Zwischen Expertise und Scharlatanerie

Claudia Mikat

Claudia Mikat ist Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).

Claudia Mikat, Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), fasst in ihrem Editorial der tv diskurs-Ausgabe zum Thema Gesundheitskommunikation zusammen: „Wer sich zu Gesundheitsthemen informieren möchte, muss sich in der Angebotsfülle zurechtfinden, Quellen hinterfragen, zwischen Expertise und Scharlatanerie unterscheiden können.“

Printausgabe tv diskurs: 25. Jg., 4/2021 (Ausgabe 98), S. 1-1

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Das Thema „Gesundheitskommunikation“ gehört zu den zentralen Anliegen der Moderne. Ob Homöopathie oder Schulmedizin, das Verbot von Tabakwerbung oder Kampagnen gegen Suchtgefahr – Gesundheitsrisiken und Hinweise für eine gesunde Lebensführung wurden und werden regelmäßig in den Medien thematisiert. In Zeiten von Corona erlangte die Gesundheitskommunikation allerdings eine neue Qualität. Einerseits waren es die Medien, die ihrem Informationsauftrag nachkamen und über die Bedrohung durch das Virus berichteten. Bis heute informieren Virologinnen und Virologen auf allen medialen Kanälen über den gefährlichen Erreger. Selbst die Bundeskanzlerin nutzte Fernsehansprachen und TV-Auftritte, um die Bevölkerung aufzuklären.

Andererseits aber befeuerten mit dem Start der Pandemie auch (selbst ernannte) Meinungsführerinnen und -führer die mediale Diskussion. Mit kruden Thesen stachelten sie „Querdenkende“ an und brachten Menschen auf der Straße und in sozialen Netzwerken hinter sich. Impfgegnerinnen und -gegner, die an Mikrochips im Impfstoff glauben, oder COVID-19-Erkrankte, die noch auf dem Sterbebett die Existenz des Virus leugnen – Beispiele wie diese machen deutlich, welche Macht falsche Propheten und nebulös-esoterische Aktivistinnen und Aktivisten haben können, wenn sie ihre Fehlinformationen unters Volk bringen. Digitale Netzwerke und Messengerdienste wirken dabei als Brandbeschleuniger, indem sie Informationen nach Anzahl der Klicks priorisieren. Auch wenn vielleicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein, so beruhigt es angesichts dieser Situation doch, dass soziale Netzwerke ihrerseits Unwahrheiten markieren oder löschen, lügenverbreitende Accounts sperren und „Wissensjäger“ mit Faktenchecks und auf Mythbuster-Seiten aktiv sind, um Falschmeldungen zu widerlegen.

Unabhängig von der Coronakrise wird das Medienangebot zu Gesundheitsthemen grundsätzlich mehr und mehr zu einer zentralen Informationsquelle und Orientierungshilfe. Ärztinnen und Ärzte können ein Lied davon singen, ist ihnen doch mit „Dr. Google“ eine ernst zu nehmende Konkurrenz erwachsen. Dabei stoßen diejenigen, die sich auf der Suche nach gesundheitsrelevanten Informationen in das Netz begeben, gleichermaßen auf Fakten und Fakes, auf seriöse Information und echte Lebenshilfe – und auch auf fragwürdigen oder sogar riskanten Unsinn. Ob Botschaften verfangen, ist dabei stark mit der jeweiligen Emotion verknüpft, die durch das Rezipieren wachgerufen wird. Hier zeigt sich das besondere Wirkpotenzial von audiovisueller Kommunikation und von Personen, die zu Identifikation und Empathie einladen: Wenn Mai Thi Nguyen-Kim lässig über Vitamin D aufklärt oder Jenke von Wilmsdorff im Selbstexperiment vorführt, welche gesundheitlichen Folgen täglicher Fleischkonsum hat, erreicht das viele Zuschauerinnen und Zuschauer mehr als eine sachliche Broschüre. So ist es auch bei manchem Medical-Format. Dort präsentierte Aufnahmen von Schuppenflechten oder Fußanomalien mögen auf den ersten Blick befremdlich oder gar schockierend wirken. Doch wenn statt Voyeurismus die Empathie im Vordergrund steht, hilft das der einen oder dem anderen womöglich, Ängste abzubauen und ärztlichen Rat einzuholen.

Auch Informationen zu Gesundheitsfragen in sozialen Netzwerken, die speziell für Jugendliche relevant sind, bergen Chancen und Risiken. Einerseits bieten Social Media den Heranwachsenden eine Vielzahl von Hilfsangeboten und vor allem auch ein Forum, das sie mit eigenen Problemen nicht allein sein lässt. Andererseits werden aber auch Illusionen geschürt und beispielsweise überhöhte Schönheitsideale propagiert. Je nach Suchanfrage oder Likes können die Algorithmen, die für personalisierten Content sorgen, sinnvolle Ernährungstipps oder Pro-Ana-Botschaften an die Oberfläche spülen. Schnell wird die mediale Kommunikation dann selbst zum gesundheitlichen Risiko. So leidet manch Heranwachsender unter digitalem Stress, die Anzahl von Followern entscheidet über das Selbstwertgefühl. Und auch Cybermobbing oder Hassbotschaften sind unkontrollierbare Phänomene, die zu ernsthaften Belastungen führen können. Dem entgegenzuwirken, sichere Surfräume mit verständlichen Informationen und Orientierungshilfen zu bieten, ist Aufgabe von Medienbildung und Kinder- und Jugendschutz.

Fakt ist: Wer sich zu Gesundheitsthemen informieren möchte, muss sich in der Angebotsfülle zurechtfinden, Quellen hinterfragen, zwischen Expertise und Scharlatanerie unterscheiden können. Ein solch reflektierter Medienumgang will gelernt sein. Denn in puncto Mediennutzung gilt leider nicht: „Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Ärztin oder den Apotheker!“

Ihre Claudia Mikat