Generation Z und die heile Welt auf Instagram

Eva Maria Lütticke

Eva Maria Lütticke studiert Medienwissenschaften an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF.

Ein Leben ohne Instagram? Für die meisten Jugendlichen unvorstellbar. Für sie ist die Onlineplattform ein fester Bestandteil ihres alltäglichen Lebens geworden. Man könnte von einer „Instagramisierung“ des Alltags sprechen, denn immerhin verbringen die Jugendlichen mehrere Stunden am Tag auf der Plattform. Kein Wunder, dass sich mehrere Studien mit der Rolle von Instagram bei der Konstruktion von Identität und Selbstwert beschäftigen. Allen voran untersuchte Ines Imdahl in der repräsentativen Studie „Insta ungeschminkt“. Der Traum von Unverwundbarkeit die psychologische Bedeutung von Instagram für Jugendliche und wie die Plattform auf die Entwicklung von jungen Menschen Einfluss nimmt (Lönneker & Imdahl rheingold salon 2019). tv diskurs gibt einen kurzen Überblick über den Stand der Forschung.

Printausgabe tv diskurs: 24. Jg., 1/2020 (Ausgabe 91), S. 10-11

 

 

Die Studie „Insta ungeschminkt.“ Der Traum von Unverwundbarkeit sieht die Generation Z mit einer Welt konfrontiert, die aus ihrer Sicht von gesellschaftlichen und familiären Krisen geschüttelt ist. Jedes Kind kennt solche Familien und ist oft selbst von einem solchen Schicksal betroffen oder bedroht (vgl. Lönneker & Imdahl rheingold salon 2019, S. 2). Hinzu kommen Umwelt-, Flüchtlings- und Wirtschaftskrisen, wodurch bei den jungen Menschen eine besonders große Sehnsucht nach Sicherheit und einer Konstanten im Leben entsteht. Die Pubertät als unstete Phase unterstützt die Verunsicherungen der Jugend zusätzlich. Um sich dem entgegenzustellen, nutzen die Befragten, so die Studie, zwei Strategien. Zum einen kontrollieren sie das Einzige, was sie ganz in der Hand haben: ihr Äußeres. Und zum anderen erschaffen sie sich eine heile und kontrollierbare Parallelwelt auf Instagram (vgl. ebd., S. 19). Beides funktioniert Hand in Hand.
 

Instagram und seine Tools

Instagram bietet die Möglichkeit, das eigene Äußere durch Tools, Filter und die richtigen Posen so lange zu verändern, bis es den eigenen Vorstellungen von sich selbst entspricht. Die Studie zitiert dazu Aussagen von Jugendlichen:

Ich nutze die Filter bei Instagram zum Idealisieren der Posts, das geht heute nicht mehr anders, früher war es noch entspannter“ (ebd., S. 29).

In einer unkontrollierbaren analogen Welt dient die digitale Selbstinszenierung als Anker zu einer scheinbar heilen Instagram-Realität. Hier muss alles Negative außen vor bleiben. Hasskommentare werden gelöscht, und auch alte Posts, die nicht mehr dem aktuellen Selbstbild entsprechen, werden aus dem eigenen Feed wieder entfernt. Tiefgründige und emotionale Themen nehmen kaum Raum ein, trotz Greta und trotz der vielen Freitagsdemonstrationen (vgl. Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel o. J.). Daran anschließend bestätigt ein Zitat aus der Studie:

Ich poste nichts, was mit vielen Gefühlen verbunden ist, das geht niemanden was an. Ich poste Dinge, die allgemein sind (Urlaub, Design, schöne Orte) und schön sind für andere“ (Lönneker & Imdahl rheingold salon 2019, S. 57).

 

Auffallen in der Masse

Auf Instagram zählt vor allem die Reichweite, also die Aufmerksamkeit, die ein Account durch die Anzahl der Follower und deren Likes erfährt. Lönneker & Imdahl nennen das „Aufmerksamkeit um jeden Preis“. Die Likes sind quasi die Währung bei sozialen Netzwerken. Manche der Befragten nutzen verschiedene Accounts mit unterschiedlicher Handhabung: „Ich habe mehrere Accounts, einen privaten, der ist auch auf ‚privat‘ eingestellt, da sind mir die Likes egal; einen Account für mein Hobby, da achte ich auch mehr auf die Qualität der Bilder. Die Bilder machen Freunde von mir, die auch sehr gute Fotos machen und die auch sehr gut bearbeiten können“ (ebd., S. 34). Für die Jugendlichen ist klar, dass sie mehr Follower haben, als sie selbst folgen.

Es geht um Reichweite, wen man erreicht, bis wo man reicht“ (ebd., S. 33).

Die Befragten wollen sich als etwas Besonderes fühlen und definieren z. T. ihr Selbstwertgefühl durch die Zahl der Abonnentinnen und Abonnenten.

Über Follower-Zahlen kann man vergleichen, wer den Längsten hat“ (ebd., S. 35).

Der Umgang untereinander wird mit Steigerungen und Superlativen bestritten: „Hübscher“, „Cutiest“, „Schönste“!. Kommentare wie diese, so wird vermutet, steigern den Narzissmus und bestärken das Gefühl, besonders zu sein (vgl. Imdahl 2019).
 

Soziale Setzwerke als Bühne

Das Bedürfnis, sich selbst in der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen, bestätigen 24 % der Mädchen und 22 % der Jungen (Lönneker & Imdahl rheingold salon 2019, S. 38). „Ich weiß auch nicht, warum ich das jetzt alles poste – dann ist es irgendwie bedeutender“, nennt ein Jugendlicher als Grund (ebd., S. 39). Zwischen der Online- und Offlineöffentlichkeit sehen manche der befragten Jugendlichen keinen Unterschied.

Ich zeige ja nichts, was nicht jeder sehen darf – also im Bikini kann man mich ja auch am Strand sehen“ (ebd.).

Nicht nur das eigene Zur-Schau-Stellen, sondern auch die Schaulust wird auf Instagram ausgelebt.
 

Die Lust auf Steigerung der eigenen Wahrnehmung
 

Klar bin ich süchtig, aber was soll’s? Machen doch alle“ (ebd., S. 7).

Über 64 % der Befragten sind bis zu vier Stunden täglich auf Instagram. Der Rest verbringt sogar noch mehr Zeit am Bildschirm. Zeitlimits gibt es kaum, sodass auch während der Schule (35 %) Instagram genutzt wird (ebd., S. 42). Ein Leben ohne die App ist für die meisten Jugendlichen kaum auszuhalten (ebd. S. 43).

Ohne Instagram würde ich mich isoliert, ausgeschlossen und uninformiert fühlen“ (ebd., S. 47).

Obwohl die ständige Nutzung als „Suchtverhalten“ eingeordnet werden kann, sehen die Jugendlichen vor allem die Inspiration durch Instagram als Mehrwert (vgl. Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel o. J.). Lediglich 12 % reflektieren, dass Instagram auch unglücklich machen kann, obwohl fast alle bestätigen, einen großen Perfektionsdruck zu verspüren (vgl. Lönneker & Imdahl rheingold salon 2019, S. 28).
 

Soziale Netzwerke als Informationsquelle

Während Lönneker & Imdahl ihren Fokus auf die psychologische Funktion von Instagram legen, untersuchte die Studie Alles auf dem Schirm? (Vodafone Stiftung Deutschland 2019), wie sich junge Menschen zwischen 14 und 24 Jahren in Deutschland über politische Themen informieren. Dabei zeigt sich: Das soziale Umfeld sowie das Internet sind für junge Menschen die wichtigsten Informationsquellen zum politischen Geschehen. Neben den Nachrichten-Apps sind es vor allem Google (37 %), YouTube (32 %), Instagram (30 %) und Facebook (28 %), die genutzt werden. Im Vergleich dazu nutzen Jugendliche nur zu 24 % Zeitungen und Zeitschriften, um sich mit politischen Themen zu befassen (ebd., S. 4). Damit ist die Bedeutung sozialer Medien, insbesondere Instagram, als Informationsquelle nicht zu unterschätzen.

Welchen Druck die Möglichkeiten der Selbstoptimierung auf das Selbstwertgefühl vor allem der Nutzerinnen ausübt, zeigt eine Kooperationsstudie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) und der MaLisa Stiftung von 2019 mit dem Titel Weibliche Selbstinszenierung in den neuen Medien. In einem Teil der Untersuchung beschäftigte sich die Medienwissenschaftlerin Maya Götz mit der Frage, wie sich Mädchen auf Instagram inszenieren. Dazu wurden zunächst sieben Einzelfallstudien mit Mädchen zwischen 14 und 16 Jahren durchgeführt, die Instagram regelmäßig nutzten. Die Ergebnisse der Untersuchung dienten als Grundlage für eine standardisierte und fragebogengestützte Face-to-Face-Befragung.1

Die Ergebnisse korrespondieren mit den Aussagen der Insta-ungeschminkt-Studie. Besonders Mädchen ist es wichtig, bestimmte Merkmale mit Filtern zu bearbeiten, darunter fallen u. a. das Bearbeiten der Haare/Frisur, des Make-ups, des Hautbildes sowie das Verschlanken des eigenen Körpers. Insgesamt nutzen 49 % der Mädchen Filter und lediglich 27 % der Jungen (vgl. Götz 2019, S. 17). Der Perfektionsdruck, der auf der Selbstinszenierung liegt, ist enorm. Zwar sprechen die Befragten von einer subjektiven, einer eigenen inneren Instanz, die sie dazu antreibt, ausschließlich „perfekte“ Bilder zu posten, doch stimmt das nicht ganz (ebd., S. 11). So kommt die Studie zu dem Schluss, dass die Kontrolle über das eigene Selbstbild bei den Mädchen von einem Schönheitsideal indoktriniert wird, welches sie selbst reproduzieren – nicht, um männliche Anerkennung zu erhalten oder negative Rückmeldung zu vermeiden, sondern um sich selbst zu gefallen. Diese Zahlen werden durch die Daten zum Nutzungsverhalten der Jugendlichen etwas relativiert, denn nur vier von zehn der Befragten veröffentlichen Bilder auf Instagram (47 % der Mädchen, 32 % der Jungen) (vgl. ebd., S. 17). Aktiv postet und inszeniert sich somit nur ein Teil der Jugendlichen auf der Plattform.
 


Anmerkung:

1) Die Stichprobe von n = 846 Jugendlichen (n = 442 Jungen und n = 404 Mädchen) zwischen 12 und 19 Jahren ist für Deutschland repräsentativ.
 

Literatur:

Götz, M.: „Man braucht ein perfektes Bild.“ Die Selbstinszenierung von Mädchen auf Instagram. In: Televizion digital, 1/2019, S. 9 – 20. Abrufbar unter: http://www.br-online.de (letzter Zugriff: 27.11.2019)

Imdahl, I.: Tiefenpsychologische Forschung: Generation Z und Instagram. Ich Insta, also bin ich. In: Research & Results, 5/2019, S. 58. Abrufbar unter: https://www.research-results.de (letzter Zugriff: 18.11.2019)

Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel (IKW): No Limits! Ob in der Freizeit, unterwegs oder in der Schule – Instagram ist der ständige Begleiter der Jugendlichen. Hier schauen und entspannen sie oder hängen einfach nur ab. Zeitliche Limits? Fehlanzeige. Frankfurt am Main o. J. Abrufbar unter: https://www.ikw.org (letzter Zugriff: 29.112019)

Lönneker & Imdahl rheingold salon: „Insta ungeschminkt.“ Der Traum von Unverwundbarkeit. Köln 2019. Abrufbar unter: https://www.ikw-jugendstudie.org (letzter Zugriff: 20.11.2019)

MaLisa Stiftung (Hrsg.): Weibliche Selbstinszenierung in den neuen Medien. Berlin 2019. Abrufbar unter: https://malisastiftung.org (letzter Zugriff: 27.11.2019)

Vodafone Stiftung Deutschland (Hrsg.): Alles auf dem Schirm? Wie sich junge Menschen in Deutschland zu politischen Themen informieren. Düsseldorf 2019. Abrufbar unter: https://www.vodafone-stiftung.de (letzter Zugriff: 28.11.2019)