Kommunikation in Onlinespielen

Eine Herausforderung für den Jugendmedienschutz

Laura Keller

Laura Keller studierte Kultur- und Bildungswissenschaften sowie Kinder- und Jugendmedien und arbeitet als freiberufliche Medienpädagogin.

Welche neuen Herausforderungen bedeuten Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten in Onlinespielen für den Jugendmedienschutz? Gewalt, Extremismus und Pornografie sind als jugendgefährdende Potenziale in Computer- und Onlinespielen lange bekannt. Abseits davon sollten Erziehende sowie Jugendschützerinnen und Jugendschützer jedoch auf die in das Spiel integrierten Kommunikationskanäle achten – denn wo kommuniziert werden kann, besteht das Risiko, mit Cybermobbing und Cybergrooming konfrontiert zu werden.

Printausgabe tv diskurs: 21. Jg., 4/2017 (Ausgabe 82), S. 10-13

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Diskussionen über die Gefahren von Computerspielen sind wahrlich nichts Neues, doch ein Aspekt wird bisher weitgehend außer Acht gelassen: Lässt sich über das Spiel online mit anderen Nutzerinnen und Nutzern kommunizieren oder interagieren?

Gemeinsam haben Onlinespiele häufig lediglich die für das Spiel notwendige Internetverbindung. Zu den Onlinespielen lassen sich sowohl Single- und Multiplayer-Spiele, Browser- und Clientgames, aber auch alle denkbaren Genres von Action- und Strategiespielen bis hin zu Geschicklichkeits- oder Quiz-Apps zum schnellen Zeitvertreib zählen. Das Durchschnittsalter von Nutzerinnen und Nutzern digitaler Spiele liegt mittlerweile bei 35 Jahren; und auch bei Kindern und Jugendlichen steigt das Interesse stetig an. Für den Kinder- und Jugendmedienschutz ergeben sich so mögliche Problemfelder, denn Nutzerinnen und Nutzern jeglichen Alters wird die Möglichkeit geboten, gemeinsam zu spielen, zu kommunizieren und zu interagieren. Genutzte Hardware, Genres oder Spielinhalte sind dabei zweitrangig und rücken in den Hintergrund.
 

Kommunikation als Risikofaktor

Die Möglichkeiten, in Onlinespielen mit Mitspielern, Gegnern und weiteren Nutzern zu kommunizieren, sind vielfältig: integrierte (Voice-)Chats, Direktnachrichten, Gruppenchats oder nonverbal durch das gemeinsame Spiel. Bei Kindern kann Letzteres bereits zum Vertrauensgewinn genutzt werden, ohne Nachrichten auszutauschen.

Im Hinblick auf soziale Netzwerke und Kommunikationsrisiken werden Cybermobbing und Cybergrooming schon länger thematisiert, im Kontext von Onlinespielen wurden sie bisher weniger diskutiert. Eine US-amerikanische Studie (Englander 2012) mit Grundschülerinnen und Grundschülern kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die häufigsten Begegnungen mit Cybermobbing in Onlinespielen stattfinden. Immer mehr Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen werden zudem über Onlinespielplattformen bekannt (vgl. Rüdiger 2015). Bei der Diskussion um Gefahren durch Mobbing oder Sexualtäter müssen die Kommunikationsmöglichkeiten von digitalen Spielen dementsprechend stärker betrachtet werden.
 

MMORPGs und Cybermobbing

Sich wiederholende, gezielt verletzende und aggressive Handlungen einer oder mehrerer Person(en) gegenüber einer oder mehreren anderen Person(en) innerhalb eines Machtungleichgewichts mithilfe des Internets und/oder digitaler Technologien werden als Cybermobbing bezeichnet. Es umfasst beispielsweise Bedrohungen, Demütigungen und Beschimpfungen. Statistisch ist die Verbreitung von Cybermobbing schwer zu erfassen, da die Intentionen und Interpretationen der (Online‑)Kommunikation von Täterinnen und Tätern sowie von Opfern sich oft unterscheiden (vgl. Kirwan/Power 2013).

Die Anonymität von Täterinnen und Tätern im Internet beeinflusst zum einen die erhöhte Beteiligung, zum anderen erschwert es die Nachforschungen in Fällen von Cybermobbing. In engem Zusammenhang dazu steht ein enthemmtes Verhalten, bei dem Täterinnen und Täter online Handlungen ausführen, denen sie in der materiellen Welt, beispielsweise aus Scham oder Anstand, nicht nachkommen würden, und sich dabei belustigt, beliebt und ermächtigt fühlen (vgl. Ballard/ Welch 2015). Es ist jedoch ein fließender Prozess, in dem auch Kinder und Jugendliche sowohl Opfer als auch Täter sein können. Eine zentrale Rolle im Kontext von Cybermobbing und Onlinespielen spielen die sogenannten MMORPGs (Massively Multiplayer Online Role-Playing Games), auch wenn diese in Definitionen zu Cybermobbing nicht explizit genannt werden. In den Onlinerollenspielen wie World of Warcraft oder Clash of Clans sind Spielerinnen und Spieler aufgefordert, sich in sogenannten Clans, Gilden oder anderen Gruppierungen zusammenzuschließen, um kooperativ Spielerfolge zu ermöglichen und ein gemeinsames Spielerlebnis zu erfahren. Den sozialen Aspekten von MMORPGs wird jedoch im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs wenig Beachtung geschenkt.

Der Spielrang – stellvertretend für Macht und Dominanz – ist der vorrangige Grund für Cybermobbing in MMORPGs (vgl. ebd.). Auch schlechtere oder unerfahrene Spielerinnen und Spieler werden häufig ausgegrenzt, genauso wie Mädchen aufgrund ihres Geschlechts (vgl. Katzer 2014). In diesen onlinebasierten Gruppen entsteht zudem oftmals ein Gruppendruck, der bei Nichtbeachtung von Hierarchien und Normen den Ausstoß aus der Gruppe oder Mobbing zur Folge haben kann. So verabreden sich die Mitglieder eines Clans oder einer Gilde beispielsweise spätabends, um einen entscheidenden Spielzug durchzusetzen, an dem alle Mitglieder teilnehmen müssen. Für Kinder und Jugendliche, die nicht selbstbestimmt zu jeder Zeit online sein können, um ihre Gruppe zu unterstützen, kann dies schnell zum Problem werden und Cybermobbing als Bestrafung zur Folge haben (vgl. Rüdiger 2015, S. 107).
 

Cybergrooming in Onlinespielen

Neben Cybermobbing spielt auch Cybergrooming in Onlinespielen eine zunehmende Rolle. Cybergrooming meint die gezielte Kommunikation mit Minderjährigen in virtuellen Welten mit dem Ziel, sexuelle Kontakte anzubahnen. Studien zufolge erhält bereits eins von sieben Kindern und Jugendlichen im Internet unerwünscht sexuelle Aufforderungen (vgl. Kirwan/Power 2013). Erst im Dezember 2016 wurde ein 35‑Jähriger zu mehreren Jahren Haft verurteilt, weil er einen Jungen missbrauchte, den er über das Onlinespiel Minecraft kennengelernt hatte (vgl. Burger 2016).

Cybergroomer profitieren dabei in mehrfacher Hinsicht von den Gegebenheiten des digitalen Raumes. Bei der Erstellung von Nutzerkonten können Pseudoidentitäten erschaffen werden, da weder Alter noch Personenangaben überprüft oder verifiziert werden. Hier zeigt sich auch der größte Unterschied zur Offlinewelt, in der die Täterinnen und Täter den Kindern meistens vorher bekannt waren (vgl. Kirwan/Power 2013). Der Kriminologe Rüdiger (2015) warnt, dass die Interaktion mit solchen Pseudoidentitäten bei Kindern im Umkehrschluss zu einer verminderten Resilienz führen kann. Des Weiteren betont er, dass hier die „typischen gesellschaftlichen Schutzmechanismen und Sensibilisierungsmaßnahmen Kindern gegenüber“ unterlaufen würden, da sonst vor dem Umgang und der Kommunikation mit unbekannten Erwachsenen gewarnt werde. An dieser Stelle lässt sich bereits vermuten, dass Eltern und Kinder noch nicht angemessen für Risiken in Onlinespielen und dem digitalen Raum sensibilisiert sind. Hinzu kommt die kindgerechte Optik zahlreicher Spiele, die Kindern einen erwachsenenfreien Raum suggeriert.

Cybergroomer agieren entweder langfristig, indem sie durch gemeinsame Spielerlebnisse und Kommunikation eine gewisse Vertrauensbasis aufbauen und als Ziel den Austausch von (sexualisierten) Bildern oder Treffen fokussieren, oder kurzfristig. Die kurzfristige Interaktion ist häufig durch erpresserische Handlungen gekennzeichnet, bei denen es aber ebenfalls um mediale Missbrauchsdarstellungen geht.

Beide Tätertypen haben allerdings auch Gemeinsamkeiten: Sie kontaktieren meistens mehrere Kinder gleichzeitig, besitzen mehrere Accounts und kontaktieren so auch Kinder mehrfach in verschiedenen Rollen, bis das gewünschte Ziel erreicht ist. Zudem gibt es Täterinnen und Täter, die beide Vorgehensweisen verbinden (vgl. ebd.). Des Weiteren wird vonseiten der Täterinnen und Täter darauf Wert gelegt, dass Freunde oder Familie nichts von der Begegnung erfahren. Sie manipulieren die Kinder bewusst psychologisch. Bis zum Zeitpunkt der Erpressung haben beide Typen zudem die Gewaltlosigkeit ihrer Vorgehensweise gemein; der Vertrauensaufbau steht im Vordergrund und wird durch Komplimente und Aufmerksamkeit vorangetrieben, was den potenziellen Opfern meist schmeichelt und, wie bereits erwähnt, ihre Resilienz senkt. Die Motivation der Täterinnen und Täter reicht dabei von Pädophilie, Gefühlen der Neugier, aber auch Wut – bis zu dem Wunsch nach Macht oder Bewunderung (vgl. Kirwan/Power 2013).

Rüdiger (2015) hebt zudem hervor, dass Onlinespiele und virtuelle Welten die „Anbahnungs- und Kennenlernplattform darstellen, aber nicht zwangsläufig die Missbrauchsplattform“.
 

Was muss sich im Jugendmedienschutz verändern?

Das aktuelle System des Jugendmedienschutzes erfasst die neuen, durch Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten in Onlinespielen entstehenden Herausforderungen derzeit noch nicht. Momentan ist im Hinblick auf Onlinespiele ein Durcheinander aus Zuständigkeiten, Verantwortung und Kennzeichnungen festzustellen, das einen effektiven Schutz von Kindern und Jugendlichen im Internet verhindert. Doch welche Veränderungen wären notwendig, um einen umfassenderen Schutz für Kinder und Jugendliche zu gewährleisten?

Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) muss zukünftig Rücksicht auf inhaltliche und strukturelle Besonderheiten von Onlinespielen nehmen. Es braucht eine gesetzliche Grundlage, die das Verhältnis von Staat und Anbietern klar definiert. Ohne gesetzliche Grundlage lässt sich bisher kaum mehr Verantwortung von Spiele- und Plattformbetreibern einfordern – hier stellt sich ohnehin die Frage, warum die Betreiber von Onlinespielen mehr Freiheiten im Jugendmedienschutz genießen sollen als Betreiber von anderen digitalen Spielen oder Verantwortliche der Film- und Fernsehbranche.

Um den gesellschaftlichen Diskurs nicht ausschließlich bei Gewalt- und Suchtpotenzialen zu belassen, sondern auch Cybermobbing und Cybergrooming als Risikopotenziale zu erkennen, müssen die Alterskennzeichen der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) aktualisiert werden. PEGI (Pan European Game Information) und IARC (International Age Rating Coalition) als alternative Kennzeichnungsverfahren sind hier Vorbilder, die bei der Kennzeichnung bereits auf eine Onlinefähigkeit der Spiele hinweisen. Plattformintern und plattformübergreifend muss es zudem Melde-, Hilfe- und Beratungsangebote geben. Auch Rüdiger (2015) sieht in geschulten Moderatorinnen und Moderatoren, Wortfiltern sowie verstärkten Personen- und Zugangsverifikationen sinnvolle Schutzmaßnahmen.
 

Eltern sensibilisieren, Präventionsarbeit ausbauen

Da sich viele Eltern den Kommunikationsrisiken virtueller Welten faktisch nicht bewusst und Alterskennzeichnungen in diesem Zusammenhang oft irreführend sind – Sportspiele mit integriertem Onlinemodus oder Quiz-Apps mit Chat-Funktion sind häufig ohne Altersbeschränkung freigegeben, bergen aber dieselben Risiken –, muss zwangsläufig die Präventionsarbeit ausgebaut werden, um für das Problem zu sensibilisieren. Nur so können Eltern und Erziehende Kinder und Jugendliche aufklären und in kritischen Situationen als kompetente Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Zu beachten gilt, dass es immer Eltern gibt, die durch Sensibilisierungsmaßnahmen nicht erreicht werden können und deren Kinder trotzdem nicht in virtuellen Welten alleingelassen werden dürfen.

Abschließend ist zu betonen, dass der aktuelle Forschungsstand dringend weiter ausgebaut werden muss. In Bezug auf Onlinespiele wurden sowohl zu Cybermobbing als auch zu Cybergrooming trotz der gesellschaftlichen Relevanz bisher nur wenige wissenschaftliche Arbeiten erstellt.
 

Literatur:

Ballard, M./Welch, K.: Virtual Warfare. Cyberbullying and Cyber-Victimization in MMOG Play. In: Games And Culture, 5/2015, S. 466‑491. Abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.1177/1555412015592473

Burger, R.: Opfer in Onlinespiel gefunden. Koch muss nach Missbrauch in Psychiatrie. In: FAZ-Online, 09.12.2016. Abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/koch-aus-duesseldorf-muss-nach-missbrauch-inpsychiatrie-14566653.html

Englander, E.: Cyberbullying among 11,700 Elementary School Students, 2010‑2012. In: MARC Research Reports, Paper 4/2012. Abrufbar unter: http://vc.bridgew.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1005&context=marc_reports

Katzer, C.: Cybermobbing. Wenn das Internet zur W@ffe wird. Heidelberg 2014

Kirwan, G./Power, A.: Cybercrime: The Psychology of online offenders. Cambridge 2013

Rüdiger, T.-G.: Der böse Onkel im digitalen Kinderzimmer. In: Hillebrandt, I. (Hrsg.): Gewalt im Netz – Sexting, Cybermobbing & Co. Berlin 2015, S. 104‑123