„Ich glaube an die Kraft der Bilder“

Vera Linß im Gespräch mit Hosam Katan

Hosam Katan wurde 1994 in Aleppo geboren. Als 2011 die Syrische Revolution begann, fotografierte er zunächst mit seinem Smartphone und veröffentlichte die Bilder in den sozialen Medien. Mit 18 Jahren begann er, für das Aleppo Media Center zu arbeiten. 2013 wurde er freiberuflicher Fotograf bei der Agentur Reuters. Parallel arbeitete Katan für verschiedene Magazine, u.a. für den Stern. Er verließ Syrien Ende 2015 über die Türkei und kam als Geflüchteter nach Deutschland. Zurzeit lebt er in Hannover und studiert dort Fotojournalismus. Für seine Arbeiten erhielt er verschiedene Preise, u.a. den Nannen-Sonderpreis. 2016 war er für den Bayeux-Calvados Award für Kriegsberichterstatter nominiert. Sein jüngstes Projekt ist das Fotobuch Yalla Habibi. Living with War in Aleppo. tv diskurs sprach mit Hosam Katan über seine Arbeit und seine ethischen Prinzipien.

Printausgabe tv diskurs: 22. Jg., 1/2018 (Ausgabe 83), S. 50-53

Vollständiger Beitrag als:

Was ist Ihnen besonders wichtig, mit Ihren Bildern zu zeigen?

Ich möchte als Fotojournalist nah an den Menschen sein, um ihre Geschichte erzählen zu können. In Aleppo habe ich fast alle Situationen nach einem Angriff fotografiert. Aber auch Alltagsmomente, die zeigen, wie die Menschen ihr tägliches Leben während des Krieges managen, habe ich mit der Kamera festgehalten. Ich wollte das ganze Bild davon zeigen, was in Aleppo passiert. Jetzt stehe ich vor der neuen Herausforderung, meine Arbeit hier in Deutschland zu machen, denn Fotojournalismus ist mehr als Krieg.

Inwieweit sind Sie persönlich vom Krieg betroffen?

Ein Teil meiner Familie lebt noch immer in Syrien. Einige enge Freunde von mir sind während des Krieges getötet worden. Es ist nicht so einfach zu fotografieren, wenn man weiß, dass dort Menschen, die man persönlich kennt, ums Leben gekommen sind. Ich musste meine Gefühle und auch meine politische Sicht zurückstellen. Ich selbst wurde am 27. Mai 2015 lebensgefährlich von einem Heckenschützen verletzt. Er traf mich in den Bauch. Ich musste dreimal operiert werden – und es hat mehr als zwei Monate gedauert, bis ich genesen war und wieder normal laufen konnte. Aber ich habe überlebt. Danach bin ich nach Aleppo zurückgekehrt. Wenn man als Fotojournalist unterwegs ist, weiß man um die Gefahr. Aber gleichzeitig ist einem klar, dass die Arbeit, die man tut, sehr wichtig ist.

Nehmen wir ein Bild. Können Sie beschreiben, wie dieses Foto entstanden ist?
 


Das war nach einem Angriff im April 2014. Fassbomben hatten die ganze Straße fast komplett zerstört. Die Bombe, die das Haus getroffen hatte, war riesig und dadurch war es auch sehr laut. Es waren sehr viele Menschen dort und man konnte nur sehr schwer hören, ob jemand von den Trümmern eingeschlossen war oder nicht. Außerdem brannte das Gebäude. Auf diesem Bild sieht man ein Kind, das von einem Fotografen getragen wird. Mein Kollege hatte eigentlich Bilder vom Inneren des Gebäudes machen wollen. Als er hineinging, hörte er Geräusche und fand den Jungen. Er legte die Kamera weg und griff das Kind. Es hat ihn sehr glücklich gemacht, dass er den Jungen retten konnte.

Lassen Sie uns ein weiteres Bild betrachten.

Hier z.B. sehen wir in ein Krankenhaus, ebenfalls nach einem Angriff. Viele Leute waren verletzt. Da das Krankenhaus im Kriegsgebiet liegt, war es sowohl Ziel russischer Luftangriffe als auch von Angriffen des Assad-Regimes. Es gab deshalb nur wenige Ärzte und wenig Hilfspersonal. Wir sehen hier einen Pfleger, der sich um einen Mann kümmert.

Das nächste Bild ist im selben Behandlungsraum entstanden, zu einem späteren Zeitpunkt. Da war entschieden worden, dass sie den Mann, um den sich der Pfleger gekümmert hatte, hier nicht operieren können und in die Türkei verlegen müssen. Man kann erkennen, wie die allgemeine Versorgungslage im Krankenhaus war. Wir sehen viel Blut und die Kleidung des Verletzten. Und wir sehen eine Kugel, die herausgenommen wurde.

Wonach entscheiden Sie, was Sie fotografieren und was nicht? Denn Sie zeigen nicht die Untersuchung. Sie zeigen auch den Menschen nicht. Wir sehen nur seinen Arm, aber nicht sein Gesicht.

Manchmal spürst du als Fotograf, dass es nicht nötig ist, alles zu zeigen. Man kann sich auch so denken, was passiert ist. Denn man sieht die Hand, man sieht Blut. Und den Pfleger. Er tut etwas und man kann sehen, dass er komplett auf seine Arbeit fokussiert ist. Das ist meine Art zu fotografieren. Krieg ist Horror. Aber gleichzeitig muss ich die Gefühle des Publikums respektieren. Ich will sie mit den Bildern nicht schockieren, sie sollen darüber nachdenken. Wenn es allerdings nötig erscheint, das Gesicht zu zeigen, dann mache ich das.

Was würden Sie nicht zeigen?

Ich kann nicht genau sagen, was ich nicht zeigen würde, denn meine Arbeit besteht darin, zu dokumentieren. Manchmal kann ein Bild viel mehr aussagen, wenn man nicht zeigt, was passiert. Beispielsweise dieses Bild. Was wir hier sehen, sind Teile einer Kücheneinrichtung. Das ist alles, was vom ganzen Haus übrig geblieben ist. Ich zeige hier den Teil eines Ganzen, das, wo einmal die Küche war.
 


Sie können sofort verstehen, was gemeint ist. Manchmal muss man ein bisschen kreativ sein, um eine Geschichte erzählen zu können und dabei die Würde der Betroffenen zu respektieren. Wenn ich jedoch sehe, ich muss etwas zeigen, um sicherzugehen, dass die Geschichte verstanden wird, dann tue ich das.

Wie reagieren die Menschen auf die Kamera?

Sie sind in der Regel nicht daran gewöhnt, dass jemand mit der Kamera so nah herangeht. Viele werden einfach wütend. Und fragen: Was machst du hier? Warum fotografierst du? Was soll das? – Manche Menschen denken, man nutzt ihr Leiden aus, um seine Arbeit machen zu können. Da bin ich dann vorsichtig. In manchen Situationen konnte ich sehr nah an die Menschen herangehen. Sie haben sich nicht daran gestört, dass eine Kamera da war. Beispielsweise hier bei diesem Bild:
 


Sie können sehr deutlich sehen, dass ich sehr nah an der gesamten Situation dran war. Es war nicht das erste Bild, das ich zu diesem Ereignis gemacht hatte, aber ich musste erst ein Gefühl für die Situation entwickeln. Generell nutze ich je nach Notwendigkeit auch mein Teleobjektiv und versuche aus der Distanz zu fotografieren. Die Leute bewegen sich dann normal – und gleichzeitig ist es sicherer für mich.

Es gibt einige Bilder, auf denen Tote zu sehen sind. Warum haben Sie diese fotografiert?

Hier geht es um Würde. Menschen haben ihr Leben verloren. Das muss ich dokumentieren! Das ist wichtig. Das ist auch der Krieg. Ich versuche, alle Seiten darzustellen. Auch die harte Seite. Das ist das, was ich Ihnen gesagt habe: Ich versuche, nichts zu verbergen. Oder etwas nicht zu zeigen. Ich zeige alles – die emotionale Seite, den Alltag, die Front. Ich will das gesamte Bild der Kriegssituation zusammenfügen.

Wie hat das Fotografieren Sie verändert? All das zu sehen und Bilder davon zu machen. Wenn man die Brutalität sieht, könnte einen das schockieren, krank machen oder traumatisieren. Was hat es mit Ihnen gemacht?

Zuallererst: Ich glaube an die Kraft der Bilder! Ich glaube an die Kraft der Medien. Ich glaube daran, dass es wichtig ist, als Fotograf, als Fotojournalist zu arbeiten. Die Kamera hat mir geholfen, nicht in dieser ganzen Geisteskrankheit festzustecken und eine Aufgabe für mein Leben zu finden. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, kein Fotojournalist zu sein. Sicher, es gibt immer wieder harte Situationen. Ich musste eine Pause machen und mein Verstand und meine Augen mussten sich von all dem erholen, was ich erfahren und gesehen hatte. Aber gleichzeitig ist das meine Arbeit, ich muss das tun.

Hosam Katan ist freier Fotojournalist.

Vera Linß ist Medienjournalistin und Moderatorin.