Das Fernseharchiv: Der Fall EROTIKSTAR

Christian Richter

Dr. Christian Richter ist Medienwissenschaftler und Referent für Medienbildung am Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg. Sein Forschungsschwerpunkt ist u.a. die Programmgeschichte des Fernsehens.

Über den Versuch eines TV-gerechten Porno-Castings, das nicht pornografisch sein durfte.

Printausgabe mediendiskurs: 26. Jg., 3/2022 (Ausgabe 101), S. 4-5

Vollständiger Beitrag als:

Hier geht es um einen Wettkampf, in dem ganzer Körpereinsatz gefragt ist. Die Kandidaten kämpfen mit ihren schärfsten Waffen.“1

Der Werbetext ließ bereits erahnen, wohin die Reise gehen würde, denn in der Sendung Erotikstar des Pay-TV-Kanals Beate-Uhse.TV konkurrierten unerschrockene Bewerbende um eine verheißungsvolle Zukunft als Pornodarsteller oder ‑darstellerin. Entsprechend trug die kurzlebige Produktion einen vielsagenden Untertitel, der Anspruch und Niveau pointiert auf den Punkt brachte: Beate-Uhse.TV sucht die Poppp-Stars 2003.

Der eingängige Titel war zugleich als augenzwinkernde Hommage an das Format Popstars (RTLZWEI/ProSieben, 2000 – 2015; mit weniger „p“ im Titel) zu verstehen, das zuvor das damals noch neue Genre der Castingshows in Deutschland eingeführt hatte. Darin wurde im Sommer 2000 die Suche nach den Mitgliedern einer weiblichen Musikgruppe dokumentiert, aus der letztlich die Band „No Angels“ hervorgehen sollte. Weil sowohl deren Plattenverkäufe als auch die Sehbeteiligungen überraschend positiv ausfielen, folgte nur wenig später die zweite Staffel und im April 2002 mit Teenstar (RTLZWEI, 2002) eine erste Abwandlung des Konzepts. Spätestens mit Beginn der Ausstrahlung von Deutschland sucht den Superstar (RTL, seit November 2002), dessen erste Staffel bis zu 15 Mio. Menschen erreichte, war ein Trend etabliert, der das Fernsehprogramm in der nachfolgenden Dekade maßgeblich bestimmen sollte.
 

Erotikstar. Beate-Uhse.TV sucht die Poppp-Stars 2003: Jurymitglied Dolly Buster (© tmc Content Group GmbH)

 

Von diesem Boom wollte ab Herbst 2003 auch Beate-Uhse.TV – der Fernsehsender zum gleichnamigen Erotikhandel – profitieren, indem er das bisherige Spektrum des Genres um die Suche nach Sexdarsteller:innen erweiterte. Zugleich bediente dieser Ansatz die wachsende Nachfrage nach Amateurpornografie, die im Gegensatz zu Hochglanzproduktionen einen Eindruck von Authentizität versprach und den allgemeinen Drang bediente, den sprichwörtlichen Nachbarn unter die Bettdecke schauen zu wollen und sich mit diesen abgleichen zu können.

Gänzlich neu war das Metier für Beate-Uhse.TV zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, gehörte doch schon seit dem Start im März 2001 eine Reihe mit dem schlichten Titel Casting (Beate-Uhse.TV, 2001 – 2002) zum Portfolio des Senders. Darin konnten laut Pressetext freizügige Amateure und neugierige Paare beim „wilde[n] Spiel als Indianer, beim Tanken und unter der schweißtreibenden Sonne“ (Episodenbeschreibung Folge 8) ihre Fantasien vor der Kamera verwirklichen. Diese einst simple Idee wurde nun nach dem beeindruckenden Erfolg von Popstars und Deutschland sucht den Superstar zu einem mehrstufigen Auswahlprozess aufgeblasen, an dessen Ende das Mitwirken in einer Erotikproduktion sowie ein bescheidenes Preisgeld in Höhe von 1.000,00 Euro als Belohnung standen. Um beides zu erreichen, hatten die Kandidat:innen verschiedene Herausforderungen zu meistern, zu denen das Vortäuschen eines Orgasmus, ein erotisches Fotoshooting oder ein möglichst anregender Strip gehörten.

Ähnlich wie in anderen Castingshows entstand eine beabsichtigte Komik durch das Gefälle zwischen der Selbsteinschätzung der Bewerbenden und den an sie gestellten Erwartungen – etwa wenn ein hagerer Möchtegerndarsteller mit dem selbst gewählten und erwartungsvollen Namen Pascale d’Amour in einer gespielten Verführungsszene vor Verlegenheit kaum ein Wort hervorbrachte. Ob eine Aufgabe erfolgreich absolviert worden war, beurteilte die obligatorische Jury, die wechselnd mit dem Schlagersänger Jürgen Drews, dem VIVA-Moderator Mola Adebisi sowie mit Mitgliedern der Pornobranche wie Dolly Buster, Kelly Trump, Isabel Golden oder Susi Webstar besetzt war. Ihnen oblag es, die dargebotenen Leistungen mithilfe von Punkten zu bewerten und auf diese Weise über das Ausscheiden oder Weiterkommen der Teilnehmenden zu entscheiden. Zusätzlich konnten die Zuschauenden durch eine Abstimmung per Internet und Telefon ihre Lieblinge wählen.
 


Ähnlich wie in anderen Castingshows entstand eine beabsichtigte Komik durch das Gefälle zwischen der Selbsteinschätzung der Bewerbenden und den an sie gestellten Erwartungen.



Präsentiert wurde all dies von den Erotikdarsteller:innen Carmen Rivera und Conny Dachs, deren Auftritte auf der begleitenden Internetseite euphorisch beschrieben waren. Dort hieß es: „Pornostar Carmen Rivera glänzt mit ihrer erotischen Ausstrahlung. Der standhafte Conny Dachs sorgt mit flotten Sprüchen für eine lockere Atmosphäre“. Tatsächlich gerieten ihre Anmoderationen und Interviews jedoch meist ungelenk und auffallend gestellt, was nicht zuletzt daran gelegen haben dürfte, dass sie gewöhnlich in Produktionen mitwirkten, in denen verbale Eloquenz eine untergeordnete Bedeutung hatte und die Dialoge vor allem aus Vokalen bestanden.

Eine Unwucht des Formats ergab sich zudem dadurch, dass zwar die ganze Zeit von Pornofilmen geschwärmt und heiße Szenen versprochen wurden, das Ergebnis allerdings genau diese Elemente aussparen musste. Schließlich verbot der deutsche Rundfunkstaatsvertrag aus Gründen des Jugendschutzes schon damals die Ausstrahlung von pornografischen Werken im Fernsehen ausnahmslos.

In dieser Einschränkung liegt das Grunddilemma des Pay-TV-Kanals, der trotz Verschlüsselungstechniken, Jugendschutz-PIN und nächtlichen Sendezeiten bezogen auf den Jugendschutz im Grunde nicht mehr zeigen darf als jeder andere Anbieter im Free-TV. Daher war und ist das gesamte Programm des Senders vor allem mit sogenannten Cable Versions bestückt – also mit zurechtgestutzten Pornofilmen, in denen explizite Darstellungen entfernt und oft durch einen Off-Kommentar die erforderlichen persönlich-romantischen Beziehungen der Protagonisten nachträglich hineinsynchronisiert worden sind. Da die Entscheidung, welche Inhalte und Darstellungen unter den Sachverhalt der Pornografie fallen, nicht trivial und manchmal uneindeutig ist (vgl. Brinkmann 2008), legt Beate-Uhse.TV viele geplante Spielfilme der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) vorab zur Prüfung vor, die zuweilen auch Nachbesserungen oder die Unterlassung einer Ausstrahlung empfiehlt.

In der Folge der gesetzlichen Regelungen entstand somit ein Pornocasting ohne Porno, weswegen die Fernsehshow eng mit der zugehörigen Onlineseite verknüpft war. Und so konnte der Pressetext vollmundig verkünden, dass auf der Website – dem sogenannten „POPPP-CLUB“ – all das zu sehen sein würde, „was für die TV-Sendung zu heiß ist“ (ots 2003).

Die erste und einzige Staffel von Erotikstar. Beate-Uhse.TV sucht die Poppp-Stars 2003 gewannen übrigens die Kandidat:innen Sarah und Kevin und damit ihren Auftritt in einem Pornofilm. Weil allerdings einige Folgen des Castings später in den Handel kamen, erhielten so letztlich auch alle Nichtgewinner:innen eine Rolle in einer echten DVD-Produktion. Schön, wenn Träume wahr werden …
 

Anmerkung:

1) Vgl. Niedzwetzki 2003
 

Literatur:

Brinkmann, N.: Pornografie in der Spruchpraxis der FSF. In: tv diskurs, Ausgabe 46, 4/2008, S. 70–73. Abrufbar unter: https://mediendiskurs.online

Niedzwetzki, H. (Geschäftsführerin von Beate-Uhse.TV), zitiert in: ots: www.erotikstar2003.de: Die erotische Casting-Show des Jahres! Erotik-Star: Beate-Uhse.TV sucht die Poppp-Stars 2003. In: Presseportal.de, 28.08.2003. Abrufbar unter: https://www.presseportal.de

ots: www.erotikstar2003.de: Die erotische Casting-Show des Jahres! Erotik-Star: Beate- Uhse.TV sucht die Poppp-Stars 2003. In: Presseportal.de, 28.08.2003. Abrufbar unter: https://www.presseportal.de