Spider-Man-Saga: Heldenreise, Action, Jugenddrama

Werner C. Barg

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Dr. Werner C. Barg ist Autor, Produzent und Dramaturg. An der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) vertritt er die Professur „Audiovisuelle Medien“.

Der junge US-Schauspieler Tom Holland verkörpert in Spider-Man: Far From Home nun schon in dritter Generation – nach Tobey Maguire und Andrew Garfield – die Marvel-Heldenfigur Spider-Man. Der Beitrag geht dem Markenkern der Saga nach, der Hollywood veranlasst, die Geschichte des Peter Parker immer aufs Neue für das Kino zu erzählen.

Online seit 15.08.2019: https://mediendiskurs.online/beitrag/spider-man-saga-heldenreise-action-jugenddrama/

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Die Spider-Man-Filme und das Marvel Cinematic Universe (MCU)

Seit einigen Wochen läuft Spider-Man: Far From Home in den deutschen Kinos. Der Film, der in kurzer Zeit schon über 1,5 Mio. Zuschauer (vgl. www.mediabiz.de) in die Lichtspielhäuser gelockt hat, stellt den derzeit letzten Stand der Spider-Man-Saga dar.
 


Diese hatte im Kino 2002 mit der ersten Verfilmung der Spider-Man-Comics mit dem Titel Spider-Man in der Regie von Sam Raimi höchst erfolgreich begonnen. Der Film spielte weltweit 880 Mio. US-Dollar ein (vgl. www.boxofficemojo.com). 2004 und 2007 drehte Raimi dann ähnlich erfolgreiche Fortsetzungen und etablierte die Marvel-Figur im Kinokosmos des fantastischen Films.
 


2012 griffen Sony Pictures, die auch die erste Trilogie produziert hatten, den Stoff wieder auf und brachten The Amazing Spider-Man, inszeniert von Marc Webb, in die Kinos. Der Film war mit einem weltweiten Einspielergebnis von 756 Mio. US-Dollar nicht ganz so erfolgreich wie der erste Raimi-Film. Mit Andrew Garfield und Emma Stone wurden die Rollen des Peter Parker und seiner angebeteten Schulkameradin Gwen älter, intellektueller und selbstbewusster besetzt. Der Film richtete sich so stärker an ein Publikum älterer Jugendlicher und junger Erwachsener als die ersten drei Spider-Man-Filme. Sein wissenschaftlicher Erkenntnisdrang ist bei Peters Charakterdarstellung deutlich hervorgehoben. Auch ist die Frauenfigur Gwen näher an den Comics von Stan Lee und Steve Ditko1 orientiert, die die beiden Zeichner seit den 1960er-Jahren für den Marvel-Verlag produzierten.
 

Schon 2008 hatte der Marvel-Verlag begonnen mit seinen eigenen Marvel-Studios die Geschichten ihrer Superheldinnen und ‑helden selbst für das Kino zu produzieren. Sowohl durch Filme, in denen die Forterzählung der Geschichten einzelner Superheldinnen und ‑helden im Mittelpunkt stehen sollten, als auch in Cross-over-Produktionen, in denen die Superhelden gemeinsam gegen die Superschurken dieser Welt kämpften, sollte ein komplexes Netzwerk von Heldenuniversen im Kino entstehen, das die Marvel-Macher selbst als „Marvel Cinematic Universe“ (MCU) bezeichnen.

Mit Iron Man kam 2008 der erste Comic-Blockbuster, mit Spider-Man: Far From Home nun im Juli 2019 der 23. Film im MCU heraus.2 Hierbei erwiesen sich die weniger auf Drama und mehr auf Action und Spezialeffekte setzenden Cross-over-Produktionen mit mehreren Superheldinnen und ‑helden als finanziell etwas erfolgreicher als die Einzelhelden-Filme. So spielten die Produktionen der Avengers-Serie durchweg weltweit jeweils mehr als 1 Mrd. US-Dollar an den Kinokassen ein (vgl. www.boxofficemojo.com). Dennoch wurden auch die Einzelhelden-Filme im MCU stets weitergeführt, weil sie mit ihren stärkeren (jugend‑)dramatischen Erzählstrukturen die actionorientierten Cross-over-Filme erzählpsychologisch unterfüttern. So auch bei der Figur Spider-Man. Ziemlich exakt im „Midpoint“ des Films The First Avenger: Civil War (2016) erlebt Spider-Man – nun schon verkörpert von Tom Holland – ab Filmminute 1:13 seinen Relaunch auf der Kinoleinwand und wird von Iron Man Tony Stark (Robert Downey Jr.) dazu berufen, in der Superhelden-Liga mitzumischen. Seine eigentliche Wiedergeburt erlebt die Figur dann 2017 in Spider-Man: Homecoming. Mit Auftritten in den Avengers-Filmen Infinity War (2018) und Endgame (2019) schrieben die Marvel-Studios die Actiongeschichte von Spider-Man fort, bevor Tom Holland alias Spider-Man nun in einem weiteren eigenen Film zu sehen ist.
 


Markenkern der Spider-Man-Saga

In dieser fast 20-jährigen Produktionsgeschichte der Spider-Man-Saga im Kino hat sich der Markenkern der Saga – Heldengeschichte, Action und Jugenddrama – erstaunlicherweise kaum verändert, wobei neben der technischen computergenierten Perfektionierung der Action­szenen, etwa auch in neuen Formaten wie 3D und IMAX, besondere Akzentuierungen in der Darstellung des Jugenddramas, verwoben mit der „Reise des Helden“ zu beobachten sind. Mit der „Heldenreise“ ist dabei ein spezifisches Erzählprinzip gemeint, das sich in mythologisch-fantastischen Geschichten recht mühelos auffinden lässt und in der Erzähltradition der Queste steht (vgl. Barg 2019, S. 31 ff.). Erstmals wurde das Prinzip der Heldenreise von dem Mythenforscher Joseph Campbell (vgl. 1949/1999) herausgearbeitet. Er unterscheidet drei zentrale Stationen für die Reise des Helden, die er glaubt, in allen Mythologien weltweit auffinden zu können: „Aufbruch“ (ebd., S. 55 ff.) „Initiation“ (ebd., S. 97 ff.) und „Rückkehr“ (ebd., S. 188 ff.).

Der US-Story-Analyst und Leiter der Stoffentwicklungsabteilung bei 20th Century Fox, Christopher Vogler, hat Campbells Mythentheorie Ende der 1990er‑Jahre aufgegriffen und zum Konzept der Heldenreise verdichtet (vgl. Vogler 2004). Sein Ansatz wurde von anderen bis heute kritisch weiterentwickelt (vgl. Breiner 2018; Eder 2008), wobei Voglers Stationenschema der Heldenreise bis heute Gültigkeit hat (vgl. Vogler 2018).
 

Liebesbeziehungen: Rollenbilder im Wandel

In meiner Untersuchung Blockbuster Culture. Warum Jugendliche das Mainstream-Kino fasziniert (vgl. Barg 2019), habe ich u.a. am Beispiel des ersten Spider-Man-Films zu zeigen versucht, wie eng die Entwicklung der Superhelden-Geschichte als Heldenreise mit den Aspekten eines Pubertäts-Dramas verbunden ist, um in fiktionalen Erzählsituationen „passgenaue“, d.h. für die psychosoziale Lage der jugendlichen Zielgruppe adäquate Identifikationsangebote zu schaffen. So wird Peter während des Schulausflugs in ein Versuchslabor just in dem Augenblick von einer genmanipulierten Spinne gebissen, als er sich erstmals traut, mit M.J., dem angebeteten „Girl next door“, ein wenig zu flirten (vgl. ebd., S. 134 f., s.o. Trailer Spider-Man). Die physische Wirkung der von der Spinne auf Peter übertragenen Superkräfte bemerkt der Teenager nicht allein dadurch, dass er nun keine Brille mehr braucht und sein Körper muskulöser wird, sondern auch dadurch, dass seine sexuelle Potenz gewachsen ist. Diese Erkenntnis wird im Film wiederum auch mit einem Blick von Peter zu M.J. im Nachbarhaus verbunden, sodass die beginnende Entwicklung von Peter zum Superhelden („Aufbruch“) eng mit seiner sich entwickelnden ersten Liebesbeziehung verknüpft wird (vgl. ebd., S. 57). So zeigen schon diese zwei Beispiele, dass die in Spider-Man vermittelten Rollenbilder arg konventionell sind:

Durch Peter Parkers Initiation zum Superhelden wird dem Publikum suggeriert, dass Sportlichkeit und körperliche Stärke bei Jungs, die zu Männern heranreifen, auch Ich-Stärke und Selbstbewusstsein nach sich ziehen. Diese Suggestion korrespondiert im fiktionalen Universum dann auch noch mit einer Affinität der weiblichen Zentralfigur für männliche Stärke, um Halt zu suchen, den sie durchweg bei sportlichen, athletischen Männertypen bis hin zum Superhelden Spider-Man zu finden sucht“ (ebd., S. 66).

Der zentrale Handlungsaspekt des Jugenddramas, die erste Liebe, spielt auch in der Neuauflage des Spider-Man-Stoffs in The Amazing Spider-Man (2012, Regie: Marc Webb) eine zentrale Rolle. So wird etwa auch hier der alles verändernde Spinnenbiss mit einem sehr direkten, annähernden erotischen Blickdiskurs zwischen Peter und Gwen verbunden.

Im Relaunch der Spider-Man-Figur in den Filmen von 2017 (Homecoming) und 2019 (Far From Home) wird nun wiederum ein deutlich jüngeres jugendliches Publikum angesprochen. Peter wird als 14‑Jähriger vorgestellt, die Bewältigung der „Entwicklungsaufgabe“ (vgl. Barg 2019, S. 20 ff.) des Aufbaus erster Liebesbeziehungen bestimmt erneut sein und das Teenagerleben seines Freundes und Vertrauten Ned Leeds (Jacob Batalon). Der Konflikt, der sich in den ersten beiden Spider-Man-Serien erst mühsam entwickelte – der Konflikt zwischen dem eher einsamen Leben als Superheld und dem eines netten Teenagers von nebenan –, ist in Homecoming gleich zu Beginn etabliert und bestimmt die Handlung des Films insofern, als Peter in seine Klassenkameradin Liz (Laura Harrier) verliebt ist. Doch immer wenn er ihr näherkommen möchte, kommt ihm seine Lust auf die Heldenrolle dazwischen.

Vom Zweikampf mit den Avengers-Fraktionen auf dem Leipziger Flughafen in Civil War auf das Heldendasein „angefixt“, nutzt Spider-Man jede Gelegenheit, Superschurken ausfindig zu machen. Sein „normales“ Leben findet er langweilig. Als Peter Parker kommt er zu der Selbsterkenntnis:

Ich bin wie ich bin. Das ist langweilig.“

Einzig die Liebe zu Liz würzt sein Alltagsleben, das durch seinen Drang zum Heldsein immer wieder unterschnitten wird. Doch als er tatsächlich in Adrian Toomes (Michael Keaton) auf solch einen Superbösewicht trifft, scheitert er fast fatal und benötigt die Hilfe anderer Avengers, um eine von ihm ausgelöste Katastrophe abzuwenden. So lernt er auch die Schattenseiten des Superhelden-Daseins kennen und Tony Stark (Robert Downey Jr.) verwehrt ihm die endgültige Aufnahme in den Kreis der Avengers. Erst nachdem er aus eigener Kraft Toomes besiegt hat, ist Stark bereit, Spider-Man in den Kreis der Titanen aufzunehmen. Doch diesmal lehnt Peter Parker ab. Er möchte lieber die „freundliche Spinne aus der Nachbarschaft“ bleiben.
 


Im Unterschied zur ersten Spider-Man-Darstellung ist der jüngere Spider-Man nun sehr viel selbstbewusster, ja, seine Schwäche ist eher sogar eine Selbstüberschätzung, was Regisseur Jon Watts Gelegenheit gibt, seinen Film Homecoming mit einer Prise Superhelden-Parodie anzureichern. Dies „entstaubt“ nicht nur den alten Spider-Man-Stoff aus den 1960er‑/1970er‑Jahren, sondern führt die Spider-Man-Figur auch näher an das Rollenverhalten moderner Jugendlicher heran.

Auch das Frauenbild ist im Relaunch moderner geworden: In Homecoming bleibt einzig die Liz-Figur überkommenen Frauenbildern verhaftet. Neben Liz beobachtet Peters Schulkameradin Michelle (Zendaya) dessen merkwürdiges Verhalten genau. Sie ist eigensinnig, frech und unangepasst. In Far From Home deckt sie schnell Peters Geheimnis auf und wird neben Ned zu Spider-Mans Mitstreiterin. Und auch Tante May, in der Verkörperung von Marisa Tomei, ist nicht mehr der klassische „Hausfrauentyp“, den Sally Field und Rosemary Harris in den früheren Verfilmungen noch zu spielen hatten. Tante May ist nunmehr alleinerziehend, attraktiv und selbstbewusst.
 

(Ersatz-)Väter: Moraltransfer und Schuldkomplex

Peters leiblicher Vater und Onkel Ben, in den früheren Verfilmungen für Peter eine Art Ersatzvater, spielen in den neuen Spider-Man-Filmen der Marvel-Studios interessanterweise (bislang) keine Rolle mehr. Dies ist umso erstaunlicher, da für das Jugenddrama in Spider-Man (2002) wie in The Amazing Spider-Man (2012) die Vater-Sohn-Beziehungen eine wichtige Rolle spielten. In Spider-Man wird die Vorgeschichte visuell gar nicht und dialogisch auch nur am Rande erwähnt, während The Amazing Spider-Man mit einer Rückblende als Kindheits­erinnerung von Peter an den überstürzten und aus der Sicht des Kindes mysteriösen Abschied der Eltern beginnt (s.o. Trailer The Amazing Spider-Man). Die Umstände des Todes der Eltern bleiben in beiden Filmversionen unerklärt. Elterliche Bezugspersonen in beiden Filmserien sind Tante May und Onkel Ben, bei denen Peter aufwächst.

In beiden Versionen stellt die Figur des Onkels eine Art Ersatzvater für Peter da. In beiden Versionen macht sich Onkel Ben – 2002 verkörpert von Cliff Robertson, 2012 dargestellt von Martin Sheen – Sorgen um die gewalttätige Entwicklung Peters. Nach dessen Auseinandersetzung mit M.J.’s Freund Flash in der Schule, in dessen Verlauf Peter noch sehr unkontrolliert seine Superkräfte spielen lässt, gibt ihm Ben 2002 den moralischen Leitsatz „Aus großer Kraft folgt große Verantwortung!“ mit auf den Weg. In der 2012er‑Version ist es Ben, der Peter ins Gewissen redet, dass derjenige, der besondere Fähigkeiten habe, diese auch zum Wohle aller einsetzen müsse.

Im Relaunch ist die Figur des Ersatzvaters als moralische Instanz auf den ersten Blick eliminiert. Tante May lebt allein. Im ersten Gespräch zwischen Tony Stark und Peter Parker in Civil War ist es die „freundliche Spinne von nebenan“, die sich nach einigem Zieren und Tonys Entdeckung des Spider-Man-Kostüms zu erkennen gibt und gegenüber Tony Stark selbst ihr moralisches Credo formuliert:

Wenn man kann, was ich kann, aber nichts daraus macht, und dann etwas Schlimmes passiert, passiert es auch deinetwegen.“

Peter verschafft sich damit selbst die moralische „Eintrittskarte“ zum Kreis der Avengers. Tony Stark ist beeindruckt. Doch Peter möchte nicht die Welt retten, sondern den kleinen Leuten helfen, in seiner normalen Welt bleiben, zur Schule gehen und Hausaufgaben machen. Selbstbewusst und entscheidungsstark tritt er gegenüber Stark auf. In dieser Szene wird das klassische Erzählprinzip der Queste durchbrochen, nach dem es die Erwachsenen sind, die den Jungen Geschichten erzählen, in denen Helden zur Durchführung von Aufgaben initiiert werden, um moralisch handeln zu lernen (vgl. Barg 2019, S. 34 ff.). Das Bild des Jugendlichen in den aktuellen Marvel-Produktionen der Spider-Man-Filme ist moderner. Der jugendliche Held trägt das moralische Prinzip von sich aus in sich. Wie er dazu gelangt ist, wird nicht mehr erzählt. Das sei „eine lange Geschichte“, meint Peter Parker im Dialog mit Stark.

Auch in anderer Hinsicht ist der neue Spider-Man von erzählerischem Ballast befreit: In den früheren Versionen glaubt Peter Parker eine Mitschuld am Tod seines Onkels zu tragen, weil er den Straßenräuber, der Ben tötet, früher hätte dingfest machen können. In The Amazing Spider Man verbindet sich die Schuld um den Verlust des Onkels sogar noch mit einem zweiten Schuldkomplex in der Figur des Peter Parker: Die Hauptfigur ist hier als jugendlicher Forschertyp angelegt. Er wandelt auf den Spuren des Vaters und entdeckt in dessen verstecktem Nachlass eine wichtige Formel, die er in gutem Glauben und im Vertrauen an Dr. Connors (Rhys Ifans), einem früheren Partner seines Vaters in der Firma OSCORP, weitergibt. Connors, von der Geschäftsleitung unter Druck gesetzt, mit seiner Forschung endlich Resultate zu erzielen, verwandelt sich im Selbstversuch zu einem echsenartigen Monstrum, das bald die Großstadt tyrannisiert und zum Antagonisten des Superhelden Spider-Man heranwächst. Hier fühlt Peter also auch noch die Schuld, für die Erschaffung des Monsters mitverantwortlich zu sein, gegen das er als Spider-Man dann zu kämpfen hat, um die Schuld abzubauen. Diese Schuldgefühle, gepaart mit der Übernahme der moralischen Leitsätze des Ermordeten, führten vorher dazu, dass Spider-Man begann, die Verbrecher in der Stadt zu jagen oder die Monster zu bekämpfen, von denen er glaubt, sie selbst miterschaffen zu haben. Der neue Spider-Man braucht diesen Schuldkomplex nicht mehr, um sich moralisch richtig zu verhalten. Er trägt das moralische Prinzip per se in sich.

Dramaturgisch gesehen ist aber die Verschlankung der erzählerischen Konstruktion und die Reduzierung des Personals auch notwendig, damit die Figur des Tony Stark nun als durchaus zwielichtiger Mentor an die Stelle von Peter Parkers Ersatzvater treten kann. Dies wiederum muss sein, um über die Stark-Figur eine Verbindung zwischen der Spider-Man-Saga und dem Marvel-Erzähluniversum herstellen zu können. Hierbei wird aber kurzzeitig auch das klassische Verhältnis von Erwachsenen zu Jugendlichen wieder restauriert, in dem Stark Peter zurechtweist, weil Spider-Man durch unbedachtes Handeln beinahe eine Katastrophe ausgelöst hätte. Stark erteilt Peter eine Standpauke zum Moralkodex der Superhelden und kommt Peters dringlichem Wunsch, bei den Avengers aufgenommen zu werden, nicht nach.

Gleichfalls aus den klassischen Erzählkonstruktionen von Queste und Heldenreise überliefert, bleibt in Homecoming auch erhalten, dass sich Peter Parker als Spider-Man weiterhin an negativen Vaterfiguren aus dem Umfeld seines Freundeskreises als eine zentrale Aufgabe des Helden abarbeiten muss. Hieraus erwächst dann stets der Actionpart, der zumeist die zweite Hälfte der Filmhandlung bestimmt.

Im ersten Spider-Man-Film ist es Norman Osborn (Willem Dafoe), der Vater von Peters Freund Harry (James Franco). Norman lockt in Selbstversuchen die dunkle Seite in sich hervor und wird als „Grüner Kobold“ zum Antagonisten von Spider-Man, auch deshalb, weil das Monster zur Bedrohung des Freundeskreises von Parker und speziell von M.J. wird. In The Amazing Spider-Man glaubt Peter in Dr. Connors einen väterlichen Vertrauten und Förderer gefunden zu haben, der sich jedoch zum Monster verwandelt und Spider-Mans Gegner wird. In Homecoming erkennt Peter in Bösewicht Toomes Liz’ Vater. Trotzdem entscheidet er sich dafür, gegen den Verbrecher zu kämpfen. Dadurch zerstört er Liz‘ Leben. Sie wird am Ende des Films aus Peter Parkers Umfeld verschwinden.

Nachdem Peter als Spider-Man erfahren hat, dass das Heldendasein mit persönlichen Verlusten einhergehen kann, gibt Mentorfigur Stark zu, sich in Peter geirrt zu haben. Er möchte Spider-Man nun in den Kreis der Avengers aufnehmen, doch jetzt entscheidet sich Peter bewusst dagegen, weil er den Verlust von Liz durch eigenes (richtiges) Tun erst verarbeiten muss. Im aktuellen Spider-Man-Film Far From Home ist es nun S.H.I.E.L.D.-Chef Nick Fury (Samuel L. Jackson), der für Peter die Rolle des Mentors übernimmt. Nach Peters anfänglichen neuerlichen Verweigerungsversuchen, als Spider-Man in die Heldenpose zu schlüpfen, gelingt die Initiation des Helden im Sinne der Stationen der klassischen Heldenreise doch, auch deshalb, weil Peter nun nicht nur gegenüber Ned sondern auch gegenüber seiner Jugendliebe Michelle sein Geheimnis als Superheld lüftet. Damit gewinnt Peter in seiner Rolle als Spider-Man Gefährten aus seiner Alltagswelt und kann diese ein Stück weit mit dem Superhelden-Universum verbinden und versöhnen.
 

Fazit

Im Relaunch der Spider-Man-Saga im Marvel Cinematic Universe (MCU) gelingt eine Modernisierung der Heldengeschichte. Es finden sich Ansätze für einen innovativen Umgang mit den Erzählprinzipien der Queste und der Heldenreise. Besonders der Umgang mit der Reise des Helden ist spielerischer geworden. Sie folgt nicht mehr der klassischen Abfolge, wie sie etwa Vogler herausgearbeitet hat und wie sie auch für die früheren Spider-Man-Filme noch nachzuweisen ist. Einzelne Stationen der Heldenreise werden nun gedehnt, manche übersprungen und im Zusammenspiel mit den Cross-over-Produktionen im MCU die Reihenfolge der Helden-Stationen geändert.

So wie das Universum scheint auch das Marvel Cinematic Universe prinzipiell unbegrenzt zu sein. Daher wird die Zukunft zeigen, ob sich die angedeuteten Tendenzen zur Modernisierung des Jugenddramas im Kontext einer modifizierten Heldenreise in den bereits angekündigten weiteren Spider-Man-Filmen (vgl. www.kino.de) fortsetzen werden oder ob die neue Spider-Man-Geschichte wieder in konventionelleren Bahnen fortgeschrieben wird.
 

Anmerkungen:

1) In den 1970er-Jahren verließ Steve Ditko das Zeichner-Team
2) Zur Reihenfolge der Filme im MCU siehe: https://www.pc-magazin.de/ratgeber/marvel-filme-reihenfolge-liste-3199282.html


Literatur:

Barg, Werner: Blockbuster Culture. Warum Jugendliche das Mainstream-Kino fasziniert. Berlin 2019
Breiner, Tobias C.: Psychologie des Geschichtenerzählens. Berlin 2018
Campbell, Joseph: Der Heros in tausend Gestalten. New York 1949/Frankfurt a.M. 1999
Eder, Jens: Die Figur im Film. Marburg 2008
Vogler, Christopher: Die Odyssee des Drehbuchschreibens. Frankfurt a.M. 2004
Ders.: Die Odyssee der Drehbuchschreiber, Romanautoren und Dramaturgen. Berlin 2018