Cinema of Color – wird Hollywood divers?

Werner C. Barg

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Prof. Dr. Werner C. Barg ist Produzent, Dramaturg und Autor für Film und Fernsehen sowie Honorarprofessor für „Digitale Mediensysteme“ im Bereich Medienwissenschaft der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF.

„Whiteness“ prägte ein Jahrhundert lang die Film-, Fernseh- und Serienproduktion. In Hollywood, aber nicht nur dort, dominieren noch immer Weiße und ihre Themen die Produktion. Gleichwohl haben People of Color es im Laufe der Filmgeschichte geschafft, sich vor und hinter der Kamera Einfluss zu erstreiten. Der Beitrag zeichnet diese Entwicklung mit Blick auf die US-amerikanische Filmindustrie nach.

Online seit 07.11.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/cinema-of-color-wird-hollywood-divers-beitrag-772/

 

 

In diesem Jahr wurde mit der aus Malaysia stammenden Michelle Yeoh erstmals eine asiatische Schauspielerin mit dem Oscar in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ ausgezeichnet. Bereits 2016 erhielt Actionstar Jackie Chan einen Ehren-Oscar für sein Lebenswerk. Solche Entscheidungen für die höchsten Ehrungen im internationalen Film mögen als Signal gewertet werden, dass jenseits der dominierenden „whiteness“ auch die Leistungen von nicht-weißen Künstlern im Filmbusiness nicht nur wahrgenommen, sondern positiv bewertet werden.
 

Asiatischstämmige Filmemacher können in Hollywood kaum Themen setzen

Gleichwohl ist die Bedeutung von Filmkünstlern, die ihre Wurzeln z. B. in Asien haben, in Hollywood bislang gering. Anfang der 1990er-Jahre war John Woo der erste asiatischstämmige Regisseur, der mit der Realisation großer Blockbuster-Produktionen betraut wurde. Woo drehte 1993 Harte Ziele mit Jean-Claude Van Damme in der Hauptrolle, später dann Klassiker des Actionthrillers wie Im Körper des Feindes: Face/Off (1995) oder Mission: Impossible II (2000). Wie Chan oder Martial-Artist Bruce Lee hatte Woo seine ersten Filmerfolge in Hongkong. Dort hatte sich in den 1980er-Jahren eine prosperierende Produktionslandschaft herausgebildet, die hauptsächlich durch Action, Gangsterfilme und Thriller weltweit auf sich aufmerksam machte. Dieses sogenannte Hongkong-Kino zeichnete sich durch einen besonderen künstlerischen Stil aus, u. a. im Umgang mit Gewaltdarstellungen. Zum Klassiker dieser Stilrichtung wurde The Killer von 1989, mit dem sich John Woo die Eintrittskarte nach Hollywood erwarb (Brockmann 2016, S. 420 ff.).
 

SCENE AT THE ACADEMY: Everything Everywhere All At Once (Oscars, 18.02.2023)



Wenige Jahre später erwarb sich Wayne Wang internationalen Ruhm. Bereits mit 18 Jahren emigrierte er von Taiwan in die USA, wo er mit Independent-Produktionen wie Smoke (1995) und Blue in the Face (1996) reüssierte. Gleichfalls als Independent-Regisseur startete Justin Lin, der auch in Taiwan geboren wurde, aber bereits seit seiner Kindheit in den USA lebte. Sein Thriller Better Luck Tomorrow war 2002 der Überraschungserfolg beim Sundance Film Festival und ermöglichte ihm schnell eine Karriere als Regisseur von Actionfilmen wie etwa der Fast-&-Furious-Kinoreihe.

Mit Ausnahme von Wayne Wang zeigen die Beispiele, dass asiatischstämmige Regisseure aufgrund der filmästhetischen Traditionslinien ihrer Heimatländer vornehmlich in spezifischen Genreformaten wie Action und Thriller Anerkennung finden konnten. Filmstoffe mit spezifischen Themen für das US-asiatische Publikum in Hollywood durchzusetzen, fällt asiatischstämmigen Filmemachern bis heute schwer. Der geringe Einfluss auf filmische Inhalte liegt sicher auch darin begründet, dass der Anteil der asiatischstämmigen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung mit aktuell 6,08 % (vgl. Statista 2023) nicht so hoch ist, als dass die US-Filmindustrie in ihr ein großes Zuschauerpotenzial vermuten würde:

Ungleich den Afroamerikanern, die ein Drittel der Kinobesucher in den USA stellen, war die Asian-American Bevölkerung lange wenig sichtbar und wirtschaftlich irrelevant“ (Gottlieb 2023).


Doch auch der Black Community, die mit knapp 13 % hinter den Hispanos (19,1 %) aktuell die drittstärkste nicht-weiße Minderheit in den USA stellt (vgl. statista 2023), gelang es über Jahrzehnte kaum, in der US-Filmindustrie wirklich sichtbar zu werden. In der langen Geschichte der Oscars gewannen in der Kategorie „Bester Hauptdarsteller“ lediglich fünf Schwarze Männer eine der Trophäen: Will Smith, Denzel Washington, Jamie Foxx, Forest Whitaker und Sidney Poitier. Die erste und bislang einzige afroamerikanische Schauspielerin, die zur „Besten Hauptdarstellerin“ gekührt wurde, ist Halle Berry. Das war 2002, vor mehr als 20 Jahren.
 

African Americans: Sidekicks statt Hauptfiguren

Über viele Jahrzehnte waren Schwarze Darsteller in US-Filmen überwiegend in Nebenrollen zu sehen. Sie spielten Tänzer und Musiker, Plantagenarbeiter, Sklaven, gute oder korrupte Polizisten, Kleinkriminelle, Sexarbeiterinnen, Drogendealer oder – vor allem in den 1930er- bis 1960er-Jahren – Hausangestellte. Besonders beliebt: die fürsorgliche Haushälterin. „Dieser Mammy-Charakter“, erläutert Filmprofessorin Mia Mask vom Vassar College in der CNN-Dokumentation The Movies (2019), „war sehr rassistisch angelegt. Er greift die Idee des Plantagenarbeiters direkt wieder auf. Mammys haben sehr einseitige Persönlichkeiten. Sie haben keine andere Aufgabe in der Geschichte, als den weißen Charakteren als Hintergrund zu dienen.“ (Goetzman et al., Time Code, TC 00:16:55 ff.) „Hattie McDaniel“, ergänzt Todd Boyd, Professor an der USC School of Cinematic Arts, „war bekannt für ihre typischen Mammy-Type-Rollen“ (ebd., TC 00:16:00 ff.). In Vom Winde verweht (1939) spielt die Schauspielerin wohl ihren bekanntesten Part in diesem Rollentypus. „Wer diese Geschichte erzählt, braucht Schwarze Darsteller als Sklaven. Die Schwarzen Charaktere, gespielt von Hattie McDaniel und Butterfly McQueen, sind die besten Darstellerinnen im ganzen Film. Sie sind die einzigen Charaktere mit Moral. […] Die Mammy hält alles zusammen. Sie versteht ihren Platz in der Welt und macht das Beste daraus“, erläutert Renée Graham, Kritikerin beim „The Boston Globe“ in der CNN-Dokumentation (ebd., TC 31:38 ff.) 1939 wurde Hattie McDaniel dann auch als erste Schwarze Darstellerin mit einem Oscar für die „Beste Nebenrolle“ ausgezeichnet. Wegen der damals herrschenden Rassentrennung durfte McDaniel aber nicht bei ihren weißen Kollegen im Saal Platz nehmen, sondern musste die Zeremonie von einem Nebenraum aus verfolgen. In ihrer Dankesrede drückte die erste afroamerikanische Oscarpreisträgerin die Hoffnung aus, weiterhin einen wichtigen Beitrag für Schwarze („to my race“) und die Filmindustrie leisten zu können (vgl. ebd., TC 33:24 ff.). Gleichwohl ist Todd Boyd zuzustimmen: „Diese Darstellungen waren verheerend. Aber Hattie McDaniel hat diese Charaktere natürlich nicht geschrieben. Es waren die Weißen, die in Hollywood vorherrschten.“ (Ebd.,TC 17:55 ff.) Diese Dominanz ist bis heute geblieben. Im Mainstreamkino kamen Schwarze über viele Jahrzehnte entweder gar nicht oder nur im Verhältnis von weißer Hauptfigur und Schwarzer Nebenfigur vor.
 

Hattie McDaniel winning Best Supporting Actress: 12th Oscars 1940 (Oscars, 27.09.2011)



Kaum Hollywoodfilme mit Schwarzen Hauptdarstellern

Die Charts der 250 besten Filme aller Zeiten in der Internet Movie Database (vgl. IMDb) macht diese Situation äußerst sinnfällig: Erst auf Platz 57 findet sich mit Django Unchained (2012) der erste Film mit einem afroamerikanischen Hauptdarsteller. Jamie Foxx spielt in Quentin Tarantinos Western die Haupt- und Titelrolle. Im Ranking finden sich gerade noch drei weitere Filme mit Schwarzen Hauptdarstellern: Mahershala Ali in Green Book (2018) auf Platz 134, Chiwetel Ejiofor in 12 Years a Slave (2013, Platz 181) und Viola Davis in The Help (2011) auf Platz 245.

Auf den ersten 30 Plätzen gibt es – wenn überhaupt – nur Filme mit Schwarzen Nebendarstellern. So steht seit seinem Kinostart 1994 die spannende und überraschende Stephen-King-Verfilmung Die Verurteilten unangefochten auf Platz eins der IMDb-Publikumsbewertung. In der Hauptrolle: Tim Robbins. Sein wichtigster Sidekick: Morgan Freeman. Auf Platz acht folgt Pulp Fiction (1994), u. a. mit Samuel L. Jackson und Ving Rhames in Nebenrollen; auf Platz 16 ist Laurence Fishburne in Matrix (1999) neben Hauptdarsteller Keanu Reeves in einer zentralen Nebenrolle zu sehen. In Sieben (1995, Platz 19) wiederum Morgan Freeman neben Brad Pitt und in The Green Mile (1999) auf Platz 28 Michael Clarke Duncan neben Tom Hanks. Diese Ergebnisse zeigen deutlich, wie stark sich die Weiß/Schwarz-Hierarchie über Jahrzehnte und teilweise noch bis heute in der Dramaturgie des Hollywoodfilms abbildet. Dem zum Trotz haben Schwarze Filmemacher in den USA früh Mittel und Wege gefunden, am Rande des Mainstreams ihr eigenes, ihr Black Cinema zu entwickeln.
 

Ursprünge des Black Cinema

Die Wurzeln des Black Cinema reichen bis in die Stummfilmzeit der 1920er-Jahre zurück und sind eng mit dem Namen Oscar Micheaux verbunden. Mit Filmen wie Body and Soul (1925) wurde er – wie Aisha Harris, Filmkritikerin der „New York Times“, in der CNN-Dokumentation erklärt – „zu einem Vorreiter afrikanisch-amerikanischer Filme. Er war Teil des sogenannten ‚Rassenfilms‘, ein Genre, das so alt ist wie der Film selbst. Hier schrieben Schwarze Filmemacher für ein hauptsächlich Schwarzes Publikum.“ (Goetzman et al., TC 00:18:09 ff.)

Einer der ersten Stars des Black Cinema war Paul Robeson. Er spielte u. a. Hauptrollen in Micheaux’ Body and Soul und Kaiser Jones (1933) nach einem Bühnenstück von Eugene O’Neill. In den 1940er- und 1950er-Jahren setzte sich Robeson als bekennender Sozialist für Bürgerrechte und gegen Rassismus ein. Dadurch geriet er in den Fokus der US-Behörden und wurde während der McCarthy-Ära politisch verfolgt. International erfuhr Robeson hingegen große Solidarität, u. a. in der DDR. Straßen und Schulen wurden nach ihm benannt und 1960 erhielt er einen Ehrendoktortitel von der Humboldt-Universität zu Berlin. Ein 1979 erschienener Dokumentarfilm über den Schauspieler wurde 1980 mit einem Oscar ausgezeichnet. Den Filmkommentar sprach Sidney Poitier.
 

The Emperor Jones (1933) Paul Robeson (Cult Cinema Classics, 15.05.2021)



Der erste „Schwarze Oscar“

Poitier gewann 1964 als erster afroamerikanischer Schauspieler überhaupt einen Oscar in der Kategorie „Bester Hauptdarsteller“ für seine Rolle im Film Lilien auf dem Felde (1963) erhalten. Der Schauspieler gehörte der sich in den 1960er-Jahren in den USA formierenden Bürgerrechtsbewegung an. Sie kämpfte gegen Rassentrennung und für eine gleichberechtigte Behandlung aller Menschen ohne Ansehen von Hautfarbe, Geschlecht oder Religion. In der erregten gesellschaftlichen Debatte um Menschenrechte entstand ein Klima, in dem auch Hollywood reagieren musste. Poitier wurde zentraler Protagonist von Filmen, die Rassismus thematisierten, wie der Südstaaten-Krimi In der Hitze der Nacht (1967) oder die Familienkomödie Rat mal, wer zum Essen kommt (1967). Parallel zu solchen ersten Versuchen, die Situation der Schwarzen Bevölkerung auch im Kino einem Massenpublikum nahezubringen, gelang es einigen wenigen Regisseuren, ein eigenständiges Schwarzes Kinos am Rande des Hollywood-Mainstreams zu etablieren.
 

Blaxploitation

Sex, Gewalt und „no budget“ – so lautete die Produktionsformel des sogenannten Exploitationfilms. Mit der Produktionsfirma American International Pictures (AIP) hatte Produzent Roger Corman in den 1960er-Jahren begonnen, mit jungen (weißen) Regisseuren, darunter u. a. Francis Ford Coppola, grelle, schräge und billig produzierte Genrefilme herzustellen. Die Filme zielten darauf ab, durch die extreme Darstellung von Sex and Crime die Sensationsgier und Schaulust des Publikums anzuregen. Afroamerikanische Filmemacher sahen in dieser Produktionsweise eine Chance, im Rahmen des Genrekinos eigenständige Produktionen zu entwickeln, in denen People of Color die Hauptrollen hatten und einen Großteil der Besetzung stellten.

So drehte Gordon Parks den ersten Schwarzen Detektivfilm Shaft (1971) für 1 Mio. US-Dollar in den Straßen von New York. Pam Grier wurde durch ihre Verkörperung der Titelrolle in Foxy Brown (1974) unter der Regie von Jack Hill zu einer Ikone des afroamerikanischen Exploitationfilms. In Hills Film nimmt sie als Hauptfigur Foxy nicht nur auf grausame Weise an all jenen weißen Mitgliedern eines Drogenkartells Rache, die für die Ermordung ihres Freundes, einen Drogenfahnder, verantwortlich sind, sie kämpft auch mit der Hilfe einer Black-Panther-Gruppe um Gerechtigkeit für die Black Community. Jack Hills Film zeigt Foxy als eine Figur, die in der Drogensucht vieler Afroamerikaner eine neue Form der Sklaverei sieht, durch die die Weißen als Drogenhändler Schwarze in ihrer Abhängigkeit halten. Foxy Brown proklamiert, dass Afroamerikaner dieses Abhängigkeitssystem nur zerstören können, wenn sie das Recht selbst in die Hand nehmen. Foxy geht hierbei sehr brutal vor. Nachdem sie von den weißen Mitgliedern des Kartells selbst geschunden und vergewaltigt wurde, übt sie blutige Rache. Sie ermordet alle Gangster des Drogenrings. Am Ende lässt sie den Geliebten von Katherine, der weißen Anführerin des Drogenkartells, von einem Mitglied der Black Panther kastrieren. Anschließend überfällt Foxy die Gangsterchefin in ihrem Haus, schießt sie an und überreicht ihr zu deren Entsetzen die Genitalien ihres Liebhabers in einem Weckglas.
 

Trailer Foxy Brown (Rotten Tomatoes, 05.10.2012)



Ähnlich brutal geht es auch im Showdown von Shaft und in anderen Black-Exploitation-Filmen zu, etwa in der Actionfilm-Reihe (1973/1975) um die Geheimagentin Cleopatra Jones (Tamara Dobson). Das bald „Blaxploitation“ genannte Genre spiegelte mit seinen starken afroamerikanischen Heldinnen und Helden am Beginn der 1970er-Jahre ein verändertes, im Klima der Bürgerrechtsbewegung gewachsenes Selbstbewusstsein der „afro-americans“. Gleichzeitig schuf es neue Rollenklischees, die das Bild der Schwarzen im Mainstreamkino nachhaltig prägten.
 

Selbstbewusstsein, Selbstermächtigung, Selbstjustiz

Nach dem Rollenklischee der fürsorglichen afroamerikanischen „Mammy“ formte Blaxploitation nun das Bild selbstbewusster Schwarzer Heldenfiguren, die Selbstermächtigung erlangen, indem sie Rachemotive ausleben und Selbstjustiz üben. Das Stereotyp des Schwarzen Rächers gelangte schnell in den Mainstream und prägte lange Zeit die Dramaturgie vieler Hollywoodfilme. In Joel Schumachers Verfilmung des John-Grisham-Romans Die Jury (1996) etwa erschießt die Figur des Carl Lee Hailey (Samuel L. Jackson) die beiden weißen Vergewaltiger seiner 10-jährigen Tochter Tonya auf dem Weg in den Gerichtssaal. Dort wären die Täter von einer mehrheitlich weißen Jury vermutlich freigesprochen worden. Hailey kommt selbst vor Gericht. Sein Racheakt wird von der Verteidigung mehr und mehr als Notwehrhandlung moralisch legitimiert. Die Selbstjustiz wird in Schumachers Film und Grishams Justizthriller zur Anklage eines rassistischen Klimas in den Südstaaten, in dem Morde und Vergewaltigungen von Afroamerikanern meist unbestraft blieben. Auch Quentin Tarantinos Neo-Western Django Unchained folgt dieser erzählerischen Linie und zeigt Django-Darsteller Jamie Foxx als unbarmherzigen Rächer an dem Sklavenhalter Calvin Candie (Leonardo DiCaprio), dem Peiniger seiner Frau Broomhilda (Kerry Washington), und als gnadenlosen Ankläger der Sklaverei und Apartheid in den Südstaaten vor dem US-amerikanischen Bürgerkrieg.

Massive Kritik am Rassismus im Polizei- und Justizapparat formuliert auch John Singletons Neuverfilmung des Blaxploitation-Klassikers Shaft (2000): Walter Wade Jr. (Christian Bale), Sohn aus reichem Hause, erschlägt aus purem Rassismus einen jungen Afroamerikaner vor einem Nachtclub. Als Wade auf Kaution freikommt und in die Schweiz flüchtet, quittiert Detective Shaft (Samuel L. Jackson), der in dem Fall ermittelte, den Polizeidienst. Zwei Jahre später kehrt Wade zurück. Abermals wird er von Shaft geschnappt und den Behörden übergeben, doch wieder kommt er auf Kaution frei. Auf eigene Faust findet Shaft nun eine entscheidende Zeugin, die – obwohl von Wade mit einer hohen Geldsumme bestochen – schließlich bereit ist, vor Gericht gegen den rassistischen Mörder auszusagen. Doch auf dem Weg zur Verhandlung wird Wade von der Mutter des Opfers erschossen, weil sie dem von Weißen dominierten Justizsystems nicht zutraut, ein gerechtes Urteil zu fällen.
 

Reale Wut und fiktionale Wunscherfüllung

Die Dramaturgie des Selbstjustiz-Thrillers ist grundsätzlich durch die Dichotomie von Recht und Gerechtigkeit geprägt. Die Geschichten erzählen von Figuren, denen Unrecht widerfährt, die vor Gericht aber keine Verurteilung der Urheber des Unrechts erreichen können und die Bestrafung der Täter deshalb selbst in die Hand nehmen. Die zuvor genannten Beispiele verdeutlichen, dass das Handeln der Schwarzen Rächerfiguren in diesen Filmen durchweg nicht allein individualpsychologisch begründet wird, sondern gesellschaftskritisch unterfüttert ist. Das Handeln der Figuren auf der Leinwand schließt sich bei einem Teil des Publikums mit einer real vorhandenen Wut kurz. Besonders dürfte dies auf afroamerikanische Zuschauer zutreffen, die ebenfalls „racial injustice“ erfahren, also Diskriminierung aufgrund ihrer Hautfarbe. Jene Zuschauer werden das Figurenhandeln moralisch positiv bewerten und vielleicht sogar als fiktionale Wunscherfüllung goutieren, durch die sich ihre eigene Wut ein Stück weit zu entladen vermag.
 

Trailer Boyz n the Hood (Rotten Tomatoes, 18.09.2018)



New Black Cinema

Es waren vornehmlich die frühen Filme von John Singleton, Regisseur des neuaufgelegten Shaft sowie die Produktionen des New Yorker Filmemachers Spike Lee, die in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren eine neue Tonalität in den afroamerikanischen Film hineinbrachten. In seinem Debütfilm Boyz n the Hood (1991) veranschaulicht Singleton anhand des Werdegangs einer Gruppe von Jugendlichen in einem von Afroamerikanern bewohnten Viertel die Probleme innerhalb der „Black Community“. Er spießt Drogensucht, die Vorurteile Schwarzer Polizisten gegenüber den eigenen „Brüdern“, aber auch die Gangkriminalität unter Jugendlichen auf. Am Beispiel seiner Hauptfigur Tre (Cuba Gooding Jr.) zeigt Singleton zugleich, dass es Schwarze mit der Unterstützung fürsorglicher und weitsichtiger Erwachsener wie Tres Vater Jason (Laurence Fishburne) schaffen können, dem gewalttätigen Umfeld zu entfliehen und eine Bildungskarriere zu beginnen. Boyz n the Hood ist ein Plädoyer für den Frieden unter Schwarzen. Denn: Die gewaltsame Lösung von Nachbarschaftskonflikten, die durch die Möglichkeit, überall Waffen kaufen zu können, noch geschürt wird, wird in Singletons Film ebenso als ein Herrschaftsprinzip der Weißen dargestellt wie der von Weißen organisierte Drogenverkauf. Beides diene dazu – so führt es Tres Vater in einer Szene aus –, dass sich die afroamerikanische Gemeinde in der US-Gesellschaft nicht weiterentwickele.
 

Do the right thing

Ebenfalls von einer Gewaltspirale in einem Schwarzenviertel erzählt Spike Lee in Do the right thing (1989). Von kleinen Geschichten einiger Charaktere im Umfeld einer italienischen Pizzeria ausgehend, entzündet sich an alltäglichen Ausgrenzungserfahrungen der Afroamerikaner eine Konfliktsituation. Im Laufe eines heißen Tages in New York lädt sich die Stimmung im Viertel zunehmend auf, bis es zu einer katastrophalen Konfrontation zwischen dem italienischen Pizzeriabesitzer (Danny Aiello) und einigen seiner afroamerikanischen Nachbarn kommt, darunter auch sein Mitarbeiter Mookie (Spike Lee). Im Unterschied zu seinen späteren politischen Thesenfilmen wie Malcolm X (1992) oder Get on the Bus (1996) verzichtet Lee hier anders als Singleton auf eine Kommentierung und Einordnung seiner Erzählung in einen politischen Erklärzusammenhang. Diesem Prinzip folgt Spike Lee schon seit Langem, auch in neueren Filmen wie BlackkKlansman (2018), in dem die authentische Geschichte von Ron Stallworth nacherzählt wird. Der afroamerikanische Polizist ermittelte Anfang der 1970er-Jahre undercover im rassistischen Klu-Klux-Klan. Er gab sich trotz seiner Hautfarbe als Feind der Schwarzen „Rasse“ aus. In Lees Film verkörpert John David Washington, der Sohn von Denzel Washington, den mutigen Polizisten, der mithilfe seines weißen Kollegen Flip Zimmerman (Adam Driver) die Attentatspläne gegen eine Black-Panther-Aktivistin aufdeckt und ihre Ermordung vereiteln kann.
 

Trailer BlacKkKlansman (Universal Pictures, 04.06.2018)



Eigene Themen setzen

Singleton und Lee richteten mit ihren Filmen den Blick auf afroamerikanische Figuren und deren Geschichten neu aus, schufen differenzierende Perspektiven auf die Probleme innerhalb der eigenen Community, aber auch auf das Zusammenleben von Schwarz und Weiß. Damit zeigten sie neue Wege auf, überkommene Rollenklischees und Stereotype von People of Color im US-Film zu durchbrechen. Um in dieser Weise eigene Themen in ihren Filmen setzen zu können, waren beide Filmemacher darum bemüht, ihre Projekte nicht nur als Autoren und Regisseure zu realisieren, sondern auch die Produktion zu kontrollieren. Damit stellten sie die entscheidende Frage, nämlich „wie viel Zugang ethnische Minderheiten zu Macht- und Prestige-Positionen innerhalb der amerikanischen Filmindustrie bekommen und wie sich auch dort, wo die Filme erdacht, in Auftrag gegeben und produziert werden, die Demographie der USA angemessen widerspiegelt“ (Borcholte 2016). Bis in die jüngere Zeit hinein waren Afroamerikaner in Hollywood auf die Unterstützung durch weiße Produzenten und Regisseure angewiesen, um für sie relevante Themen wie Apartheid und Rassismus im Mainstreamkino filmisch verarbeiten zu können.

Der weiße Produzent Roger Corman entdeckte einst Pam Grier und besetzte sie Ende der 1960er-Jahre in einigen seiner Filme, bevor sie zum Star des Blaxploitation wurde. Ihr Comeback in den 1990er-Jahren hatte sie maßgeblich dem weißen Regisseur Quentin Tarantino zu verdanken, der ihr mit Jackie Brown (1997) ein kinematografisches Denkmal setzte. Tarantino war es dann auch, der in Django Unchained mit Hauptdarsteller Jamie Foxx den ersten afroamerikanischen Westernhelden kreierte und interessanterweise mit einem weißen Sidekick, der Figur des Kopfgeldjägers King Schultz (Christoph Waltz), auf die Leinwand brachte. Und Denzel Washington konnte als Hauptdarsteller in Hurricane (1999) unter der Regie des liberalen weißen Norman Jewison den Boxer Rubin Carter verkörpern. Carter ist in den 1960er-Jahren aufgrund einer von Ressentiments und Vorurteilen geprägten Polizeiarbeit für einen dreifachen Mord unschuldig zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden.
 

Afroamerikaner als Hollywoodproduzenten

Mittlerweile ist Denzel Washington selbst Produzent. 2020 realisierte er in dieser Funktion mit Netflix Ma Rainey’s Black Bottom, ein intensives Kammerspiel in der Regie von George C. Wolfe. Erzählt werden die Geschehnisse rund um die Studioaufnahme eines Songs der in den 1920er-Jahren berühmten US-Bluessängerin Ma Rainey. Unaufdringlich zeigt Wolfes Film die Selbstverständlichkeit, mit der Schwarze Künstler durch weiße Produzenten ausgebeutet wurden. Am Ende ist Ma Rainey, grandios verkörpert von Viola Davis, in einer langen Großaufnahme die Erschöpfung und Verzweiflung eines von der Ausnutzung ihres Talents geprägten Künstlerlebens geradezu ins Gesicht geschrieben. Unterschnitten wird diese Einstellung von einer Szene, in der der weiße Studiochef die Hoffnungen des Trompeters Levee Green (Chadwick Boseman) auf eine eigene Gesangskarriere zunichtemacht. Diese Ausgrenzungserfahrung erzeugt in Green eine Wut, die sich aber nicht gegenüber dem weißen Produzenten entlädt. Ausgelöst durch eine Nichtigkeit, richtet er seine Frustration gegen ein anderes Schwarzes Bandmitglied, was in einer Bluttat mündet. Der Film endet damit, dass eine komplett weiße Band mit einem weißen Sänger eines von Greens Stücken im Studio aufnimmt, die der Produzent zuvor für läppische fünf Dollar von Green erworben hatte.
 

Trailer Ma Rainey's Black Bottom (Netflix, 19.10.2020)



Auch die Serie How to Get Away with Murder (2014 – 2020) zeigt, dass eine fundamentale Kritik am Verhalten der Weißen gegenüber den Schwarzen wohl nur mit afroamerikanischen Produzenten möglich ist. Zuvor, etwa in Filmen wie Hurricane oder Die Jury, werden die Weißen immer noch ein Stück weit dadurch rehabilitiert, dass es „white savior“-Figuren gibt, ohne deren Hilfe und Rettung die Schwarzen ihre Notsituation nicht überwinden können. Demgegenüber wird in How to Get Away with Murder, produziert von der Afroamerikanerin Shonda Rhimes, der kompromisslose Kampf der Strafverteidigerin Annalise Keating (Viola Davis) gegen das rassistische Justizsystem in den USA so eindringlich geschildert, wie es zuvor im US-Fernsehen kaum zu sehen war. Die Serie schafft es durch die Darstellung verschiedener krimineller Verstrickungen und durch die Thematisierung persönlicher Probleme der Protagonistin, über mehrere Staffeln hinweg spannend zu bleiben. Und im Genrekino entwickelt Autor-Regisseur Jordan Peele, der seine Filme mittlerweile auch selbst mitproduziert, raffinierte neue Perspektiven auf das Zusammenleben von Schwarzen und Weißen, etwa in seinem Horrorfilm Get Out (2017). Im aktuellen Kinofilm The Inspection wiederum rüttelt Regisseur Elegance Bratton gleich an mehreren Tabus: Der Film, mit Broadwaystar Jeremy Pope in der Hauptrolle, erzählt von den ambivalenten Erfahrungen eines homosexuellen Schwarzen Mannes während seiner Ausbildung bei den US-Marines.
 

Fazit

Nach mehr als 100 Jahren Filmgeschichte deutet sich nun zumindest für afroamerikanische Filmemacher in Hollywood der Beginn einer grundlegenden Wandlung an. Dies zeigt sich auch im Blockbuster-Kino: Nach dem überraschenden Tod des Black-Panther-Darstellers Chadwick Boseman konzipierte Disney die Marvel-Comicverfilmung völlig neu. In der Fortsetzung Black Panther: Wakanda Forever (2022) verbinden sich Black Power und Frauenpower, stehen eine weibliche Black Panther (Letitia Wright) und weitere starke Schwarze Frauenfiguren im Mittelpunkt der Handlung.

Dass dieses Jahr erstmals eine asiatischstämmige Frau einen der wohl renommiertesten Oscars erhielt, kann Hoffnung darauf machen, dass die Diversifizierung Hollywoods weiter voranschreitet. Ähnliches kann man auch dem deutschen Kino nur wünschen. Laut den Zahlen des Statischen Bundesamtes hatten 2022 etwas mehr als 20 Mio. Menschen in der Bundesrepublik einen migrantischen Hintergrund (vgl. Destatis 2023). Das ist fast jeder Vierte. Wann werden sich ihre Themen in der hiesigen Film- und Fernsehlandschaft abbilden?
 

Quellen:

Borcholte, A.: Boykott schwarzer Künstler. Die Oscars sind nur das Symptom. In: SPIEGEL Kultur, 23.01.2016. Abrufbar unter: www.spiegel.de (letzter Zugriff: 24.10.2023)

Brockmann, T.: Das moderne Hongkongkino. In: T. Christen/R. Blanchet: Einführung in die Filmgeschichte 3. New Hollywood bis Dogma 95. Marburg 2016, S. 412–432

Destatis: 24,3 % der Bevölkerung hatten 2022 eine Einwanderungsgeschichte. In: Destatis, Statistisches Bundesamt, 20.04.2023. Abrufbar unter: www.destatis.de (letzter Zugriff: 24.10.2023)

Goetzman, G./Hanks, T./Herzog, M.: The Movies – Die Geschichte Hollywoods. USA 2019. Abrufbar unter: www.ardmediathek.de (letzter Zugriff: 24.10.2023)

Gottlieb, S.: Asian-Americans in Hollywood: Von Der Lachfigur zum Coolness-Faktor. In: DER STANDARD, 14.03.2023. Abrufbar unter: www.derstandard.de (letzter Zugriff: 24.10.2023)

IMDb: IMDb-Charts. IMDb Top 250 Filme. In: IMDb. Abrufbar unter: www.imdb.com (letzter Zugriff: 24.10.2023)

Statista: USA: Zugehörigkeit zu den Ethnien nach Selbstzuschreibung im Jahr 2022. In: Statista, 03.07.2023. Abrufbar unter: de.statista.com (letzter Zugriff: 24.10.2023)