Mehr als Kommunikation. Mediennutzung in der digitalen Welt

Einführung ins Titelthema

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und Chefredakteur der Fachzeitschrft tv diskurs.

tv diskurs geht in Ausgabe 82 der Frage nach, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf unsere Kommunikation und unser gesellschaftliches Zusammenleben hat.

Printausgabe tv diskurs: 21. Jg., 4/2017 (Ausgabe 82), S. 14-15

Vollständiger Beitrag als:

Der Kommunikationswissenschaftler und Medientheoretiker Marshall McLuhan beschrieb 1964 die Medien als eine Erweiterung der menschlichen Sinne, quasi als ein zusätzliches Organ, das sich außerhalb des Körpers befindet. Was in der Zeit des alten Fernsehens vielleicht noch ein wenig übertrieben klang, skizziert beispiels weise die gegenwärtige Nutzung von Smartphones ziemlich genau: Die Symbiose zwischen dem menschlichen Gehirn und dem externen Gerät, mit dem man viele unterschiedliche Aufgaben lösen und von Google Maps bis hin zur Patentante kommunizieren kann, erweckt oft den Eindruck, als sei der Nutzer mit dem Gerät verwachsen. Nun gilt der Medientheoretiker McLuhan bei vielen als vorausschauender Visionär. Aber wie steht es mit anderen wissenschaftlichen Theorien über Nutzungsmotive, Medienwirkungen und die Interaktion mit gesellschaftlichen Prozessen?

Die heutige digitale Medienwelt erschöpft sich nicht mehr in der Kommunikation. Sie durchzieht unseren Alltag und unsere Arbeitswelt, sie optimiert die Informationsbeschaffung, navigiert uns mit einer fast menschlichen Stimme in jede Ecke der Welt und überwacht mittels Livetracker, ob wir genug Treppen steigen, wie viele Schritte wir gehen, wie sich unser Gewicht oder unser Blutdruck entwickelt. Gleichzeitig loben oder tadeln entsprechende Apps den Nutzer – je nachdem, ob er die selbst gesteckten Ziele erreicht.

Die digitale Revolution hat zu einer Mediennutzung geführt, die nichts mehr mit dem Sender-Empfänger-Prinzip zu tun hat. Es geht nicht mehr ausschließlich um Kommunikation, sondern um Datensammlungen, die es erlauben, durch die genaue Kenntnis potenzieller Kunden Marketingprozesse zu optimieren. Während man früher aufwendige Studien zur Erforschung menschlichen Verhaltens durchführen musste, könnte man heute ein besseres und schnelleres Ergebnis durch die Analyse von Datensätzen erreichen. Doch ergeben sich dadurch auch eine Reihe von Problemen und damit zusammenhängenden Fragen, beispielsweise zu der perfekten Kontrolle des Individuums oder den Sorgen um den Verlust von Individualität und Subjektivität.

Was bleibt von den bisher gewonnenen Theorien über die Interaktion von Medien und Gesellschaft, über die Funktionen der Medien und deren Wirkung? Sind sie angesichts der medialen Veränderungen obsolet oder gelten sie zumindest im Kern noch immer? tv diskurs geht der Frage nach, ob und wie klassische Medientheorien angesichts der veränderten digitalen Medienwelt auch heute noch gelten.