Wahrheitssucher

Investigativer Journalismus in Film, TV und Serie

Werner C. Barg

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Prof. Dr. Werner C. Barg ist Autor, Produzent und Dramaturg für Film und Fernsehen sowie Honorarprofessor im Bereich Medienwissenschaft der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. An der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg leitet er in der Abteilung Medien- und Kommunikationswissenschaft den Ergänzungsstudiengang „Medienbildung“ des Zentrums für Lehrer*innenbildung (ZLB)

Internationale Redaktionsnetzwerke enttarnen die Nutznießer von Steueroasen und bringen Regierungschefs zu Fall. Bundesdeutsche Journalisten decken rechtsradikale Communitys in Messenger-Diensten auf. Die Wahrheitssuche des investigativen Journalismus ermittelt Straftaten und ist ein wichtiges Korrektiv demokratischer Ordnung. Wie stellt der Spielfilm die Arbeit und die Probleme recherchierender Journalisten dar?

Online seit 26.01.2022: https://mediendiskurs.online/beitrag/wahrheitssucher-beitrag-772/

 

 

 

Spätestens seit der Millenium-Romantrilogie (2005 – 2007) von Stieg Larsson und deren Verfilmungen (S, 2009) ist der investigative Journalist als Heldenfigur in der Populärkultur angekommen. Bei Larsson, bis zu seinem Tod 2004 selbst Journalist und Herausgeber des antifaschistischen Magazins „Expo“, heißt der investigativ ermittelnde Reporter Mikael Blomkvist (Mikael Nyqvist)1. Der lautmalerische Bezug des Figurennamens zu Astrid Lindgrens Kinderdetektiv Kalle Blomquist verweist auf die Funktion, die investigativ ermittelnde Journalisten im Spielfilm sehr oft übernehmen: Sie sind eine Spielart der Detektivfigur: ermitteln, stellen Fragen, versuchen hinter einem vermeintlich undurchdringlichen Gestrüpp menschlicher Lügen die Wahrheit aufzudecken.
 

Detektivfilme der besonderen Art

Filme und Serien um investigative Journalisten können durchweg als Detektiverzählungen der besonderen Art betrachtet werden. Da sie oft in politischen Milieus spielen, kommen sie meistens als Politthriller daher. So etwa in der aktuell bei Netflix laufenden australischen Serie Secret City (AUS, 2016 – 2019). Anna Torv spielt die junge Investigativreporterin Harriet Dunkley. Sie geht in Canberra, dem Sitz der australischen Regierung, den Hintergründen des Mordes an einem jungen Tibet-Aktivisten nach. Hierdurch gerät sie in regierungsinterne, auch von ausländischen Gruppen unterstützte Machtspiele und landet aufgrund ihrer Artikel zwischenzeitlich sogar im Gefängnis, weil die zwielichtige Innenministerin Bailey (Jacki Weaver) ein Antiterrorgesetz durchbringt, das die Pressefreiheit massiv einschränkt und damit Dunkleys Recherchen kriminalisiert.

 

Trailer Secret City (AUS, 2016 – 2019)



Auch in Kevin MacDonalds Thriller State of Play – Stand der Dinge (USA 2009) fungieren die beiden Reporter Cal McAffrey (Russell Crowe) und Della Frye (Rachel McAdams) quasi als Detektivfiguren im sensiblen Spannugsfeld von Politik und militärisch-industriellem Komplex. Besonders McAffrey wittert hinter der Ermordung der Assistentin eines alten Freundes, des Kongressabgeordneten Collins (Ben Affleck), ein Industriekomplott, da Collins sich kritisch zur Privatisierung staatlicher militärischer Aufgaben durch eine private Security-Firma verhält. Doch bei ihren Recherchen decken die Reporter noch ganz andere Facetten des unsichtbaren Plots auf, durch den das Thrillergenre grundsätzlich gekennzeichnet ist. In der Geschichte von State of Play führen diese Enthüllungen die Hauptfigur McAffrey in einen persönlichen Konflikt zwischen der Loyalität zu einem alten Freund und seinem Berufsethos als Journalist, die Wahrheit aufdecken zu wollen.
 

Verquickung von privaten und öffentlichen Konflikten in der fiktiven Erzählung

Diese Beispiele aus dem fiktiven Universum von Kinofilm und Serie zeigen, dass in Filmerzählungen über Investigativreporter nicht allein das journalistische Handeln, sondern vielmehr auch deren Verquickung mit privaten Problemen wesentliches Element des dramatischen Geschehens ist. Das gilt ebenfalls für Stieg Larssons Figur des Enthüllungsjournalisten Blomkvist. Er ist schicksalhaft amourös mit der Cyberpunkerin Lisbeth Salander (Noomi Rapace), die Rechercheurin einer privaten Sicherheitsfirma, verbunden. Dies führt zu persönlichen Verwicklungen und Loyalitätskonflikten mit Erika Berger (Lena Endre), Blomkvists langjähriger Geliebten und Partnerin der Zeitschrift „Millenium“.

Blomkvist nutzt für seine Enthüllungsberichte die Recherchen Salanders, um die Missetaten der Reichen und Mächtigen ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Da Salander ihre Informationen aber durchweg dadurch erwirbt, dass sie in die geheimsten Winkel der (elektronischen) Privatsphäre von Verdächtigen und Organisationen eindringt, gerät die geniale Hackerin ob ihrer Methoden oft mit Blomkvist aneinander und nicht nur in der „Millenium“-Redaktion immer wieder ins Zwielicht. Letztlich wird ihr illegales Handeln aber dadurch moralisch gerechtfertigt, dass sie die Taten brutaler Vergewaltiger, rechtsradikaler Serienmörder und die kriminellen Verbindungen von Geheimdiensten und Politik aufdeckt.

So reflektiert die Romanreihe besonders in der Salander-Figur die mittlerweile deutlich abgekühlte Euphorie von Internetaktivisten und -philosophen wie sie etwa Christian Stöcker in seinem Buch Nerd Attack! (2011) für die Zeit der Jahrtausendwende beschreibt. Auch sind die Enthüllungen in den Romanen zwar fiktiv, gründen sich aber auf die Recherchen des Schriftstellers als Journalist. Sie zeigen, dass der investigative Journalismus manchmal am Rande der Legalität operieren muss, um politische und soziale Missstände aufdecken zu können.
 

Fantasie und Wahrheit

Die Darstellung der Wahrheitssuche von Journalisten im Spielfilm verweist sehr oft auf reale Geschehnisse und gesellschaftliche Debatten, die von den Filmemachern in ihren Fiktionen mit dramatischer Fantasie angereichert werden. Ein bemerkenswertes Beispiel hierfür ist der ARD-Fernsehfilm Der Fall Barschel (D 2015) in der Regie von Kilian Riedhof. Erzählt wird die Geschichte eines Hamburger Enthüllungsreporters (Alexander Fehling), der den mysteriösen Umständen des Todes von Uwe Barschel nachgeht. Die Figur und das journalistische Setting des Films sind erfunden. Die sogenannte Barschel-Affäre selbst ist es nicht.

Die Geschehnisse lösten 1987 einen der größten politischen Skandale der Bundesrepublik aus. Die Debatte kreiste um die Frage, ob sich der kurz zuvor als schleswig-holsteinischer Ministerpräsident zurückgetretene Spitzenpolitiker im Zimmer eines Genfer Luxushotels selbst umgebracht hatte, wie es die staatsanwaltlichen Ermittlungen in Genf ergaben, oder ob Barschel das Mordopfer eines Komplotts von Regierungen und Geheimdiensten wurde, weil er zu viel über internationale Waffengeschäfte und ihre Hintermänner hätte ausplaudern können, in die er angeblich selbst verstrickt war?

Riedhof und Co-Autor Marco Wiersch nutzen in ihrem Reporterdrama die investigative Arbeit ihrer fiktiven Figuren als erzählerische Projektionsfläche, auf der sie alle möglichen Hinweise, Indizien, Widersprüche und Verschwörungsmythen, die sich um Barschels Tod ranken (Wille 2011), spiegeln und mit der tragischen Entwicklung ihrer Hauptfigur verbinden, die sich geradezu obsessiv in die Mordthese hineinsteigert, ohne sie letztlich doch beweisen zu können. Besonders der erste Teil des Riedhof-Films verweist sowohl in seiner Figurenkonstellation als auch in manchen visuellen Anspielungen auf Alan J. Pakulas Die Unbestechlichen (All the President's Men, USA 1976), den man sicher als den wichtigsten Schlüsselfilm zur Darstellung des Investigativjournalismus im Genre des Politthrillers bezeichnen kann. Im Unterschied zu Riedhofs Film gründet sich Pakulas Film aber auf authentische Figuren und auf weitgehend sicher recherchierte Fakten.
 

Trailer Die Unbestechlichen (USA 1976)



Nach wahren Begebenheiten

1974 veröffentlichten Bob Woodward und Carl Bernstein, zwei junge Journalisten der „Washington Post“, den Tatsachenbericht All the President’s Men. Darin schildern sie ihre Ermittlungen zu den Hintergründen eines Einbruchs von fünf Männern in das Hauptquartier der Demokratischen Partei im Watergate-Gebäude am 17. Juni 1972 in Washington. Wenig später verfilmte Pakula das Buch.

Akribisch zeichnen der Regisseur und sein Drehbuchautor William Goldman die Bemühungen von Bob Woodward (Robert Redford) und Carl Bernstein (Dustin Hoffman) nach, den Zusammenhängen und Hintermännern des Watergate-Einbruchs auf die Spur zu kommen. Aus heutiger Sicht mag ihr Film nur wenig Thrillerspannung bieten, denn er zeigt die mühevolle und langwierige Arbeit der beiden Journalisten in fast dokumentarischer Weise. Immer wieder müssen sie Dokumente, Register, zugespielte Listen durchsehen, um überhaupt Zeugen zu finden. Bei den meisten von ihnen stoßen sie bei ihren Befragungen von Tür zur Tür auf eine Mauer des Schweigens. Auch ihr Hinweis, ihre Quellen niemals preiszugeben, hilft nicht weiter.

Die Recherchen fressen Zeit und damit Arbeitsstunden. Die leitenden Redakteure (Jack Warden/Martin Balsam) sowie Herausgeber Ben Bradlee (Jason Robards) wollen endlich klar bestätigte Informationen haben, zumal Reporter bei der Konkurrenz „New York Times“ auch schon zum Watergate-Einbruch ermitteln. Ein Informant (Hal Holbrook) aus dem inneren Kreis der Macht bringt Woodward auf die richtige Spur. Doch auch der „Whistleblower“ gibt kaum Informationen preis. Er nennt vielmehr Wege, die die beiden Journalisten auf der Suche nach der Wahrheit beschreiten könnten. Und er bestätigt Vermutungen, die Woodward und Bernstein aus ihren Recherchen geschlussfolgert haben.

So präzisieren die Investigativreporter gegenüber Zeugen, die bereit sind, mit ihnen zu sprechen, aber zur Sache nicht aussagen wollen oder dürfen, ihre Fragetechnik derart, dass die Befragten Vermutungen der Journalisten durch ein Schweigen, ein Nicken oder auch nur durch die Nichtbeendigung eines Telefonats indirekt bestätigen können. Durch diese Methode und durch die Hinweise des Informanten nähern sich Woodward und Bernstein allmählich der Wahrheit und können schließlich mithilfe von bestätigten Informationen durch den „Whistleblower“ die entscheidenden Artikel veröffentlichen, die den Watergate-Skandal auslösen.

Die investigativen Journalisten weisen darin nach, dass der Watergate-Einbruch und andere illegale Aktionen aus Wahlkampffonds von republikanischen Unterstützungskomitees zur Wiederwahl Richard Nixons finanziert wurden und die Freigabe der Mittel für den Einbruch direkt aus dem Weißen Haus kam. Einzelne Mitglieder der Regierung bzw. des engeren Präsidentenstabs waren nun so stark belastet, dass die Bundespolizei FBI zu Ermittlungen und die Justiz zur Verurteilung der Beschuldigten gezwungen war. Wegen der Verschleierung um die Watergate-Vorgänge, die die „Washington Post“ seit 1972 Stück für Stück aufdeckte, trat US-Präsident Nixon am 9. August 1974 zurück.

Der Erfolg des Pakula-Films machte schnell Schule. Filme, die auf Tatsachenberichten von Journalisten beruhen, gehören mittlerweile zum Grundstock des Politthriller-Genres. Aktuelle Beispiele sind u. a. Clint Eastwoods Der Fall Richard Jewell (USA 2019), Offical Secrets (USA 2019) von Gavin Hood oder Brad Furmans City of Lies (USA 2018).
 

Spotlight

Ein herausragendes Stück Kino zum Thema Investigativer Journalismus schuf Regisseur Tom McCarthy 2015 mit seinem Film Spotlight. Der Titel bezieht sich auf das gleichnamige Investigativteam der Tageszeitung „The Boston Globe“. Vom neuen Chefredakteur Marty Baron (Liev Schreiber) auf die Fährte gesetzt, ermittelt das Team unter Leitung von Walter Robinson (Michael Keaton) 2001 allein im Erzbistum Boston 249 katholische Priester, die sich des sexuellen Missbrauchs an mehr als tausend Kindern und Jugendlichen, überwiegend Jungen, schuldig gemacht haben.
 

Trailer Spotlight (USA 2015)



Auch in McCarthys Film, der ebenfalls auf wahren Begebenheiten beruht, stehen die Reporter zunächst vor einer Mauer des Schweigens, erleben, wie einst Woodward und Bernstein, dass ihnen ständig die Tür vor der Nase zugeschlagen wird. Doch mit der Hilfe eines Anwalts (Stanley Tucci) und eines Vereins, in dem sich von Priestern missbrauchte Kinder, sogenannte Survivors, zusammengeschlossen haben, können die Journalisten schließlich zahlreiche Opfer ermitteln. Bei der Durchsicht der Priesterregister erkennen sie dann ein mögliches Muster, wie die Kirche mit schuldigen Priestern umgegangen sein könnte: Wegen ihrer „Verfehlungen“ wurden missbrauchende Priester offenbar immer wieder schnell von einer Diözese zur nächsten weitergereicht oder sie wurden zeitweilig als „arbeitsunfähig“ deklariert. Die Investigativjournalisten decken damit hinter den Einzelfällen eine systematische Verschleierung und Vertuschung der Verbrechen innerhalb der Katholischen Kirche auf. Als es ihnen gelingt, von der Kirche unter Verschluss gehaltene Dokumente zur Einsicht „freizuklagen“, können sie ihre Vermutungen auch beweisen.
 

Pressefreiheit garantiert Wahrheitssuche

2017 nahm sich auch Regisseur und Produzent Steven Spielberg des auf Tatsachen beruhenden Journalismus-Politthriller-Sujets an. Mit Die Verlegerin schuf er ein Pendant und eine Art Prequel von Die Unbestechlichen. Spielbergs Film endet mit dem Einbruch ins Watergate-Gebäude und zeigt zuvor, wie Herausgeber Ben Bradlee (Tom Hanks) mit Kay Graham (Meryl Streep), der Verlegerin der „Washington Post“, darum ringt, die sogenannten „Pentagon Papers“ veröffentlichen zu dürfen. Sie waren aus Geheimdienstkreisen der „Post“ wie auch der „New York Times“ zugespielt worden. Die Papiere bestanden aus Analysen, die zeigten, dass das US-Militär den Vietnam-Krieg nicht gewinnen könne. Alle am Krieg beteiligten Präsidenten hatten dies zuvor verschwiegen.

Spielbergs Film beleuchtet weniger den täglichen Kampf investigativer Journalisten um Wahrheit und Fakten, sondern zeigt vielmehr die Ränkespiele in den Chefetagen von Politik und Medien, den 1. Zusatzartikel zur US-Verfassung, der Rede- und Pressefreiheit garantiert, durchzusetzen oder zu verhindern. Dabei zeigt sein Film, dass im Fall der „Pentagon Papers“ auch juristische Erwägungen eine Rolle spielten. Die Veröffentlichung von als „geheim“ deklarierten Informationen wird in den USA (und nicht nur dort) als „Hochverrat“ verfolgt, was u. a. sowohl Wikileaks-Gründer Julian Assange als auch Geheimdienst-Whistleblower Edward Snowden bis heute zu spüren bekommen.

Die Verlegerin thematisiert damit ein wesentliches Problem des investigativen Journalismus: den juristischen Spagat zwischen Wahrheitssuche und Geheimnisverrat.
 

Trailer Die Verlegerin (USA 2017)



Information und Desinformation

Das Gefühl, bei der Recherche falsch zu liegen oder womöglich sogar Falschinformationen aufgesessen zu sein, ist ein weiteres Problem für ermittelnde Journalisten. Es wird in vielen Filmen thematisiert.

Die Journalisten des Spotlight-Teams sind allesamt praktizierende oder passive Mitglieder der Katholischen Kirche. McCarthys Film zeigt, dass sie selbst kaum glauben können, was sie da recherchieren.

Die Bemühungen von Woodward/Bernstein, den Watergate-Einbruch aufzuklären, wären fast gescheitert, als ein Zeuge seine zuvor gegebene Bestätigung eines wichtigen Tatbestands öffentlich zurückzieht, nachdem die beiden Journalisten in einem ihrer Artikel diese Information bereits als gesichert veröffentlich hatten. Daraufhin bezichtigt der Sprecher des Weißen Hauses die „Washington Post“ der parteipolitischen Propaganda, wodurch der Druck auf Chefredaktion und Herausgeber – so zeigt es Pakulas Film – ins Unermessliche zu wachsen droht.

In Der Moment der Wahrheit (USA 2015) erzählt Regisseur James Vanderbilt auf Grundlage des Tatsachenberichts der Journalistin und Fernsehproduzentin Mary Mapes wie verhängnisvoll die Verbreitung einer falschen Information für die ermittelnden Journalisten sein kann. Während des Präsidentschaftswahlkampfs 2004 veröffentlicht das Investigativ-Magazin 60 Minutes von CBS News einen Bericht über das monatelange unerlaubte Fernbleiben des Kampfpiloten George W. Bush von der Truppe.
 

Trailer Der Moment der Wahrheit (USA 2015)



Der amtierende, gerade um seine Wiederwahl kämpfende US-Präsident diente von 1968 bis 1973 in der Texas Air National Guard. Als Beleg zeigt das Team um Moderator Dan Rather (Robert Redford) und Produzentin Mary Mapes (Cate Blanchett) in der Sendung u. a. Auszüge aus Memos eines Bush-Vorgesetzten. Nach der Ausstrahlung entsteht im Internet schnell eine von Bush-Befürwortern entfachte Debatte um die Echtheit der Memos. Die Journalisten können einige Einwände entkräften. Doch als der Offizier (Stacy Keach), der Mary Mapes die Kopien der Memos zugespielt hatte, bekennt, dass er deren Echtheit nicht belegen kann, wird Mary Mapes nach einer internen Untersuchung von CBS gefeuert. Dan Rather tritt ab und das 60 Minutes-Team, das zuvor noch den Folterskandal im US-Gefängnis Abu Ghraib im Irak aufgedeckt hatte, wird aufgelöst.

Der Moment der Wahrheit zeigt durchaus mahnend, dass der investigative Journalismus jede noch so kleine Information sorgfältig prüfen muss, um bei der Suche nach der Wahrheit nicht ins Abseits zu geraten. Vanderbilts Film verdeutlicht, dass in der Debatte um den 60 Minutes-Beitrag nun nur noch der Fehler der Journalisten im Zentrum steht. Wochenlang geht es jetzt um Schreibstil und Schrifttypen der gezeigten Memokopien. Die Frage, ob George W. Bush tatsächlich in seiner Militärzeit eine Verfehlung begangen hatte, rückt völlig in den Hintergrund. Zudem mutmaßt der Film, dass die Vorgänge bei CBS 2004/2005 als politisch und ökonomisch geprägtes Intrigenspiel gesehen werden können, sich eines unbequemen kritischen News-Formats zu entledigen. So weist Mike Smith (Topher Grace), ein Mitglied des Investigativteams, in einer Szene gegenüber einem bürokratischen Vorgesetzten darauf hin, dass Viacom, der Mutterkonzern des Fernsehsenders CBS, durch Spendengelder mit der Republikanischen Partei und durch gewährte Steuererleichterungen auch mit der Bush-Administration politisch und ökonomisch verbunden war. Hierin sieht er den eigentlichen Grund, warum das regierungskritische Magazin abgesetzt wurde.
 

Wahrheit als Ware

Dass das Aufdecken von unbequemen Wahrheiten auch ein gutes Geschäft ist, weil sich die Enthüllung als Sensation gut verkauft, thematisiert Regisseur Vanderbilt in einer Szene seines Films, in der Dan Rather gegenüber Mary Mapes am Telefon bekennt, die Fernsehchefs hätten irgendwann kapiert, dass sich auch mit News gutes Geld verdienen lasse. In Die Verlegerin dagegen macht sich Kay Graham wegen möglicher politischer Folgen einer Veröffentlichung der „Pentagon Papers“ Sorgen um die Auflage der „Washington Post“. Auch Reporter McAffrey mutmaßt in State of Play gegenüber Chefredakteurin Lynne (Helen Mirren), dass die neuen Verleger des Blatts die Auflage lieber mit Boulevardgeschichten aufmöbeln, als noch solide recherchierte Storys zu bringen. „The Boston Globe“-Chefredakteur Marty Baron wiederum setzt in Spotlight sein Investigativteam auch deshalb auf die Katholische Kirche an, weil er sich sensationelle Schlagzeilen in seiner Zeitung erhofft – Schlagzeilen, die den Klickzahlen im Internet Paroli bieten können. Und Regisseur Adam McKay lässt in seiner neuen Gesellschaftssatire Don’t look up! (USA 2021) gleich gar kein gutes Haar mehr am Journalismus. Er zeigt Print- wie TV-Journalisten als klickzahlensüchtige, sensationslüsterne News-Junkies, die den beiden Hauptfiguren seines Films zuallererst raten, sich für ihre „Enthüllungen“ einen guten Anwalt zu suchen, nur weil die beiden Astronomen (Leonardo DiCaprio/Jennifer Lawrence) die Welt über einen bevorstehenden lebensvernichtenden Meteoriteneinschlag auf der Erde informieren möchten.
 

Trailer Don't Look Up (USA 2021)



 
Anmerkung:

1) Bei der Besetzung beziehe ich mich auf die schwedische Originalverfilmung der Millenium-Trilogie
 

Literatur:

Stöcker, C.: Nerd Attack! München 2011

Wille, H.: Ein Mord, der keiner sein durfte. Zürich 2011

Woodward, B./Bernstein, C.: All the President’s Men. New York 1974