Wie im Mittelalter

In den Fernsehnachrichten ist Europa nach wie vor der Nabel der Welt

Tilmann P. Gangloff

Tilmann P. Gangloff ist freiberuflicher Medienfachjournalist.

Das Fernsehen galt lange als Fenster zur Welt, und für die meisten Zuschauer stimmt das immer noch: Ihr Wissen über andere Kontinente verdanken sie in erster Linie den TV-Nachrichten. Dr. Kai Hafez, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt, stellt Tageschau, heute oder RTL aktuell jedoch ein miserables Zeugnis aus: weil die Berichterstattung zu einem latenten Rassismus führe.

Online seit 14.09.2020: https://mediendiskurs.online/beitrag/wie-im-mittelalter/

 

 

Der Politik- und Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez erforscht unter anderem die politischen Beziehungen zwischen dem Westen und der islamischen Welt und beschäftigt sich intensiv mit der Auslandsberichterstattung. Afrika zum Beispiel, kritisiert er, tauche stets nur in negativen Kontexten auf. Das habe naturgemäß Folgen für unser Bild jener Menschen, die als Migranten zu uns kämen:

Im Grunde sind wir keinen Schritt weiter als vor 50 Jahren. Unser Blick auf die Welt ist nach wie vor sehr eurozentrisch. Die Nachrichtenwelt ist immer noch aufgeteilt in eine demokratische westliche Sphäre und eine eher feindliche, unmoderne und repressive asiatisch-afrikanische Sphäre.“


Solche „angstbehafteten Kontexte“ führten letztlich zu einem latenten oder manifesten Rassismus, weshalb etwa der Islam vielen Menschen Angst mache. China sei ebenfalls stark negativ besetzt:

Wir sind überhaupt nicht vorbereitet auf den Weltenwandel, der sich gerade vollzieht. Aus europäischer Sicht bleiben ‚die Fremden‘ minderwertig. Nur so ist das Erstaunen darüber zu erklären, dass sich China innerhalb von 30 Jahren von einem Armenhaus zu einer Weltmacht entwickelt hat.“


Trend zur Polarisierung

Die Feststellung, seit dem Mittelalter habe sich also nicht viel geändert, würde Hafez zwar nicht unterschreiben, aber auch er sieht „einen starken Trend zur einfachen Polarisierung: ‚Wir gegen die anderen.‘“

Über die Hälfte der Deutschen halte den Islam für gewaltsamer als alle anderen Religionen; die meisten dieser Menschen seien islamophob.

Unser Bild von Afrika sei nach wie vor stark kolonial behaftet, weil große Teile der Fernsehberichterstattung zu Ethnologie und Traditionalismus neigten, aber die Wirklichkeit sei natürlich viel komplexer:

Viele afrikanische Staaten sind bei der Digitalisierung viel weiter als wir, doch in unserem Afrikabild ist der gesamte Kontinent pauschal rückständig. Europa wird ein immer kleinerer Teil der Welt, aber wir klammern uns an die Hegemonialität der letzten 500 Jahre. Der Afrikaner ist jedoch kein Barbar mehr, und das sollte unser Fernsehen zur Kenntnis nehmen, anstatt immer nur über Konflikte, Kriege und Kindersoldaten zu berichten.“

Solche Bilder, sagt Hafez, hätten selbstverständlich einen prägenden Einfluss auf das Weltbild der Zuschauer, und das gelte natürlich auch für andere Programmformen. Sehr problematisch findet er den Bereich der Ethno-Comedy und generell den Umgang der Humoristen mit der Fremdheit: „Das ist zum Teil nach wie vor hochgradig stereotyp. Komödianten mit Migrationshintergrund wie etwa Kaya Yanar oder Bülent Ceylan schlüpfen in Rollen, die von ihnen erwartet werden. Das kommt zwar sehr gut an, ist aber nichts anderes als eine Reproduktion ethnischer Klischees.“ Die Hoffnung, dass daraus ein kathartischer Effekt entstehen könne, weil sich das Publikum ertappt fühle und die Klischees hinterfrage, habe sich nicht erfüllt:

Diese Form von Humor regt nicht zum Nachdenken an, weil sie bloß eine lustige Annäherung an die immer gleichen Stereotype ist. Auf diese Weise bedient die Moderne unter dem Deckmantel des Humors mittelalterliche Vorstellungen.“


Kein „manifester Rassismus“ mehr

Immerhin kann der Wissenschaftler auch etwas Positives vermelden: Den selbst von renommierten Publizisten betriebenen „manifesten Rassismus“ früherer Zeit gebe es nicht mehr. Er erinnert sich an ein Zitat von Peter Scholl-Latour, der Frauen aus Libyen mal „hässlich wie Nilpferde“ genannt habe. „Hans Habe forderte während der Ölkrise in den Siebzigerjahren, man müsse den Arabern die Peitsche geben.“ Beide Formulierungen wären heute nicht mehr denkbar. An ihre Stelle seien „subtile Kontextdefizite“ getreten. Hafez spricht in diesem Zusammenhang von strukturellem Diskursrassismus:

Wir sagen zwar nicht ‚Alle Muslime sind Islamisten‘, aber wenn im Kontext mit dem Islam immer nur von Terrorismus die Rede ist, muss das nicht mehr explizit formuliert werden.“

Er weist aber auch Auswege auf: „Letztlich brauchen die Sender nicht mehr als den Mut zu Reformen, ein bisschen Geld sowie neugierige und hungrige Journalisten.“ Große Hoffnungen macht er sich allerdings offenbar nicht, wie eine Anekdote zeigt: „Als ich einem ARD-Intendanten mal eine internationale Talkshow vorgeschlagen habe, hat er erwidert: ‚Das will doch niemand sehen.‘“

Hafez bezeichnet das als „reine Schutzbehauptung, für die es keinerlei Belege gibt. Die Sender begeben sich selbst in eine kognitive Falle, wenn sie davon ausgehen, dass das Publikum etwas ablehnt, was noch gar nicht ausprobiert worden ist. Es steht doch gar nicht fest, dass sich die Menschen immer nur für die gleichen eingefahrenen Themen interessieren.“ Er könnte sich im Gegenteil vorstellen, dass viele Zuschauer die ständige Monotonie der Auslandsberichterstattung ziemlich satthätten. Die Sender, fordert er, „müssen vom Quotendenken wegkommen und zum Programmdenken zurückfinden. Und sie müssen dringend die Strukturen überprüfen, mit denen sie das Weltbild ihrer Zuschauer in einem dauerhaften Schwarzweiß prägen, denn dieses Weltbild bleibt natürlich nicht ohne Folgen.“