Sport im Film

Robert Gugutzer

Prof. Dr. Robert Gugutzer leitet die Abteilung für Sozialwissenschaften des Sports an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Das Genre des Sportfilms fasziniert durch seine Inszenierung bewegter Körper in bewegten Bildern. Es repräsentiert typische gesellschaftliche Themen und ist charakterisiert durch konservative Werte. Ein Streifzug durch die Geschichte des Sportfilms zeigt jedoch, dass zumindest vereinzelt auch gesellschaftskritische Sichtweisen vermittelt werden.

Printausgabe tv diskurs: 22. Jg., 4/2018 (Ausgabe 86), S. 64-67

Vollständiger Beitrag als:

Sportfilme gibt es, seit es Filme gibt, dennoch hat der Sportfilm kein allzu gutes Image. Sportfans finden Sportfilme oft langweilig, weil der inszenierte Sport mit dem realen Sport nicht mithalten kann, schließlich sind die Akteure auf der Leinwand in aller Regel Schauspieler und keine Sportlerinnen und Sportler. Filmfans wiederum bescheinigen dem Sportfilm pauschal ein niedriges intellektuelles und/oder cineastisches Niveau und lehnen ihn deshalb ab. Diese Kritiken sind nicht völlig aus der Luft gegriffen, werden aber keineswegs allen Sportfilmen gerecht. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass es gar nicht so wenige Sportfilme gibt, die mit den bedeutendsten Filmpreisen ausgezeichnet wurden. Dazu zählen z.B. Rocky (1976), der 1977 als erster Sportfilm überhaupt einen bzw. sogar drei Oscars gewann, Die Stunde des Siegers (1981), der 1982 vier Oscars gewann genauso wie Million Dollar Baby (2004) im Jahr 2005. Aber auch unabhängig von solchen Auszeichnungen lässt sich feststellen, dass Sportfilme beim breiten, vor allem „jüngeren“ Kinopublikum durchaus beliebt sind. Das gilt vor allem für Kinderfilme wie Die Wilden Kerle (2003), Sportkomödien wie Cool Runnings (1993) oder Space Jam (1996) sowie Sportdramen wie Hooligans (2005) oder The Fighter (2010). Wie lässt sich diese Beliebtheit erklären?
 


Sport und Film – zwei, die zueinander passen

Ein Grund für die Beliebtheit von Sportfilmen kann in den strukturellen Gemeinsamkeiten von Sport und Film gesehen werden. So gilt (a) sowohl für den Sport als auch für den Film, dass ihr zentrales Medium Bewegung ist – im Fall des Sports bewegte Körper, im Fall des Films bewegte Bilder. Sport zu treiben, macht Spaß, weil man sich körperlich bewegt, und (Spitzen-)Sport anzuschauen, ist interessant, weil die Körper in Bewegung eindrucksvoll sind. Ebenso faszinieren Spielfilme aufgrund der Dynamik und Lebendigkeit ihrer bewegten Bilder, mit denen oft genug eine innere Bewegtheit der Zuschauerinnen und Zuschauer korrespondiert. Mit der Bewegung geht (b) die Spannung einher, die Sportereignisse und Filme regelmäßig liefern. Menschen mögen Spannung, solange sie harmlos ist, was auf Sport und Spielfilme zutrifft. Im Unterschied etwa zu Kriegen oder politischen Auseinandersetzungen, die auch spannend sein können, ist die Spannung im Sport und in Filmen entspannend, weil es hier letztlich um nichts geht, zumindest um nichts Existenzielles. Die Spannung in Sport und Film resultiert dabei (c) aus ihrer agonalen Grundstruktur. Im Sport gibt es immer einen Gegner, den es zu bezwingen gilt, und sei es nur der „innere Schweinehund“, um überhaupt Sport zu treiben. Ebenso haben die Protagonistinnen und Protagonisten in Spielfilmen in aller Regel einen oder mehrere Antagonisten, gegen den bzw. gegen die sie sich zu behaupten haben, wobei der härteste Gegner sehr oft ein Teil des eigenen Selbst (Schuldgefühle, Wut, Trauma etc.) ist. Nimmt man nur diese drei gemeinsamen Merkmale von Sport und Film, lässt sich sagen, dass im Sportfilm zwei zusammengefunden haben, die offensichtlich zusammengehören.
 

Geschichte des Sportfilms

Dass Sport und Film zusammenpassen, lehrt auch die Geschichte des Films. Die bewegten Körper von Sportlerinnen und Sportlern waren nämlich schon für die ersten Filmemacher am Ende des 19. Jahrhunderts ein beliebter Stoff, der auch beim Publikum ausgesprochen gut ankam. Vorreiter war hier die US-amerikanische Filmindustrie, die zunächst vor allem Boxerfilme produzierte, darunter mit The Corbett-Fitzsimmons Fight (1897) den ersten Film in Spielfilmlänge überhaupt. Auch in der Stummfilmära spielte der Sport eine wichtige Rolle, besonders in Slapstickkomödien wie Charlie Chaplins The Champion (1915), Harold Lloyds The Freshman (1925) oder Buster Keatons College (1927).
 


Interessant an der Geschichte des Sportfilms ist, dass sie das enge Wechselverhältnis von Sport, Film und Gesellschaft deutlich werden lässt. Der Boxsport beispielsweise repräsentierte damals nämlich zum einen in verdichteter Form typische Werte der amerikanischen Gesellschaft wie Leistungsindividualismus, Wettkampforientierung, Kommerzialisierung und Professionalisierung. Zum anderen bot das räumlich und zeitlich begrenzte körperliche Duell zweier Boxer einen hohen Unterhaltungswert und damit eine gute Gelegenheit, das noch kinounerfahrene Publikum für sich zu gewinnen.

Einen offensichtlichen Zusammenhang zwischen den Themen in Sportfilmen und denen der Gesellschaft, in der diese Filme produziert wurden, findet man ebenso im sozialrealistischen englischen Sportfilm der frühen 1960er-Jahre, der den Leistungssport als Folie für eine generelle Kritik an der kapitalistischen Leistungsgesellschaft nutzte, exemplarisch in Lockender Lorbeer (1963). Ganz ähnlich war es in den USA in den 1970er-Jahren, wo im New-Hollywood-Kino zahlreiche gesellschaftskritische Sportfilme entstanden, in denen vor allem die Wettbewerbsfixierung und der ausufernde Individualismus der amerikanischen Gesellschaft thematisiert wurden, beispielsweise in Die Bären sind los (1976) oder Zwei ausgebuffte Profis (1977). In den 1980er- und 1990er-Jahren wiederum, dem sogenannten postmodernen Zeitalter, verhandelten die Sportfilme die zu dieser Zeit wichtigen gesellschaftlichen Themen wie Konsum- und Lifestyleorientierung, Körperinszenierung oder die Erosion von Geschlechteridentitäten, wofür exemplarisch Sportfilme wie Eine Klasse für sich (1992) oder Spiel des Lebens (1998) stehen.
 

Gesellschaftliche Themen im Sportfilm

Sportfilme nehmen also offensichtlich Bezug auf die gesellschaftlichen Themen, Fragen und Probleme ihrer Zeit, andernfalls hätten sie es auch schwer, ein Massenpublikum zu erreichen. Zugleich aber werden in Sportfilmen ebenso zeitunabhängige, grundlegende Lebens- und soziale Themen verarbeitet. Vier Themenfelder sind dabei typisch für Sportfilme.

Eines der häufigsten Themen in Sportfilmen ist der gesellschaftliche Aufstieg einer Sportlerin bzw. eines Sportlers, die bzw. der sich aus schwierigen sozialen Verhältnissen „nach oben“ kämpft. In der Regel muss sie bzw. er dabei einige persönliche Krisen und schwierige soziale Umstände meistern. Das gelingt ihr bzw. ihm aufgrund größter Selbstdisziplin und eines eisernen Willens, weshalb der Sieg vor allem ein Sieg über sich selbst ist. Sportfilme dieser Art zeigen, dass sich ein rigoroser Leistungsindividualismus lohnt. Jeder ist seines Glückes Schmied, man muss sich nur genügend anstrengen, dann schafft man es auch. Der Klassiker schlechthin hierfür ist Rocky (1976). Dieser Film erzählt die Geschichte eines italoamerikanischen Amateurboxers aus der Unterschicht, der überraschend die Gelegenheit erhält, gegen den amtierenden Weltmeister im Schwergewicht anzutreten. Nach hartem Training, einigen Rückschlägen, aber mit großer Willensstärke verliert Rocky zwar den sportlichen Kampf ganz knapp, gleichwohl geht er als eigentlicher Held daraus hervor, da er sowohl gegen sich selbst (seine Selbstzweifel etc.) als auch die Liebe einer Frau gewonnen hat. Im Unterschied dazu erzählt Million Dollar Baby (2004) zwar auch die Geschichte des American Dreams, die jedoch tragisch, ja tödlich endet. Ist es Zufall, dass – ganz untypisch für einen Boxerfilm – die Protagonistin eine Frau ist?

Ein Großteil der Sportfilme behandelt auf die eine oder andere Weise und unabhängig von der gewählten Sportart das Thema „soziale Identität“. Im Mittelpunkt stehen vor allem die Geschlechts-, Rassen-, Klassen-, Milieu- und/oder nationale Zugehörigkeit des oder der Protagonisten. Die Hauptfigur wird im Film als Repräsentantin einer sozialen Gruppe dargestellt, die aufgrund dieser Gruppenzugehörigkeit Probleme bekommt. Verursacher dieser Schwierigkeiten ist typischerweise die soziale Gegengruppe, die sich in ihrer Existenz herausgefordert fühlt. Hauptgegenstand des Konflikts der beiden Parteien ist damit die eigene soziale Identität und die Frage, wie diese angesichts einer vermuteten oder tatsächlichen Bedrohung behauptet werden kann. Großen Erfolg hatte damit der Film Kick It Like Beckham (2002), in dem die Geschlechts- und auch die ethnische Identität thematisiert werden: Die Protagonistin Jess ist ein indischstämmiges Mädchen, das mit seiner Familie in London lebt und leidenschaftlich gern Fußball spielt. Jess verkörpert damit einen doppelten Identitätskonflikt (Indien/England, Mädchen/Jungen), den sie letztlich dank ihrer Pfiffigkeit und Hartnäckigkeit und mit der Unterstützung ihres Vaters in ihrem Sinne lösen kann.
 


Sportfilme vermitteln, wie alle Filme, bestimmte Werte. Auffällig ist dabei, dass in Sportfilmen vor allem für konservative Werte Partei ergriffen wird. Beispielsweise wird die Mannschaft in aller Regel als eine positive Metapher für Familie gewählt, und sofern ein Konflikt zwischen Mannschaftszugehörigkeit und Familie inszeniert wird, dann mit dem immer gleichen Ergebnis, dass die Familie wichtiger ist als der Sport. Ebenso wird der Sport oft als Symbol für Heimat oder als identitätsstiftendes Element einer Stadt oder Region dargestellt, die von der Internationalisierung und Globalisierung des Sports bedroht ist. Vor allem US-amerikanische Sportfilme sind zudem üblicherweise semireligiöse Filme, was sich spätestens am Ende solcher Filme zeigt, wenn auf pathetische Weise Gott gedankt wird für das im Sport und darüber hinaus Erreichte (Blind Side [2009]). Sportfilme haben schließlich auch eine Tendenz zur Nostalgie, wofür im deutschsprachigen Raum besonders Fußballfilme charakteristisch sind. So ist z.B. Das Wunder von Bern (2003) eine Retrospektive der deutschen (Fußball-) Geschichte, in der Heimat, Familie und Tradition als besonders positive, national gebundene Werte vermittelt werden, die es gegen die potenzielle Bedrohung durch globale Prozesse und Ereignisse zu schützen bzw. zu stärken gilt.

Mit der wertkonservativen Tendenz von Sportfilmen hängt zusammen, dass sie hauptsächlich die gesellschaftlich herrschenden Ideologien und Weltbilder reproduzieren. Gesellschaftskritische Sportfilme sind verglichen damit jedenfalls seltener, ungeachtet dessen, dass es mit der Stummfilmzeit und den 1960er-/1970er-Jahren eine gewisse Tradition an kritischen Sportfilmen gibt. In der jüngeren Vergangenheit steigt jedoch die Zahl der Sportfilme wieder etwas an, die die sozialen Missstände im Sport und in der Gesellschaft thematisieren. Gegenstand der Kritik sind dabei vor allem die Professionalisierung und Kommerzialisierung des Sports (Moneyball [2011]), die Gesundheitsgefahren für die Athleten (Erschütternde Wahrheit [2015]) sowie Doping im Spitzensport (The Program [2015]).
 


Quo vadis, Sportfilm?

Seit dem Erscheinen des ersten Sportfilms vor 120 Jahren erfreut sich das Genre einer stetig wachsenden Beliebtheit beim Kinopublikum, die sehr viel mit der Popularität des realen Sports zu tun hat. Der reale Sport hat eine beeindruckende Erfolgsgeschichte hinter sich, die dafür verantwortlich sein dürfte, dass viele Sportspielfilme auf „einer wahren Begebenheit beruhen“. Denn dieser reale Bezug ermöglicht den Zuschauerinnen und Zuschauern und vor allem den Sportfans unter ihnen einen unmittelbaren Anschluss an ihre persönlichen Sporthelden wie auch an stark emotional besetzte Sportereignisse. Da es keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass der reale Sport an gesellschaftlicher, ökonomischer und individueller Bedeutung verliert, kann ganz im Gegenteil davon ausgegangen werden, dass auch der Sportspielfilm einer rosigen Zukunft entgegensieht.