Nachlese. Die einseitige Gewichtung im Wahlkampf durch die Medien

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und Chefredakteur der Fachzeitschrft tv diskurs.

In: tv diskurs. Verantwortung in audiovisuellen Medien
21. Jg., 4/2017 (Ausgabe 82), S. 1

Chefredakteur Joachim von Gottberg setzt sich im Editorial mit dem Einfluss der Medien im Wahlkampf für die Bundestagswahl im Herbst 2017 auseinander.

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Hinterher ist man immer schlauer. Der Wahlkampf ist vorbei, die Wahl ist entschieden – und nun fragt man sich, warum die Alternative für Deutschland (AfD) mit knapp 13 % der Stimmen bundesweit so gut abgeschnitten hat, obwohl sich doch Printmedien und Rundfunk alle Mühe gegeben hatten, vor der AfD zu warnen, sie in die rechte Ecke zu stellen und ihre Wahlversprechungen als fehlgeleitet oder unrealistisch zu enttarnen. Das war gut gemeint, hat aber, so zumindest kann man die Wahlergebnisse interpretieren, die Partei eher gestärkt als geschwächt.

Die Kommentatoren und die Redakteure der politischen Talkshows handelten mit der Absicht, in Deutschland einen Rechtsruck zu verhindern, wie er sich in anderen Ländern schon länger beobachten lässt. Doch wurde der AfD dadurch eine Aufmerksamkeit zuteil, als stünde sie kurz davor, die Regierung zu übernehmen. Hinzu kam, dass in diesem Wahlkampf die Antwort auf die Frage, wie man insgesamt zur AfD steht, wohl das einzige noch spannende und halbwegs konfrontative Thema darstellte – eine Tatsache, die ebenfalls Aufmerksamkeit und damit Zuschauer generierte. Möglicherweise hätte die Partei weniger Akzeptanz beim Wähler gefunden, wenn die Medien ihr insgesamt weniger Aufmerksamkeit geschenkt hätten.

Das hier beschriebene Phänomen macht deutlich, dass mediale Botschaften nicht linear wirken: Wer glaubt, man könnte durch das ständige Wiederholen von Standpunkten die Nutzer in eine gewünschte Richtung beeinflussen, irrt gewaltig. Wer aus Enttäuschung über seine persönliche Lage mit der aktuellen Politik unzufrieden ist, hat vor allem das Ziel, sein Unbehagen zum Ausdruck zu bringen. Er wird von der Hoffnung getragen, dass seine so gesendete Botschaft verstanden wird und sich dadurch etwas ändert. Blickt man auf den etwas hilflos wirkenden Diskurs der Parteien nach der Wahl, in dem auch die Überlegung zum Tragen kam, sich dem rechten Rand der Gesellschaft anzubiedern, hat sich dieser Wunsch nach Veränderung teilweise auch erfüllt. Allerdings ist zweifelhaft, ob die Wähler tatsächlich eine solche Änderung wollen. Die Wahlanalysen von ARD und ZDF gehen jedenfalls davon aus, dass etwa 60 % der AfD-Wähler die Partei lediglich aus Protest wählten – offensichtlich trauten sie den traditionellen Parteien nicht zu, die gewünschte Änderung ihrer Lebensumstände herbeizuführen.

Man kann dieses Denkzettel-Wählen verurteilen! Doch trotzdem fällt es schwer, dem von der Einfallslosigkeit der Parteien enttäuschten Wähler eine effektive Alternative zu empfehlen. Wenn man sich anschaut, dass dieser Wahlausgang sowohl die Bundeskanzlerin als auch den bayerischen CSU-Vorsitzenden nachhaltig geschwächt hat und der sächsische Ministerpräsident nach dem großen AfD-Erfolg in seinem Bundesland zurückgetreten ist, dann war diese Protestwahl zumindest nicht folgenlos. Ob der Wähler eine solche Irritation tatsächlich beabsichtigte – wer will es beurteilen! Sicherlich aber wird von der Politik erwartet, dass sie sich für die Verbesserung des Lebensstandards gerade unterer Einkommensschichten einsetzt und die Infrastruktur im z.T. vernachlässigten ländlichen Raum gerade der ostdeutschen Bundesländer verbessert. Würden sich die Parteien hier mehr engagieren, gäbe es die Chance, zumindest diejenigen zurückzugewinnen, die die AfD aus Protest und nicht wegen einer tatsächlichen rechten Orientierung gewählt haben.