Von FKK-Heften bis Rechtsradikalismus im Internet

Die langjährige Vorsitzende der BPjM zieht Bilanz

Joachim von Gottberg im Gespräch mit Elke Monssen-Engberding

Kein Zweifel: Die Medienlandschaft hat sich in den letzten Jahren rasant verändert. Printmedien, Fernsehen, Kinofilme, Tonträger und Computerspiele, selbst als Trägermedium noch ein relativ junges Produkt, finden im Internet zusammen. Gleichzeitig lösen sich nationale Grenzen auf. Was bedeutet das für den Jugendschutz? Welche Instrumente der Freigabe oder Indizierung plus entsprechender Vertriebsbeschränkung sind heute noch glaubwürdig? Soll man vor der unendlichen Fülle des Netzes kapitulieren oder wie Don Quichotte weiterhin tapfer gegen einzelne Angebote vorgehen? tv diskurs sprach darüber mit Elke Monssen-Engberding, die im Frühjahr 2016 als langjährige Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) in den Ruhestand ging.

Printausgabe tv diskurs: 20. Jg., 4/2016 (Ausgabe 78), S. 66-71

Vollständiger Beitrag als:

Wann haben Sie bei der BPjM angefangen?

Ich habe 1979 als Referentin in der Bundesprüfstelle angefangen und bin dann 1980 stellvertretende Vorsitzende geworden, weil der damalige Vorsitzende über ein Jahr krank war und niemand die Sitzungen leiten konnte.

In den 1970er-Jahren hielt sich die Liebe der Obersten Landesjugendbehörden (OLJB), die damals ausschließlich Anträge stellen konnten, für die Bundesprüfstelle sehr in Grenzen. Hätten Sie gedacht, dass der Jugendschutz noch einmal eine solche Renaissance erlebt?

Damals sah es überhaupt nicht danach aus, und man muss auch dazu sagen, dass sich gerade im sexuell-erotischen Bereich die Grenzen seinerzeit sehr verschoben haben. Die Diskussion darüber, in welchem Alter Kinder und Jugendliche wie detailliert mit sexuellen Themen konfrontiert werden sollten und wann in welcher Weise erste sexuelle Kontakte erlaubt waren, wurde ganz anders geführt als noch wenige Jahre vorher. Und da bei den Indizierungsanträgen sexuelle Darstellungen quantitativ dominierten, ging die Anzahl der Anträge auf 70 oder sogar noch weniger pro Jahr zurück. 1978 entschloss sich der Gesetzgeber, das Antragsrecht auf alle ca. 600 Jugendämter auszuweiten, also nicht mehr auf die Obersten Landesjugendbehörden zu beschränken. Ein Grund dafür war, dass die OLJB kaum noch Indizierungsanträge gestellt haben.

Hinzu kam, dass aus Polen Beschwerden darüber kamen, dass es in Deutschland zunehmend rechtsradikale Schallplatten und Literatur gab. Darin wurden die Naziverbrechen geleugnet oder gar gerechtfertigt.

Ja, das war auch einer der Gründe. Als Herbert Wehner, der als Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion nach Polen gereist war, dort mit Schallplatten konfrontiert wurde, die neu zusammengeschnittene Reden von Hitler, Goebbels u.a. – unterlegt mit Marschmusik – enthielten, suchte man nach Wegen, die Verbreitung solcher Schallplatten und Schriften einzuschränken oder gar zu verhindern. Da sie aber z.T. nicht offenkundig strafrechtlich zu greifen waren, war die Indizierung eine Möglichkeit, zumindest die Verbreitung an Kinder und Jugendliche zu verhindern. Vor allem um die Indizierung in diesem Bereich zu erhöhen, wurde die Anzahl der Antragsteller erhöht.

Welche Fälle sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Auf der einen Seite war es die Indizierung solcher Schallplatten. Dann kam die neue Spruchpraxis zu den Sexheftchen dazu, in denen Frauen diskriminiert wurden. Es gab eine starke Frauenbewegung, deren bekannteste Vertreterin Alice Schwarzer war. Es gab viele Diskussionen, ob Frauen in der Werbung nicht diskriminiert würden, wenn sie z.B. halb angezogen auf Autos deren Kauf schmackhaft machen sollten. Nun haben wir das nicht indiziert, aber die Sexheftchen, in denen Frauen als Ware angeboten wurden und ihre sexuellen Vorlieben priesen, haben wir schon als diskriminierend eingestuft. Ein ganz berühmter Fall war natürlich Die Memoiren der Josefine Mutzenbacher, die indiziert wurden. Das ist bis zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gegangen und es hat Jahre gedauert, bis 1991 schließlich das BVerfG den Fall abgeschlossen hat. Damals wurden neue Grundsätze aufgestellt, wie zwischen Kunst- und Jugendschutz abzuwägen ist. Es wurde der formale Kunstbegriff geprägt, und das BVerfG hat den Grundsatz aufgestellt, dass Pornografie Kunst sein kann und deswegen in jedem Einzelfall abgewogen werden muss.

Eine Entscheidung, die damals viele überrascht hat, war die Ablehnung der Indizierung zum Computerspiel Counterstrike kurz nach dem Amoklauf in Erfurt.

Das war vermutlich die Entscheidung der Bundesprüfstelle, welche die meisten Reaktionen hervorgerufen hat. Wir hatten vorher etwa 5.000 Mails erhalten, in denen wir dazu aufgefordert wurden, nicht zu indizieren. Wir hatten ebenso viele Mails, in denen man uns quasi dazu zwingen wollte, zu indizieren. Wir hatten an dem Tag in der Sitzung des 12er-Gremiums nur diesen einen Fall und konnten so darüber ausführlich diskutieren. Ausschlaggebend für die Entscheidung, es nicht zu indizieren, war tatsächlich der Teamcharakter, der in dem Spiel eine große Rolle spielt. Es geht nicht um das einfache Ballern und Abmetzeln von Menschen oder menschenähnlichen Gegnern, sondern es geht um Teamverabredungen. Es hat natürlich jedermann das Recht, Entscheidungen der Bundesprüfstelle zu kritisieren. Aber das Gremium ist weisungsfrei. Selbst wenn man eine Entscheidung nicht nachvollziehen kann, muss man sie akzeptieren, solange das Verfahren sauber durchgeführt wurde.

Bei welchen Inhalten waren Sie am stärksten der Meinung, dass die Indizierung wichtig ist?

Natürlich bei den Inhalten, bei denen es darum geht, Ausländer zu diskriminieren und die Zeit des Nationalsozialismus wiederauferstehen zu lassen, überhaupt Inhalte, in denen totalitäre Regime befürwortet werden. Natürlich waren wir auch im Bereich der Gewaltbefürwortung aktiv, aber es sind auch neue Themen dazugekommen. Erinnern wir uns z.B. an die sogenannten FKK-Heftchen der 1950er-Jahre, in denen schlicht nackte Menschen dargestellt wurden. Da haben wir später die Indizierung sogar aufgehoben. Dann gab es aber Abwandlungen dieser Hefte, in denen es vorwiegend darum ging, Kinder und Jugendliche in „unnatürlich geschlechtsbetonten Körperposen“ darzustellen, es ging also um Nacktdarstellungen mit der Fokussierung auf die Geschlechtsmerkmale der Kinder. Hier wurden deutlich Pädophile angesprochen, und dadurch hat sich eine neue Spruchpraxis entwickelt. Einige Neuheiten kamen auch mit dem Internet dazu, wie etwa Pro-Anorexie-Seiten oder Seiten, auf denen zum Selbstmord aufgerufen wird. Das sind Themen, die es in den 1970erund 1980er-Jahren nicht gab.

Das Netz hat sich in kurzer Zeit zum Verbreitungsweg für alle Inhalte entwickelt, die früher als Schrift, als Audio, im Fernsehen oder als DVD verbreitet wurden. Welche Änderungen haben sich dadurch für die Bundesprüfstelle ergeben?

Grundsätzlich ist die Bundesprüfstelle für Inhalte zuständig, unabhängig davon, wo sie verbreitet werden. Die Ausnahme ist das Fernsehen, und das ist durch die Reform des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV), der am 1. Oktober 2016 in Kraft getreten ist, noch einmal festgezurrt worden. Für Kinofilme, DVDs und Computerspiele sind wir dann nicht zuständig, wenn sie nach dem Jugendschutzgesetz (JuSchG) von den OLJB gekennzeichnet sind. Im Internet sind wir zuständig, es sei denn, die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) hat vorher entschieden, dass ein Inhalt nicht jugendgefährdend ist.

Angesichts der Menge der Angebote und der Tatsache, dass besonders problematische Angebote häufig nicht aus Deutschland kommen und z.B. in Holland und Dänemark rassistische Angebote nicht verboten sind: Wie sehen Sie die Effektivität der Indizierung von Inhalten im Netz?

Wir haben unendliche Diskussionen darüber geführt, dass das Internet grenzenlos und unkontrollierbar ist. Wenn aber niemand etwas dagegen unternimmt, dann passiert eben auch nichts. Ich denke schon, dass Stellen wichtig sind wie die BPjM, die beispielsweise ein rassistisches Angebot indiziert. Immerhin ist es dann in den Jugendschutzprogrammen durch die Blacklist gesperrt. Es ist jedenfalls wichtig, den Einzelfall zu indizieren. Ich meine, alle Stellen versuchen hier, ihren Teil beizutragen. jugendschutz.net weist die Anbieter, egal ob sie ihren Firmensitz in Deutschland haben oder nicht, auf Verstöße hin. Das erzeugt eine hohe Reichweite und Effektivität. Wenn dann von den Anbietern keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen werden, wird das Angebot indiziert. Oft zieht dann selbst der ausländische Anbieter Konsequenzen. Ich halte diesen Weg für sinnvoller als eine komplette Kapitulation vor dem Internet.

Wie lange dauert es durchschnittlich vom Zeitpunkt der Veröffentlichung bis hin zur Indizierung?

Es dauert seine Zeit, weil es eben ein rechtsstaatliches Verfahren ist mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör. Egal, ob der Anbieter seinen Firmensitz in Deutschland oder im Ausland hat, er muss darauf hingewiesen werden, dass die Bundesprüfstelle beabsichtigt, sein Internetangebot in die Liste der jugendgefährdenden Medien aufzunehmen. Es gibt da Fristen, die nicht unter einer Woche liegen. Was man sich wirklich überlegen kann, ist, ob man die Bescheide noch förmlich per Post zustellen muss oder ob nicht eine Zustellung per Mail ausreichen würde. Solange man nach dem Verwaltungszustellungsgesetz mit dem Einschreiben-Rückschein zustellt, muss man die Fristen abwarten. Wir haben eine Woche Frist, durch die Postwege ergeben sich im Ausland aber teilweise allein 14 Tage, bis der Rücklauf da ist. Nun weiß niemand – egal, ob das jugendschutz.net ist oder ob wir es sind –, wann ein Inhalt tatsächlich eingestellt wurde. Insofern wissen wir oft nicht genau, wie lange es von der Veröffentlichung bis zur Indizierung dauert.

2003 ist der Kreis der Antragsteller noch einmal erweitert worden. Können Sie jetzt auch aufgrund von Beschwerden von besorgten Bürgern tätig werden?

Nein, die Antragstellung ist lediglich um die KJM erweitert worden, als sogenannter privilegierter Antragsteller, und alle anderen Behörden und Träger der freien Jugendhilfe können Anregungen bei der BPjM abgeben. Der Unterschied: Aufgrund eines Antrags muss die Bundesprüfstelle handeln. Kommt eine Anregung, erfolgt zunächst die sogenannte Gebotenheitsprüfung. Wenn die Bundesprüfstelle das Verfahren als aussichtsreich bei den Gremien einstuft, wird das Verfahren durchgeführt. Der Bürger kann keine Anregung geben, er kann sich aber an eine der antragberechtigten Stellen wenden. Natürlich ist die Zahl der Anträge damals deutlich angestiegen. Insbesondere ist von den Landeskriminalämtern sehr viel aus dem sogenannten rechten Bereich gekommen. Dazu kam noch, dass die Jugendämter zwar antragsberechtigt, aber durch personelle Engpässe dazu kaum noch in der Lage waren. Das war auch einer der Gründe, warum das Antrags- oder Anregungsrecht erheblich erweitert wurde. Früher gab es noch viele Bürger, die in der Videothek um die Ecke jugendgefährdende Inhalte wahrnahmen und sich dann an ihr Jugendamt wandten mit der Aufforderung, dazu einen Indizierungsantrag zu stellen. Wenn jetzt jemand Indizierungsanträge für Internetangebote anregen will, fühlen sie sich angesichts der allgemeinen Arbeitsüberlastung wenig motiviert, hier tätig zu werden, und hoffen, dass es ein anderer macht.

Welche Internetangebote spielen heute für die BPjM eine Rolle?

Die kommen praktisch aus allen Bereichen: Rassenhass genauso wie Pornografie, vielfach auch Kinderpornografie, Tierpornografie und ähnliche Dinge. Dazu gehören aber auch Selbstmord- und Anorexie-Foren oder Kinder und Jugendliche in ungewöhnlich geschlechtsbetonter Körperhaltung – das hält sich die Waage. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn gerade im rechten Bereich noch mehr Anträge gekommen wären und all das, was jugendschutz.net als Verstoß angemahnt hat und was nicht geändert wurde, bei der BPjM gelandet wäre.

Seit dem 1. Oktober 2016 gilt ein neuer Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Ein zentrales Anliegen ist es, Jugendschutzprogramme attraktiver zu machen und die Anerkennungskriterien praktikabler zu gestalten. Sind Jugendschutzprogramme Ihrer Ansicht nach ein praktikabler Weg, Jugendschutz zukünftig nach dem klassischen System auch im Internet zu regeln?

Ich finde es wichtig, dass Jugendschutzprogramme gestärkt werden. Ein Jugendschutzprogramm für alle Dienste und Anwendungen zu schaffen, ist wohl technisch nicht umsetzbar; das wurde mir jedenfalls von Experten gesagt. Es ist umgekehrt auch für die Eltern schwer zumutbar, viele verschiedene Jugendschutzprogramme zu installieren und sich damit auseinanderzusetzen, wie sie funktionieren und ob sie mit den Einschätzungen einverstanden sind.

Bei den Printmedien und der Musik gibt es ja nur die Indizierung und keine Alterseinstufungen. Wenn derselbe Inhalt nun im Netz verbreitet wird, handelt es sich um ein Telemedium und unterliegt den Jugendschutzbestimmungen.

Die gesamte Musik und im Grunde auch die E-Books müssten bei der Verbreitung im Internet nach diesem Gesetz eigentlich auch kategorisiert werden. Wenn die Jugendschutzprogramme funktionieren sollen, beziehen sie sich auf alle Inhalte im Netz. Nach § 5 sind alle Inhalte, die im Internet verbreitet werden, Telemedien – auch die klassischen Trägermedien. Dabei haben wir mit Blick auf den Jugendschutz die tatsächlich relevanten Inhalte aus dem rechten Bereich vor Augen, aber im Grunde ist man jetzt auch verpflichtet, jeden Hip-Hop-Song in irgendeiner Form zu kategorisieren. Ich glaube, das ist den meisten Anbietern gar nicht so bewusst, dass da jetzt etwas Neues in Kraft tritt und dass sich damit vieles ändert. Wir werden das ganz große Problem haben, dass die deutschen Anbieter kategorisieren müssen. Andererseits haben wir die ausländischen Anbieter, die genauso auf die heimischen PCs kommen und natürlich nicht kategorisiert werden, weil es diese Beschränkungen in ihren Ländern nicht gibt. Und wie man das in einem Jugendschutzprogramm vereinen will, ist mir ein Rätsel. Jugendschutzprogramme können natürlich alle nicht gekennzeichneten Inhalte blockieren. Es ist ja sehr unwahrscheinlich, dass ausländische Anbieter ihre Inhalte nach deutschem Recht kennzeichnen. Aber man muss auch bedenken: Es gibt eine Menge nützliche Informationen von ausländischen Anbietern. Und wenn all die nicht mehr durchkommen, wäre das für viele sicher ein großer Verlust. Die Frage ist, wie die Eltern reagieren, wenn offensichtlich harmlose Inhalte für ihre Kinder nicht mehr abrufbar sind.

Eines der wesentlichen Reformanliegen des JMStV ist die gegenseitige Anerkennung von Prüfergebnissen der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK). Die Obersten Landesjugendbehörden sehen das nicht als verbindlich, weil sie der Meinung sind, dass dies nur im Jugendschutzgesetz (Bundesgesetz) geregelt werden kann, nach dem sie bezüglich der Altersfreigaben tätig werden.

Rechtlich ist das in der Tat kompliziert. Man muss erst einmal sagen, dass die FSK und die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) anders arbeiten als die FSF und die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM). Für die Trägermedien gilt: Alles, was kein Kennzeichen hat, darf Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich gemacht werden. Erst wenn sie gekennzeichnet sind, dürfen sie an Kinder und Jugendliche der entsprechenden Altersgruppe verbreitet werden. Das ist ein ganz anderer Ansatzpunkt, denn da bedeutet das Zugänglichmachen für Jugendliche einen begünstigenden Verwaltungsakt, denn sonst ist alles ab 18 Jahren frei. Im Internet ist das aber anders. Da darf der Anbieter zugänglich machen. Er begeht nur eine Ordnungswidrigkeit, wenn er nicht kategorisiert bzw. wenn er Zeitgrenzen missachtet. Deshalb ist das alles sehr schwierig. Hinzu kommt, dass es den Grundsatz gibt: Haben die Obersten Landesjugendbehörden bis 18 Jahre gekennzeichnet, bedeutet das gleichsam, dass die BPjM nicht mehr indizieren darf. Das ist der sogenannte Indizierungsschutz.

Wenn die OLJB der Meinung sind, es könnte indiziert werden, müssen sie es der Prüfstelle erst vorlegen, bevor sie kennzeichnen. Ansonsten müssen Sie das Kennzeichen verweigern.

Ja, das ist die sogenannte Zweifelsfallregelung. Das Gesetz schreibt vor, dass die OLJB dann nicht kennzeichnen dürfen, wenn sie die Voraussetzungen für die Listenaufnahme als gegeben ansehen. Wenn sie daran Zweifel haben, können sie das ausnahmsweise – weil die BPjM normalerweise im Vorhinein nicht tätig werden darf – vorlegen. Aber nur, wenn der Antragsteller damit einverstanden ist. Das ist allerdings etwas, was nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, sondern was die FSK in ihren Grundsätzen festgelegt hat. Allerdings: Von der FSK wurde gar kein Zweifelsfall weitergeleitet, von der USK gab es dagegen im Jahr etwa zwei Fälle. Die OLJB begründen das damit, dass im Zweifelsfall nicht gekennzeichnet wird oder die Firma schneidet. Ob Letzteres so ist, kann ich natürlich nicht beurteilen.

Jetzt wollen die Obersten Landesjugendbehörden nach dem neuen JMStV die Freigaben der FSF nur bis zu 12 Jahren übernehmen, weil sie bei 16er- oder 18er-Fällen Angst haben, dass die Bundesprüfstelle bei möglicher Indizierungsrelevanz umgangen wird.

Man muss hier mit der KJM reden, weil die KJM ja ein sogenannter privilegierter Antragsteller ist. Das heißt: Wenn die KJM eine Bewertung von FSF, FSK-online oder USK-online bestätigt, müsste sie ja gleichsam im Hinterkopf prüfen, ob das möglicherweise jugendgefährdend ist – und dann dürfen sie das nicht bestätigen, außer, wenn es ausschließlich um die Fernsehausstrahlung geht. Also müssten die Selbstkontrollen mit der KJM reden und überlegen, wie man das regeln kann. Ich kenne ja die FSF-Gutachten, die ohne Frage gut sind, es geht hier aber im Wesentlichen um die Entwicklungsbeeinträchtigung – das sieht der § 5 JMStV auch so vor – und es geht auch um die Feststellung, dass Fernsehsendungen nicht unzulässig sind. Jetzt müsste aber die FSF noch zusätzlich die mögliche Jugendgefährdung mit in den Fokus nehmen und gleichsam Ausführungen in ihren Gutachten dazu machen, denn das spielt bei der Übernahme für die Trägermedien eine große Rolle.

Das bedeutet, im Grunde könnte man sich hier schon auf ein Verfahren einigen. Im Wesentlichen geht es um die 18er-Fälle, die relevant sind.

Richtig, die 16er-Filme spielen da eine eher zu vernachlässigende Rolle. Die FSF hat eine große Erfahrung und es prüfen dort viele, die auch bei FSK oder BPjM tätig sind; deshalb sind die 16er-Fälle zu vernachlässigen. Bei den 18er-Fällen würde ich das schon anders sehen. Möglicherweise wäre es hilfreich, hier Prüfer aus der BPjM hinzuzuziehen.

Eine Frage zum Abschluss: Was glauben Sie, wie wird der Jugendschutz in zehn Jahren aussehen? Es gibt Überlegungen, dass die BPjM für die Entwicklung allgemeiner Richtlinien zuständig werden soll. Was halten Sie von dieser Idee?

Dass die Bundesprüfstelle letztendlich zusätzliche Aufgaben übernehmen soll, kann ich nur begrüßen. Sie wird es als Kriteriengeber immer geben. Das halte ich auch für sehr wichtig. Ob die Einzelfälle in Zukunft so bleiben, das glaube ich eher nicht. Aber um Kriterien und Normen zu diskutieren und zu entwickeln, die an die Medien anzulegen sind, ist die Bundesprüfstelle sicherlich sehr wichtig. Natürlich wäre es sehr gut, wenn sie in dieser Richtung in Zukunft auch stärker die Öffentlichkeit wie die Anbieter informieren und aufklären würde.

Elke Monssen-Engberding war bis 2016 Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM).

Joachim von Gottberg ist Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und tv-diskurs-Chefredakteur.