin zu Essensbestellungen und Onlinebanking Teil der Internetnutzung geworden. Vielen von uns wird diese Allgegenwärtigkeit des Internets erst bewusst, wenn die Verbindung einmal fehlschlägt. Hinzu kommt, dass das Internet im Gegensatz zu den „klassischen“ Medien facettenreicher ist: Nicht nur hält es alle Offlinemedien als Onlinevarianten bereit, es bietet auch eine größere Bandbreite für den aktiven Medienkonsum, z. B. in und mittels sozialer Medien.  

Wissenschaftliche Studien, die den Zusammenhang zwischen der Nutzungsdauer sozialer Medien und dem Wohlbefinden junger Menschen untersuchen, kommen häufig zu dem Ergebnis, dass hier kein signifikanter Zusammenhang besteht (z. B. Arampatzi u. a. 2018; Schemer u. a. 2021). Hinter diesen Nichtergebnissen verstecken sich jedoch teils durchaus gegensätzliche Wirkungen: So ist die Nutzung sozialer Medien im Rahmen bereits existierender Freundschaften generell positiv für das subjektive Wohlbefinden junger Menschen, häufiger Kontakt zu Unbekannten ist hingegen eher schädlich (Valkenburg/Peter 2007).

Insbesondere negative Emotionen wie Einsamkeit oder die generelle Unzufriedenheit mit den eigenen sozialen Beziehungen begünstigen die schädliche Wirkung sozialer Medien auf das Wohlbefinden von Jugendlichen (Arampatzi u. a. 2018).

Neben der Zeit, die mit sozialen Medien verbracht wird, sollte aber vor allem berücksichtigt werden, wie soziale Medien genutzt werden: Tauschen sich junge Menschen aktiv mit anderen aus oder scrollen sie passiv durch das (vermeintlich) schöne Leben der anderen? Insbesondere dieser den sozialen Medien inhärente soziale Vergleich – sei es über Metriken wie Follower und Likes oder substanziell anhand der geteilten Inhalte – birgt Gefahren für das Wohlbefinden junger Menschen. Erste Analysen aus den Niederlanden zeigen, dass die Nutzung sozialer Netzwerke das Wohlbefinden von Jugendlichen nur beschädigt, wenn diese sich stark mit anderen vergleichen. Jugendliche, die sich nicht mit anderen vergleichen, sind sogar glücklicher, wenn sie mehr Zeit in den sozialen Medien verbringen (Boer u. a. 2022).

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass der Zusammenhang zwischen Medienkonsum und dem Wohlbefinden sich nicht immer eindeutig einordnen lässt. Ein schädlicher Effekt zeigt sich generell, wenn Medien so viel Raum im Alltag einnehmen, dass junge Menschen keine Zeit mehr für nicht mediale Hobbys und Aktivitäten haben; in Maßen und zur Entspannung oder zur Aufrechterhaltung sozialer Kontakte genutzt, können Medien aber durchaus eine das Wohlbefinden steigernde Wirkung haben.

 

Literatur:

Arampatzi, E./Burger, M. J./Novik, N.: Social Network Sites, Individual Social Capital and Happiness. In: Journal of Happiness Studies, 1/2018/19, S. 99–122. Abrufbar unter: DOI: 10.1007/s10902-016-9808-z

Boer, M./Stevens, G. W. J. M./Finkenauer, C./Eijnden, R. J. J. M. van denThe complex association between social media use intensity and adolescent wellbeing: A longitudinal investigation of five factors that may affect the association. In: Computers in Human Behavior, März 2022/128. Abrufbar unter: DOI: 10.1016/j.chb.2021.107084

Cuñado, J./Gracia, F. P. de: Does Media Consumption Make Us Happy? Evidence for Spain. In: Journal of Media Economics, 1/2012/25, S. 8–34. Abrufbar unter: DOI: 10.1080/08997764.2012.651052

Diener, E./Suh, E. M./Lucas, R. E./Smith, H. L.: Subjective Well-Being: Three Decades of Progress. In: Psychological Bulletin, 2/1999/125, S. 276–302. Abrufbar unter: DOI: 10.1037/0033-2909.125.2.276

Hess, C./Müller, T.: Aktuelle Ergebnisse der repräsentativen Langzeitstudie. ARD/ZDF-Massenkommunikation Trends 2022: Mediennutzung im Intermediavergleich. In: Media Perspektiven, 9/2022, S. 414–424

Khan, A./Moni, M.A./Khan, S. R./Burton, N. W.: Different types of screen time are associated with low life satisfaction in adolescents across 37 European and North American countries. In: Scandinavian Journal of Public Health, 6/2022/51, S. 918–925. Abrufbar unter: DOI: 14034948221082459

Milosevic, T./Bhroin, N. N./Ólafsson, K./Staksrud, E./Wachs, S.: Time spent online and children’s self-reported life satisfaction in Norway: The socio-ecological perspective. In: New Media & Society, April 2022. Abrufbar unter: DOI: 14614448221082651

MK Trends: Kompakte Daten. ARD/ZDF-Massenkommunikation Trends 2022. Grundlagenstudie im Auftrag der ARD/ZDF-Forschungskommission. Mainz 2023

Robinson, J. P./Martin, S.: What Do Happy People Do?. In: Social Indicators Research, 3/2008/89, S. 565–571. Abrufbar unter: DOI: 10.1007/s11205-008-9296-6

Schemer, C./Masur, P. K./Geiß, S./Müller, P./Schäfer, S.: The Impact of Internet and Social Media Use on Well-Being: A Longitudinal Analysis of Adolescents Across Nine Years. In: Journal of Computer-Mediated Communication, 1/2021/26, S. 1–21. Abrufbar unter: DOI: 10.1093/jcmc/zmaa014

Valkenburg, P. M./Peter, J.: Internet Communication and Its Relation to Well-Being: Identifying Some Underlying Mechanisms. In: Media Psychology, 1/2007/9, S. 43–58. Abrufbar unter: DOI: 10.1080/15213260709336802

Wilczek, B.: Media use and life satisfaction: The moderating role of social events. In: International Review of Economics, 2/2018/65, S. 157–184. Abrufbar unter: DOI: 10.1007/s12232-017-0290-7

Dr. Leonie C. Steckermeier forscht und lehrt am Lehrstuhl für Makrosoziologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Ihre Forschung befasst sich mit Fragen der Lebensqualität und des subjektiven Wohlbefindens, sozialer Ungleichheit und Vertrauen.

M. Sc. Stephanie Heß forscht und lehrt als Doktorandin am Lehrstuhl für Makrosoziologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Ihre Forschung befasst sich mit dem Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen, familialen Beziehungen und sozialer Ungleichheit.