Onlinegaming und E-Sport

Chancen, Risiken und Herausforderungen für den Jugendschutz

Nicolas Ohlwein

Nicolas Ohlwein studiert Kinder- und Jugendmedien an der Universität Erfurt.

Auf Außenstehende kann E-Sport erst einmal befremdlich wirken: Jugendliche, die in schnellen, unübersichtlichen Spielgeschehen mit virtuellen Waffen um sich schießen und dabei scheinbar willkürliche Aneinanderreihungen von Anglizismen in ihr Headset brüllen. Verständlich, dass dieser Anblick nicht direkt zum Mitmachen anregt. Doch würde genau das helfen zu verstehen, warum so viele junge Menschen von Gaming und E-Sport fasziniert sind. Stattdessen kann die Sorge um schädigende Einflüsse wie Bewegungsmangel, Förderung von gewalttätigem Verhalten oder gar Entwicklung einer Videospielsucht zu Stigmatisierung und moralischer Panik führen. Daraus resultierende Einschränkungen und „ein schlechtes Gewissen“ führen jedoch weder dazu, dass Jugendliche aufhören zu spielen, noch dass sie einen gesunden Umgang mit dem Medium lernen. Daher ist es wichtig, sich das Medium genau anzuschauen, um sein gefährdendes Potenzial einzudämmen, aber eben auch sein konstruktives Potenzial zu fördern. Viele, die dem Gaming und E-Sport gegenüber skeptisch eingestellt sind, wären überrascht, zu sehen, wie viel Bildungspotenzial tatsächlich in Videospielen steckt.

Printausgabe tv diskurs: 24. Jg., 4/2020 (Ausgabe 94), S. 15-17

Vollständiger Beitrag als:

E-Sport? Was ist das eigentlich?

Um zu verstehen, welche positiven oder negativen Einflüsse E‑Sport auf Jugendliche haben kann, muss zunächst geklärt werden, was E‑­Sport ausmacht. Allgemein kann E‑Sport als das wettkampfartige Spielen von Videospielen in turnier- und ligaartigen Strukturen verstanden werden. E‑Sport unterscheidet sich aufgrund seiner Wettkampforientiertheit also von der regulären Nutzung der (Online­‑)Videospiele als Unterhaltungsmedium. E‑­Sport gibt der Nutzung einen konkreten Rahmen, in dem Leistung wichtiger als Unterhaltung ist.

In E‑Sport-­Turnieren treten einzelne Spielerinnen und Spieler oder Teams unter vordefinierten Regeln gegeneinander an. Wichtige Grundvoraussetzungen sind beispielsweise eine unbedingte Chancengleichheit für alle Teilnehmenden und die Reproduzierbarkeit der Spielbedingungen. Um dies zu gewährleisten, darf der Spielerfolg nicht von zufälligen Ereignissen abhängen (vgl. ESBD 2018).

Für den E-­Sport geeignet sind besonders Videospiele, die online spielbar sind, einen Wettkampfmodus mit Rangliste anbieten sowie eine gewisse Komplexität und einen Wiederspielwert haben. Da E‑Sport seinen Platz zwischen Unterhaltung und Sport noch nicht gefunden hat, ist das Verständnis davon, welche Videospiele nun E‑­Sport-­tauglich sind und welche nicht, noch nicht einheitlich definiert. Daher finden E­‑Sport-­Events auch für Videospiele statt, die diesen Maßstäben streng genommen nicht gerecht werden. Beispielsweise besteht bei FIFA 20­-Turnieren Chancengleichheit für die Spielenden nur innerhalb des Turniermodus. Die Qualifikation zu einem solchen Turnier findet online über den FUT-­Modus [FUT = FIFA Ultimate Team, Anm. d. Red.] statt. In diesem Modus haben Spielende einen Vorteil, die ihre Mannschaft aus hochwertigen Figuren zusammenstellen. Zugang zu solchen hochwertigen Figuren erhält man per Zufall durch Lootboxen, die u.a. durch Echtgeldeinkäufe erworben werden können. Theoretisch ist es auch möglich, durch langes, intensives Spielen und viel Glück ein optimales Team zusammenzustellen. Allerdings haben in der Praxis Spielende häufig nicht die Geduld (und die Zeit), monatelang zu spielen, bis sie ein wettbewerbsfähiges Team zur Verfügung haben. Auch bei Fortnite sind einige Variablen dem Zufall überlassen. Die Spielerinnen und Spieler müssen sich im Spielverlauf mit Gegenständen ausrüsten, die sie per Zufall auf der Karte finden. Welche Gegenstände dies sind und welche Qualität sie haben, ist zufällig und kann so für einige zu einem temporären Vorteil führen.
 

E-Sport zur Aufbesserung vom Taschengeld?

Wie bei FIFA 20 entscheidet sich auch bei Fortnite die Teilnahme an E‑Sport­-Turnieren über Onlinequalifikationen, an denen jede und jeder teilnehmen kann. Da beide Spiele eine junge Zielgruppe haben, qualifizieren sich bei Fortnite teilweise bereits 13‑­Jährige zu Turnieren und haben damit die Chance, Turnierpreise in Millionenhöhe zu gewinnen. So wurde 2019 der damals 16-­jährige US-­Amerikaner Kyle „Bugha“ Giersdorf als Gewinner der Fortnite-­Weltmeisterschaft um 3 Mio. US‑Dollar reicher (Sädler 2019). Dabei muss berücksichtigt werden, dass Jugendliche, die mit 13 Jahren auf dem professionellen internationalen Niveau spielen, bereits wesentlich früher angefangen haben, intensiv bis exzessiv zu üben. Denn bei über 250 Mio. registrierten Spielenden weltweit (Herold 2019) ist die Konkurrenz groß, und die durchschnittliche Trainingszeit von professionellen E‑­Sportlerinnen und E‑Sportlern beträgt zwischen vier und fünf Stunden am Tag (Rudolf u.a. 2020; Kari/Karhulahti 2016).

Außerdem ist es fraglich, ob professionelles Gaming als leichte Tätigkeit im Sinne des Jugendarbeitsschutzgesetzes (JArbSchG) zu verstehen ist. Dort wird die Tätigkeit für unter 15­‑Jährige auf zwei Stunden täglich begrenzt. Professionelle E‑Sportlerinnen und E‑­Sportler trainieren allerdings – wie bereits erwähnt – mehrere Stunden am Tag und spielen teilweise um Preisgelder in Millionenhöhe. Auch wenn die tatsächlich vergütete Arbeit innerhalb einer E­‑Sport-­Organisation nur zwei Stunden beträgt und das Videospielen keine harte physische Arbeit ist, gehört zum professionellen E‑Sport ein so erheblicher Mehraufwand an Training, dass es fraglich ist, ob Kinder und Jugendliche diesem ohne Auswirkungen auf ihre Gesundheit, Entwicklung und ihre schulische Leistung gewachsen sind.
 

Welche Probleme gehen mit dem Onlinegaming einher?

Häufig werden die Darstellung und Glorifizierung von Gewalt in Videospielen kritisiert. Zu Recht, denn immerhin dominieren Videospiele, in denen das virtuelle Töten von humanoiden oder Fantasiefiguren eine zentrale Spielmechanik ist, schon seit Langem den E­‑Sport-­Markt. So gehört das „Killen“ des Gegners zu allen gängigen E‑Sport-Genres (außer in den Sportsimulationen). Besonders in kompetitiven Videospielen wird der Wettkampf über virtuelle Gewalt ausgetragen.

Aber die Videospielindustrie wird immer sensibler für diese Kritik. Schon aus wirtschaftlichem Interesse wird eine größere Diversität in Videospielen zu einem zentralen Designkriterium. Jugendliche und junge Erwachsene sind die Kernzielgruppe der meisten Videospiele. Jugendgefährdende Inhalte, wie explizite Gewaltdarstellungen, rufen allerdings den Jugendschutz auf den Plan, der den Zugang zu den Videospielen erschwert und damit den Profit schmälert. Daher setzen moderne Shooter wie Overwatch, Valorant und Fortnite auf eine bunte Comicwelt mit fantastischen Waffen und möglichst wenig expliziter Gewalt, um den Spagat zwischen der Nachfrage nach den erfolgreichsten Genres und der Zugänglichkeit zu den Spielen zu meistern.
 


Auch die Anerkennung von Gaming Disorder (Videospielabhängigkeit) als Verhaltenssucht durch die WHO (vgl. auch Klaus Hinze in tv diskurs 94) führt zu kontroversen Diskussionen im wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs über die exzessive bzw. in manchen Fällen sogar pathologische Nutzung von Videospielen. Eine solche Verhaltenssucht ist allerdings nur unter spezifischen Voraussetzungen tatsächlich gegeben. Die Diagnosekriterien beziehen sich besonders auf den Stellenwert, den das Gaming für Betroffene einnimmt, und weniger auf die tägliche Spieldauer. Das Vernachlässigen von sozialen Kontakten und Alltäglichem zugunsten des Videospiels muss über einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten beobachtbar sein (WHO 2018). Gaming Disorder hat mit ca. 3 % eine relativ geringe Prävalenzrate in Deutschland (Wartberg/Kriston/Thomasius 2020) und hängt häufig mit anderen psychosozialen Problemen und psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen zusammen (Cheng/Cheung/Wang 2018).
 

Durchbricht E-Sport das Gamingstigma?

Um Jugendliche vor gefährdenden Einflüssen zu schützen, braucht es nicht nur gesetzliche Rahmenbedingungen, sondern vor allen Dingen eine Begleitung bei und Aufklärung über Risiken und Chancen der Nutzung von Onlinegaming und E‑­Sport. E‑­Sport ist eine Art von Onlinegaming, die die Nutzung von Videospielen zur reinen Unterhaltung überwindet. In einem E‑Sport­-Team wird nicht nur gespielt, sondern auch gezielt trainiert. In diesem Training wird eine Vielzahl von Fähigkeiten gefördert, deren Erwerb auch die (außer‑­)schulische Bildung zum Ziel hat. Dazu gehören beispielsweise Kritik- und Teamfähigkeit, Erwerb von (Fremd‑­)Sprachenkompetenzen, analytisches Denken und Grundlagen der Datenanalyse (vgl. Cho/Tsaasan/Steinkuehler 2019). Beispielsweise werden verschiedene Strategien und die effizientesten Spielstile auf Grundlage der großen Datenmengen, die häufig von den Spielepublishern über offene API­-Schnittstellen [API = Application Programming Interface, Anm. d. Red.] zur Verfügung gestellt werden, statistisch analysiert. Viele Teams sind multinational, was dazu führt, dass die Verständigung in Englisch stattfindet. Und kommuniziert wird viel: Jede Partie eines Spiels wird aufgezeichnet, damit anschließend der Spielverlauf reflektiert und analysiert werden kann. Dabei werden nicht nur die individuelle Leistung, sondern auch die Leistung im Team und die Strategie diskutiert. Die Spielenden müssen dafür nicht nur lernen, konstruktiv zu kritisieren, sondern auch mit Kritik umzugehen und während des Spiels eine klare und effiziente Kommunikation zu etablieren. Es ist wichtig, Jugendliche anzuregen, solche Bildungsmöglichkeiten bewusst wahrzunehmen, und sie außerdem zu befähigen, deviante Inhalte und Verhaltensweisen zu erkennen und mit ihnen umzugehen.  


Ein gutes Beispiel für die Zukunft

Ein Beispiel für zeitgemäße Jugendarbeit ist das E­‑Sport und Gaming Jugendzentrum (GG) in Düsseldorf. Dort wurde Anfang 2020 auf 75m² ein vorläufiges Jugendzentrum eröffnet, das E‑Sport und Gaming als zentrales Angebot hat. Das Jugendzentrum bietet Jugendlichen einen Raum, um mit anderen Gamerinnen und Gamern in Kontakt zu kommen und pädagogisch begleitet zu spielen, zu trainieren und sich auszutauschen. Und das Interesse ist groß. Bereits in der ersten Woche kamen 187 Jugendliche und junge Erwachsene in das Jugendzentrum, von denen viele auch während des Lockdowns aktiv waren. Denn trotz der Kontaktsperre im Frühjahr wurde die Jugendarbeit fortgesetzt. Die Jugendlichen kamen online zusammen, organisierten Turniere und verabredeten sich, um online Kontakt zu halten.

Auch integrative und inklusive Arbeit kommt dabei nicht zu kurz. Durch das gemeinsame Interesse am E‑­Sport werden potenzielle Barrieren wie Herkunft, sozialer Status, Geschlecht und sexuelle Orientierung überwunden und Freundschaften mit Menschen geknüpft, zu denen man sonst in der eigenen sozialen Blase wahrscheinlich keinen Kontakt hätte.

E-­Sport ist eine Nutzungsart von Videospielen, die durch ihre Struktur und ihre Rahmenbedingungen das herkömmliche Verständnis von Gaming konstruktiv erweitert. Doch trotz der zunehmenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Etablierung von E‑Sport in Deutschland werden Jugendliche mit ihrem Hobby alleingelassen, anstatt sie bei einer gesunden und konstruktiven Nutzung zu fördern. Das liegt nicht zuletzt an der Stigmatisierung von Videospielen und einer Marginalisierung ihres positiven Potenzials. Auch Risiken und Probleme, die mit Gaming einhergehen, müssen im Zuge von aktiver Medienarbeit und Prävention mit Jugendlichen thematisiert werden. Wie gut solche Angebote von den Jugendlichen angenommen werden, zeigen Projekte wie das Jugendzentrum GG in Düsseldorf. Es bleibt zu hoffen, dass noch mehr Städte und Institutionen diese Notwendigkeit erkennen und in die medienpädagogischen Bereiche der Jugendhilfe investieren, um auch weiterhin zeitgemäße Jugendarbeit anzubieten.
 

Literatur:

Cheng, C./Cheung, M. W.-L./Wang, H.-Y.: Multinational comparison of internet gaming disorder and psychosocial problems versus well-being: Meta-analysis of  20 countries. In: Computers in Human Behavior, 88/2018, S. 153‑167. Abrufbar unter: www.sciencedirect.com (letzter Zugriff: 26.10.2020)

Cho, A./Tsaasan, A. M./Steinkuehler, C.: The building blocks of an educational esports league: lessons from year one in orange county high schools. In: FDG  ’19: Proceedings of the 14th International Conference on the Foundations of Digital Games, August 2019. Artikel Nr. 30, S. 1‑11. Abrufbar unter: https://dl.acm.org (letzter Zugriff: 26.10.2020)

ESBD: Was ist eSport? Definition. In: ESBD – eSport-Bund Deutschland e. V., 26.10.2018. Abrufbar unter: https://esportbund.de (letzter Zugriff: 26.10.2020)

Herold, M.: Fortnite erreicht neuen Meilenstein – Über eine Viertelmilliarde registrierte Spieler & ein Drittel davon sind Frauen. In: GameStar, 21.03.2019. Abrufbar unter: www.gamestar.de (letzter Zugriff: 26.10.2020)

Kari, T./Karhulahti, V.-M.: Do E-Athletes Move?: A Study on Training and Physical Exercise in Elite E-Sports. In: International Journal of Gaming and Computer-Mediated Simulations, 4/2016/8, S. 53‑66. Abrufbar unter: https://dl.acm.org (letzter Zugriff: 26.10.2020)

Rudolf, K./Bickmann, P./Froböse, I./Tholl, C./Wechsler, K./Grieben, C.: Demographics and Health Behavior of Video Game and eSports Players in Germany: The eSports Study 2019. In: International Journal of Environmental Research and Public Health,17/2020/6, 1870. Abrufbar unter: www.mdpi.com (letzter Zugriff: 26.10.2020)

Sädler, F.: Das ist der 16‑Jährige, der drei Millionen mit Fortnite gewann. In: Welt.de, 29.07.2019. Abrufbar unter: www.welt.de (letzter Zugriff: 26.10.2020)

Wartberg, L./Kriston, L./Thomasius, R.: Internet gaming disorder and problematic social media use in a representative sample of German adolescents: Prevalence estimates, comorbid depressive symptoms and related psychosocial aspects. In: Computers in Human Behavior, 103/2020, S. 31‑36. Abrufbar unter: www.sciencedirect.com (letzter Zugriff: 26.10.2020)

WHO: Gaming disorder. In: World Health Organization. Western Pacific, Q&A, 14.09.2018. Abrufbar unter: www.who.int (letzter Zugriff: 26.10.2020)