Umweltbewusstsein und Umweltängste von Kindern

Daniel Hajok, Luisa Ost

Klimawandel, Umweltverschmutzung, Zerstörung der Welt insgesamt – das sind die eigentlichen Probleme unserer Zeit. Kinder entwickeln bereits früh ein Bewusstsein für die Umwelt; die fortschreitende Zerstörung macht ihnen Angst. Sie angemessen zu begleiten und für die neuen Herausforderungen zu stärken, scheint wichtiger denn je.

Printausgabe tv diskurs: 25. Jg., 1/2021 (Ausgabe 95), S. 8-11

Vollständiger Beitrag als:

 

Wenn es keine Bäume mehr gibt, gibt es keine Luft mehr – und die Menschen müssen sterben.“

(Matthias, 8 Jahre [zitiert nach Gebhard 2013, S. 238])


Naturerfahrungen – eine Grundlage für Umweltbewusstsein

Staudämme bauen, Wildkräuter sammeln und Käfer im Entdeckerglas unter die Lupe nehmen: Das Spielen und Entdecken in der Natur ist für die Kleinen ein großes Abenteuer – und ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einem umweltbewussten Denken und Handeln. Kinder sind, ihrer ganz natürlichen Intuition folgend, ohnehin leicht für Umweltthemen zu sensibilisieren (Gebhard 2013; Kerschefski 2017). Und als wichtige Vorbilder und Erziehende tragen Eltern maßgeblich dazu bei, dass ihre Kinder gern in der Natur spielen, sich für Umweltthemen interessieren und somit ein gesundes Umweltbewusstsein ausprägen.

Wenn Kinder ihre eigenen Naturerfahrungen sammeln können, entwickeln sie im späteren Leben eine bewusstere Einstellung auch gegenüber den längst sichtbaren Problemen, da sie eine emotionale Bindung zur Natur aufbauen (Pohl/Schrenk 2005). Ungeklärt ist allerdings nach wie vor, wann genau ein hohes Umweltbewusstsein entsprechendes umweltgerechtes Verhalten nach sich zieht: Wir Erwachsenen tauschen uns darüber aus, welche Umweltbelastungen wir kennen. Wir philosophieren über politische Veränderungen, aber schaffen es selbst nicht, auf die Flugreise, das Auto oder auf die Plastikverpackung beim Einkaufen zu verzichten. Wir bilden unseren Alltag alles andere als ressourcenschonend ab; die permanente Vernetzung und Digitalisierung – quasi von allem – sind hier nur zwei Aspekte.
 


Auch Kinder im Grundschulalter sprechen sich häufig für Umweltschutz aus, lassen in aller Regel aber (noch) kein entsprechendes Handeln erkennen (Ost 2020). Vermutet wird u.a., dass Umweltbewusstsein inzwischen nicht immer nur aus Überzeugung, sondern auch aus sozialer Erwünschtheit erwächst. Zudem wird angenommen, dass für Privatpersonen Kosten und Nutzen umweltschützender Maßnahmen im Verhältnis stehen müssen und sich gerade Kinder, aber auch Erwachsene, aufgrund der diversen Informationen und Möglichkeiten handlungsohnmächtig fühlen. Schon die Frage nach dem alternativen biologischen Waschmittel kann angesichts der Masse an Optionen schnell zugunsten des Vertrauten ausgehen.

 

Bildung für nachhaltige Entwicklung

Neben Eltern haben letztlich alle Einrichtungen, die der Erziehung und Bildung junger Menschen dienen, eine besondere Verantwortung für die Herausbildung eines differenzierten Umweltbewusstseins. Zu Hause haben Kinder ganz unterschiedliche Startvoraussetzungen, die auch in die Zugänge zur Umwelt eingehen. Je höher etwa der sozioökonomische Status der Eltern, desto häufiger spielen Kinder z.B. draußen in der Natur (ebd.). Auch wenn es um eine Etablierung von Umweltbewusstsein geht, müssen solche Hintergründe in Kitas und Schulen Berücksichtigung finden und etwaige Benachteiligungen entsprechend aufgehoben werden. Kinder sollen ja frühzeitig in die Lage versetzt werden, ihre eigene Zukunft auf nachhaltige Weise mitzugestalten.

Bildung für nachhaltige Entwicklung beschreibt hierfür ein Bildungskonzept, das darauf ausgerichtet ist, eine Naturallianz zu schaffen – eine Einheit zwischen Mensch und Natur –, um dauerhafte menschenbedingte Umweltschäden langfristig zu vermeiden (Giest 2010). Es soll fächerübergreifend und auf Kompetenzerweiterung ausgerichtet sein und explizit in den Grundschulunterricht integriert werden. Die kognitiven Potenziale von Kindern in diesem Alter sollten dabei nicht unterschätzt werden: Zwar machen sich die Auswirkungen von Umweltzerstörungen erst verzögert bemerkbar (Böhm/Pfister 2005) und sind daher ein relativ abstrakter Prozess. Doch weisen bereits Grundschulkinder ein relativ hohes Umweltbewusstsein auf, das sich vorwiegend durch Unterrichtsinhalte, Gespräche mit Eltern oder Medieninhalte herausgebildet hat. Aufgrund dieser Einflüsse ist den Kindern in der Regel schon frühzeitig bewusst, dass die intakte Natur für das eigene Leben bedeutend ist und die Umwelt mehr geschützt werden sollte, um ein gutes menschliches Leben auf der Erde zu sichern (Ost 2020).

Diese kindlichen Einstellungen und Kompetenzen können sich durchaus im Jugendalter verfestigen und zu einer zukunftsorientierten Werthaltung und einer nachhaltigen Lebensweise im Erwachsenenalter führen (Kerschefski 2017; Ost 2020). Unterricht muss dafür attraktive und anregende Lernräume schaffen, um die Lernenden zur Auseinandersetzung zu aktivieren. Es besteht die chancenreiche Möglichkeit, praxisorientierte Unterrichtseinheiten zu gestalten, etwa einen Schulgarten anzulegen oder als Lernort zu verwenden, Beobachtungen, Untersuchungen oder Messungen in der Natur vorzunehmen, Tierparks oder Museen zu besuchen, Umweltschutzarbeiten oder Walderlebnistage durchzuführen. Erfolg versprechend sind auch die Expertisen engagierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, etwa wenn sie im Unterricht mit digitalen Bildern und Befunden vom Forschungsschiff Polarstern aus der Arktis hautnah für die Notwendigkeit nachhaltigen Handelns einstehen.
 

Digitale Medien sind nur bedingt eine Konkurrenz

„Die Jugend schaut nur noch auf ihre Displays; die gehen gar nicht mehr raus.“ Immer wieder hört man Sätze wie diese, die eine vermeintliche Konkurrenz von digitalen Medien und der Natur suggerieren. Schon der 7. Jugendreport Natur 2016 kommt zu dem Schluss, dass sich Kinder durch digitale Medien von der Natur entfremden (Brämer/Koll/Schild 2016). „Während Bestimmungsbücher und Fotodokumentationen ein gängiges Mittel der Umweltbildung sind, stehen Lehrpersonen und Eltern digitalen Medien für diesen Zweck noch skeptisch gegenüber, weil die Befürchtung besteht, dass sie die Kinder eher von der Natur entfremden, als ihnen diese näherzubringen“ (Ost 2020, S. 40). Das Potenzial digitaler Medien für Lehr- und Lernprozesse kann sich so nicht entfalten. Neben Naturerfahrungen in der Freizeit und erlebnisorientiertem Unterricht bieten natürlich auch digitale Medien chancenreiche Zugänge zur Informations- und Wissensaneignung von Umweltthemen. Schon länger diskutiert werden hier die Möglichkeiten, mit digitalen Medien komplexe Sachverhalte kindgerecht zu präsentieren (Barth 2006) oder mit ihrem gezielten Einsatz als Lernwerkzeuge die Lernmotivation und Aufmerksamkeit zu erhöhen (Giest 2010).

Auch wenn in den letzten Jahren Handys, Internet und digitale Spiele in den Freizeitraum von Kindern gedrungen sind, wurden die Beschäftigungen in der Natur von den neuen Möglichkeiten keineswegs vollends verdrängt. Die KIM-Studien belegten in den letzten Jahren sogar ein leicht zugenommenes Interesse von 6- bis 13‑Jährigen an „Umwelt/Natur“. Schon lange rangiert „draußen spielen“ auf Platz fünf der Freizeitbeschäftigungen, findet tatsächlich aber auch immer seltener statt (MPFS 2019). Der Zusammenhang dahinter wurde aktuell ein weiteres Mal mit einer Befragung von Kindern der 3. und 4. Klasse aufgezeigt: „Je mehr Kinder täglich etwas digital über einen Fernseher, einen Laptop, einen Computer oder ein Tablet schauen, desto seltener spielen sie draußen in der Natur“ (Ost 2020, S. 59). Die Nähe zur Natur ist aber auch dieser wichtigen Zielgruppe von Bildung für nachhaltige Entwicklung noch nicht abhandengekommen: Nach „Zeit mit der Familie verbringen“ belegte „draußen spielen“ zusammen mit dem „Fernsehen“ im Juni/Juli 2020 den Platz zwei; fast alle Dritt- und Viertklässler spielten demnach mindestens zweimal die Woche bis täglich draußen in der Natur (ebd.).
 

Umweltängste auf dem Vormarsch?

Schon in den 1980er-/1990er‑Jahren zeigten Studien, dass Umweltängste bei Kindern verbreitet sind, dass die Kleinen sich mehr vor den großen Themen wie „Umweltzerstörung“ fürchten als vor persönlichen Themen wie „Krankheit“ und „Scheidung der Eltern“. Die bereits zitierte aktuelle Befragung von Dritt- und Viertklässlern bestätigt dies. Sicher auch der besonderen Situation (Coronapandemie) geschuldet, ängstigte die Kinder hier zwar zuallererst eine eigene unheilbare Erkrankung oder die eines Familienmitglieds. Auf Platz zwei lagen aber bereits die wachsende Umweltverschmutzung und ‑zerstörung. Konkret richteten sich die Umweltängste vor allem auf das Artensterben, Plastik im Meer und Müll in der Natur (ebd., S. 58).

Die kindlichen Ängste speisen sich bekanntlich aus eigenen Beobachtungen sowie aus medial vermittelten Inhalten (Gebhard 2013). Die dort repräsentierten entfernteren Probleme werden dabei bedrohlicher wahrgenommen als näher an der Lebenswelt stehende und lokale Probleme.

Ein wichtiger Hintergrund ist hier offenbar das bekannte Phänomen, dass es leichter ist, die Sorge und Betroffenheit über nicht Veränderbares auszudrücken, als das eigene Verhalten zu ändern und bei sich selbst im Kleinen zu beginnen (Karger/Wiedemann 1994). Insbesondere Kinder könnten sich zudem auch angesichts ihrer eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten ohnmächtig und daher noch angstvoller gegenüber abstrakten Themen fühlen.

Besonders bemerkenswert ist der recht starke und signifikante Zusammenhang von Umweltbewusstsein und Umweltängsten: „Je ausgeprägter das Umweltbewusstsein von Kindern ist, desto mehr Angst haben sie vor der Umweltverschmutzung und -zerstörung“ (Ost 2020, S. 58). Offenbar entwickeln Kinder ihr Umweltbewusstsein noch immer nicht zuletzt über (medial vermittelte) Bedrohungsszenarien. Das widerspricht letztlich dem Leitprinzip der Bildung für nachhaltige Entwicklung, Ängste abzubauen und Handlungsoptionen in den Vordergrund zu stellen (Krüger u.a. 2014). Damit Kinder ihre Ängste überwinden und Handlungsfähigkeit erlangen können, müssen sie zwar mit den Fakten konfrontiert, aber eben auch angemessen begleitet werden (Ost 2020).
 

Fazit

Kindliche Naturerfahrungen und mit Bedacht gewählte, altersgerechte Berührungspunkte mit den Herausforderungen der Umwelt stärken die Bindung zur Natur (Pohl/Schrenk 2005) und grundsätzlich auch die Bereitschaft zu einem umweltgerechten Handeln. Grundschulkinder sind mit ihren kognitiven Voraussetzungen bereits ernst zu nehmende Adressaten von Aufklärungs- und Bildungsarbeit zu Umweltthemen, viele von ihnen erachten sich selbst als handlungsfähige Subjekte in Bezug auf Umweltschutz (Gebhard 2013) und wollen eigene kleine Beiträge dazu leisten. Auch wenn das Umweltbewusstsein nicht immer mit tatsächlichem Umwelthandeln einhergeht, muss es frühzeitig mit handlungsorientierten Konzepten gefördert werden.

Kinder mit ihren Umweltängsten altersentsprechend zu begleiten, heißt vor allem, ihnen konkrete Handlungsoptionen aufzuzeigen.

Digitale Medien und Natur sollten dabei weniger in Konkurrenz stehen, sondern als sich ergänzende Erfahrungen genutzt werden, mit denen sich Kinder unmittelbar und mittelbar ihre Umwelt aneignen und ein Umweltbewusstsein entwickeln können. Nur mit einer angemessenen Bildung für nachhaltige Entwicklung werden Kinder ihre Zukunft meistern können. Hierfür bedarf es einer Integration dieses Themas bereits in den Grundschulunterricht. Kinder können dann der Ausgangspunkt eines grundlegenden Wandels sein: Die Liebe und die Nähe zur Natur, die in der Kindheit ihren Ursprung haben, können im Erwachsenenalter ihren Ausdruck in einer nachhaltigen Handlungs- und Lebensweise finden.
 

Literatur:

Barth, M.: Lernen mit Neuen Medien – ein Weg für die Bildung für eine nachhaltige Entwicklung? In: W. Rieß/H. Apel (Hrsg.): Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Aktuelle Forschungsfelder und ‑ansätze. Wiesbaden 2006, S. 69 – 80

Böhm, G./Pfister, H.-R.: Umweltbezogenes Verhalten und Emotionen. In: M. Schrenk/W. Holl-Giese (Hrsg.): Bildung für nachhaltige Entwicklung. Ergebnisse empirischer Untersuchungen. Hamburg 2005, S. 17 – 29

Brämer, R./Koll, H./Schild, H.-J.: 7. Jugendreport Natur 2016. Erste Ergebnisse. Natur Nebensache? In: Natursoziologie.de, 9/2016. Abrufbar unter: https://www.wanderforschung.de (letzter Zugriff: 17.07.2020)

Gebhard, U.: Kind und Natur. Die Bedeutung der Natur für die psychische Entwicklung. Wiesbaden 2013

Giest, H.: Moderne Medien in der Umweltbildung. In: H. Giest (Hrsg.): Umweltbildung und Schulgarten. Eine Handreichung zur praktischen Umweltbildung unter besonderer Berücksichtigung des Schulgartens. Potsdam 2010, S. 63 – 70

Karger, C. R./Wiedemann, P. M.: Wahrnehmung von Umweltproblemen. Wir sehen nur, was uns betrifft. In: Politische Ökologie, 37/1994/12, S. 16 – 20

Kerschefski, M.: Naturentfremdung und kindliche Entwicklung. Warum Naturerlebnisse so wichtig sind. Auszug aus der Diplomarbeit Naturerlebnis in Kindertagesstätten. Die Umgestaltung des Kita-Spielplatzes in Cölpin unter naturpädagogischen Aspekten. Hochschule Neubrandenburg 2010. In: Natursoziologie.de, 10/2017. Abrufbar unter: https://www.natursoziologie.de (letzter Zugriff: 23.06.2020)

Krüger, B./Schick, D./Metzner-Dinse, G./Schröer, B./Rohm, J.: Wie wollen wir leben? Kinder philosophieren über Nachhaltigkeit. München 2014

MPFS (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest) (Hrsg.): KIM-Studie 2018. Kindheit, Internet, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13‑Jähriger. Stuttgart 2019

Ost, L.: Umweltbewusstsein von Kindern in der oberen Primarstufe – Chancen und Grenzen für nachhaltige Entwicklung durch schulische und mediale Umweltbildung. Masterarbeit. Universität Erfurt 2020

Pohl, D./Schrenk, M.: Naturerfahrungen und Naturzugänge von Kindern. In: M. Schrenk/W. Holl-Giese (Hrsg.): Bildung für nachhaltige Entwicklung. Ergebnisse empirischer Untersuchungen. Hamburg 2005, S. 33 – 44

Dr. Daniel Hajok ist Kommunikations- und Medienwissenschaftler, Honorarprofessor an der Universität Erfurt sowie Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Kindheit, Jugend und neue Medien (AKJM).

Luisa Ost studierte Kinder- und Jugendmedien an der Universität Erfurt.