Fan Fiction Genres

Gender, Sexuality, Relation­ ships and Family in the Fandoms „Star Trek“ and „Supernatural“

Julia Elena Goldmann

Bielefeld 2022: transcript
Rezensent/-in: Claudia Töpper-Ko

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 4/2023 (Ausgabe 106), S. 77-78

Vollständiger Beitrag als:

Fan-Fiction-Genres

Fan-Fiction bietet Fans von Filmen und Fernsehsendungen eine Plattform, sich auf kreative und transformative Weise mit bestehenden Erzählungen, Figuren und Welten auseinanderzusetzen, diese weiterzuerzählen, neu zu interpretieren oder zu ergänzen. Mittlerweile hat sich eine Vielzahl unterschiedlicher (Sub‑)Genres entwickelt, in denen insbesondere die Interpretation und Neudefinition von Beziehungen und Geschlechterdarstellungen hervorstechen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Genrekategorien in der Film- und Fernsehwissenschaft oder auch ‑branche heben die Genrebezeichnungen von Fan-Fiction-Erzählungen die dargestellten Beziehungen hervor. So stellt Goldmann in ihrer an der Universität Salzburg eingereichten und nun als Publikation vorliegenden Dissertation fest, dass „[i]n fan fiction, it is the composition of gender as sexual desire that constitutes genres“ (S. 128).

In ihrer Untersuchung analysiert sie die für das Genre „Slash“ typische Darstellung gleichgeschlechtlicher Beziehungen (oft zwischen Figuren, die im ursprünglichen Ausgangsmaterial nicht als solche dargestellt werden). Da die bisherige Forschung darauf verweist, dass Slash-Fan-Fiction zwar das Potenzial habe, Kritik an Heteronormativität und Geschlechternormen zu üben, hiervon aber keinen Gebrauch mache (S. 18), konzentriert sich Goldmann in ihrer Studie auf die Frage, ob in Fan-Fiction-Erzählungen Neudefinitionen hinsichtlich der Darstellung von Geschlecht, Sexualität, Beziehungen und Familie nuanciert und tiefgründig dargestellt werden oder ob sie unbeabsichtigt bestehende Normen verstärken. Hierzu analysierte sie 71 Fan-Fiction-Erzählungen zu den Fernsehserien Star Trek und Supernatural, die auf der Plattform Archive of Our Own (AO3) veröffentlicht wurden.

Die Publikation startet mit einem Überblick über Genretheorie und Genres in Fan-Fiction (Kapitel 2). Daran anschließend beschreibt die Autorin Fans und deren Textproduktion im Fandom (Kapitel 3) und gibt eine Einführung und Definition des Begriffs „Fan-Fiction“ (und der sie umgebenden Fankulturen) vor dem Hintergrund des aktuellen Forschungsstandes zu Slash-Fan-Fiction sowie weiteren Subgenres. Im vierten Kapitel liefert Goldmann eine umfassende Darstellung der teils disparaten Grundlagenforschung im Bereich der Fan-Fiction und vor allem des Genres „Slash“, die mit differierenden Forschungsschwerpunkten in unterschiedlichen Disziplinen verankert ist. Hierbei stellt sie auch die verschiedenen Subgenres „First-Time Story“, „Hurt/Comfort“, „Domestic Fic“, „Mpreg“ und „PWP“ vor sowie die beiden Genres „Gen“ und „Het“, „[a]s these two genres are clearly in the (academic) shadow of Slash fandom […]“ (S. 20). Aus den Erkenntnissen dieser ersten Kapitel leitet die Autorin dann im fünften Kapitel ihre Forschungsfragen ab. Das methodische Design der qualitativen Inhaltsanalyse wird in Kapitel 6 dargestellt. Die Fan-Fiction-Texte wurden offen codiert und mit dem jeweiligen Subgenre verglichen (z. B. Gender/Maskulinität in Mpreg-Fan-Fiction), um einen umfassenden Überblick über die Themen in jeder Gruppe zu erhalten. Diese werden im Kapitel 7 zunächst generell als Beschreibung eines „umbrella genre[s]“ (S. 20) und in den Kapiteln 8 bis 12 detailliert dargestellt, in Kapitel 13 zusammengefasst und im letzten Kapitel verallgemeinernd eingeordnet.

Leser*innen bietet die Publikation eine detaillierte genretheoretische Einordnung des Fan-Fiction-Genres „Slash“. Nachvollziehbar, ausführlich und präzise arbeitet Goldmann die einzelnen Genremerkmale heraus und liefert eine zeitgenössische Darstellung der gängigen generischen Formeln, von denen einige laut Autorin „in urgent need of a revision“ (S. 276) waren.

Darüber hinaus bietet die Arbeit aber auch eine Einführung in Fan-Fiction und Fan-Culture und beschreibt das komplexe Zusammenspiel zwischen von Fans geschaffenen Inhalten und dem ursprünglichen Quellenmaterial. Der Fokus auf die Bedeutung von Geschlecht, Sexualität, Beziehungen und Familie deckt den Einfluss von Fan-Fiction auf, die traditionelle Repräsentationen infrage stellen und auf kreative Weise transformieren kann. Die Studie belegt, wie gebräuchliche Genderrollen durch Fan-Fiction kritisiert werden. So zeigt Goldmanns Analyse beispielsweise, wie konventionelle Männlichkeitsnormen untergraben und nicht traditionelle Ausdrucksformen der Fürsorge und Verletzlichkeit entwickelt werden. Sie belegt, wie Fan-Fiction eine Plattform für die Erkundung verschiedener sexueller Orientierungen und Identitäten bietet und dabei Erzählungen entstehen lässt, die im Ausgangsmaterial nicht vorhanden oder unterrepräsentiert sind. Auf diese Weise ermöglicht Fan-Fiction die Erkundung romantischer und familiärer Beziehungen, die über heteronormative Grenzen hinausgehen. Damit dient die Studie nicht nur als Ressource für Fan-Fiction-Enthusiasten, sondern sie zeigt auch die kulturelle Bedeutung von Fan-Fiction bei der Neugestaltung von Geschichten sowie den partizipatorischen Charakter der Fan-Fiction-Kultur auf. Sie belegt, dass Fanautor*innen aktiv Mitwirkende sind, die in einen dynamischen Dialog mit dem Ausgangsmaterial treten. Dadurch bietet die Arbeit wertvolle Einblicke in die Art und Weise, wie Fan-Fiction – zumindest bis zu einem gewissen Grad – als kreative Plattform zum Ausdruck von Gesellschaftskritik (S. 272) genutzt wird. Sie leistet damit einen Beitrag zum breiteren akademischen Diskurs über Fankulturen und ihren Einfluss auf Medienerzählungen.

Dr. Claudia Töpper-Ko