Was ist derzeit die größte Herausforderung für den Jugendmedienschutz?

Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF)

Im April 2019 feierte die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) ihr 25-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass wurden Expertinnen und Experten aus dem Umfeld der FSF, aus Politik, Medienwissenschaft und Pädagogik zu dem aktuellen Medienwandel und den zukünftigen Aufgaben des Jugendmedienschutzes befragt:

„Fernsehen“ beinhaltet heute neben dem linearen Programm auch Streaming, Mobile TV und Video-on-Demand. Was ist derzeit die größte Herausforderung für den Jugendschutz bei AV-Angeboten?

Online seit 29.03.2019: https://mediendiskurs.online/beitrag/was-ist-derzeit-die-groesste-herausforderung-fuer-den-jugendmedienschutz/

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Für den Erfolg als TV- und AV-Anbieter ist es heute unumgänglich, auf möglichst vielen Kanälen präsent zu sein, um die Zuschauer zu erreichen. Auf unterschiedliche Regulierungssysteme für verschiedene Übertragungswege und Anbieter müssen die AV-Unternehmen mit einer Vielzahl von Tools und Workflows reagieren. Ein konvergenter Jugendmedienschutz ist daher unerlässlich.

Daniela Beaujean, Justiziarin und Mitglied der Geschäftsleitung für den Bereich „Recht und Regulierung“ bei VAUNET, Verband Privater Medien

 


 

Bei den Alterseinschätzungen sind bislang wenige Zusatzinformationen gegeben. Gerade in dem Alter, in dem Kinder eigenaktiv in der Medienwelt unterwegs sind und die Eltern nicht mehr einen so guten Einblick haben wie vielleicht noch bei Kleinkindern, ist es eine enorme Herausforderung für Eltern, mit den Kindern darüber zu verhandeln, was sie nutzen sollen oder dürfen und was nicht. Von daher ist es wichtig zu vermitteln, warum ein Film für welche Altersgruppe geeignet oder nicht geeignet ist, um Eltern eine bessere Orientierung zu geben, wie sie mit ihren Kindern argumentieren und verhandeln können.

Dr. Niels Brüggen, Leiter der Abteilung „Forschung“ beim JFF –
Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis

 


 

Für uns sind die zentrale Herausforderung die Interaktionsrisiken. Diese Risikodimension ist regulatorisch überhaupt nicht erfasst, ist aber heute mindestens so relevant wie der klassische inhaltsbezogene Kinder- und Jugendmedienschutz. Cybergrooming oder Cybermobbing sind Phänomene, die hochrelevant sind und daher völlig zu Recht gerade ganz große Aufmerksamkeit erfahren. Wir sind es unseren Kindern schuldig, diese Risiken in den Griff zu bekommen und einzudämmen. Außerdem müssen wir für eine konsequente Durchsetzung unseres Rechts sorgen, dort, wo es relevant ist – d.h. bei den Medien, die Kinder und Jugendliche heute tatsächlich nutzen. Die überwiegende Anzahl dieser Angebote ist aktuell ohne jede Regulierung, weil die Anbieter nicht in Deutschland sitzen. Recht, das nicht durchgesetzt wird, ist fataler als überhaupt kein Recht, weil dadurch das Grundvertrauen in die Wirkmacht des Staates, in unsere Gesetze und Institutionen beschädigt wird.

Stefan Haddick, Referent im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)

 


 

Die Herausforderung besteht in unterschiedlichen Alterskennzeichen für scheinbar inhaltsgleichen Content auf verschiedenen Plattformen. Und vor allem darin, dass es für Plattformen wie YouTube offenbar keine Jugendschutzvorschriften gibt.

Birgit Guth, Leiterin der Medienforschung bei SUPER RTL

 


 

Die größte Herausforderung sind nach wie vor nutzergenerierte Inhalte insbesondere auf den großen Video- und Social-Media-Plattformen. Die Vielfältigkeit menschlicher Ausdrucksweisen und Darstellungsformen übersteigt die Möglichkeiten einer automatisierten Kennzeichnung. Selbstkennzeichnung insbesondere im Kontext von Laienangeboten ist eher schwierig und könnte nicht so differenziert wie nach deutschen Altersgruppen erfolgen.

Dr. Stephan Dreyer, Senior Researcher für Medienrecht und Media Governance am Leibniz-Institut für Medienforschung │ Hans-Bredow-Institut (HBI)

 


 

Ganz einfach: gleiche Inhalte auch gleich zu regulieren.

Dr. habil. Gerd Hallenberger, Medienwissenschaftler

 


 

Egal, ob Kinder und Jugendliche audiovisuelle Inhalte über den Smart-TV im elterlichen Wohnzimmer schauen, an einem Computerbildschirm mit Freunden eine Mediathek nutzen oder die Angebote einer Videoplattform alleine in einer App durchforsten: Sie müssen dabei vor Inhalten geschützt sein, die ihnen schaden können. Und dieser Schutz muss in einer digitalisierten Medienwelt unabhängig vom Verbreitungsweg der Inhalte gewährleistet werden. Die größte Herausforderung ist derzeit, wirksame Schutzmechanismen zu entwickeln, die einer konvergenten Medienwelt und dem Mediennutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen hinreichend Rechnung tragen. Hier stehen nach dem Grundgedanken des Gesetzes in erster Linie die Anbieter und die Selbstkontrolleinrichtungen in der Verantwortung. Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) sieht ihre Aufgabe darin, einen entsprechenden Prozess konstruktiv zu begleiten. Darüber hinaus gilt es, den Rechtsrahmen so fortzuentwickeln, dass zukünftig eine regulatorische Gleichbehandlung aller Verbreitungswege sichergestellt ist, ohne dass das Niveau des Jugendmedienschutzes dadurch abgesenkt wird.

Dr. Wolfgang Kreißig, Präsident der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK) und Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM)

 


 

Die existenzielle Herausforderung für den Jugendmedienschutz in Deutschland ist, die Daseinsberechtigung in den kommenden zehn Jahren nicht ganz zu verlieren. Dies gelingt wahrscheinlich nur über eine vollständige Auflösung jugendschutzrechtlicher und institutioneller Unterscheidungen nach Mediensparten. Der Schubladenjugendschutz nach Trägermedien, Rundfunk, Telemedien in acht Gefährdungsstufen ist heute nicht weniger anachronistisch wie es der Index Librorum Prohibitorum Mitte des 20. Jahrhunderts war.

Dr. Marc Liesching, Professor für Medienrecht und Medientheorie
an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig

 


 

Die Digitalisierung der Medien stellt die Regulierung insgesamt vor große Herausforderungen. Im Bereich des Jugendmedienschutzes sollte immer mit dem Ziel gehandelt werden, jungen Nutzerinnen und Nutzern eine unbeschwerte Teilhabe am digitalen Leben zu ermöglichen. Jugendmedienschutz bedeutet aber immer auch, verschiedene Rechte und Freiheiten zu berücksichtigen, also neben dem Schutz der jüngeren Nutzer z.B. auch die Meinungs- und Kunstfreiheit zu achten.
Die Vielzahl und Vielfalt der Angebote – sowohl inhaltlich, aber auch technisch –, machen es zudem schwer, einheitliche Regelungen zu finden, die allen Seiten gerecht werden. Hier müssen wir auch in Zukunft auf flexible Regelungeninstrumente wie Co-Regulierung setzen, um den sich stetig wandelnden Anforderungen schnell und effizient begegnen zu können.

Heike Raab, Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa, für Medien und Digitales