„Am Ende braucht man immer noch einen kreativen Kopf, der etwas erschafft.“

Eva Maria Lütticke im Gespräch mit Jules Villbrandt

Jules Villbrandt hat ein Auge für Ästhetik. Die Berlinerin arbeitet seit 2010 selbstständig als Content Creatorin und hat ihre Kamera fast immer dabei. Seit diesem Jahr befasst sich Villbrandt mit KI-generierten Bildern. In kürzester Zeit haben sich ihrem KI-Instagram-Account (@ruta_diallo) 4.606 Follower*innen angeschlossen. Im Gespräch erzählt sie, warum es ihr so schwerfällt, sich auf ein Motiv zu beschränken und was KI mit ihrer Kreativität macht.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 3/2023 (Ausgabe 105), S. 38-43

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Was reizt Sie an der Gestaltung von Bildern mit künstlicher Intelligenz?

AI ermöglicht es, Dinge zu tun, die sonst nicht möglich wären und die ich als Fotografin nicht so einfach realisieren könnte – weder in diesem Umfang noch in einem so interessanten Spannungsfeld. Daher finde ich es im Großen und Ganzen langweilig, wenn man nur Sachen macht, die man eigentlich auch fotografieren könnte: Berliner Türen oder Ähnliches. Für mich muss immer noch ein Twist hinzukommen, beispielsweise eine Plane vor der Berliner Altbautür. Mir ist es wichtig, dass meine Kunst oder meine Arbeit etwas Besonderes ausstrahlt.

Es muss also nichts Fantastisches sein, sondern ein Motiv, das sonst so nicht vorkommt?

Ja, genau. Ich mag nicht so sehr die extrem fantastischen Dinge. Wenn es zu sehr in diese Richtung geht, entspricht es nicht meinen ästhetischen Vorlieben. Ich mag Motive, die realistisch sein könnten, aber in Verbindung mit etwas Opulentem, Extremem oder Überdimensioniertem stehen, das ich sonst nicht fotografieren könnte.
 


Mir hat die Reihe „Gallery Weekend in Berlin“ sehr gut gefallen, weil es wirklich so aussah, als ob es ein Atelier in Berlin wäre, wo die Personen passend zu den Kunstwerken von hinten abgelichtet wurden.

Ja, ich hatte irgendwie vergessen, die Galerien zu besuchen. Dann habe ich mir Gedanken gemacht und fand es interessant und amüsant, zu sehen, wie das Programm die Kunstwerke umgesetzt hat, basierend auf meinen Vorgaben. Denn letztendlich geht es dabei um den Stil. Manchmal sind es auch solche Dinge, bei denen man sich vielleicht nicht traut. Man kann z. B. im Museum gut Leute von hinten fotografieren, das habe ich auch schon gemacht, aber in anderen Einstellungen fällt es einem schwerer. Mit AI kann man also Vorstellungen umsetzen, die man sich im wahren Leben vielleicht nicht traut.

Wie unterscheidet sich Ihr kreativer Schaffensprozess beim Kreieren von KI-Bildern im Vergleich zu der Arbeit mit der Kamera?

Meine eigene Kreativität bringe ich meistens für einen Kunden oder im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit ein. Bei den AI-Projekten hingegen sitze ich wirklich lange und überlege: Was interessiert mich? Was gibt es noch nicht? Was könnte etwas in Menschen auslösen? Dabei arbeite ich kreativer und intensiver als in meinem eigentlichen Job.

Wann haben Sie angefangen, mithilfe von KI Kunst zu machen?

Ich habe tolle KI-generierte Bilder gesehen, die mich absolut faszinierten. Anfangs hatte ich nicht einmal erkannt, dass sie nicht real waren. Dann wurde mir schnell klar: „Ich muss das lernen …“ Also setzte ich mich hin und experimentierte so lange, bis ich Fortschritte erzielte. Jetzt verbringe ich manchmal Tage damit, darüber nachzudenken, was ich erschaffen könnte, und probiere verschiedene Ansätze aus. Oft erreiche ich nicht genau das, was ich mir vorstelle, aber im Prozess des Experimentierens entstehen neue Ideen. Es ist ziemlich aufregend, dass man einerseits Geduld haben muss, aber sich auch ein wenig treiben lassen kann.
 


Durch die KI hat man die Möglichkeit der Vervielfältigung, man kann eine Idee immer wieder reproduzieren. Macht das irgendetwas mit dem Werk?

Ein Problem, das ich auch bei der Fotografie habe, ist, dass ich meistens zu viele Optionen habe, weil mir so viele Dinge gefallen. Beim Arbeiten mit KI ist es ähnlich, da so viel dabei herauskommt. Manchmal denke ich, dass weniger ausreichen würde. Aber ich bin selbst so begeistert von dem, was entsteht. Wenn ich der KI einen „prompt“ [einen Befehl in Textform, Anm. d. Red.] gebe, liefert sie immer vier Vorschläge. Aus diesen wähle ich dann aus, was ich gut finde. Dabei fällt schon eine Menge weg. Aber man kann auch alle vier Vorschläge nehmen oder nochmals draufklicken, um weitere vier zu erhalten. Die KI bietet so viele Möglichkeiten an, dass es schwierig ist, nicht alles auszuschöpfen.

Würden Sie sagen, dass das Skills sind, die Sie sich angeeignet haben?

Absolut. Besonders am Anfang war ich komplett in das Thema vertieft. Ich war praktisch tagelang kaum ansprechbar. Man merkt, dass bestimmte Fähigkeiten erforderlich sind, um sich am Anfang zurechtzufinden. Ich benutze Midjourney über Discord, um mit dem Bot zu interagieren. Discord ist eine Chatplattform, die hauptsächlich von Gamern verwendet wird. Es ist am besten, von Anfang an einen eigenen Server zu erstellen, der sozusagen ein kleiner Bereich ist. Dann experimentiert man viel herum und schaut, was funktioniert, also wie man mit dem Bot kommuniziert. Es gibt viele Dinge, die ich auch noch nicht kenne, möglicherweise auch neue Entwicklungen, wie z. B. das Verhältnis von Hintergrund zu Vordergrund. Manche Dinge funktionieren nicht im gewählten Format. Straßen kann der Bot in einem breiteren Format vielleicht besser darstellen, weil es für Straßen sinnvoller ist. Man erfährt solche Dinge entweder durch Recherche oder durch Ausprobieren. Wenn ich beispielsweise „Wes Anderson“ eingebe, erhält das Bild einen anderen Look als bei „Tim Burton“ oder „Annie Leibovitz“.

Wie ist die Resonanz auf Ihre Bilder im Netz?

Supergut! Viele Leute sagen mir, dass sie auf eine gewisse Weise davon angesprochen werden oder dass die Bilder eine Wärme ausstrahlen. Ich beobachte natürlich auch, was bei anderen passiert. Einmal wurde ein Bild von mir geteilt, da gab es extrem heftige Kritik von KI-Gegnern. Man merkt deutlich, dass Menschen Angst oder sogar Panik haben, ersetzt zu werden oder Ähnliches. Es ist die Angst vor dem Unbekannten und natürlich vor dieser Maschine. Außerdem finde ich es interessant, dass viele der Kommentare, die wir jetzt hören, Ähnlichkeiten mit den Kommentaren haben, die damals bei der Einführung der Fotografie gemacht wurden. Es ging um die Seele der Dinge und darum, dass Arbeitsplätze überflüssig werden. Ich halte das für völligen Unsinn. Meistens sind es Menschen, die noch nicht viel damit gearbeitet haben. Es besteht auch die ständige Angst vor Urheberrechtsverletzungen. Wenn man jedoch einmal sein eigenes Bild hochgeladen und dem Bot gesagt hat: „Mach dies und das“, wird man feststellen, dass es nichts mit dem Urheberrecht zu tun hat, da KI keinen direkten Zugriff auf bestimmte Dinge hat. Es gibt vielleicht schon Parallelen, aber es gibt nichts, was es eins zu eins übernehmen könnte. Zumindest noch nicht.
 


Viele Menschen haben Angst davor, getäuscht zu werden, oder davor, dass das Dargestellte nicht „echt“ ist.

Das trifft auch auf Photoshop zu, wo vieles nicht mehr „echt“ ist. Das ist typisch für unsere Zeit, oder? Alles, was wir beispielsweise auf Instagram sehen, wird praktisch durch einen Algorithmus präsentiert. Wenn man anfängt, darüber nachzudenken, kann es einen verrückt machen. Deshalb denke ich, dass man sich entspannen und rausgehen sollte, um die echte Welt zu betrachten. Mir fällt das besonders auf, wenn ich zu sehr im KI-Tunnel stecke und dann rausgehe und denke: „Wow, dieser Ort sieht großartig aus! Die Struktur!“ Dadurch sehe ich meine Umgebung auf eine andere Art und Weise. Ich habe generell eine Vorliebe für die Schönheit im Alltäglichen. Gerade die unscheinbaren Dinge finde ich großartig: Baustellen, Müllsäcke, Plastiktüten usw. Andere sehen da nur Müll!

Die Plastiktüten haben mir sehr gut gefallen! Die neueren Fotos haben definitiv eine andere Ästhetik. War die Serie Bridgerton auf Netflix vielleicht eine Inspiration?

Nein, aber man könnte das denken. Ich weiß gar nicht, wie ich auf die Idee gekommen bin. Zuerst habe ich den Tüll-Turm gemacht, fand es dann aber irgendwie langweilig, weil am Ende nur weiße Personen abgebildet waren. Und daraus entstand die Idee, eine Reihe mit ausschließlich Schwarzen Menschen zu machen.

Gibt es eine algorithmische Ästhetik oder einen wiederkehrenden KI-Stil?

Es gibt viele Fragen dazu, wie man trotz der Fülle von Ideen einen einheitlichen Stil beibehalten kann. Bei mir ist das, was ich an das Ende des „prompts“ setze, oft gleich, um einen einheitlichen Stil zu erzeugen. Im Großen und Ganzen finde ich schon, dass der AI-Stil oft ähnlich ist und vor allem oft einfach schöne Bilder generiert. Selbst wenn du sagst: „Mach mir einen Apfel“, ist es nicht einfach nur ein Apfel, sondern er ist immer auf einem Tisch usw. Die KI erzeugt von selbst schon eine gewisse Räumlichkeit und Schönheit. Manchmal ist es sogar schwieriger, Dinge wegzunehmen oder es clean zu halten.

Machen Sie bei Ihren Bildern deutlich, dass diese mit KI generiert wurden?

In den Bildunterschriften meines KI-Accounts weise ich immer darauf hin, dass es sich um KI handelt. Ich finde es schwierig, wenn damit nachlässig umgegangen wird. Leider machen das viele große Accounts. Wir können da gerne aus dem Nähkästchen plaudern. Die Zeitschrift „AD“ [„Architectural Digest“, Anm. d. Red.] hat beispielsweise eines meiner Bilder genommen und gepostet, ohne zu erwähnen, dass es von KI generiert wurde. Das finde ich fahrlässig. Ich verstehe, dass sich Leute getäuscht oder betrogen fühlen, wenn das nicht klar kommuniziert wird. Gerade am Anfang sollte es eine Etikette geben, damit die Leute Bescheid wissen.
 


Vor Kurzem hat jemand einen Fotowettbewerb mit einem KI-generierten Bild gewonnen. Allerdings hat er den Preis abgelehnt – mit der Begründung, dass er eigentlich nur auf die Thematik aufmerksam machen wollte. Für ihn sollten Fotografie und KI-Bilder klar voneinander getrennt betrachtet werden.

Die interessante Sache ist, wie schnell etwas kopiert werden kann. Das ist wirklich verrückt. Ich meine das Kopieren im Sinne von Ideen, denn heutzutage gibt es so viele Möglichkeiten und einen enormen Output in kürzester Zeit. Ein gutes Beispiel dafür war das: An einem Morgen habe ich die Preview einer Geschichte über die Amalfiküste mit vielen Sonnenschirmen in meinen Storys gepostet. Eigentlich wollte ich es erst am Abend veröffentlichen, da ich mit den Bildern noch nicht ganz zufrieden war. Nun ja, in der Zwischenzeit hat jemand, der meine Story gesehen hat, eine ganze Reihe ähnlicher Ideen entwickelt und natürlich gepostet. Aus diesem Grund gibt es diese Art von Geheimhaltung und ein bisschen „Gatekeeping“. Man veröffentlicht etwas erst, wenn man sich sicher ist. Das ist eine andere Herangehensweise, aber irgendwie auch faszinierend. Und natürlich hat jeder trotzdem seine eigenen Ideen und seinen eigenen Stil. Am Ende braucht man immer noch einen kreativen Kopf, der etwas erschafft. Sei es zur Umsetzung durch einen selbst oder andere. Es sind immer noch die Ideen hinter den Bildern, die den goldenen Kern ausmachen.

Kann KI helfen, den eigenen künstlerischen Prozess zu verbessern, z. B. in der Fotografie?

Es kann sicherlich hilfreich sein, aber man sollte den Aufwand am Ende nicht unterschätzen. Wenn man sehr genaue Vorstellungen hat, ist es oft einfacher, selbst eine Skizze anzufertigen.

Wie lange brauchen Sie für eine KI-Fotoreihe, die Sie auf Instagram posten?

Heute habe ich z. B. drei Stunden damit verbracht. Ich habe mittlerweile einige Ideen, die ich begonnen habe, aber noch nicht richtig gut finde. Die schlummern jetzt so vor sich hin. Manchmal nutze ich die Sachen, um daraus etwas Neues zu kreieren, wie z. B. Collagen oder Animationen.

Wie bei den Stühlen?

Ja, das hat mir auch großen Spaß gemacht. Ich wusste beispielsweise, dass die Stühle nicht so viele Leute ansprechen würden, weil das nicht komplette Welten sind, die dargestellt werden, sondern eben nur Stühle. So etwas wie die Nonnen in Rosa werden von den Leuten geliebt, weil sie in einen größeren Kontext eingebunden und generell kitschiger sind. Kitsch kommt beim Publikum immer gut an. Die Stühle hingegen haben eine bestimmte coolere Ästhetik, die ich sehr mag. Daher habe ich daraus eine Animation erstellt.

KI steckt noch in den Anfängen, d. h., wir werden schon bald noch viel mehr Bilder sehen. Glauben Sie, dass sich dadurch unser Kunstverständnis verändert?

Einerseits kann ich mir gut vorstellen, dass es durchaus Auswirkungen hat. Im schlimmsten Fall führt es zu einer Abstumpfung gegenüber Wow-Momenten, sodass uns kaum noch etwas richtig überraschen kann. Andererseits denke ich manchmal, dass dann der Wunsch nach realen Dingen stärker wird. Vielleicht liegt es auch in der Natur der Sache, dass die Bilder letztendlich auf etwas verweisen, das es bereits gegeben hat.

Welche ethischen Herausforderungen ergeben sich, wenn mithilfe von KI extrem realistische Bilder erstellt werden können?

Ich finde es zunächst einmal faszinierend, verschiedene Dinge auszuprobieren und zu sehen, was funktioniert und was nicht. Eine Sache, die ich beispielsweise von Anfang an ausprobiert habe, war die Darstellung von Menschen mit Plus-Size-Konfektionsgröße. Das funktionierte nicht. Die KI kann entweder nur sehr schlank oder sehr dick darstellen. Und wenn man eine Person abbilden möchte, wird automatisch davon ausgegangen, dass es sich um eine weiße Person handelt. Wenn jemand schwarzer Hautfarbe sein soll, muss dies explizit angegeben werden. Das ist schon interessant. Generell finde ich es großartig, dass Midjourney bestimmte Grundsätze hat, z. B. keine Gewalt, keine Leichen und keine sexuellen Darstellungen. Diese sind nicht möglich. Auch nackte Brüste oder Ähnliches können nicht erzeugt werden. Ich finde, diese Richtlinien sollten definitiv beibehalten werden.
 


Anmerkung:

Die KI des Programms Midjourney kann die Farbe Rosa besonders gut darstellen. Dagegen scheint sie Probleme mit der Darstellung von Fingern zu haben. Auch Gesichter werden oft nicht gut wiedergegeben, was dazu führt, dass KI-generierte Bilder oft Personen von hinten zeigen oder Gesichter absichtlich abgeschnitten werden. Es ist jedoch einfach, mit KI verschiedene Stile zu reproduzieren – wie z. B. die Darstellung einer Schwarzen Frau in einem Renaissancekleid, deren stilistisches Vorbild die Gemälde von Caravaggio aus dem 17. Jahrhundert sind.

 

Jules Villbrandt ist Content Creatorin, Fotografin, Künstlerin und Medienschaffende. Sie ist u.a. Gründerin des Interior- und Lifestyle-Blogazine HERZ&BLUT.

Eva Lütticke studierte Medienwissenschaften (M.A.) an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Zurzeit arbeitet sie als Redakteurin bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).