Fernsehen so weiß

Sonja Hartl

Sonja Hartl schreibt als freie Journalistin über Film, Fernsehen und Literatur.

Überall wird gemahnt: Wir brauchen mehr Frauen und People of Color auf den Leinwänden und Bildschirmen, wir brauchen mehr Vielfalt, mehr Diversität. Es gibt Whitewashing-Debatten um Filme, bei den Oscars hat Frances McDormand den „Inclusion Rider“1 berühmt gemacht. Doch wie sieht es eigentlich im deutschen Fernsehen und Film aus?

Online seit 17.05.2018: https://mediendiskurs.online/beitrag/fernsehen-so-weiss/

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Schaltet man an einem beliebigen Tag einen beliebigen Sender ein, hängt die Wahrscheinlichkeit, Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Bildschirm zu sehen, davon ab, in welche Sendung man gerät. Bei Nachrichtensendungen ist angesichts der vielen Berichte über Geflüchtete die Wahrscheinlichkeit recht hoch, beim Traumschiff verschwindend gering. Schaut man ein wenig genauer hin, stellt man fest: Ja, es gibt im deutschen Fernsehen Menschen mit Migrationshintergrund. Beispielsweise spielt Erdoğan Atalay schon seit 1996 in Alarm für Cobra 11 einen Kommissar, Denise M’Baye war in Um Himmels Willen und Rote Rosen, Tyron Ricketts hatte 2018 eine Rolle in zwei Teilen der Inselärztin. Im Tatort spielte Fahri Yardim an der Seite von Til Schweiger in Hamburg und folgte damit auf Mehmet Kurtuluş. Sibel Kekilli ermittelte eine Weile in Kiel, Aylin Tezel in Dortmund. Erweitert man den Blick auf die Moderatorinnen und Moderatoren verschiedener Formate, gibt es Ranga Yogeshwar, Dunja Hayali, Pinar Atalay, Jana Pareigis, Aiman Abdallah oder Nazan Eckes.
 


Die weiße Realität

Vielfalt im Fernsehen gibt es also – allerdings weiterhin als Ausnahme. Überwiegend sind Schauspielerinnen und Schauspieler in Serien und Filmen wie die Moderierenden weiß. Das ist keine neue Erkenntnis, schon 2006 hat Pierre Sanoussi-Bliss deutliche Worte gefunden (Sanoussi-Bliss 2007) und ein Jahr später auf dem Integrationsgipfel aufgerufen:

Lasst uns auch in den Medien Normalität demonstrieren und einklagen. Arabella Kiesbauer kann ja nicht schon alles gewesen sein.“ (Pierre Sanoussi-Bliss in Denk 2007)

Zudem wurde vor zehn Jahren bereits angedeutet, dass nichtweiße Schauspielerinnen und Schauspieler zumeist in Rollen besetzt werden, in denen ihr Migrationshintergrund explizit thematisiert wird. Carol Campbell bemerkte 2008 als Vorstandsmitglied des Vereins Schwarze Filmschaffende in Deutschland, dass kaum „Menschen der Schwarzen Community (…) als im Alltag angekommen“ dargestellt werden (feh/ddp 2008).

Seither hat sich so wenig getan, dass die „Süddeutsche Zeitung“ im August 2017 fragte: „Warum ist das deutsche Fernsehen so weiß?“, und zu dem Schluss kam: „Unterschiedliche Kulturen mag es auf der Straße geben, auf dem Bildschirm aber findet man sie kaum“ (Beer 2017). Auch Regisseur Uwe Janson beklagte Ende 2017 im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“:

Es fehlt Diversität in allen Bereichen, es fehlen Freiräume für Regisseure und Autoren, es fehlt der Mut, neu zu denken, neue Geschichten zu erfinden.“ (Uwe Janson in Staun 2017)

Während also die Realität multikulturell ist, bildet das Fernsehen sie weiterhin nicht ab. Aber es wird besser, meint Schauspieler Murali Perumal, der 2013 in einem offenen Brief an die Süddeutsche Zeitung kritisierte, dass auf den meisten Bühnen „Theater von ‚Weißen‘ für ‚Weiße‘“ gegeben werde und sich gegen klischeehafte Besetzungen und Diskriminierungen wehrt. Im Gespräch mit tv diskurs zeigt er sich überzeugt, dass Dinge passieren, „nur sehr langsam“. Aber in den vergangenen drei Jahren sind People of Color sichtbarer geworden. In der neuen Soko Potsdam spielt der ägyptische Kollege Omar El-Saeidi einen Kommissar – und es gibt einen Spurensicherer mit vietnamesischer Abstammung, gespielt von Yung Ngo. Damit macht diese Serie noch etwas bemerkenswert gut: „Bei zwei Schauspielern mit Migrationshintergrund muss dieser nicht mehr zum Thema gemacht werden“ (Hartl 2018).

Damit suggeriert die Besetzung von Soko Potsdam, was längst gesellschaftliche Realität ist: Es gibt Polizisten mit Migrationshintergrund, es gibt deutsch-indische Anwälte, deutsch-senegalesische Ingenieure usw. Dennoch wird nach Erfahrung von Perumal gerade „bei einer durchgehenden Serienrolle immer noch darauf geachtet, dass man jemanden nimmt, der nicht so aneckt, also nicht so dunkel ist“ (ebd.). Dahinter steckt die Befürchtung, dass der Zuschauer abschaltet, weil er sich nicht mit der Figur identifiziert. Aber es wäre gerade wichtig, diese Befürchtung auszuhalten und mutiger zu werden, meint Perumal.

Selbst wenn die Zuschauer abschalten oder es Hassreden gibt, muss man darüber reden, genau das zum Thema machen. Deutschland ist ja divers und multikulturell und es funktioniert.“ (Murali Perumal in Hartl 2018)

Sendungen sollte „die Gesellschaft so zeigen, wie sie ist. Das müssen auch Menschen lernen, die AfD wählen. Es gibt hier Schwarze Menschen, die Akademiker sind“ (ebd.).
 

Und im Kino?

Der Blick auf Kinofilme ist ebenfalls ernüchternd – trotz des großen Erfolgs von Elyas M’Barek, der nicht nur in den erfolgreichsten Filmen der vergangenen Jahre mitgespielt hat, sondern beispielsweise in Dieses bescheuerte Herz als Arztsohn Lenny besetzt wurde, ohne dass es thematisiert wird. Jedoch sind das Ausnahmen wie beispielsweise auch Fahri Yardim, der in Jugend ohne Gott einen Lehrer spielt, und sie sind oft gebunden an bestimmte Namen. Stattdessen gibt es sowohl im kommerziellen als auch im Arthouse-Kino nur wenige Beispiele einer diversen Besetzung. Schaut man allein auf die vier deutschen Beiträge bei der diesjährigen Berlinale hat lediglich Christian Petzolds Transit einen diversen Cast und dieser Film thematisiert Ausgrenzung, Rassismus und Immigration. Es wäre fraglos möglich gewesen, in den anderen Filmen Schauspielerinnen und Schauspieler mit Migrationshintergrund zu besetzen, genau genommen geht es ja gerade darum: Sie sind nicht das „Besondere“, das „Andere“, sondern selbstverständlicher Teil der Gesellschaft, des „Wir“.

Eine diverse Besetzung bleibt eine Ausnahme mit einer klaren Regel: Thematisiert der Film die „andere“ Herkunft oder spielt er in einem kriminellen Milieu, wird die Besetzung diverser. Und es gibt einen weiteren Faktor, der bei einem Blick auf Filme deutlich wird, deren Besetzung divers war: Plan B: Scheiß auf Plan A von Ufuk Genc und Michael Popescu, 45 Minuten bis Ramallah von Ali Samadi Ahadi, 300 Worte Deutsch von Züli Aladag. Alle Filme von Fatih Akin. Es sind Filme von Menschen, deren Name zumindest darauf hindeutet, dass es einen Migrationshintergrund in der Familie gibt. Und hier zeigt sich ein weiterer wichtiger Aspekt der Diversität: Je mehr verschiedene Menschen an einem Film beteiligt sind, desto vielfältiger werden die Geschichten, desto diverser wird der Cast.
 

Vielfalt und Repräsentation

Doch das Kino und noch mehr das Fernsehen hat eine wichtige Aufgabe: Repräsentation. In Nachrichten und Reportagen werden Geflüchtete, arabische Männer und Schwarzafrikaner oft negativ gezeichnet und bleiben so als Problemfälle in den Köpfen der Zuschauer. Serien und Filme können hier einen Gegenpol bilden und Vorurteile abbauen, gerade bei Zuschauern, die aus ihrem Alltag keine sichtbaren Migranten kennen und sonst nur negative Meldungen mitbekommen.

Je öfter man sieht, dass ein multikultureller Alltag funktioniert, desto stärker geht das ins Unterbewusstsein.“ (Murati Perumal in Hartl 2018)

Positive Figuren schaffen ein Gegenbeispiel zum „kriminellen Ausländer“ und den Fluchtgeschichten. „Mein Ziel war es schon vor Jahren, dass nicht immer Migrantengeschichten erzählt werden. Ich muss keinen deutschen Namen haben, aber es reicht schon, wenn man sieht, es gibt Familien, die seit mehreren Generationen in Deutschland leben, Deutsch sprechen, ihren Job machen, Freunde haben“, sagt Perumal. Dann würde sich vielleicht auch bei Verantwortlichen die Erkenntnis durchsetzen, dass nicht immer erklärt werden muss, warum der Schwarze Arzt so gut deutsch spricht, und das Fernsehen würde dazu beitragen, dass die Gesellschaft zusammenwächst.

Dafür gibt es ja auch Beispiele. Seit Jahrzehnten zeigt die Lindenstraße, dass man einen diversen Cast haben kann – und nicht unterscheiden muss in der Darstellung, der Erklärung des Hintergrunds oder der Nähe zu potenziellen Dramen des Lebens. Aber in dieser Breite der Darstellung bleibt sie weiterhin eine Ausnahme.

Es muss sich etwas ändern. Es fehlen Identifikationsangebote für Menschen mit Migrationshintergrund, gerade für Kinder ist es wichtig, Figuren zu sehen, die ihnen entsprechen. Damit gewinnt man nicht nur neue Zuschauergruppen für das Fernsehen, sondern es ermutigt beispielsweise auch Menschen mit Migrationshintergrund, einen Beruf in den Medien zu ergreifen, wenn sie wissen, dass sie nicht immer den Drogendealer spielen müssen. Es reicht nicht mehr, mehr Mut einzufordern, sondern konkrete Änderungen müssen vorgenommen werden. Ein erster Schritt könnte bei der Förderung ansetzen, die man nach dem Vorbild der Diversity Standards des British Film Institutes an Diversität koppelt. Auf zwei weitere wichtige Faktoren machen die Forderungen aufmerksam, die anlässlich des Starts von Black Panther von afrikanischen, afrodiasporischen und Schwarzen Communitys in Deutschland erhoben wurden: Auch in der Ausbildung und in der Berechnung der Einschaltquoten muss sich etwas ändern. Denn hier werden bisher nur Haushalte mit einem deutschsprachigen Haupteinkommensbezieher berechnet (Taylor 2018).

An Vorschlägen und Ansätzen ist somit kein Mangel. Aber sie müssen umgesetzt werden. Und dann wird das Fernsehen vielleicht wirklich dafür sorgen, dass die Gesellschaft zusammenwächst.
 


Anmerkung

*„Als Inclusion Rider wird eine Vertragsklausel in der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie bezeichnet, die verlangt, dass die Besetzung eines Films möglichst vielfältig ist. Schauspieler können sich hierdurch vertraglich zusichern lassen, dass in ihren Filmen Frauen und Minderheiten ausreichend repräsentiert werden“ (Wikipedia 2018).

Quellen

Beer, Joshua: Warum ist das deutsche Fernsehen so weiß? In: sueddeutsche.de, 27.08.2017 (letzter Zugriff: 14.05.2018)

Denk, David: Schwarze Schauspieler. Weiß-Fernsehen. Sie spielen im deutschen TV Putzfrauen, Asylbewerber Saxofon – oder gar nichts. Über ein Strukturproblem. In: taz.de, 20.08.2007 (letzter Zugriff: 14.05.2018)

feh/ddp: Schwarze Filmschaffende beklagen Klischees. Tagesspeigel.de, 16.09.2008 (letzter Zugriff: 14.05.2018)

Förster, Birte: Drehstart für Soko Potsdam. Leiche auf dem Pfingstberg. In: pnn.de, 20.03.2018 (letzter Zugriff: 14.05.2018)

Hartl, Sonja: Interview mit Murali Perumal am 19. April 2018

Murali, Perumal: Offner Brief an die Süddeutsche Zeitung. In: nachtkritik.de, Dezember 2013 (letzter Zugriff: 14.05.2018)

Sanoussi-Bliss, Pierre: Ihr habt den Farbfilm vergessen! Einige politisch unkorrekte Gedanken zum Berliner Integrationsgipfel. In: tagesspeigel.de, 16.07.2006 (letzter Zugriff: 14.05.2018)

Staun, Harald: Wir müssen endlich übers Programm streiten! Wenig Freiräume, ängstliche Redakteure und keine Vision: Der Regisseur Uwe Janson rechnet im Interview mit dem deutschen Fernsehen ab! In: faz.net, 26.12.2017 (letzter Zugriff: 14.05.2018)

Taylor, Karen: Pressemitteilung: Wir fordern Vielfalt in der Film- und Fernsehlandschaft. In: eoto-archiv.de, 15.02.2018 (letzter Zugriff: 14.05.2018)