Politische YouTuber

Gatekeeper oder Meinungsführer?

Claudia Wegener

Dr. Claudia Wegener ist Professorin in den Studiengängen „Digitale Medienkultur“ und „Medienwissenschaft“ an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF.

Die Themenvielfalt auf YouTube ist groß; neben Protagonisten, die Beauty-Tipps geben oder als Gamer in Erscheinung treten, finden sich auch solche Akteure, die in ihren Videos politische Themen aufgreifen. Die Rolle dieser „politischen Influencer“ als öffentliche Mittler in einer digitalisierten Gesellschaft ist bislang ungeklärt. So ist offen, mit welchem Selbstverständnis politische YouTuber ihre Videos produzieren, welche Absichten sie damit verfolgen und mit welchen Herausforderungen die digitale Öffentlichkeit für sie verbunden ist. Die hier vorgestellte Untersuchung setzt an dieser Stelle an und gibt einen ersten Einblick in die Produktion politischer Webvideos.1

Printausgabe tv diskurs: 23. Jg., 1/2019 (Ausgabe 87), S. 56-59

Vollständiger Beitrag als:

Einleitung

Klassenfahrt ins Kanzlerland2 titelte Zeit-Online, als Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2015 ihr erstes Interview auf YouTube gab (vgl. Stephan 2015, nach Wenzel u.a. 2018). Zu banal, gefällig und wenig substanziell lautete das Resümee des Journalisten gegenüber einem Format, das zu diesem Zeitpunkt neu für die deutsche Politik- und Medienlandschaft war. Die Kritik richtete sich hierbei vor allem an Merkels Interviewpartner. Das Gespräch führte kein ausgebildeter Journalist, sondern der YouTuber Florian Diedrich (damals Mundt), der als LeFloid mit unterschiedlichen Kanälen auf der Webvideoplattform reüssiert. Inzwischen gehört LeFloid zu den erfolgreichsten YouTubern Deutschlands, gemessen an seiner Reichweite und der Anzahl seiner Abonnenten. Mit dem Interview betrat nicht nur die Kanzlerin, sondern auch der YouTuber Neuland. Angela Merkel startete den Versuch, die junge Wählerschaft gezielt auf „ihrem“ Medium anzusprechen. Umgekehrt wurden YouTuber spätestens seit diesem Zeitpunkt von einer breiteren Öffentlichkeit als Vermittler von Politik wahrgenommen, was sich im Wahlkampf 2017 fortsetzen sollte. In weitaus größerem Ausmaß waren es nun gleich mehrere YouTube-Akteure, deren Fragen sich Angela Merkel und ihr Herausforderer Martin Schulz zu stellen hatten.

 


Dass der digitalisierte Wahlkampf grundsätzlich an die Interessen der jungen Zielgruppen anschließt, zeigen die Daten der Medienforschung. Gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen scheint Nachfrage nach politischen Informationen zu bestehen, die jung, unterhaltsam und dem Style des Webvideokanals entsprechend aufbereitet sind. Jugendliche suchen zunehmend politische Informationen und Nachrichten im Internet, sodass Onlinemedien in Konkurrenz zu klassischen Informationsangeboten treten bzw. ergänzend genutzt werden (Schmidt u.a. 2017). Fragt man Jugendliche nach ihrem liebsten Internetangebot, steht YouTube mit Abstand auf dem ersten Platz (MPFS 2017, S. 32 f.). Dabei geht es für die Jugendlichen nicht nur um Musik, Gaming und Comedy: 29 % der in der JIM-Studie befragten Jugendlichen „sehen sich regelmäßig Videos von YouTubern zu aktuellen Nachrichten an“ (ebd., S. 44). Entsprechend finden sich unterschiedliche Akteure, die solche Informationen anbieten, politische Sachverhalte erklären und mit dem Anspruch auftreten, über aktuelles Geschehen zu informieren.
 

Gatekeeper oder Meinungsführer?

Die Frage nach den Bedingungen der Aussagenentstehung schließt an Ansätze an, wie sie in der Gatekeeperforschung entwickelt und unter dem steten Medienwandel weiter ausformuliert worden sind (Bro/Wallberg 2015; Engelmann 2016). Sie fragt grundsätzlich nach den Filter- und Auswahlmechanismen von Journalisten klassischer Massenmedien. Neue Perspektiven kommen hinzu, wenn Nutzer selbst zu Produzenten werden, Inhalte partizipativ erstellen und journalistische Laien damit in den Prozess der politischen Willensbildung eintreten. Damit kommt den Handlungsmotiven ein besonderes Augenmerk zu, da nicht auszuschließen ist, dass sich die neuen politischen Onlineakteure gleichzeitig als Meinungsbildner („political influencer“) verstehen und versuchen, ihr Publikum willentlich zu beeinflussen. Mit dieser Perspektive werden Fragen der Meinungsführerforschung einbezogen (Lazarsfeld/Berelson/Gaudet 19683), sodass zwei theoretische Konzepte den Ausgangspunkt der skizzierten Untersuchung darstellen, um Aussagenproduktion unter den Bedingungen digitalisierter Öffentlichkeiten im Kontext von Social-Media-Anwendungen zu analysieren.
 

Untersuchungsgegenstand und Methode

Die Studie wurde im Rahmen eines Lehrforschungsprojekts an der Filmuniversität Babelsberg mit Studierenden des Studiengangs „Medienwissenschaft“ durchgeführt. Sie basiert auf einer explorativen, qualitativen Befragung ausgewählter politischer YouTuber. Insgesamt wurden im Januar und Februar 2018 neun Webvideoproduzenten (mit Reichweiten von ca. 15.000 bis zu ca. 800.000 Abonnentinnen bzw. Abonnenten) in ausführlichen Leitfadeninterviews befragt. Für die Auswahl der Akteure war relevant, dass es sich um im Video sichtbare und identifizierbare Personen handelt, die regelmäßig und unabhängig über allgemein relevante, aktuelle politische Themen berichten (Neuberger u.a. 2009), dabei in Überschriften, Playlists und Thumbnails prominent Bezüge zu politischen Themen oder politischer Kommunikation setzen. Die Frage nach der Wahrnehmung der Akteure im öffentlichen Diskurs als ausgewogene politische Kommunikatoren sowie nach Auftritten im Kontext politischer Ereignisse und Veranstaltungen wurde zudem zur Identifikation der Interviewpartner hinzugezogen. Für die Auswahl standen dem Projektteam einschlägige Institutionen der politischen Bildung beratend zur Seite.3 Die Auswertung der Interviews erfolgte nach den Regeln der Qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 2015).
 

Von Blogger bis Content-Creator

Die Befragung politischer YouTuber zeigt, dass sie die Bezeichnung „Influencer“ für sich beinahe einhellig ablehnen. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. So empfinden einige YouTuber den Begriff als eine „relativ neue Sache“, mit der sie sich ob ihrer langjährigen Erfahrung auf YouTube offensichtlich nur schwer identifizieren. Auch lehnen sie das Moment der Beeinflussung ab, das der Begriff offensichtlich impliziert. So sagt einer der Interviewpartner:

Also, Influencer auf gar keinen Fall, ich finde auch dieses Wort, das beschränkt oder, ja begrenzt die Leute, die da Inhalte produzieren, darauf, dass sie andere beeinflussen.“

Der Begriff ist ihrer Auffassung nach vor allem durch die Marketingbranche geprägt; eine Person wendet sich an ein Publikum mit der Absicht, auf dieses einzuwirken, womit auch die Vorstellung eines weitgehend unmündigen Publikums verbunden ist. Eine solche lehnen die politischen YouTuber für sich ebenfalls ab: „Also, das hat so etwas von Lemming-Verhalten irgendwie.“ Stattdessen führen sie eine Bandbreite von Begriffen an, mit denen sie sich besser identifizieren können: Satiriker, Journalist, Content-Creator oder Meinungsblogger sind nur einige von ihnen. Ganz offensichtlich eint sich das Selbstverständnis der Akteure in der Abgrenzung zum Marketing, divergiert aber individuell je nach Motivation, beruflichem Hintergrund, mitunter auch Kontext:

Wenn ich gefragt werde beim Arzt oder so, welchen Beruf ich habe, ich bin Autormoderator.“


Diskurs als Indikator für Erfolg

Die Absichten und das Selbstverständnis der von uns interviewten politischen YouTuber stehen in engem Zusammenhang. Da sie sich nicht als „Beeinflusser“ verstehen, ist es ihre wesentliche Absicht, das Publikum selbst zum Nachdenken anzuregen und in die Lage zu versetzen, sich fundiert und begründet eine eigene Meinung zu bilden: „[…] man gibt den Leuten die Tools in die Hand, selber herauszufinden, wo man steht“. So messen die YouTuber den Erfolg ihrer Videos auch nicht nur über deren Reichweite und die Anzahl der gewonnenen Abonnenten. Daneben wird die Qualität des Diskurses, der sich über die Videos generiert, als Indikator für Erfolg herangezogen:

Und wenn unter einem Video viele Leute auf ’ner sachlichen, qualitativ hochwertigen Ebene miteinander diskutieren oder Argumente austauschen […], dann ist das gelungen.“

Die Qualität des Diskurses bemessen die YouTuber über den Reflexionsgrad der Beteiligten, über ihr Vermögen, die eigene Einstellung „kritisch“ zu hinterfragen, und die Einsicht darin, dass sich ein Phänomen nicht immer in den Kategorien von „richtig oder falsch“ bewerten lässt. Dabei unterscheiden sich die Inszenierungsmechanismen, mit denen die politischen Akteure ihr Ziel umsetzen wollen. Während die einen objektive Berichterstattung als Grundlage eines ausgewogenen Diskurses sehen, wollen andere eine Stellungnahme der Zuschauerinnen und Zuschauer beispielsweise durch Satire provozieren:

Ich versuche, Menschen mit meiner Meinung anzutriggern, damit die sich informieren.“
 

Kommentare als Herausforderung

Durch die Kommentarfunktion haben Zuschauerinnen und Zuschauer die Möglichkeit, auf Videos zu reagieren. Neben dem von den YouTubern gewünschten reflektierten Diskurs finden sich immer wieder auch solche Kommentare, die eindeutige Ablehnung, bisweilen auch Hass signalisieren. Insgesamt acht der neun Interviewten haben Erfahrungen mit solchen Reaktionen gemacht. Neben sachlich reflektierter und aus Sicht der Produzenten auch gerechtfertigter Kritik, die beispielsweise die Tonqualität oder vergessene Quellenangaben bemängelt, finden sich immer wieder drastische Beschimpfungen, Beleidigungen, mitunter gar Kommentare, „die einfach diverse Straftatbestände erfüllen“. Nach Einschätzung der Interviewpartner oftmals von politisch organisierten Gruppen aus der (rechts-)extremistischen Szene verfasst, die sich durch die Videos angegriffen fühlen. Die Reaktionen erreichen die YouTuber auf zweierlei Weise: Zum einen finden sich Hasskommentare in den Kommentarspalten, zum anderen nehmen die „Kritiker“ mit eigenen Videos unmittelbar Stellung. Dabei handelt es sich nach Wahrnehmung der YouTuber oftmals nicht um einzelne Sprecher, sondern um Kollektive, die sich absprechen und Aussagen einhellig negativ bewerten. Die dahinter stehende Absicht formuliert ein Interviewpartner so: „Da ging es eindeutig darum, eine Deutungshoheit zu gewinnen“, wobei die Muster der Argumentation standardisiert sind: Es gibt „bestimmte Argumentationen und die werden immer wieder wiederholt von verschiedensten Kommentatoren.“
 

Fazit

Die Auswertungen der Befragung zeigen, dass die von uns interviewten politischen YouTuber über kein homogenes Selbstverständnis verfügen, sie sich damit auch nicht als Gatekeeper oder Meinungsführer verorten. Ihre Motivation liegt nicht primär in der politischen Berichterstattung, auch nicht darin, die Rezipientinnen und Rezipienten von ihrer Meinung zu überzeugen, sondern vor allem in der Absicht, Debatten anzustoßen und das Publikum zu einem reflektierten und begründeten Meinungsaustausch zu bewegen. Entsprechend messen sie Erfolg nur zu einem Teil über Parameter wie Aufrufzahlen und Abonnenten; der differenzierte Diskurs ihres Publikums ist für sie gleichermaßen relevant. Zugespitzt ließe sich – zumindest mit Blick auf den Anspruch der Akteure – hier von einem Versuch der Restrukturierung von Öffentlichkeit sprechen, da es ganz offensichtlich ihre Absicht ist, dem räsonierenden Publikum (Habermas 1962) als „political stimulators“ einen Raum zu bieten. Die Interviews machen aber auch deutlich, dass mit einem solchen Angebot unterschiedliche Herausforderungen verbunden sind. So evozieren einzelne Videos drastische Kommentare, die Diskurse erschweren. Es bleibt zu diskutieren, welche strukturellen Rahmenbedingungen geschaffen werden können, um einen ausgewogenen Diskurs auf YouTube zu stützen.
 

Anmerkungen:

1) Der Beitrag ist entstanden unter Mitarbeit von Daniel Flamme, Matthias Heider, Vivien Lütticke, Elina Reimche, Celia Ruppert, Tanja Wassiljev und Carolin Wenzel

2) Stephan, F.: Klassenfahrt ins Kanzlerland. In: Zeit-Online, 14.07.2015. (letzter Zugriff: 20.11.2018)

3) Unser besonderer Dank gilt der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) für die Unterstützung.
 

Literatur:

Bro, P./Wallberg, F.: Gatekeeping in a Digital Era: Principles, practices and technological platforms. In: Journalism Practice, 1/2015, S. 92 – 105, DOI: 10.1080/17512786.2014.928468

Engelmann, I.: Gatekeeping. Baden-Baden 2016

Habermas, J.: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Neuwied/Berlin 1962

Lazarsfeld, P./Berelson, B./Gaudet, H.: The People’s Choice. How the Voter Makes up his Mind in a Presidential Campaign. New York/ London 19683

Mayring, P.: Qualitative Inhaltsanalyse. Weinheim 201512

MPFS (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest) (Hrsg.): JIM-Studie 2017. Jugend, Information, (Multi-)Media. Stuttgart 2017

Neuberger,C./Nuernbergk,C./Rischke,M.: Journalismus im Internet. Zwischen Profession, Partizipation und Technik, In: Media Perspektiven, 4/2009, S. 174 – 188

Schmidt, J.-H./Merten, L./Hasebrink U./ Petrich I./Rolfs, A.: Zur Relevanz von Online-Intermediären für die Meinungsbildung. Hamburg 2017

Wenzel, C./Ruppert, C./Flamme, D./Reimche, E./Heider, M./Lütticke, V./Wassiljev, T.: Politische Influencer – Absichten, Aufbereitung und Vermarktung politischer Inhalte auf YouTube. Unveröffentlichter Forschungsbericht. Potsdam 2018