Terror. Einführung ins Titelthema

Joachim von Gottberg

Joachim von Gottberg ist Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und tv-diskurs-Chefredakteur.

Warum und mit welchen Schwerpunkten wird das Thema „Terror“ in tv diskurs behandelt?

Printausgabe tv diskurs: 20. Jg., 4/2016 (Ausgabe 78), S. 22-23

Vollständiger Beitrag als:

Die Opfer sind meist unschuldige Menschen, die der Terroranschlag völlig unvermittelt und ohne irgendeine persönliche Beziehung zu den Tätern trifft. Nur in seltenen Fällen sind gezielt beispielsweise gleichgeschlechtlich orientierte Menschen betroffen, wenn sie etwa in einem Club zusammen feiern. Dabei trifft der islamistische Terror in der Masse Menschen, die ebenfalls zum Islam gehören, aber die eine andere Ausrichtung des Glaubens vertreten. Was genau das Ziel des Terrors ist, lässt sich positiv kaum definieren. Terror ist destruktiv, er entsteht aus Hass, Selbstüberschätzung, Intoleranz oder der Unfähigkeit, das eigene Leben sinnvoll zu gestalten. Selbstmordattentäter wollen durch die Tat zum Helden werden, der in seiner Einbildung für eine große Sache – nämlich den einzig wahren Gott – zum Märtyrer wird. Er rechtfertigt seine Tat damit, dass er den Ungläubigen die Würde und damit das Recht zu leben abspricht. Wenn sie nicht an den wahren Gott glauben und seinen Moralkodex befolgen, dann ist es auch gerechtfertigt, sie zu töten und die Gesellschaften dieser Ungläubigen in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Opfer von Attentaten dienen den Terroristen nur als Mittel zum Zweck. Die Angst und die Zerstörung der Normalität durch die Botschaft, dass jeder morgen zum Opfer werden kann, ist das eigentliche Ziel derjenigen, die hinter dem Terror stecken. Dafür müssen sie Menschen finden und für ihre Zwecke funktionalisieren, die wahrscheinlich vorher schon suizidale Absichten hatten. Durch den Terror für die angeblich gute Sache erhält der eigene Tod einen Sinn. Der Selbstmordattentäter wird posthum zu einer kriminellen Berühmtheit – je mehr Menschen getötet wurden, umso besser.

Die Reaktionen der Medien und auch der Öffentlichkeit auf solche Taten folgen reflexartig. Grausamkeit und Unmenschlichkeit werden auf „das Schärfste“ verurteilt, Fassungslosigkeit wird deutlich. Politiker bis hin zum amerikanischen Präsidenten nehmen zu der Tat einer Person Stellung, die vorher niemand wahrgenommen hat. Auch von Amokläufen kennen wir dieses Bedürfnis, zumindest nach dem eigenen Tod berühmt sein zu wollen. Robert Steinhäuser, der 2002 in Erfurt 16 Menschen und anschließend sich selbst tötete, hatte wahrscheinlich ähnlich depressive und suizidale psychische Strukturen wie manch islamistischer Selbstmordattentäter. Eine Radikalisierung beispielsweise durch das Internet greift bei den meisten Menschen nicht. Voraussetzung ist wahrscheinlich, dass es schon vorher suizidale Phantasien und schwere psychische Probleme gab.

Kein Zweifel: Eine möglichst hohe mediale Aufmerksamkeit ist eines der Hauptmotive der Täter – und auch derer, die sie in den Tod schicken. Je grausamer die Tat ist, je mehr Menschen getötet wurden, umso sicherer wird genau dieses Ziel erreicht. Sondersendungen unterbrechen in solchen Tatsituationen das laufende Programm, obwohl es noch keine Informationen gibt, über die berichtet werden könnte. Stattdessen rätseln Moderatoren mit interviewten Journalisten oder selbst ernannten Experten, was eigentlich passiert ist. Die Medien befinden sich in einem Dilemma: Einerseits müssen sie ihre Aufgabe erfüllen und die Rezipienten optimal informieren. Gleichzeitig sind sie aber andererseits Teil des mörderischen Plans der Täter. Wie also sollen sie sich verhalten? Sind selbst auferlegte oder vorgeschriebene Restriktionen etwa im Hinblick auf die Hintergrundberichte über das Täterumfeld oder die Nennung des Namens sinnvoll? Ist es überhaupt durchsetzbar, wenn in sozialen Netzwerken ohnehin darüber berichtet wird? Senden die Medien mit ihrer Art der Berichterstattung nicht auch eine Botschaft an potenziell neue Täter? Könnte man durch eine Veränderung der Botschaft möglicherweise langfristig Taten verhindern? tv diskurs hat nachgefragt.

> tv diskurs 78, 4/2016: Terror. Mediale Aufmerksamkeit als Motiv.