Medien vertrauen. Aber welchen?

Petra Sandhagen

Dr. Petra Sandhagen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psychologie der Universität Hildesheim.

Wir kommen jederzeit an Informationen. Was ist wichtig, was ist wahr, besonders in unsicheren Informationslagen? Um das zu entscheiden, kommt es auf die Bewertung der einzelnen Nachrichten, aber auch auf das Vertrauen in die Medien an, die diese Nachrichten transportieren.

Printausgabe tv diskurs: 25. Jg., 1/2021 (Ausgabe 95), S. 24-28

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Informationen im Überfluss

Eine Nachbarin hat erzählt, dass die Katze ihres Bekannten Einrad fahren kann. Das glauben Sie nicht? Fragen Sie doch mal Ihre WhatsApp-Community oder schauen Sie bei Instagram, ob Sie ein Video finden. Das könnte am Computer frei gestaltet sein? Dann schauen Sie doch mal im Netz in Suchmaschinen. Können Katzen Einrad fahren? An Informationen zu gelangen, ist einfach. Die Herausforderung folgt dann. Die Nachrichten müssen bewertet und eingeordnet werden. Welche Informationsquelle verdient mein Vertrauen? Wie kann ich das einschätzen?

Zunächst geht es um den Zugang zu Informationen. Artikel 5 des Grundgesetzes sichert zu:

Jeder hat das Recht, […] sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“

Das Recht nutzen zu können, scheint für uns einfach zu sein. Der Nachrichtenstrom scheint in Deutschland und vielen Ländern im Informationszeitalter ständig anzuschwellen. Hinzu kommt eine Vielfalt von Medien: Zeitungen, Videowände im öffentlichen Raum und das Internet mit Suchmaschinen und sozialen Netzen. Beste Voraussetzungen also, um sich zu informieren, sich daraus seine Meinung zu bilden und sich als mündiger Mensch in die Gesellschaft einzubringen. Das erfordert Bewertung und Einordnung. Diese Bewertung hängt wesentlich davon ab, wie sehr wir der Quelle der Information vertrauen. Bei vielen Nachrichten kennen wir die Quelle nicht, da wir nicht dabei waren. Damit ist entscheidend, wie sehr wir dem Medium vertrauen, das uns diese Information präsentiert.
 

Orientierung im Nachrichtenangebot

Vertrauen aufzubauen, ist bereits im ersten Lebensjahr eine wesentliche Entwicklungsaufgabe. Das im Umgang mit den Eltern erworbene Urvertrauen bildet eine Grundlage für die weitere Entwicklung (Flammer 2017; Erikson 1988). Dieses Vertrauen begleitet uns oft in vielen Lebenssituationen. In vieldeutigen Situationen, wenn wir Rat benötigen, fragen wir Eltern, Familie, Freunde. Grundschulkinder nennen als Hauptinformationsquellen Familie (Mama, Papa, Geschwister), Lehrerinnen und Lehrer sowie Freunde. Fernsehen und Internet spielen eine untergeordnete Rolle (BDZV 2015; Sandhagen 2015). Je älter wir werden, desto vielfältiger werden die Quellen (und Medien), die wir nutzen: Bei jungen Erwachsenen wird das Internet mittlerweile zur Hauptinformationsquelle (Hölig/Hasebrink 2020). Dennoch behalten Gespräche mit Freunden und persönlich bekannten Menschen eine große Bedeutung, wie erste Ergebnisse einer aktuellen Studie zeigen (Sandhagen 2020). Familie und Freunden vertrauen wir. Sie sind eine wichtige Quelle für Informationen, auch für solche, die sie mit uns über soziale Medien teilen (uns mitteilen oder die von anderen „liken“).

Dabei wird der indirekte Kontakt immer wichtiger: 56 % der 18- bis 24‑Jährigen geben an, dass sie soziale Medien als Nachrichtenquelle nutzen (Hölig/Hasebrink 2020). Zwar misstraut jede zweite Person dieser Gruppe den Nachrichten in sozialen Medien, aber das Misstrauen nimmt ab: Ein Jahr zuvor haben noch 60 % dieser Gruppe Nachrichten in sozialen Medien misstraut (ebd.). Den Nachrichten, die Menschen auswählen, vertrauen sie mehr als den Nachrichten allgemein, der Tagesschau z.B. mehr als Fernsehnachrichten allgemein (ebd.).

Demgegenüber orientieren sich über 55‑Jährige stärker im (öffentlich-rechtlichen) Fernsehen (ebd.), vertrauen den explizit als Nachrichten präsentierten Informationen mehr. Diese Differenz könnte mehrere Gründe haben. Zunächst unterscheiden sich beide Informationsmedien systematisch. (Früher) etablierte Medien (Fernsehen, Tageszeitungen) werden von Personen (Journalisten, Redaktionsmitgliedern) systematisch zur Information produziert; sie benötigen oft Zeit für Recherche, aber bieten meist mehrere Sichtweisen und ihre Einordnung; sie sind oft kostenpflichtig – und sie arbeiten mit einer expliziten und systematischen Vorauswahl und Gewichtung. Soziale Medien produzieren demgegenüber selbst keinen Inhalt, sondern stellen eine Plattform für die Verbreitung von Inhalt zur Verfügung. Sie gewichten (fast) nicht und ordnen nicht ein. Jede und jeder kann (fast) ungefiltert publizieren (Schmidt 2018). Dadurch bieten soziale Medien sehr schnell neue Nachrichten und das (finanziell) kostenfrei. Nachrichten der eigenen Freunde, von Bloggern und etablierten Nachrichtenmarken (Tagesschau) stehen nebeneinander. Die Bewertung, Auswahl und Einordnung bleiben ausschließlich den Nutzenden überlassen.

Die Generation derjenigen, die vorwiegend soziale Medien zu Beschaffung und Austausch von Informationen nutzen, ist die erste, die das tut (und kann); daher lässt sich aktuell nicht sicher beurteilen, ob es sich um einen Alterseffekt handelt oder um einen Unterschied zwischen Generationen.

Hinzu kommt: Die jüngsten Daten stammen aus dem Januar 2020 (Hölig/Hasebrink 2020), kurz bevor die Coronapandemie mit ihren Auswirkungen auch in Deutschland angekommen war.
 

Je größer die Verunsicherung, desto klassischer die Mediennutzung

Was passiert, wenn eine insgesamt unsichere Lage hinzukommt (wie bei einer Naturkatastrophe oder aktuell der Coronapandemie) und wenn es zugleich wichtiger wird, seriöse und belastbare Informationen zu erhalten? Das SARS-CoV‑2-Virus stellt seit Monaten eine immer noch schwer einzuschätzende Gefahr dar. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse ändern sich in schneller Folge – und damit auch die politischen Regelungen. Niemand hat Erfahrungen mit dieser Konstellation oder weiß mit Sicherheit, was richtig, was falsch ist. Zugleich sind alle Menschen betroffen von Kontaktbeschränkungen, von Homeoffice, Homeschooling oder Hamsterkäufen. Die Coronapandemie ist damit für die Gesellschaft, für jede Einzelne und jeden Einzelnen eine besondere Herausforderung. Bei wechselnden und sich mitunter widersprechenden Informationen ist es besonders wichtig, welchen Medien wir vertrauen, um uns orientieren zu können.

Ältere Studien haben gezeigt, dass in solch unsicheren Situationen Menschen eher etablierten Medien (Tageszeitungen, Tagesschau) vertrauen (MPFS 2014; Albert/Hurrelmann/Quenzel 2019). Auch aktuell melden Nachrichtenportale gestiegene Zugriffszahlen (BDZV 2020). Der Reuters Institute Digital News Report hat in einer ergänzenden Befragung im April 2020 Daten zur Nachrichtennutzung in der Coronapandemie erhoben. Das Ergebnis: In der Coronapandemie „informieren sich mehr erwachsene Internetnutzer in Deutschland über Nachrichtensendungen im linearen Fernsehen (72 %) sowie über etablierte Nachrichtenanbieter im Internet (50 %) und soziale Medien (39 %)“ (Hölig/Hasebrink 2020, S. 9). Das Fernsehen verzeichnet in allen Altersgruppen einen Anstieg. Bereits vor der Coronapandemie vertrauten Menschen bei den Nachrichtenangeboten am meisten öffentlich-rechtlichen Anstalten sowie regionalen und lokalen Tageszeitungen. In der Coronapandemie belegen Nachrichtenorganisationen als Informationsquelle über das SARS-CoV‑2-Virus in allen Altersgruppen den ersten Platz (Hölig/Hasebrink 2020).

Interessanterweise gewinnen etablierte Medien in unsicheren Zeiten in allen Altersgruppen an Bedeutung.

Die häufigsten Begründungen dafür sind, dass diese Medienangebote den Nutzenden vertraut sind, sie sie seit ihrer Kindheit kennen und sie häufig ein quasioffizielles Image haben. Das Vertrauen in Medien scheint also auch mit Vertrautheit zusammenzuhängen (Sandhagen 2020). Zu den etablierten Medien kommen als wichtige Informationsquelle vor allem für jüngere Menschen Familie und persönlich bekannte Menschen hinzu. 43 % geben an, dass sie Gespräche mit Freunden mehr oder sogar viel mehr als Informationsquelle nutzen (ebd.; Hölig/Hasebrink 2020).

Bislang kaum erforscht ist, welche Bedeutung individuelle Faktoren für das Vertrauen in Medien haben. Welche Rolle spielt die Fähigkeit, sich in die Perspektive anderer Menschen hineinversetzen zu können, für die Bereitschaft, auch anspruchsvolle Regeln verlässlich zu befolgen? Welchen Einfluss haben Lebenszufriedenheit oder Optimismus? Wer optimistisch in die Zukunft schaut, kommt möglicherweise besser mit der unsicheren Lage zurecht und vertraut den Informationen mehr – unabhängig vom Alter oder von der Art der Mediennutzung. Erste eigene Studienergebnisse zeigen einen signifikanten Zusammenhang zwischen Optimismus und dem Vertrauen in die Informationen von Freunden, jedoch nicht zum Vertrauen in Medien. Hier bietet die aktuelle globale Krise eine besondere Chance, die Einflussfaktoren für das Vertrauen in Informationsquellen und Medien näher zu untersuchen.
 

Was können wir tun?

In einer Nach-Corona-Zeit mit verlässlichem Impfstoff und wirksamen Medikamenten wird es dennoch immer wieder unsichere Informationslagen geben. Ob eine Pandemie oder eine Wirtschaftskrise, Menschen werden immer wieder herausgefordert sein, zwischen unterschiedlichen Nachrichten abzuwägen, Quellen zu bewerten und Informationen einzuordnen. Dabei scheinen etablierte, oft öffentlich-rechtliche Medien sowie Freunde wichtige Aspekte zu sein.

Die Einordnung und Bewertung von Nachrichten lernen Kinder schon in der Familie. Vertrauten Medien schenken sie auch später Vertrauen. Projekte zur Medienkompetenz können Kinder und Jugendliche stärken, eigene Einschätzungen und Bewertungen zu üben.
 

Fazit

In unsicheren Situationen ist es besonders wichtig, die vielen und leicht zugänglichen Nachrichten zu bewerten und einzuordnen. Jüngere und ältere Menschen nutzen systematisch verschiedene Medien und vertrauen ihnen unterschiedlich. Einfluss auf das Vertrauen in Medien könnten auch individuelle Faktoren haben. Vor allem junge Menschen sollten gestärkt werden, Nachrichten einordnen zu können. Möglichkeiten dafür sind eine gute Bildung, kritisches Denken sowie die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen (emotional und kognitiv). Einerseits können das die Familien unterstützen, andererseits können Projekte zur Medienkompetenz diese Fähigkeit stärken und fördern.
 

Literatur:

Albert, M./Hurrelmann, K./Quenzel, G.: 18. Shell Jugendstudie. Jugend 2019. Eine Generation meldet sich zu Wort. Weinheim 2019

BDZV (Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger e.V.): Relevanz von Nachrichten für Kinder. Ad hoc-Studie von ikonkids&youth im Auftrag des BDZV. Berlin 2015

BDZV (Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger e.V.): Digitale Reichweiten der Zeitungen steigen sprunghaft. Corona-Pandemie steigert das Bedürfnis nach vertrauenswürdigen Informationen. Berlin, 24.03.2020. Abrufbar unter: https://www.bdzv.de (letzter Zugriff: 28.11.2020)

Erikson, E. H.: Der vollständige Lebenszyklus. Frankfurt am Main 1988

Flammer, A.: Entwicklungstheorien. Psychologische Theorien der menschlichen Entwicklung. Bern 20175

Hölig, S./Hasebrink, U.: Reuters Institute Digital News Report 2020. Ergebnisse für Deutschland. Hamburg 2020. Abrufbar unter: https://www.hans-bredowinstitut.de (letzter Zugriff: 30.11.2020)

MPFS (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest): JIM-Studie 2014. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19‑Jähriger. Stuttgart 2014. Abrufbar unter: http://www.mpfs.de (letzter Zugriff: 27.11.2020)

Sandhagen, P.: Nachrichten für Kinder: Was die Entwicklungspsychologie zur Praxis beitragen kann. In: In-Mind Magazine, 5/2015. Abrufbar unter: https://de.in-mind.org (letzter Zugriff: 27.11.2020)

Sandhagen, P.: Vertrauen in Medien in Zeiten der Corona-Pandemie. Aktuell laufende Online-Fragebogenstudie im Längsschnitt. Hildesheim 2020

Schmidt, J.-H.: Social Media. Wiesbaden 20182