TikTok und seine Challenges: eine Gefahr für Kinder und Jugendliche?

Sina Albrecht

Sina Albrecht studiert Medien- und Kommunikationswissenschaft sowie Sprachwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Jedes soziale Netzwerk hat seine eigenen Reize und Risiken. TikTok, die jüngste der erfolgreichen Plattformen, ist dabei keine Ausnahme. Was macht die Kurzvideo-App so beliebt? Was sind Challenges – und sollten sie den Kinder- und Jugendschutz interessieren? In welchem Umfang werden Inhalte bei TikTok kontrolliert und reguliert? Um diese und weitere Fragen dreht sich folgender Beitrag.

Online seit 19.01.2021: https://mediendiskurs.online/beitrag/tiktok-und-seine-challenges-eine-gefahr-fuer-kinder-und-jugendliche/

 

 


Was ist TikTok und warum ist die App so beliebt?

TikTok ist sowohl eine App zur Erstellung von Kurzvideos als auch eine Social-Media-Plattform zum Teilen dieser Videos. Die App wurde im September 2016 von dem chinesischen Internetunternehmen ByteDance entwickelt und wird bevorzugt von Teenagern genutzt.

Aktuell verzeichnet TikTok 800 Millionen aktive Nutzerinnen und Nutzer, von denen 41 % zwischen 16 und 24 Jahren alt sind (Aslam 2020). Die Userinnen und User verbringen durchschnittlich 52 Minuten täglich mit der App, wobei 80 % der gesamten Nutzungszeit auf chinesische Nutzerinnen und Nutzer fällt. Laut einer Umfrage in den USA ist TikTok unter Teenagern mittlerweile beliebter als Instagram. Auf Platz eins der Social-Media-Plattformen steht allerdings Snapchat. Die App wurde von 34 % der durchschnittlich knapp 16 Jahre alten Befragten als bevorzugtes soziales Netzwerk angegeben (TikTok: 29 %, Instagram: 25 %, vgl. Piper Sandler 2020).

Der rasante Anstieg der TikTok-Userzahlen ist beachtlich. Man könnte dies auch auf seinen Mechanismus zurückführen. Auf der Startseite werden unter dem Punkt Für dich ähnlich wie bei Instagram immer neue Videos empfohlen, die starten, sobald der Ausschnitt auf dem Display erscheint. Ein unendliches Scrollen ist möglich, wobei ausgefeilte Algorithmen dafür sorgen, dass die Inhalte stets den eigenen Interessen entsprechen. Die Nutzerinnen und Nutzer werden auf diese Weise erfolgreich gebunden.

Die Erstellung der Kurzvideos ist weitaus weniger aufwendig als beispielsweise YouTube-Videos, sodass nicht nur konsumiert, sondern gern auch selbst produziert wird. Nicht zuletzt hat die Corona-Krise zum TikTok-Hype beigetragen, da Kinder und Jugendliche nach einer Beschäftigung während des Lockdowns suchen (Bohlmann 2020).
 

Was ist auf TikTok zu sehen?

Meistens sind die Videos circa 15 Sekunden lang, selten länger als eine Minute. Die Formate sind ebenso vielfältig wie in anderen sozialen Netzwerken. Am beliebtesten sind die Kategorien Comedy und Point-Of-View (POV). In POV-Videos werden Szenen zu bestimmten Personen oder Gefühlslagen aus der eigenen Perspektive aufgenommen. Weitere beliebte Inhalte sind Tanzvideos, Lippensynchronisierungsvideos, kurze Sketche, Pranks, Outfit-, Fashion- und Make-up-Videos oder Tutorials (vgl. Gordon 2020).
 


Auch bekannte Stars nutzen TikTok, um ihr junges Zielpublikum zu erreichen. Zum Beispiel forderte Ed Sheeran dazu auf, zu seinem Lied Beautiful People seine liebsten Menschen zu präsentieren.

Die meisten TikTok-Follower hat allerdings die 16-jährige Influencerin Charli D’Amelio mit über einer Milliarde Followern und über acht Milliarden Likes. Ihre Inhalte beschränken sich hauptsächlich auf Tanzvideos im bauchfreien Top, Lippensynchronisations- und Schminkvideos. Als eines ihrer Tanzvideos viral ging, unterstützten sie ihre Eltern aktiv beim Vergrößern ihrer Reichweite, indem sie Manager und Anwälte engagierten, die Sponsoren und Werbeverträge besorgten. Nach nur eineinhalb Jahren wurde sie zum meistabonnierten TikTok-Star (Bovermann 2020).
 

Wie kann man mit TikTok Geld verdienen?

Es gibt vier Möglichkeiten, mit TikTok Umsatz zu generieren: Partnerschaften mit Firmen eingehen und deren Produkte bewerben, eigene Merchandise über die Plattform verkaufen, im Livestream von Nutzerinnen und Nutzern erworbene virtuelle Geschenke real verkaufen, bezahlte Links oder Rabatt-Codes in die Videos einfügen (Krebs 2020).
 

Was sind Challenges?

Challenges (dt.: Herausforderungen) sind kleine Aufgaben, die TikTok-Userinnen und ‑User erfüllen und filmen. Dabei kann es um Harmloses gehen, wie zum Beispiel einen Tanz aufzuführen oder ein Video mit einem bestimmten technischen Filter zu erstellen. Die Rain Drop Challenge ist mit fast einer Milliarde Aufrufen die berühmteste TikTok-Challenge. Hier wird über ein (Tanz‑)Video ein Filter mit strömendem Regen gelegt. Durchs Ausstrecken der Handfläche in Richtung Kamera kann der Regen gestoppt werden, wodurch einzelne Tropfen scheinbar im Raum stehen bleiben.
 


In der ebenfalls millionenfach durchgeführten Old Town Road Challenge wird zum gleichnamigen Lied im Cowboy-/Cowgirl-Outfit getanzt. Daneben gibt es sportliche Challenges wie die Plank Challenge, bei der zwei Personen synchron Liegestützen machen, dabei in die Hände klatschen und schließlich ihre Positionen tauschen müssen. Im Rahmen der Art Project Challenge wird die Erstellung eines Kunstwerks mit einem Zeitrafferfilter dokumentiert (Jones 2020).

Die In My Feelings Challenge aus dem Jahr 2018 verbreitete sich auch über andere Social-Media-Plattformen. Hier wird zum Lied In My Feelings von Drake getanzt. Oftmals wird so getan, als liefe das Stück während einer Autofahrt im Radio. Die Beifahrerin oder der Beifahrer steigt aus und performt eine Choreografie zur Musik, während das Auto mit offener Tür im Schritttempo nebenher weiterfährt. Nicht immer ist die Situation ungefährlich. In manchen Videos sieht man andere Autos vorbeifahren oder wie die Performenden gegen Schilder oder andere Hindernisse stoßen – möglicherweise, um mehr Likes zu bekommen.

Eine Gefahr liegt hier auch in der großen Reichweite sozialer Medien wie TikTok. Je mehr Userinnen und User an einer Challenge teilnehmen, desto schwerer ist es, diese zu stoppen. Sogar die deutsche Polizei warnte vor der In My Feelings Challenge, da es vermehrt zu Unfällen kam (Wolters 2018).
 


Zur Reichweitensteigerung sorgen sicher auch YouTube-Kanäle, die sich allein dem Reposten von TikTok-Videos widmen. Sie sind teilweise nach Themen geordnet (z.B. zu einem bestimmten Musikstück, aus der LGBTQ-Community, Fails, Challenges) und werden manchmal mit Blick auf mögliche Gefährdungen analysiert.
 

Wann werden Challenges gefährlich?

Der YouTuber D’Angelo Wallace beschreibt auf seinem Kanal riskante Trends auf TikTok und rät davon ab, diesen zu folgen (Wallace 2020). Kritisch ist beispielsweise die Penny Challenge, bei der eine Münze in den USB-Schlitz eines in der Steckdose eingesteckten Adapters gedrückt wird, um Funken auszulösen. Mit der Flash Challenge soll es angeblich möglich sein, seine Augen blau zu färben, indem die Handy-interne Taschenlampe direkt ins Auge gestrahlt wird. Noch schädlicher wird es in der Bright Eye Challenge, bei der Bleichmittel ins Auge getropft werden soll, um dieses hell zu färben. Solche Effekte können leicht durch Bild- und Videobearbeitung vorgetäuscht werden. Jüngere Kinder erkennen solche Fake-Challenges jedoch nicht immer und bringen sich ernsthaft in Gefahr. Was besonders riskant wird, wenn Videos dieser Art keine öffentliche Aufmerksamkeit außerhalb der Plattform zuteil wird und sie sich unkontrolliert verbreiten können.

Kritisch wird es auch, wenn die Gefahr einer Challenge nicht sofort erkannt wird, da sie für lustig empfunden wird, wie zum Beispiel bei der Cereal Challenge: Eine Person legt sich auf den Rücken und öffnet ihren Mund. Eine andere Person füllt Cornflakes und Milch in den offenen Mund und löffelt diese anschließend wieder aus. Neben der Gefahr, dass sich die liegende Person verschluckt, ist es äußerst unhygienisch und kann gerade in Corona-Zeiten zu Infektionen führen. Indem aber gleichzeitig Belustigung und Ekel bei den Zuschauenden ausgelöst werden, sind hohe View- und Like-Zahlen garantiert.

Bei einigen Challenges geht es darum, sich durch leicht erhältliche Mittel in einen Rauschzustand zu versetzen, beispielsweise durch Muskatnuss oder ein rezeptfrei erhältliches Antiallergikum. Bei hoher Dosierung kommt es zu Halluzinationen, allerdings kann die Einnahme auch zu Ohnmacht oder gar zum Tod führen. In den USA verstarb im September 2020 eine 15-Jährige an den Folgen der Benadryl Challenge. Weitere Kinder wurden ins Krankenhaus eingeliefert. Die Mutter eines 14-jährigen Mädchens berichtet, dass die Benadryl-Einnahme zu einem Ruhepuls von 199 führte und ihre Tochter nur noch in gebrochenen Sätzen sprechen konnte (Clemenson 2020).

Die Liste der risikoreichen Challenges ist lang. Von der Pass Out Challenge, bei der man ohnmächtig werden soll, über die Skull-Braker Challenge, bei der eine Person absichtlich zu Fall gebracht wird, bis zur Foreigner Challenge. Letztere fordert Jugendliche heraus, Fotos und Videos ihrer privaten sexuellen Handlungen zu posten (Travis 2020). Das Besondere an dieser Challenge ist die Gegenbewegung einiger TikTok-User, welche warnende Kurzvideos kreieren. Beispielsweise wird geschauspielert, wie eine Person erkennt, dass ihr Kind mit der Foreigner Challenge vertraut ist und daraufhin schockiert reagiert.
 

Wie werden die Inhalte kontrolliert?

TikTok hat zwar bereits einige kritische Videos entfernt, bemüht sich aber kaum, gefährliche Trends aufzuhalten. Dass es möglich wäre, den jeweiligen Hashtag zur Challenge zu sperren, damit diese nicht mehr auffindbar ist, beweist Instagram. Die ältere App zeigt sich verantwortungsvoller in der Regulierung problematischer Inhalte.

Laut den AGBs darf TikTok nur von Personen ab 18 Jahren genutzt werden. Ab 13 Jahren können Teenager mit dem Einverständnis ihrer Eltern auf der Plattform aktiv sein. Allerdings werden die Altersrichtlinien nicht kontrolliert, sodass auch jüngere Kinder die App nutzen können, ohne dass ihre Eltern es bemerken (Beck/Eikenbusch 2020).

In allen sozialen Netzwerken werden Challenges und riskante Inhalte geteilt. Auf TikTok besteht die Gefahr jedoch darin, dass die App besonders für jüngere Jugendliche attraktiv ist und wenig reguliert wird.
 


Quellen:

Aslam, S.: TikTok by the Numbers: Stats, Demographics & Fun Facts. In: OmnicoreAgency.com,28.10.2020, abrufbar unter www.omnicoreagency.com (letzter Zugriff: 19.12.2020)

Beck, K./Eikenbusch, N.: Was macht mein Kind eigentlich bei TikTok?. In: Klicksafe, Mai 2020, abrufbar unter www.klicksafe.de (letzter Zugriff: 19.12.2020)

Bohlmann, K.: YouTube, TikTok und Co. Marktmacht mit Risiken. In: tagesschau.de, 23.10.2020 (letzter Zugriff: 19.12.2020)

Bovermann, P.: Woher kommt der Hype um Charli D'Amelio?. In: Süddeutsche Zeitung, 24.11.2020, abrufbar unter www.sueddeutsche.de (letzter Zugriff: 19.12.2020)

Charlidamelio auf TikTok: https://www.tiktok.com/@charlidamelio (letzter Zugriff: 19.12.2020)

Clemenson, M.: Girl, 15, dies after taking on sick 'Benadryl challenge' where teens overdose on TikTok. In: Daily Star, 01.09.2020, abrufbar unter www.dailystar.co.uk (letzter Zugriff: 19.12.2020)

Gordon, J.: I Figured Out the TikTok Algorithm. In: YouTube, 19.09.2020 (letzter Zugriff: 19.12.2020)

Jones, E.: The 20 Best Viral TikTok Challenges (So Far). In: one37pm, 01.10.2020, abrufbar unter www.one37pm.com (letzter Zugriff: 19.12.2020)

Kemp, S.: Digital 2020: October Global Statshot. In: Datareportal, 20.10.2020, abrufbar unter https://datareportal.com (letzter Zugriff: 19.12.2020)

Krebs, M.: 90.000 Dollar pro Post. Kann man mit TikTok Geld verdienen?. In: Stuttgarter Nachrichten, 01.09.2020, abrufbar unter www.stuttgarter-nachrichten.de (letzter Zugriff: 19.12.2020)

Piper Sandler: 40th Semi-Annual Taking Stock With Teens Survey. In: Piper | Sandler, 2020, abrufbar unter www.pipersandler.com (letzter Zugriff: 19.12.2020)

Travis, A.: The Foreigner Challenge on TikTok Is Seriously Dangerous and Disturbing. In: Distractify, 2020, abrufbar unter www.distractify.com (letzter Zugriff: 13.01.2020)

Wallace, D’Angelo: tiktok challenges are back (and more illegal than ever). In: YouTube, 01.05.2020. (letzter Zugriff: 19.12.2020)

Wolters, C.: Gefährlicher Trend. Polizei warnt vor „Kiki-Challenge“. In: Westfälische Nachrichten, 01.08.2018, abrufbar unter www.wn.de (letzter Zugriff: 19.12.2020)