Kochshows

Gerd Hallenberger

Dr. habil. Gerd Hallenberger ist freiberuflicher Medienwissenschaftler.

Von der Nachkriegs-„Fresswelle“ in Schwarz-Weiß bis zur modernen Molekularküche: Viele TV-Köche der letzten 60 Jahre versuchten ihrem Publikum den guten Geschmack nahezubringen. 

Printausgabe tv diskurs: 26. Jg., 1/2022 (Ausgabe 99), S. 60-61

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Unter den nonfiktionalen Fernsehgenres spielen Kochshows heute eine ähnliche Rolle wie Krimis im fiktionalen Bereich. Egal, ob man eine Komödie, ein Beziehungsdrama oder eine Sozialstudie inszenieren will, all das und noch viel mehr lässt sich in ein Krimi-Korsett kleiden. Die Folge: Seit Jahren häufen sich die Klagen über die Flut an Krimis im deutschen Fernsehen. Vergleichbares gilt für Kochshows: Sie finden gefühlt immer und überall statt – und sie lassen sich sehr gut mit anderen Genres kombinieren.

Dabei waren die Anfänge der Kochsendungen noch sehr bescheiden. In den 1950er-Jahren sah der Speiseplan in den meisten bundesdeutschen Haushalten noch frugal aus, das Lebensmittelangebot in den Geschäften bestand nur aus einem Bruchteil des heute Üblichen; und viele Menschen konnten sich nicht einmal alles leisten, was da zum Verkauf stand. Die erste lange laufende Kochsendung, Bitte, in zehn Minuten zu Tisch (1953 – 1964), widmete sich deshalb vor allem zwei Aufgaben. Erstens zeigte sie, wie sich verfügbare preiswerte Lebensmittel originell kombinieren ließen, zweitens bedienten frei erfundene Bezeichnungen für diese Kreationen Nachkriegssehnsüchte nach Exotik und fernen Ländern. Dass niemand in arabischen Ländern je von „arabischem Reiterfleisch“ oder in Venedig von „venezianischem Weihnachtsschmaus“ gehört hatte, spielte keine Rolle. Wichtiger als das Rezept war die Inszenierung, und fast schon logischerweise war der erste bundesdeutsche Fernsehkoch kein gelernter Koch, sondern ein Schauspieler, der sich nach seinem Heimatort Clemens Wilmenrod nannte. Die Aufgabe, realen kulinarischen Mangel zu überspielen, teilte er mit seinen Kollegen im Fernsehen der DDR, die im Unterschied zu ihm jedoch tatsächlich gelernte Köche waren – Kurt Drummer, später Chefkoch der Interhotels, und Rudolf Kroboth, als „Fischkoch“ der DDR Begründer der Restaurantkette „Gastmahl des Meeres“.
 


Fernsehkoch Wilmenrod empfiehlt: Verlorene Eier auf Toast, dazu Salat und hinterher: gefüllte Erdbeeren! (NDR)



In einer echten Fernsehshow wurde erstmals bei Hotel Victoria (1961 – 1968) gekocht: In jeder Folge präsentierte Moderator Vico Torriani ein gesungenes Rezept. Solche Ausflüge blieben vorerst aber eine Ausnahme. Beim Kochen im Fernsehen ging es noch primär um die Vermittlung von Informationen, allerdings änderten sich die Themen, weil sich die Zeiten wandelten. Die erste Wohlstandswelle in der Bundesrepublik war die „Fresswelle“: Das Lebensmittelangebot wurde vielseitiger und erschwinglicher, es ging nicht mehr in erster Linie darum, überhaupt satt zu werden. Es wurde mehr gegessen, oft besser und auch Gerichte und Zutaten aus fremden Ländern. Die bekanntesten neuen Fernsehköche der späten 1960er- und 1970er-Jahre, Ulrich Klever und Max Inzinger, traten zwar nur in einem kurzen Segment einer Vorabendreihe des ZDF auf, der Drehscheibe, sie waren jedoch sehr einflussreich. Sie sprachen auch über kalorienbewusstes Essen und gesunde Ernährung und demonstrierten, dass Kochen zusätzlich ein vergnügliches Gemeinschaftserlebnis sein kann.

Bis zu dieser Zeit hatten sich Kochsendungen zwar thematisch ausdifferenziert und waren unterhaltsamer geworden, das Kochen stand aber weiterhin im Mittelpunkt. Alfred Biolek bewies ab 1994 mit alfredissimo!(ARD), dass es auch anders geht. In einem Nachbau seiner privaten Küche traf sich Biolek in jeder Folge mit einer oder einem Prominenten, um – so der erste Eindruck – etwas zu kochen. Tatsächlich war das gemeinsame Kochen aber nur ein Rahmen, ein Anlass für Gespräche in einer geradezu intimen Situation. Und die Frage nach dem passenden Wein war mindestens so wichtig wie das Gelingen des Essens. Mit alfredissimo! hat Biolek nicht nur aus einer Kochsendung eine Talkshow gemacht, sondern gezeigt, wie gut sich Kochshows mit anderen Genres kombinieren lassen.
 

TV-Klassiker: alfredissimo! - Kochen mit Bio! (WDR 2002)



Die logische Nähe zur Talkshow nutzten auch andere Formate wie Lafer! Lichter! Lecker!(ZDF), bedeutend häufiger wurden jedoch andere Genrekopplungen gewählt. In unterschiedlichsten Konstellationen kam es etwa zu Kochwettbewerben: Laien gegen Laien, die sich gegenseitig bewerten (Das perfekte Dinner, VOX); Profis gegen Profis, die von Experten bewertet werden (Kitchen Impossible, VOX); Laien gegen Laien und ein Profi bewertet (Die Küchenschlacht, ZDF); Laien gegen Profis, eine Expertenjury entscheidet (Die Kocharena, VOX); Laien gegen Laien mit Unterstützung von Profis (The Taste, SAT.1) – und das sind nur einige wenige Beispiele. Beliebt sind ebenfalls Kombinationen mit Reality-TV, vor allem in Form von „Helptainment“, der Hilfestellung für in Not geratene gastronomische Betriebe durch einen (Rach, der Restauranttester, RTL) oder mehrere Profis (Die Kochprofis – Einsatz am Herd, RTL II).

Da es mittlerweile eine sehr große Zahl von Kochshows, aber nur relativ wenige prominente Fernsehköche (und noch weniger Fernsehköchinnen) gibt, sind bekannte Gesichter immer wieder zu sehen. Daraus ergeben sich Möglichkeiten für horizontale Erzählungen über Sendungs- und Sendergrenzen hinweg, was in Deutschland vor allem zwei Köche dank zahlreicher Begegnungen in mehreren Formaten für eine Art Buddy-Movie genutzt haben: Sind Steffen Henssler und Tim Mälzer nun Freunde oder Feinde? Im 2021 gestarteten Format Mälzer und Henssler liefern ab!(VOX) findet nun eine Art Showdown statt … Oder ist alles ganz anders?

Immerhin haben sich Fernsehköche und -köchinnen von Anfang an als ausgesprochen geschäftstüchtig erwiesen: Kochbücher hat bereits Clemens Wilmenrod mit großem Erfolg veröffentlicht, zu alfredissimo! konnte zusätzlich u. a. schon ein Messerblock mit Sendungslogo erworben werden, heutige Kochshows bewerben nicht zuletzt die gastronomischen Betriebe ihrer Stars.

Wie paradox Kochsendungen aller Art im Prinzip sind, ist schon oft beschrieben worden: In einem Medium, das nur Bild und Ton vermitteln kann, geht es hier ums Riechen und Schmecken. Es gibt noch weitere Paradoxien: Der Aufstieg der Kochshows wurde von einem immer stärkeren Rückgang des alltäglichen Kochens in familiärem Kontext begleitet – erstens durch die Vermehrung von Single- und Paar-Haushalten ohne Kinder, zweitens die Ablösung des traditionellen Mittagessens zu Hause durch Kantinenessen und Imbiss, drittens durch die Abnahme heimischer Kochaktivitäten dank Fertiggerichten, Mikrowelle und Lieferdiensten. Kochsendungen erinnern jedoch daran, was dadurch verloren gegangen ist: beispielsweise gemeinschaftlicher Genuss und das Gefühl von Geborgenheit.